Seit 2022 sind Inflation und Zinsniveau in Deutschland merklich erhöht. Wir arbeiten mittels einer Szenarienrechnung die Auswirkung der höheren Preise und Zinsen auf die Finanzierungssalden der Kommunen in Nordrhein-Westfalen heraus und berücksichtigen dabei systematische Unterschiede zwischen höher und niedriger verschuldeten Kommunen. Zwar stehen gestiegenen Kosten auf der Ausgabenseite einige positive Effekte auf der Einnahmenseite entgegen, etwa weil einige Steuern an nominalen Größen anknüpfen. Der Gesamteffekt auf den Finanzierungssaldo ist in unseren Szenarien aber negativ.
Der Staat als Inflationsgewinner? Diese Schlussfolgerung wurde gelegentlich angesichts der deutlich steigenden Steuereinnahmen gezogen. Allerdings beeinflussen erhöhte Preise und Zinsen die staatlichen Einnahmen und Ausgaben auf sehr unterschiedliche Weise. Je nach Struktur des Haushalts sind zudem Bund, Länder und Gemeinden unterschiedlich betroffen. In diesem Beitrag richten wir unseren Fokus auf die kommunale Ebene in Nordrhein-Westfalen (NRW) und analysieren die Auswirkungen mithilfe einer Szenarienrechnung. Wir fassen dabei die Kernergebnisse unseres Gutachtens im Auftrag des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes NRW zusammen (Jessen et al., 2023).
Die Struktur der Einnahmen und Ausgaben variiert erheblich, auch zwischen den Kommunen. In unserer Analyse differenzieren wir daher zwischen kreisfreien Städten und kreisangehörigen Kommunen einerseits sowie zwischen höher und geringer verschuldeten Kommunen andererseits. Für letztere Unterscheidung greifen wir auf eine Definition von „Altschulden” zurück, die unter anderem im Sommer 2023 im Vorschlag der Landesregierung NRW für ein Programm zur Bewältigung kommunaler Altschulden verwendet wurde (MHKBD, 2023). Wir nehmen den Verschuldungsstand mit Kassenkrediten zum Jahresende 2022 zum Maßstab und legen den Schwellenwert bei 100 Euro pro Kopf der Bevölkerung fest. Damit ist beinahe die Hälfte der kreisangehörigen Kommunen mit „Altschulden“ belastet. Alle kreisfreien Städte erfüllen das Kriterium.
Innerhalb der durch den Schwellenwert abgegrenzten Gruppe der Kommunen mit „Altschulden“ bestehen deutliche Unterschiede in der Höhe der Schuldenstände (Jessen et al., 2023). Die Heterogenität setzt sich bei der Analyse wichtiger Kategorien der Ein- und Auszahlungen fort. So unterscheiden sich etwa die Einnahmen aus der Gewerbesteuer und der Grundsteuer stark, ebenso die Ausgaben für Sozialtransfers und – naheliegenderweise – die Höhe der Zinszahlungen. Diese Heterogenität führt dazu, dass die Entwicklung in einzelnen Kommunen teils deutlich von den betrachteten Durchschnittswerten abweichen kann.
Die Szenarienanalyse baut auf einer systematischen Auswertung wichtiger Einzahlungen und Auszahlungen auf.1 Da diese jeweils unterschiedlich stark von den höheren Preisen und Zinsen betroffen sein dürften, teilen wir die einzelnen Posten in 17 geeignete Kategorien ein. Für die einzelnen Kategorien werden dann Annahmen für die Fortschreibung getroffen. Abhängig von der beschriebenen voneinander abweichenden Einnahmen- und Ausgabenstruktur ergeben sich dann für Kommunen mit und ohne „Altschulden“ sowie für kreisfreie und kreisangehörige Kommunen jeweils unterschiedliche projizierte Entwicklungen.
Status quo einer erhöhten Inflation versus kontrafaktisches Szenario
Um die Auswirkungen der hohen Inflation auf die Finanzlage der Kommunen zu illustrieren, werden im Folgenden zwei Szenarien verglichen. Dem Basisszenario einer erhöhten Inflation, also dem Status quo, wird dabei ein kontrafaktisches Alternativzenario gegenübergestellt, in dem die Preissteigerungen weitgehend den üblichen Entwicklungen der vergangenen Jahre entsprechen. Das Szenario der erhöhten Inflation ist dabei an die tatsächliche Entwicklung des Jahres 2022 und eine Prognose für die Folgejahre angelehnt.2 Die Szenarienrechnung erfolgt für die Jahre 2022 bis 2026. Die zurückblickende Berechnung für das Jahr 2022 wird durchgeführt, weil die Inflation bereits damals stark erhöht war.
