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Dieser Beitrag ist Teil von Das Haushaltsurteil und die Zukunft der Schuldenbremse

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Schuldenbremse präzisiert und die Bundesregierung zur Restrukturierung der Bundeshaushalte 2024 und folgender Jahre gezwungen. Dies könnte ein Startschuss für eine Reform der Schuldenbremse sein, denn ihre Vorgaben sind willkürlich, und sie behindert die notwendige ökologische Transformation sowie den Abbau des öffentlichen Investitionsstaus. Daher muss sie dringend reformiert werden. Eine Rückkehr zur Goldenen Regel der Fiskalpolitik ist eine zu diskutierende Option.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. November 2023 die Haushaltsplanung der Bundesregierung als unvereinbar mit der Schuldenbremse erklärt. Die Ampelkoalition hatte nicht genutzte Kredite in Höhe von 60 Mrd. Euro, die ursprünglich zur Bekämpfung der Coronakrise vorgesehen waren, in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) umgeschichtet.

Die 2009 grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse sieht vor, dass die strukturelle Nettoneuverschuldung des Bundes auf 0,35 % des nominellen Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu begrenzen ist (Strukturkomponente). Für die Bundesländer wurde eine strukturelle Neuverschuldung gänzlich verboten. Im Falle eines konjunkturellen Abschwungs ist eine höhere Kreditaufnahme möglich, die allerdings im konjunkturellen Aufschwung wieder auszugleichen ist (Konjunkturkomponente). Zusätzlich wurde eine Notlagenklausel festgeschrieben. Sie sieht vor, dass bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, die Schuldenbremse zeitweise ausgesetzt werden kann. Eine solche Notlage kann durch eine einfache Mehrheit des Bundestages erklärt werden. Sie lieferte die Basis für das Aussetzen der Schuldenbremse in den vergangenen vier Jahren. Eine Reform der Schuldenbremse benötigt hingegen eine 2/3-Mehrheit des Bundestages.

Das Urteil des BVerfG hat mehrere Auswirkungen. Erstens bemängelte es, dass der Zusammenhang zwischen einer sorgfältig zu begründenden Notlage einerseits und den hierfür vorgesehenen kreditfinanzierten Maßnahmen nicht hinreichend dargestellt worden sei. Tatsächlich ist ein Zusammenhang zwischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise oder der Förderung der Elektromobilität nicht zu erkennen. Zweitens widerspreche die zeitliche Entkopplung der Erklärung einer Notlage und der Nutzung von Kreditermächtigungen dem in der Verfassung verankertem Gebot der Jährlichkeit. Keinesfalls dürften Kredite, die für eine spezifische Notlage aufgenommen wurden, nachträglich in neue Verwendungsarten umgeleitet werden. Drittens hat das Gericht unterstrichen, dass die durch die Schuldenbremse vorgegebene jährliche Obergrenze der Kreditaufnahme des Bundes auch für Sondervermögen aller Art gilt. Diese Kritik zielt auf die 2021 erfolgte Reform der fiskalischen Erfassung von Sondervermögen. Bis dahin wurde die tatsächliche jährliche Nettokreditaufnahme der Sondervermögen bei der Berechnung der Schuldenobergrenze berücksichtigt. Seitdem kann im Jahr einer außergewöhnlichen Notsituation dem Sondervermögen buchmäßig eine Kreditermächtigung zugewiesen werden, wobei die Kredite noch nicht aufgenommen werden müssen. Der Betrag der Kreditermächtigung erhöht in voller Höhe die Nettoneuverschuldung des Staates im Notstandsjahr. Für die Schuldenbremse ist diese Neuverschuldung aufgrund des erklärten Notstandes unwirksam. In den Folgejahren können dann die benötigten Kredite abgerufen werden, die nun bei der Berechnung der Schuldenbremse keine Berücksichtigung finden. Damit kann die Schuldenbremse faktisch umgangen werden. Diese Praxis hatte der Bundesrechnungshof bereits vor dem Urteil des Bundesverfassungs­gerichts scharf kritisiert (Bundesrechnungshof, 2023; Deutsche Bundesbank, 2023, 72 f.).

