Wohl kaum ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat so dramatische Wirkungen auf die Tagespolitik gehabt wie das zum zweiten Nachtragshaushalt des Bundes für das Jahr 2021 (BVerfG, 2023). Dadurch, dass die Verfassungswidrigkeit – was in anderen Urteilen wie zur Vermögensteuer oder zur Grundsteuer nicht der Fall gewesen war – mit einer Nichtigerklärung verbunden war, wurde die mit dem Nachtragshaushalt vorgenommene Übertragung von 60 Mrd. Euro aus den Krisenschulden für die Pandemiebekämpfung in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) annulliert.
Von jetzt auf gleich war damit der Bundeshaushalt 2023 nicht mehr verfassungsgemäß, insbesondere da auch andere Sonderhaushalte außer dem KTF von dem Urteil betroffen sind. Ein Nachtragshaushalt musste dies heilen, um die Zahlungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds und die Aufbauhilfe für die von der Flutkatastrophe 2021 betroffenen Regionen rechtlich abzusichern. Dafür wurde der Bundestag gebeten, für das Haushaltsjahr 2023 eine außergewöhnliche Notsituation, die sich der Kontrolle des Staates entzieht und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigt gemäß Art. 115 GG zu beschließen.
Die Bundeshaushalte für die Jahre 2024 und 2025 lassen sich so einfach nicht verfassungskonform gestalten. Das liegt zunächst daran, dass die Unterdeckung des KTF im Jahr 2024 mit knapp 28 Mrd. Euro und im Jahr 2025 mit 33,5 Mrd. Euro beachtlich ist, wenn man die unterstellten globalen Minderausgaben und globalen Mehreinnahmen mit Blick auf Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit eliminiert. Zudem und weitgehend unabhängig vom Verfassungsgerichtsurteil ist der Haushalt für 2024 mit 17 Mrd. Euro oberhalb der grundgesetzlichen Verschuldungsgrenze; dahinter stehen Mehrausgaben für die Ukraine, das Bürgergeld, die Absenkung der Stromsteuer sowie für aufgelöste Sonderhaushalte.
Die Bundesregierung hat intensiv daran gearbeitet, die Defizite durch Einsparungen, Umschichtungen und Verschiebungen zu verringern, einerseits im KTF, andererseits im Bundeshaushalt selbst. Am 13. Dezember 2023 wurde ein Kompromiss erreicht. Damit ist die entstandene Verunsicherung jedoch nicht beseitigt worden: Zu viel ist unklar und unspezifisch geblieben, standortpolitisch sind viele benannte Maßnahmen eine Belastung. Vor allem aber ist nicht erkennbar, wie so verlässlich die Transformation der Volkswirtschaft gelingen kann.
Sparen, investieren und die Haushaltsgrundsätze
Unbestritten ergibt es Sinn, nach Effizienzgewinnen in der Staatstätigkeit und einer höheren Effektivität der staatlichen Programme zu suchen. Das ist eine Daueraufgabe. Berechtigt ist die Frage, welche Einsparungen bei den Sozialausgaben möglich sind, die exakt 50 % der Bundesausgaben erreichen (2022). Doch kurzfristig wird es kaum zu einer überzeugenden Reform etwa in der Rentenversicherung kommen – in der Vergangenheit ging dem regelmäßig die Beauftragung einer Regierungskommission voraus, denn gerade bei der Rente verbieten sich mit Blick auf die Sorgen der Betroffenen und die Langfristigkeit der jeweils getroffenen Entscheidungen Schnellschüsse. Selbst der Sachverständigenrat konnte sich in seinem jüngsten Jahresgutachten nicht auf einen Reformvorschlag einigen, sondern bietet drei Positionen an (SVR, 2023, Ziffern 359 ff.). Welche Legitimation – so lässt sich fragen – bietet ein Verfassungsgerichtsurteil zum Staatsschuldenrecht, das keinerlei Anpassungszeit lässt und sogar Fundamentalreformen in großer Hektik auslösen könnte. Das Verfassungsgerichtsurteil zur Grundsteuer aus dem Jahr 2018 hat dem Gesetzgeber immerhin eine Neuregelungsfrist „längstens … bis zum 31. Dezember 2024“ gewährt (BVerfG, 2018).
