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Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts über den Nachtragshaushalt 2021 wurden die damaligen Haushaltsplanungen der Bundesregierung infrage gestellt. Im Kern wurde die im Nachtragshaushalt 2021 festgelegte Zuführung von 60 Mrd. Euro Kreditermächtigungen an den Klima- und Transformationsfonds (KTF) beklagt. Die Mittel stammten aus im Jahr 2021 nicht aufgebrauchten Notlagenkrediten. Allerdings wurde damals zugleich das Sondervermögen Fluthilfe mit 16 Mrd. Euro befüllt und die Abrechnung der Schuldenbremse mit Blick auf die Sondervermögen geändert. Die Abrechnungsänderung machte es erst möglich, die Corona-Kredite als Spielräume via Sondervermögen in die folgenden Jahre mitzunehmen (Boysen-Hogrefe, 2022). Diese geänderte Abrechnung hatte nicht nur Auswirkungen auf Rücklagen, die mit dem Nachtragshaushalt 2021 gebildet wurden, sondern auch auf Rücklagen aus vorherigen Jahren. Insgesamt wurden Kreditspielräume von 112 Mrd. Euro geschaffen (Deutsche Bundesbank, 2022). Die Urteilsbegründung stellt das gesamte Vorgehen bezüglich der nicht im Grundgesetz explizit verankerten Sondervermögen inklusive des später aufgefüllten Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) infrage. Immerhin waren in den betroffenen Sondervermögen Finanzierungsdefizite von über 50 Mrd. Euro geplant (Deutsche Bundesbank, 2023).

Die Bundesregierung reagierte auf das Urteil mit dem Nachtragshaushalt 2023. Der WSF wird zum Jahresende geschlossen und damit auch dessen Leistungen (Energiepreisbremsen). Der KTF verliert 60 Mrd. Euro Rücklagen, bleibt aber als Sondervermögen mit den verbliebenen Rücklagen erhalten, sodass auch in den kommenden Jahren eine zusätzliche Kreditaufnahme möglich ist. Diese Praxis wurde jüngst von Büttner (2023) sowie Mähring und Keller (2023) kritisiert. Die Bundesregierung rechnet für 2024 allerdings mit diesen Mitteln. Sie hat, abgesehen von der vorzeitigen Beendigung des WSF, einen Handlungsbedarf von 17 Mrd. Euro im Kernhaushalt und über 12 Mrd. Euro im KTF für das Haushaltsjahr festgestellt. Dabei ist im Kernhaushalt zu berücksichtigen, dass für die Ausgaben im Zuge der Fluthilfe eine Notlage erklärt werden soll, sodass Handlungsbedarf in diesem Umfang wegfällt. Ferner dürfte angesichts der konkreteren Pläne vonseiten der Bundesregierung ein großer Teil des zuvor genannten Handlungsbedarfs durch geänderte Planansätze oder Kreditaufnahmen an anderen Stellen ausgeglichen werden.

Vor diesem Hintergrund leiten wir die direkten Auswirkungen des Urteils auf das Budget für 2024 wie folgt ab (ohne makroökonomische Rück­wirkungen): Die frühzeitige Beendigung des WSF dürfte nach unserer Einschätzung zu geringeren Ausgaben von etwa 7 Mrd. Euro führen. Bei dem Handlungsbedarf im KTF von gut 12 Mrd. Euro ziehen wir für die geplanten Ausgaben für die Deutsche Bahn 4 Mrd. Euro ab. Zudem wird ein Teil des Handlungsbedarfs im Kernhaushalt durch geringere Planansätze und andere Gestaltungen gedeckt. Somit rechnen wir nicht mit 17 Mrd. Euro, sondern mit nur 6 Mrd. Euro Konsolidierungsvolumen im Kern­haushalt, wovon rund 2 Mrd. Euro Minderausgaben und gut 3 Mrd. Euro Mehreinnahmen sind. In der Summe ergeben sich für 2024 somit 21 Mrd. Euro, die sich auf die Teilaggregate des Staatskontos verteilen dürften (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Effekte der Konsolidierungsmaßnahmen infolge des BVerfG-Urteils im Jahr 2024
    Variante 1 Variante 2
Konsolidierungsmaßnahmen Multiplikator BIP-Effekt Multiplikator BIP-Effekt
in Mrd. Euro in % in Relation zum BIP (2023)   in %   in %
Subventionen 7,0 0,17 0,01 0,00 0,76 0,13
Vermögens­transfers 6,0 0,15 0,12 0,02 0,76 0,11
Indirekte Steuern 5,0 0,12 0,20 0,02 0,64 0,08
Staatskosum 1,5 0,04 0,72 0,03 0,72 0,03
Öffentliche Investitionen 0,5 0,01 0,85 0,01 1,18 0,01
Sozialausgaben 0,5 0,01 0,23 0,00 0,76 0,01
Laufende Transfers 0,5 0,01 0,23 0,00 0,76 0,01
Summe 21,0 0,50   0,10   0,40