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts betrifft unmittelbar zunächst nur den KTF. Aber es hat für zahlreiche andere der mittlerweile 29 Sondervermögen des Bundes ebenfalls Bedeutung, da sie vergleichbar finanziert sind (Deutsche Bundesbank, 2023a, 70 ff.). Auch die Sonderhaushalte der Bundesländer werden in Mitleidenschaft gezogen. Dem Bundesverfassungsgericht ist kein Vorwurf zu machen, da sein Urteil nur die rechtlichen Grundlagen der Schuldenbremse und des Haushaltsrechts widerspiegelt. Der Vorwurf ist an die Schuldenbremse selbst zu richten. Deren Logik provoziert geradezu, ständig neue Sonderhaushalte zu schaffen und die Schuldenbremse zu umgehen. Denn die Ausgestaltung der Schuldenbremse ist in keiner Weise geeignet, den ständig wiederkehrenden ökonomischen Unsicherheiten und Krisen sowie den ökologischen, sozialen und infrastrukturellen Herausforderungen adäquat zu begegnen. Angemessen wäre es, wenn sich die politischen Instanzen ehrlich zeigen würden, indem sie die offenkundigen Mängel der Schuldenbremse eingestehen und eine entsprechende Reform einleiten. Stattdessen haben sie sich für ein Durchlavieren entschieden, das keinen nennenswerten Beitrag zur Beseitigung von Problemfeldern, wie der Klima- und Bildungskrise, der maroden Infrastruktur oder dem sozialen Wohnungsbau, liefert.

Bereits 2023 schrumpfte die deutsche Wirtschaft um 0,1 %, für 2024 wird ein Wachstum von 0,6 % erwartet (OECD, 2024). Die Koalitions­vereinbarungen, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beseitigung der Lücke im Haushalt 2024 getroffen wurden, sehen Kürzungen bei Ausgaben (etwa der Förderung des Kaufs von Elektroautos), Streichung von Subventionen (etwa im Agrarbereich) und höhere Steuern (etwa Erhöhung der CO2-Steuer) vor. Diese Maßnahmen belasten die effektive Nachfrage und somit die konjunkturelle Entwicklung (DIW, 2023). Darüber hinaus belastet ein Teil der Maßnahmen, etwa die höhere CO2-Steuer, sozial schwache Haushalte besonders, die bereits die Hauptleidtragenden des inflationären Energiepreisschubs seit 2021 waren (Heine und Herr, 2023).

Bedarf an öffentlichen Investitionen

Ohne Zweifel richten sich Klimaveränderungen oder zunehmend maroder werdende Infrastrukturen weder nach Schuldenbremsen noch nach politischen Ränkespielen. Fehlt es an geeigneten Gegenmaßnahmen, ist eine Klimaerwärmung von 3 °C gegenüber der vorindustriellen Zeit nicht mehr auszuschließen. Das käme einer planetarischen Zerstörung großer Teile der Welt nahe und würde die künftigen Generationen in eine Welt kriegerischer Verteilungs- und Wanderungskonflikte entlassen. Ein zivilisiertes Leben würde so erheblich erschwert, vielleicht sogar unmöglich werden. Hinterlassen wir den künftigen Generationen eine verschlissene Infrastruktur und eine nicht wettbewerbsfähige Wirtschaft, so führt an Wohlstandsverlusten kein Weg vorbei. Die künftigen Generationen würden durch solche fundamentalen Mängel weitaus stärker belastet als durch eine Erhöhung der Schuldenquote. Sonderhaushalte mögen kurzfristige Hilfestellungen liefern, auf Dauer wird man um eine grundlegende Reform der Schuldenbremse nicht herumkommen.