Wenn große strukturelle Reformen kurzfristig nicht möglich und nicht sinnvoll gestaltbar sind, dann droht, was immer droht, wenn der Haushalt schnell ausgeglichen werden muss: die Investitionstätigkeit kommt unter Druck, wie der Regierungskompromiss vom 13. Dezember 2023 bestätigt. Das ist hinsichtlich der schwachen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in einer anhaltenden Stagnation besonders bedenklich; die deutsche Volkswirtschaft droht 2024 erneut in eine Rezession abzurutschen – diesmal aufgrund von hausgemachten Ursachen. Ohnehin gilt, dass die Infrastrukturmängel, die von den Unternehmen immer mehr als schwerer Standortnachteil bewertet werden, durch eine unzureichende Haushaltspolitik in Tateinheit mit langen Genehmigungs- und Verfahrenszeiten wesentlich getrieben werden. Die Abweichung von den Ist-Werten zu den Sollansätzen für die verschiedenen investiven Bereiche hat sich in den vergangenen Jahren immer weiter erhöht (vgl. Abbildung 1).
Abbildung 1
Öffentliche Investitionen des Bundes, Abweichung der Ist-Werte von den Soll-Werten
Quelle: Wirtschaftspolitisches Monitoring des Bundeshaushalts, 2022: Eine vbw-Studie, erstellt vom Institut der deutschen Wirtschaft.
Solche Budgetpolitik mag den Bundesfinanzminister erfreuen, doch mit den Grundsätzen der Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit hat das wenig zu tun (§ 10, § 11 HGrG). Auch wenn dies keine strikten Rechtsgebote und damit einfach einzuklagenden Rechtsbegriffe sind, so wird doch eine systematische, aussagefähige Gliederung des Haushalts nicht gewährleistet, wenn offenkundig Einzelansätze mit Gewohnheit unrealistisch festgelegt werden. Es ist erstaunlich, dass diesen gesetzlichen Kriterien einer ordentlichen und ordnungsgemäßen Haushaltsführung schon seit längerem kaum Beachtung geschenkt wird.
In der Stagnation und vor einem veritablen Stagflationsrisiko
Die deutsche Volkswirtschaft zeigt sich seit dem Beginn des Ukrainekriegs enttäuschend schwach. Die Industrie befindet sich bereits seit 2018 in einer rezessiven Bewegung. Die Investitionen entwickeln sich unbefriedigend und entsprechen weder den transformationspolitischen noch den demografischen Herausforderungen. Das Niveau der Ausrüstungsinvestitionen liegt immer noch unter dem Jahresdurchschnittswert von 2019, noch deutlicher ist der Befund bei den sonstigen Anlagen. Die Bauinvestitionen sind seit anderthalb Jahren unter diesem Vergleichswert. Die Nettoanlageinvestitionen des Staates, d. h. über den Ersatz das Kapitalverzehrs hinausgehende Investitionen, lagen 2022 bei 0,1 Mrd. Euro (Bruttoanlageinvestitionen bei 100 Mrd. Euro). In dem Umfeld erweist sich die Schwäche der öffentlichen Investitionen im internationalen Vergleich als besonders belastend (Bardt und Grömling, 2023) (vgl. Abbildung 2 und 3).
Abbildung 2
Öffentliche Investitionen als Anteil am BIP im internationalen Vergleich
Quelle: EU-Kommission (2023); Institut der deutschen Wirtschaft.
Abbildung 3
Öffentliche Investitionen des Bundes, Abweichung der Ist-Werte von den Soll-Werten
Quellen: Statistisches Bundesamt; Institut der deutschen Wirtschaft.