Multiplikatoren basierend auf Gadatsch et al. (2016) sowie Hinterlang et al. (2023). Der Effekt auf das BIP versteht sich gegenüber einer kontrafaktischen Situation ohne Konsolidierungsmaßnahmen.

Quelle: eigene Setzungen und Berechnungen.

Zur Abschätzung der Folgen der unterstellten Konsolidierungsmaßnahmen auf die Gesamtwirtschaft greifen wir auf zwei von der Deutschen Bundesbank entwickelte makroökonomische Simulationsmodelle zurück. Bei beiden handelt es sich um große, detaillierte DSGE-Modelle, die speziell dafür konzipiert wurden, die Folgen staatlicher Maßnahmen für die deutsche Wirtschaft abzuschätzen. In solchen Modellen entfalten unterschiedliche staatliche Instrumente unterschiedlich hohe gesamt­wirtschaftliche Effekte (Fiskalmultiplikatoren). Die Zusammensetzung von Konjunktur- oder Konsolidierungspaketen ist daher ein zentraler Bestimmungsfaktor ihrer gesamtwirtschaftlichen Effekte.

Wir betrachten zwei Varianten. Für Variante 1 ziehen wir die Fiskalmultiplikatoren für die einzelnen staatlichen Instrumente aus Gadatsch et al. (2016, Tabelle 4, Spalte „Jahr 1“) heran. Den Multiplikator für Subventionen entnehmen wir dem Modell von Hinterlang et al. (2023), da dort Subventionen an Unternehmen explizit modelliert werden. Wir treffen dabei die Annahme, dass die Konsolidierungsmaßnahmen über Vermögenstransfers je zur Hälfte private Haushalte und Unternehmen betreffen, sodass der Multiplikator von Vermögenstransfers dem Durchschnitt aus den Transfers an private Haushalte und Subventionen an Unternehmen entspricht. In der Summe ergibt sich ein dämpfender Effekt auf das BIP im Jahr 2024 in Höhe von 0,1 %. In Relation zum Impuls der Konsolidierungsmaßnahmen in Höhe von 0,5 % fällt der Effekt eher klein aus. Dies ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass Subventionen an Unternehmen einen beträchtlichen Teil des Gesamtpakets ausmachen, diese laut dem Modell von Hinterlang et al. (2023) aber einen Multiplikator von nahe Null aufweisen. In Variante 2 legen wir die Fiskalmultiplikatoren von Hinterlang et al. (2023, Appendix, Tabelle C.1, Durchschnittswert zwischen „1. Quartal“ und „4. Quartal“) zugrunde. Diese fallen für die meisten staatlichen Instrumente größer aus als in Gadatsch et al. (2016). Zudem nehmen wir an, dass Subventionen an Unternehmen denselben – deutlich höheren – Fiskalmultiplikator aufweisen wie Transfers an private Haushalte. Unter diesen Bedingungen ergibt sich für 2024 ein dämpfender Effekt auf das BIP von 0,4 %.