Unstrittig ist der enorme Bedarf öffentlicher Investitionen, welche in den vergangenen Jahrzehnten sträflich vernachlässigt wurden. Nach Daten der OECD (2024) betrugen die jährlichen öffentlichen Bruttoinvestitionen von 2010 bis 2022 in Deutschland durchschnittlich 11,3 % des BIP. Die Werte lagen im gleichen Zeitraum für die Europäische Währungsunion (EWU) bei 13,83 % und für die USA bei 17,06 %. Frankreich, das Vereinigte Königreich oder Japan lagen mit ihren Werten nahe bei denen der USA. Die Folge hierzulande ist ein Stau an öffentlichen Investitionen, etwa im Bereich des Straßen- und Schienenverkehrs, des Bildungssystems oder des sozialen Wohnungsbaus.

In einem gemeinschaftlichen Papier des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung wurde 2019 der öffentliche Investitionsbedarf in Deutschland für die nächsten zehn Jahre geschätzt (Bardt et al., 2019). Demnach beträgt die Gesamtsumme der notwendigen Investitionen 457 Mrd. Euro. Die großen Bereiche sind die kommunale Infrastruktur, der öffentliche Nahverkehr, Bildung, Wohnungsbau, Breitbandausbau, Bundesbahn und Fernstraßen sowie Impulse zur Dekarbonisierung.

Auch auf anderen Feldern ist Deutschland mit extremen Herausforderungen konfrontiert. Zwei Beispiele mögen dies illustrieren. Angesichts der sich zunehmend deutlicher abzeichnenden Klimakatastrophe muss die Produktion, Distribution und Konsumtion auf einen klimafreundlichen Pfad umgestellt werden. Allein in diesem Bereich sind gigantische öffentliche (und private) Investitionen notwendig. Ein anderes Beispiel ist die Modernisierung der Ökonomie. Deutschland und Europa haben in einer ganzen Reihe von Zukunftssektoren, wie etwa in den Bereichen Cloud-Computing, Entwicklung von Mikrochips oder Digitalisierung, keine nationalen Marktführer. Zusätzlich haben einige traditionell wettbewerbsfähige Branchen, wie die deutsche Autoindustrie, ihre technologisch weltweit führende Rolle aufgrund des Wechsels zu Elektroautos verloren. Deutschland und Europa insgesamt laufen Gefahr, zwischen den USA als Technologieführer und aufholenden Ländern, wie China oder Indien, zerrieben zu werden. Diese Länder betreiben eine extensive Industriepolitik – man denke bei den USA an den Inflation Reduction Act mit einem Volumen von 430 Mrd. US-$.

Die verfehlte Schuldenbremse

Unter den realistischen Annahmen der Einhaltung der Schuldenregel, einer Inflationsrate von 2 % und einem durchschnittlichen Wachstum des realen BIP von 1 % sinkt die Staatsschulden­quote langfristig auf 11,7 % des BIP (Holtfrerich et al., 2015, 40 f.). Eine solche Reduktion der Staatsschuldenquote ist angesichts der Investitionsbedarfe keinesfalls sinnvoll. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen. Das deutsche BIP lag 2023 bei 4.000 Mrd. Euro. Entsprechend der Schuldenbremse dürfen Kredite in Höhe von 14 Mrd. Euro aufgenommen werden. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat bis 2030 einen jährlichen Investitionsbedarf im Verkehrssystem (Straßen, Brücken, Bahn) allein bis 2030 von 372 Mrd. Euro, also jährlich von rund 53 Mrd. Euro, ausgerechnet (Arndt und Schneider, 2023). Selbst die „schwäbische Hausfrau“, die sich auch eine Wohnung mit Kredit kaufen möchte, schüttelt da den Kopf. Hinzu kommt, dass die staatliche Schuldenquote in Deutschland im internationalen Vergleich ausgesprochen niedrig ist. Sie lag Ende 2022 bei 65,4 %. In Spanien betrug sie 116,3 %, in Italien 148,5 %, in Frankreich 117,3 % und in den USA 144,2 % (OECD, 2024).