Das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft ist vor allem aufgrund der demografischen Alterung, Schrumpfung und Diversifizierung für die kommenden Jahre bis 2030 mit maximal 0,5 % abzuschätzen (SVR, 2023, Ziffern 80 ff.). Dies und die Einschätzung, dass der Arbeitskräftemangel zu knappheitsbedingten Lohnprämien sowie die Klimapolitik über steigende CO2-Preise einen latenten Inflationsdruck oberhalb der Norm der EZB (2 %) verursachen, begründen seit geraumer Zeit die Perspektive eines Stagflationsszenarios für die nächsten Jahre (Demary und Hüther, 2022). Dessen Wahrscheinlichkeit ist nun deutlich gestiegen.
Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive ist es deshalb dringend geboten, jede (weitere) Destabilisierung der Erwartungsbildung im privaten Sektor zu vermeiden. Dies gilt vor allem für die internationalen Investoren und Kapitalmärkte. Deren Verunsicherung rührt einerseits aus der Standortschwäche, andererseits aus dem demoskopischen Höhenflug der AfD. Gerade im internationalen Vergleich droht bei erheblichen Ausgabenkürzungen als Reaktion auf das Verfassungsgerichtsurteil zur Schuldenregel ein Wirksamkeits- und ein Ansehensverlust. Innenpolitisch dürfte sich dies vor allem dort auswirken, wo die Ängste über die Folgen des volkswirtschaftlichen Strukturwandels zur Klimaneutralität groß sind. So zeigen Untersuchungen, dass die AfD in den von der Transformation stark betroffenen Regionen in der Wählergunst besonders hochsteht (Bergmann et al., 2023).
Worum es nun geht: die Transformation zur Klimaneutralität
Aus all dem folgt, dass die Lösung der Haushaltskrise des Bundes sowohl zügig und verfassungsrechtlich tragfähig als auch mit hoher transformationspolitischer Wirksamkeit verbunden sein muss. Alles andere würde die nun dringend gebotene Stabilisierung der Erwartungen und das Vertrauen in die Transformation gefährden.
- Zügig: Mit Blick auf die gesamtwirtschaftliche Lage und deren Aussichten ist keine Zeit zu verschwenden. Derzeit führt die Unsicherheit in der öffentlichen Verwaltung (z. B. bei Bundesunternehmen, wie der Autobahn GmbH, infolge der Haushaltssperre und des fehlenden Bundeshaushalts 2024) zu scharfen Einschnitten in den Ausgaben, was zusätzliche Verunsicherung auslöst.
- Tragfähig: Es sollte jede verfassungsrechtlich fragwürdige Lösung vermieden werden, da diese nur zu einer weiteren Verunsicherung führen würde, zumal im Fall einer erneuten Klageandrohung. Zugleich sollte ein Weg beschritten werden, der das Problem nicht nur vertagt, indem eine schnelle Lösung für den Bundeshaushalt 2024 gesucht wird, die aber viel größere budgetäre Herausforderung für die Folgejahre nicht bewältigt.
- Transformationspolitisch wirksam: Die privaten Akteure müssen sich auf die gebotene Transformation zur Klimaneutralität einstellen können. Mit Blick auf gesetzliche Pfadabhängigkeiten und die Bedingung, unnötige Verunsicherungen zu vermeiden, sollten Brüche in den relevanten Ausgabenpositionen vermieden werden. Eine strategische Neuaufstellung der Klimapolitik mag man sich mittelfristig vorstellen, kurzfristig wird man den Umbau der Industrie aber nicht lediglich mit dem CO2-Preis betreiben können, wie auch der Blick in andere Staaten und die Renaissance des Standortwettbewerbs zeigen. Denn: Es geht um einen Strukturwandel per Termin: 2045 soll Deutschland klimaneutral sein.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich auf die Haushaltspolitik des Bundes (und der Länder) und das gesamtstaatliche Staatsschuldenrecht. Es steht durchaus in einem interessanten Verhältnis zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz (BVerfG, 2021). Das jüngste Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG 11 A 11/22, OVG 11 A 27/22 u. OVG 11 A 1/23) betont entsprechend, dass die Bundesregierung für die „Sektoren Gebäude und Verkehr zu einem Beschluss über ein Sofortprogramm nach § 8 Klimaschutzgesetz verpflichtet ist“.