Die Multiplikatoren fallen in Hinterlang et al. (2023) systematisch größer aus als in Gadatsch et al. (2016). Maßgeblich dürfte hierfür erstens sein, dass der Anteil von privaten Haushalten, die ihr gesamtes Einkommen für den Konsum verwenden (im Gegensatz zu Haushalten, die ihren Konsum vorausschauend über die Zeit glätten), in Hinterlang et al. (2023) mit 45 % deutlich größer ist als in Gadatsch et al. (2016) mit 29 %. Je höher dieser Anteil ist, desto höher ist in der Regel der Fiskalmultiplikator, insbesondere von staatlichen Transfers. Zweitens wird in Hinterlang et al. (2023) angenommen, dass die Geldpolitik den Zins konstant hält, während in Gadatsch et al. (2016) die Geldpolitik den Zins an die gesamt­wirtschaftlichen Gegebenheiten anpasst. Da die staatlichen Konsolidierungs­maßnahmen die wirtschaftliche Aktivität und die Preisentwicklung dämpfen, reagiert die Geldpolitik mit Zinssenkungen, die die Effekte der Konsolidierungsmaßnahmen auf die Gesamtwirtschaft abmildern. Drittens unterstellen Hinterlang et al. (2023), dass in der Nutzenfunktion der privaten Haushalte Konsum und Arbeit komplementär sind. Unter solchen Präferenzen sind Fiskalmultiplikatoren in der Regel höher.

Die Dezemberprognose des IfW Kiel unterstellt, dass sich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Konsolidierung etwa in der Mitte der hier aufgezeigten Effekte bewegen, was einem Multiplikator von etwa 0,5 entspricht. Zudem wurden um etwa 7 Mrd. Euro höhere, effektive Konsolidierungsmaßnahmen unterstellt, die sich anders zusammensetzen, da zum Zeitpunkt der Prognose nur wenige Details bekannt waren. In der Prognose wird die Zuwachsrate des BIP im Jahr 2024 durch die Konsolidierung um gut 0,3 Prozentpunkte gedrückt werden. Die Unsicherheit über die Effekte der Konsolidierungsmaßnahmen ist hoch. Fiskalmultiplikatoren unterschiedlicher Modelle unterscheiden sich erheblich. Die hier gezeigte Bandbreite spiegelt nicht die gesamte Bandbreite ermittelter Multiplikatoren auf Basis struktureller Modelle wider. Besonders problematisch ist im konkreten Fall, dass die unterstellten Konsolidierungsmaßnahmen zu einem beträchtlichen Teil Investitions­zuschüsse an private Haushalte und Unternehmen betreffen, diese aber in aller Regel weder in strukturellen Modellen explizit enthalten sind, noch explizit Gegenstand empirischer Analysen sind.

Literatur

Boysen-Hogrefe, J. (2022), Berlin sieht es locker – Brüssel (noch) nicht, Wirtschaftsdienst, 102(1), 19-22, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/1/beitrag/berlin-sieht-es-locker-bruessel-noch-nicht.html (4. Januar 2024).

Büttner, T. (2023), Schriftliche Stellungnahme des Bundesrechnungshofes zum Entwurf eines Nachtragshaushaltsgesetzes 2023, Bundestagsdrucksache 20/9500.

Deutsche Bundesbank (2022), Monatsbericht Februar 2022.

Deutsche Bundesbank (2023), Monatsbericht November 2023.

Dorn, F. C. Fuest, F. Neumeier und M. Stimmelmayr (2021), Wie beeinflussen Steuerentlastungen die wirtschaftliche Entwicklung und das Steueraufkommen? Eine quantitative Analyse mit einem CGE-Modell, ifo Schnelldienst, 74(10), 3-11.

Gadatsch, N., K. Hauzenberger und N. Stähler (2016), Fiscal policy during the crisis: A look on Germany and the Euro area with GEAR, Economic Modelling, 52, 997-1016.

Hinterlang, N., S. Moyen, O. Röhe und N. Stähler (2023), Gauging the effects of the German COVID-19 fiscal stimulus package, European Economic Review, 154, 1-19.

Mähring, M. und J. Keller (2023), Schriftliche Stellungnahme des Bundesrechnungshofes zum Entwurf eines Nachtragshaushaltsgesetzes 2023, Bundestagsdrucksache 20/9500.

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DOI: 10.2478/wd-2024-0020