Die Schuldenbremse wird regelmäßig mit der Generationengerechtigkeit begründet. Demnach belaste eine hohe Staatsschuld zukünftige Generationen. Dieses Argument muss jedoch präzisiert werden. Zunächst ist es in einer geschlossenen Ökonomie so, dass die Höhe der Staatsschuld genau den Forderungen an den Staat entspricht. Somit wird die zukünftige Generation netto nicht belastet. Denkbar sind negative Verteilungseffekte, wenn die Zinsen auf die Staatsschuld von allen gesellschaftlichen Gruppen bezahlt, jedoch die Staatspapiere nur von reichen Haushalten gehalten werden. Wenn viele Ausländer deutsche Staatspapiere halten, dann kann es sein, dass zukünftige Generationen Zinsen an das Ausland zahlen und damit das im Inland verfügbare Einkommen sinkt.

Ignoriert wird in diesem Kontext, dass öffentliche Investitionen die Produktionsbedingungen in der Zukunft verbessern. Leistungsstarke Infrastrukturen, gute Ausbildungen und hervorragende Forschungseinrichtungen erhöhen die Produktivität und damit den Lebensstandard zukünftiger Generationen. Öffentliche, über Kredite finanzierte Investitionen liefern somit die Basis für ein zukünftiges Leben in Wohlstand und Sicherheit. In vielen Fällen stehen öffentliche und private Investitionen komplementär zueinander, und öffentliche Investitionen regen private an (Belitz et al., 2020). Ein gutes Beispiel ist die Förderung und Bildung von ökonomischen Clustern. Der Staat kann durch die Bereitstellung spezifischer Infrastruktureinrichtungen, begleitet von entsprechender Ausbildung und der Unterstützung von Forschung sowie durch eine Stärkung der Nachfrage nach neuen Produkten, im Rahmen öffentlicher Beschaffung private Investitionen anschieben.

Es gibt weitere Kritikpunkte an der Schuldenbremse. Neben der willkürlichen Festlegung der Höhe des erlaubten strukturellen Defizits fehlt ein allgemein anerkanntes Verfahren zur Berechnung dieses Defizits. Problematisch ist bei den Berechnungen unter anderem, dass das Produktionspotenzial selbst stark von der Fiskalpolitik, insbesondere von öffentlichen Investitionen abhängt (Truger und Will, 2012; Heine und Herr, 2022, 42 f.).

Die Goldene Regel der Fiskalpolitik

Öffentliche Investitionen sind ein wichtiges Element der Zukunftsgestaltung eines Landes gerade in der derzeitigen historischen Konstellation. Dafür sollte eine Kreditaufnahme möglich sein. Jedoch gibt es auch gute Argumente, dass eine hohe staatliche (wie private) Schuldenquote eine destabilisierende Wirkung auf die Ökonomie entfachen kann. So kann es bei sehr hohen Schuldenquoten und steigenden Zinssätzen zur Explosion der Budgetdefizite und der Staatsschuld kommen. Sprunghaft steigende Budgetdefizite können auch deflationären Entwicklungen entspringen, da die Steuereinnahmen wegbrechen und bestimmte Ausgaben steigen. Besonders gefährlich sind in fremder Währung denominierte Staatsschulden. Denn bei starken Abwertungen der eigenen Währung steigen die Realschulden sprunghaft an. Schließlich können hohe Staatsschulden zu unerwünschten Verteilungseffekten führen. Aus diesem Grunde sind Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden grundsätzlich sinnvoll.1