Dabei ist zu bedenken, dass allein wegen der Zeitlichkeit ein intensives Zusammenwirken staatlicher und privater Investitionstätigkeit geboten ist. Es geht um den Umbau des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks per Termin. Die öffentlichen Investitionen haben je nach Funktion und Zielsetzung unterschiedliche Kapitalstockeffekte (vgl. Tabelle 1). Die Transformation verlangt mitunter den Austausch (noch) funktionsfähiger Anlagen, die mit großen klimaschädlichen Emissionen verbunden sind, gegen klimaneutrale. Der Vorteil liegt nicht in einem Produktivitätseffekt, sondern in der Reduktion klimaschädlicher Emissionen. Das justiert die „Goldene Regel“ investitionsorientierter Verschuldung neu, da kein Nettoinvestitionseffekt entsteht (SVR, 2007, Ziffern 119 ff.; Wissenschaftlicher Beirat, 2023, 13 ff.).
Tabelle 1
Investitionsbedarfe und Finanzierungsinstrumente
Öffentliche Investitionen | Private Investitionen |
---|---|
Infrastrukturertüchtigung: positiver Nettoeffekt auf Kapitalstock (Qualitätsverbesserung) Infrastrukturneu(um)bau: kein (oder nur minimaler) Nettoeffekt auf den Kapitalstock, da gleichzeitig entsprechende Abgänge vorzeitig stattfinden |
Investitionen in neue Geschäftsmodelle: z. B. Elektromobilität und Brennstoffzelle Ausbau und innovative Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle: z. B. Produktion von Elektrolyseuren mit doppelter Transformationsleistung Transformation von Geschäftsmodellen: z. B. Stahl (Wasserstoff), Zement (CCS) |
Finanzierung: öffentlicher Kredit wegen langfristiger Nutzenwirkung und drohender Überforderung der Transformationsgeneration (mehrjähriger Investitionsfonds) | Finanzierung für F&E: Forschungsförderung für die Kompensation positiver externer Effekte Finanzierung für den Markthochlauf: Leitmärkte, Contracts for Difference, staatliche Garantien, EU-Taxonomie Finanzierung für Effizienzgewinne (z. B. Digitalisierung): Investitionsprämie, EU-Kapitalmarktunion |
Quelle: eigene Zusammenstellung.
Insofern erfordert die Transformation eine besondere Analyse der öffentlichen Investitionen. Das gilt auch für die Frage, in welcher Weise über den Umbau und die Erneuerung der Infrastruktur hinaus staatliche Anreize für die privaten Investitionen in die Klimaneutralität erforderlich sind. Als ordnungspolitisch erforderlich erweisen sich spezifische Eingriffe des Staates aus den folgenden Gründen (Hüther et al., 2023, 14 f.):
- Fristentransformation: Bei der hohen Geschwindigkeit der Transformation drohen Strukturbrüche, wenn die Anpassungsfähigkeit von Unternehmen nicht ausreichend ist und die Entwicklung neuer Unternehmen diese Lücke nicht schließen kann. Durch Strukturbrüche werden bestehende Kapitalbestände und Ressourcen (insbesondere Wissen und Netzwerke) entwertet.
- Risikotransformation: Die Tatsache, dass die infrastrukturellen Vorleistungen aus vielen Gründen mit dem Risiko der Verzögerung, der zeitlichen Inkongruenz und der regulatorischen Offenheit verbunden sind, begründet eine fundamentale Verunsicherung der Investoren. Insofern muss der Staat nicht nur die Brückenlösungen für die Fristentransformation bauen, sondern zugleich eine Risikotransformation organisieren – quasi als Rückübertragung der staatlich induzierten Risiken.
- Funktionsdefizite beim Markthochlauf: Industriepolitik für die Transformation per Termin muss sowohl angebotsseitig als auch nachfrageseitig ansetzen. Denn die angebotsseitige Reaktion auf veränderte relative Preise wirkt nur dann, wenn die Erwartung trägt, dass die Nachfrage mitzieht. Das ist dann zweifelhaft, wenn sich – wie bei der Umstellung der Produktion auf Wasserstoff – die Investitionskosten im Standortwettbewerb nicht rechnen (Wissenschaftlicher Beirat, 2022).
- Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit: Teile des Transformationsdrucks entstehen durch wettbewerbsverzerrende politische Entscheidungen. Die weit überdurchschnittlichen Preissignale und strengen Regulierungen zur Minderung der Treibhausgasemissionen in Europa führen zu Wettbewerbsnachteilen für heimische Produzenten.
Fragwürdige Optionen in der Haushaltskrise
Die Komplexität der Transformation zur Klimaneutralität, nicht zuletzt aufgrund der zunehmenden Dringlichkeit, verlangt ganz besonders eine verlässliche und mittelfristig einschätzbare Finanzpolitik. Nicht tragfähig, allein wegen der verfassungsrechtlichen Unsicherheiten, erscheint deshalb die allfällige Deklarierung einer Notlage nach Art. 115 Abs. 2 GG. Zwar ist dieser Weg nicht ausgeschlossen, er ist aber nach dem Urteil besonders voraussetzungsstark. Der Veranlassungszusammenhang muss als finanzpolitische Herausforderung klar beschrieben und die budgetpolitischen Konsequenzen daraus präzise abgeleitet werden. Die Notlage muss zudem eine angemessene Dimension haben. Konkret wäre zu beziffern, inwieweit z. B. der Krieg in der Ukraine oder die damit zusammenhängende Flüchtlingsaufnahme zu zusätzlichen Ausgaben führen, die nicht aus dem regulären Haushalt bestritten werden können. Die Regierung scheint sich mit ihrem Kompromiss vom 13. Dezember 2023 diese Notlagenerklärung vorzubehalten, mittelfristig trägt sie nicht.
Die Konjunkturbereinigung zu Art. 115 Abs. 2 GG ist bundesgesetzlich geregelt und kann mit einfacher Mehrheit im Bundestag verändert werden. Bei einer Reform der Konjunkturbereinigung ginge es um eine andere Definition der gesamtwirtschaftlichen Normallage sowie weiterer Parameter. Damit lassen sich gemäß einem Vorschlag des Dezernats Zukunft in Jahren mit einer Abweichung von der Normallage zusätzliche Spielräume mobilisieren (z. B. für 2023 rund 15 Mrd. bis 20 Mrd. Euro) (Krahé et al., 2021). Grundsätzlich sind solche Vorschläge diskussionswürdig (unter anderem ob die Konjunkturkomponente im Auf- und Abschwung symmetrisch wirken soll), treffen aber in der aktuellen Situation nicht den Kern der Sache, da es nicht um konjunkturpolitische Aufgaben geht, die transitorisch über Kredit zu finanzieren sind, sondern um strukturelle und wachstumspolitische Herausforderungen.
Nutzung des Kontrollkontos: Das Kontrollkonto zur Schuldenbremse dient dem überjährigen Ausgleich bei Abweichungen von der zulässigen Nettokreditaufnahme im Haushaltsvollzug. Dort sind 47,7 Mrd. Euro eingebucht, die aber nicht einfach im Zuge der Haushaltsplanung eingesetzt werden können, sondern allenfalls ungeplant. Damit findet sich hier kein juristisch praktikabler Weg: „Ein positiver Saldo ist kein Guthaben, das in zukünftigen Haushaltsjahren als Erweiterung des Kreditspielraums genutzt werden kann“ (BMF, 2022a; Art. 115 GG).
Öffentliche Infrastrukturgesellschaften sind prinzipiell für verschiedene Aufgaben als Umsetzungs- und Finanzierungsvehikel denkbar (Wissenschaftlicher Beirat, 2023, 14 f.). Dabei sind indes zwei Nachteile zu beachten: Einerseits ist die Kreditaufnahme für diese Gesellschaften teurer als für den Bund, andererseits ist die Steuerung – trotz des Instruments der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung – wegen der eigenen Rechtspersönlichkeit und Unternehmensführung nicht so strikt und stringent möglich, wie es für die Bewältigung der Infrastrukturdefizite und Transformationsaufgaben notwendig wäre. Dennoch ist es aus politischer Sicht – wie der Regierungskompromiss zeigt – ein attraktiver Weg, durch Eigenkapitalerhöhung bei der Deutschen Bahn eigentlich im KTF vorgesehene Mittel zu mobilisieren. Aus demokratietheoretischer Sicht sind solche Konstruktionen zumindest diskussionswürdig.