Wir plädieren für die Goldene Regel der Fiskalpolitik, nach der die öffentlichen Investitionen über Kredite finanziert werden dürfen, während die konsumtiven Ausgaben des Staates über den Zyklus hinweg über Steuern und Abgaben zu finanzieren sind (Truger, 2020). Eine solche Regel begrenzt die öffentliche Kreditaufnahme überzyklisch durch das Volumen der öffentlichen Bruttoinvestitionsquote. Sie sollte nicht ausschließen, dass in tiefen Krisen oder Notfällen die öffentliche Kreditaufnahme über die Bruttoinvestitionsquote des Staates hinausgehen kann. Die Goldene Regel gibt der Fiskalpolitik ein wichtiges Instrument der makroökonomischen Steuerung an die Hand. Zusammen mit einer adäquaten Geld- und Lohnpolitik kann so die ökonomische Entwicklung stabilisiert und der notwendige Wandel der Ökonomie angeschoben werden (Heine und Herr, 2023).

Schlussfolgerung

Die Schuldenbremse ist eine Wachstums- und Transformationsbremse, die notwendige öffentliche Investitionen verhindert. Die strukturelle Verschuldungsquote von 0,35 % am BIP wurde willkürlich gewählt und es existiert keine allgemein anerkannte Berechnungsweise dieser Quote. Argumente der Generationengerechtigkeit sind nicht stichhaltig. Daher sollte die Schuldenbremse umgehend reformiert werden. Dies gilt im Übrigen auch für die europäischen Regelungen der Fiskalpolitik, die ab 2024 nach den Ausnahmejahren wieder gelten.

Bei allen historischen Unterschieden fühlt man sich bei dieser Gesetzeslage in Deutschland und Europa an die Politik der Brüning-Regierung in Deutschland und der Hoover-Regierung in den USA in den 1930er Jahren erinnert, welche mit ihrer prozyklischen Fiskalpolitik zur Zerrüttung der Ökonomien mit den bekannten Folgen beitrugen (Ahamed, 2018). Auf europäischer Ebene gibt es glücklicherweise eine Entwicklung, wonach die existierenden Regeln flexibler zu gestalten und die individuellen Bedingungen der einzelnen Länder stärker zu berücksichtigen sind. Das genaue Ergebnis ist Anfang 2024 noch offen. Es ist abwegig, angesichts dieser europäischen Dynamik die Schuldenbremse in Deutschland unverändert zu lassen. Da für eine Reform eine parlamentarische 2/3-Mehrheit notwendig ist, wird sie vermutlich kurzfristig nicht reformiert werden. Daher schlagen wir, trotz aller Bedenken, für die großen öffentlichen Aufgaben, wie dem Wohnungsbau oder der ökologischen Transformation, die Einrichtung von Sondervermögen nach dem Vorbild des Bundeswehrsondervermögens vor. Mittelfristig muss die Schuldenbremse in Deutschland und der EWU in Richtung einer Goldenen Regel der Fiskalpolitik reformiert werden.

Eine laufend steigende öffentliche Verschuldung wirkt destabilisierend und führt zu potenziell negativen Verteilungswirkungen. Daher sollte die Bundesregierung versuchen, ihre Einnahmen dauerhaft zu erhöhen, indem die Vermögensteuer neu eingeführt, die Erbschaftsteuer reformiert und die Progression bei der Einkommensteuer erhöht wird. Auch Steuern auf Luxusgüter, wie luxuriöse Autos oder Jachten, müssen nicht grundsätzlich tabuisiert werden. Neben der Erhöhung der Einnahmen würde so der tendenziell wachsenden Ungleichverteilung bei Einkommen und Vermögen entgegengewirkt. Denn gerade bei der Vermögensverteilung gehört Deutschland bei den OECD-Ländern zu den Ländern mit hoher Ungleichheit.2 Mit dem Haavelmo-Theorem (1945) kann gezeigt werden, dass diese Maßnahmen auch positive konjunkturelle Impulse liefern. Für die Kohärenz einer Gesellschaft ist es gerade in Phasen hoher Unsicherheit und struktureller Brüche von großer Bedeutung, dass die vermögenden Haushalte einen Beitrag zur Krisenlösung leisten und die Verlierer der Umbrüche, seien es Unternehmen, Arbeitnehmer oder Transferbezieher, unterstützt werden.

  • 1 Wir folgen somit nicht der Modern Monetary Theory (MMT), die wir für abwegig halten (Heine und Herr, 2023, 2024).
  • 2 Die reichsten 10 % der Bevölkerung hatten folgenden Anteil am Gesamtvermögen ihres Landes: USA 69,7 % (2020), Deutschland 58,8 % (2018), Spanien 52,7 % (2018), Vereinigtes Königreich 52,0 % (2017), Frankreich 49,2 % (2017), Italien 43,4 % (2016) oder Neuseeland 47,1 % (2018) (Credit Suisse, 2022).

Literatur

Ahamed, L. (2018), Die Herren des Geldes, 4. Aufl. Finanzbuch Verlag.

Arndt, W.-H. und S. Schneider (2023), Investitionsbedarfe für ein nachhaltiges Verkehrssystem, Deutsches Institut für Urbanistik.

Bardt, H., S. Dullien, M. Hüther und K. Rietzler (2019), Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen!, IMK Report, 152.

Belitz, H., M. Clemens, S. Gebauer und C. Michelsen (2020), Öffentliche Investitionen als Triebkraft privatwirtschaftlicher Investitionstätigkeit, DIW-Politikberatung kompakt, 158.

Bundesrechnungshof (2023): Bericht nach § 88 Absatz 2 BHO, 25. August

Credit Suisse (2022), Global Wealth Data Book 2022.

Deutsche Bundesbank (2023), Sondervermögen in den Haushaltsregeln, Monatsbericht Juni.

Deutsche Bundesbank (2023a), Bundesverfassungsgericht urteilt zur Schuldenbremse, Monatsbericht November.

DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (2023), Haushaltskürzungen verpassen deutscher Wirtschaft weiteren Dämpfer, Pressemitteilung, 14. Dezember.

Haavelmo, T. (1945), Multiplier Effects of a Balanced Budget, Econome­trica, 13, 311-318.

Heine, M. und H. Herr (2022), Fiskalische Spielräume für eine offensive Wohnungsbaupolitik, IPE Working Paper, 176.

Heine, M. und H. Herr (2023), Inflation. Lehre für heute aus Krisen von gestern, Metropolis Verlag.

Heine, M. und H. Herr (2024), The Resurgence of Inflation - Lessons from History and Policy Recommendations, Springer Verlag.

Holtfrerich, C.-L., L. P. Feld, W. Heun, G. Illing, G. Kirchgässner, J. Kocka, M. Schularick, W. Streeck, U. Wagschal, S. Walter und C. C. von Weizsäcker (2015), Staatsschulden: Ursachen, Wirkungen und Grenzen.

OECD (2024), data, https://data.oecd.org (2. Januar 2024).

Truger, A. (2020), Reforming EU Fiscal Rules: More Leeway, Investment Orientation and Democratic Coordination, Intereconomics, 55(5), 277-281, https://www.intereconomics.eu/contents/year/2020/number/5/article/reforming-eu-fiscal-rules-more-leeway-investment-orientation-and-democratic-coordination.html (22. Dezember 2023).

Truger, A. und H. Will (2012), Gestaltungsanfällig und pro-zyklisch: Die deutsche Schuldenbremse in der Detailanalyse, in C. Hetschko et al. (Hrsg.), Staatsverschuldung in Deutschland nach der Föderalismusreform II – Eine Zwischenbilanz, Bucerius Law School Press, 75-102.

Title:The Climate and a Dilapidated Infrastructure are not in Governed by the Debt Brake

Abstract:The German Federal Constitutional Court has ordered a revision of public budgets following the correct interpretation of the German debt brake. The debt brake is an obstacle to necessary public investment needed for ecological transformation of areas such as housing construction and education. The debt brake should be replaced by the golden rule of fiscal policy, which allows credit financing of public investments.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0009