Als eine weitere Option werden Privatisierungen diskutiert, wie der Verkauf der Beteiligungen des Bundes und der KfW insbesondere an der Deutschen Telekom AG und der Deutschen Post AG. Diese Einmaleffekte würden jedoch als finanzielle Transaktion den Spielraum im Rahmen der Schuldenbremse nicht vergrößern, sondern könnten nur die effektive Nettokreditaufnahme oder den Schuldenstand reduzieren.
Schließlich wird derzeit darauf hingewiesen, dass ein höherer CO2-Preis viele der nun drängenden Probleme lösen könnte. Er setze die richtigen Anreize und bewältige die Transformation. Ohne Zweifel ist der CO2-Preis eine zentrale Variable der Klimapolitik, doch er erfasst nicht alle Sektoren und er vermag die benannten ordnungspolitischen Bedingungen der Transformationspolitik nicht zu erfüllen, jedenfalls nicht im Alleingang. Diese Einnahmen wären für den sozialen Ausgleich über ein Klimageld sowie die Kompensation hoch belasteter Unternehmen vorzusehen, dessen Volumen richtet sich nach den Einnahmen aus der CO2-Bepreisung. In dem Maße, in dem diese (planmäßig) schwindet, werden auch das Klimageld und Strompreiskompensation zurückgefahren.
Gestaltungsaspekte eines Transformations- und Infrastrukturfonds
Eine Lösung auf Basis einer Verfassungsänderung liegt in der Einfügung eines „Transformations- und Infrastrukturfonds“ (TIF) mit eigener Kreditermächtigung analog der Lösung für das Bundeswehr-Sondervermögen. Die Erläuterung des Bundesfinanzministeriums dazu lässt sich eins zu eins auf den TIF übertragen: „Im Rahmen der Schuldenregel wäre das zur Überwindung langjähriger Unterfinanzierung der Bundeswehr nötige Volumen von 100 Milliarden Euro nicht zu realisieren. Zur Sicherung der Zweckbindung verankern wir das Sondervermögen im Grundgesetz. Es steht damit neben der Schuldenbremse, die für alle regulären Bundesaufgaben und Vorhaben der Bundesregierung gilt“ (BMF, 2022b). Der große politische Vorteil besteht darin, dass für den Bundeshalt und die Länderhaushalte die Durchsetzung der Schuldenbremse nach Art. 115 GG gestärkt wird.
Mit Blick auf die Europäische Währungsunion wird damit sowohl den wachstumspolitischen Erwartungen entsprochen als auch den strengen Fiskalregeln Rechnung getragen. Zu überlegen wäre, inwieweit ein solcher Fonds Modellcharakter für Lösungen auf Ebene der Bundesländer haben könnte, da offenbar an den dort bestehenden Fonds zumindest teilweise Zweifel der Verfassungsmäßigkeit bestehen (Hentze und Kauder, 2023). Denkbar wäre es ebenso, die Erfordernisse auf Landesebene (und gegebenenfalls auch kommunaler Ebene) über den gesamtstaatlichen TIF vollständig abzudecken.
Bei der Ausgestaltung eines TIF sind verschiedene Aspekte zu beachten bzw. politisch zu klären:
- Gesamtstaatliches Infrastruktur- und Transformationsprogramm: Ein solcher Fonds ergibt nur Sinn (somit auch die Verfassungsänderung), wenn er gesamtstaatlich aufgesetzt wird, d. h. wenn er für einen längeren Planungshorizont die transformativen Infrastrukturinvestitionen von Bund und Ländern mit überragendem volkswirtschaftlichem Nutzen aufnimmt. Der Begriff transformativ sollte breit interpretiert werden. Es werden alle Investitionen in die Ertüchtigung und den Umbau der Infrastruktur als transformativ gewertet (Schiene, Autobahn, Übertragungsnetz Strom, Glasfaserausbau und G5-Netz, Ladeinfrastruktur, Wasserstoffnetz, energetische Gebäudesanierung). Der Fonds muss öffentliche Investitionen ebenso umfassen wie die Förderung privater Transformationsinvestitionen (z. B. H₂-basierte Stahlerzeugung, privat organisierte Infrastruktur).
- Bund-Länder-Kommission: Der gesamtstaatliche Ansatz legitimiert neben der Verfassungsänderung eine Bund-Länder-Kommission zur Umsetzungsbegleitung des Fonds (analog zum Gremium des „Bundeswehr-Sondervermögen“ als zusätzliches Kontrollgremium innerhalb des Bundestags-Haushaltsausschusses). Deren Aufgaben umfassen das Monitoring des Fonds, die Anpassung in den Prioritäten und die Neudefinition von Aufgaben aufgrund gemachter Erfahrungen und neuer Herausforderungen sowie die Berücksichtigung der relevanten Inflationsentwicklung.
- Abgrenzungsfragen: Zu prüfen ist, inwieweit kommunale Investitionen von überragender volkswirtschaftlicher Bedeutung (z. B. Schulbau) einzubeziehen sind. Ebenso zu diskutieren ist die Frage, wie mit korrespondierenden konsumtiven Ausgaben, z. B. Kapazitäten in Planungs-, Bau- und Umweltämtern, zu verfahren ist. Neben der Option, diese Mittel aus dem regulären Haushalt zu finanzieren, wäre eine pauschale Quote des Investitionsvolumens für derartige Begleit- und Nebenkosten einer Investition und damit die Finanzierung aus dem Fonds denkbar. Transformationsunabhängige Subventionen, z. B. für Ansiedlungen oder zum Ausgleich allgemeiner Standortschwächen (z. B. Kosten der generellen Senkung der Stromsteuer) wären in den Normalhaushalt zu überführen.
- Kombination mit Planungs- und Verfahrensbeschleunigung: Es ist wenig sinnvoll, hohe Milliardenbeträge für den Fonds einzuplanen, wenn nicht gleichzeitig deren Nutzung verlässlich gelingt. Deshalb sollten alle Programmpunkte des Fonds in einem Maßnahmengesetz des Bundes zur Planungs- und Verfahrensbeschleunigung berücksichtigt werden. Das stärkt zugleich den investiven Charakter der zu berücksichtigenden Aufgaben und Ausgaben. Dadurch können Abgrenzungsfragen zum Teil im Vorfeld geklärt werden.
- Volumen: Der Fonds muss einen nennenswerten Teil der öffentlichen Transformationsinvestitionen und der notwendigen Mittel zur Förderung privater Transformationsinvestitionen umfassen. Für zehn Jahre erscheinen 400 Mrd. bis 500 Mrd. Euro in Preisen des Jahres 2023 als sinnvolle Orientierungsgröße (Bardt et al., 2019). Das Volumen sollte entsprechend mindestens in Höhe der Inflationsrate oder dem entsprechenden BIP-Deflator dynamisiert werden.1
- Laufzeit des Programms: Es geht bei Infrastruktur und Transformation um langfristige strategische Aufgaben, die auf die Stärkung sowie qualitative Verbesserung des Wachstumspotenzials der deutschen Volkswirtschaft zielen. Das verlangt einen Zeithorizont von mindestens drei Legislaturperioden auf Bundesebene. Dies erhöht die Planungssicherheit für alle Beteiligten in Politik und Wirtschaft, es kann daher bestehende Verunsicherung abbauen.
- Fristigkeit der Kreditaufnahme: Die Laufzeit der Verschuldung muss sich an dem Zeithorizont der Investitionen und an deren Kapitalstockeffekten orientieren. Da es um die langfristige Erfüllung der Klimaschutzziele geht, wären Bundesanleihen mit 20- oder 30-jähriger Laufzeit zu empfehlen. Das Schuldenmanagement wäre der Finanzagentur des Bundes zu übertragen, um auf unterschiedliche Zinsentwicklungsszenarien vorbereitet zu sein. Die Zinsen müssen aus dem regulären Haushalt finanziert werden.
- Anfänglicher Tilgungsverzicht: Auf eine explizite Tilgung sollte zumindest zunächst verzichtet werden, um künftige Haushaltsspielräume angesichts des geringen Potenzialwachstums nicht weiter zu mindern. Die zusätzliche Verschuldung würde sich durch die anzunehmende Steigerung der nominalen Wirtschaftskraft relativieren. Der Tilgungsverzicht kann damit begründet werden, dass viele der anstehenden Investitionen den Kapitalstock eher modernisieren als erweitern, weshalb die volkswirtschaftliche Rendite (z. B. gemessen als BIP-Zuwachs) eher gering ausfallen könnte.
Der Vorteil des TIF liegt darin, dass transparent und nachvollziehbar die gesamtstaatlichen Investitionen generationengerecht finanziert werden, zugleich aber der Kernhaushalt bei Bund und Ländern der Schuldenbremse unterliegt. So verbindet diese haushaltsrechtliche Antwort auf die Transformation die Herausforderungen unserer Zeit mit den Erfahrungen und Bedingungen früherer Jahre.
- 1 Zur Einordnung: Bei einem Volumen von 500 Mrd. Euro und einem Zinssatz von 3 % würde dies langfristig eine Zinsbelastung von gut 16 Mrd. Euro jährlich bedeuten (ohne Tilgung). Die Schuldenstandquote würde 2045 ceteris paribus um rund 7 Prozentpunkte höher als ohne den TIF liegen – Kapitalstockeffekte nicht berücksichtigt.
Literatur
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Bergmann, K., M. Diermeier und H. Kempermann (2023), AfD in von Transformation betroffenen Industrieregionen am stärksten, IW-Kurzbericht, 71/202, Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
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BMF – Bundesfinanzministerium (2022b), Pressemitteilung Bundeswehr-Sondervermögen Bundesfinanzministerium – Sondervermögen Bundeswehr: Investitionen in unsere Freiheit.
BVerfG – Bundesverfassungsgericht (2018), Urteil des Ersten Senats vom 10. April 2018 – 1 BvL 11/14 –, Rn. 1-181.
BVerfG – Bundesverfassungsgericht (2021), Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 –, Rn. 1-270.
BVerfG – Bundesverfassungsgericht (2023), Urteil zum Zweiten Nachtragshaushalt 2021 – 2 BvF 1/22.
Demary, M. und M. Hüther (2022), How Large Is the Risk of Stagflation in the Eurozone?, Intereconomics, 57(1), 34-39, https://www.intereconomics.eu/contents/year/2022/number/1/article/how-large-is-the-risk-of-stagflation-in-the-eurozone.html (14. Dezember 2023).
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Hentze, T. und B. Kauder (2023), Das Sondervermögen „Transformationsfonds“ des Saarlandes, IW Report, 61/2023, Stellungnahme zu den Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz des Bundes auf das Saarland: Das Sondervermögen „Transformationsfonds“ des Saarlands, Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Hüther, M., H. Bardt, C. Bähr, J. Matthes, K.-H. Röhl, C. Rusche und T. Schaefer (2023), Industriepolitik in der Zeitwende, IW Policy Paper, 7/2023, Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Krahé, M., F. Schuster und P. Sigl-Glöckner (2021), Wird die Konjunkturkomponente der Schuldenbremse ihrer Aufgabe noch gerecht?, Wirtschaftsdienst, 101(8), 621-628, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2021/heft/8/beitrag/wird-die-konjunkturkomponente-der-schulden-bremse-ihrer-aufgabe-noch-gerecht.html (14. Dezember 2023).
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2007), Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Expertise.
SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2023), Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren, Jahresgutachten 2023/24.
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