Für jede der ausgewählten Kategorien, etwa die Personal- und Versorgungsauszahlungen oder die Gewerbesteuer, werden jeweils unterschiedliche Annahmen zur Preisentwicklung getroffen. Da die üblichen Prognosen für die Deflatoren nicht in einem Detailgrad vorliegen, der eine so detaillierte Berechnung ermöglichen würde, wird für den Vergleich unter anderem auf die Entwicklung breiterer Preismaße zurückgegriffen. Zudem wird zur Illustration der Auswirkungen der Preissteigerungen darauf verzichtet, bei den Ein- und Auszahlungen von Anpassungen der zugrunde liegenden Aktivitäten auszugehen. Insgesamt handelt es sich bei dem angestellten Szenarienvergleich somit um eine stilisierte Darstellung, anhand derer die Kanäle und mögliche Größenordnungen der Auswirkungen der hohen Inflation auf die Finanzlage der Kommunen diskutiert werden. Die tatsächliche Entwicklung der Haushalte wird dagegen auch wesentlich davon geprägt sein, welche Mittel den Kommunen faktisch zur Verfügung stehen oder gestellt werden und welche Anpassungsentscheidungen vor diesem Hintergrund für die den Zahlungen zugrundeliegenden Aktivitäten getroffen werden.
Die in Tabelle 1 dargestellten Preissteigerungsraten sind in den beiden Szenarien unterstellt. Für einige Kategorien werden ergänzende Annahmen getroffen, die zu den in Tabelle 2 zusammengefassten projizierten Differenzen führen.
Tabelle 1
Unterstellte Veränderungsraten der Deflatoren in der Szenarienrechnung
in %
2022 | 2023 | 2024 | 2025 | 2026 | |
---|---|---|---|---|---|
Basisszenario (hohe Inflation) | |||||
Privater Konsum | 6,9 | 5,5 | 2,2 | 2,0 | 2,0 |
Staatskonsum | 5,2 | 2,6 | 2,8 | 2,3 | 2,3 |
Bruttoanlageinvestitionen | 11,0 | 5,5 | 2,7 | 1,9 | 1,9 |
Alternativszenario (niedrigere Inflation) | |||||
Privater Konsum | 2,0 | 2,0 | 2,0 | 2,0 | 2,0 |
Staatskonsum | 2,0 | 2,0 | 2,0 | 2,0 | 2,0 |
Bruttoanlageinvestitionen | 1,9 | 1,9 | 1,9 | 1,9 | 1,9 |
Quelle: Frühjahrsprojektion der Bundesregierung 2023 und eigene Setzung (Basisszenario), eigene Setzung (Alternativszenario).
Tabelle 2
Unterschied in projizierten Zuwachsraten zwischen Alternativszenario und Basisszenario
Jahresdurchschnittliche Veränderung der Zahlungsbeträge pro Kopf in Prozentpunkten | |||||
---|---|---|---|---|---|
2022 | 2023 | 2024 | 2025 | 2026 | |
Auszahlungen (ohne Finanzierungstätigkeit) | |||||
Personal- und Versorgungsauszahlungen | 0 | -2,5 | -2,5 | 0 | 0 |
Instand- und Unterhaltung des unbewegten Vermögens | -3,2 | -0,6 | -0,8 | -0,3 | -0,3 |
Sozialtransferauszahlungen inkl. Leistungsbeteiligungen | -3,2 | -0,6 | -0,8 | -0,3 | -0,3 |
andere Transferauszahlungen inkl. Leistungsbeteiligungen | -3,2 | -0,6 | -0,8 | -0,3 | -0,3 |
Zinsen und sonstige Finanzauszahlungen | 0 | -50 | -10 | -10 | -10 |
Auszahlungen aus Investitionstätigkeit | -9,1 | -3,6 | -0,8 | 0 | 0 |
Rest | -3,2 | -0,6 | -0,8 | -0,3 | -0,3 |
Einzahlungen (ohne Finanzierungstätigkeit) | |||||
Gewerbesteuer | -5 | 0 | 0 | 0 | 0 |
Grundsteuer A und B | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 |
Gemeindeanteil an der Einkommensteuer | -2,6 | -0,5 | -1,2 | 0 | 0 |
Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer | -2,5 | -2,0 | -1,5 | 0 | 0 |
Zuwendungen und allgemeine Umlagen | -3,2 | -0,6 | -0,8 | -0,3 | -0,3 |
Öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte | -3,2 | -0,6 | -0,8 | -0,3 | -0,3 |
Kostenerstattungen und Aufgabenbezogene Leistungsbeteiligungen | -3,2 | -3,5 | -0,2 | 0 | 0 |
Investitionszuwendungen | -9,1 | -3,6 | -0,8 | 0 | 0 |
Rest | -3,2 | -0,6 | -0,8 | -0,3 | -0,3 |
Quelle: eigene Berechnungen.
Auswirkungen auf die Auszahlungen
Eine wichtige Kategorie aufseiten der Auszahlungen sind die Personal- und Versorgungsauszahlungen. Während die Inflation zunächst keinen direkten Effekt auf Löhne, Gehälter, Besoldung und Pensionen hat, kann davon ausgegangen werden, dass die starken Preissteigerungen den Druck verstärkt haben, in den Tarifverhandlungen höhere Tarifsteigerungen zu erzielen.3 Die jüngste Tarifeinigung für den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) verdeutlicht das und führt bei den kommunalen Arbeitgebern zu merklichen Kostensteigerungen. Die anhaltend gute Lage am deutschen Arbeitsmarkt spricht allerdings dafür, dass die Tariflöhne tendenziell ohnehin etwas stärker gestiegen wären als in früheren Jahren.
Um die Auswirkungen der erhöhten Preissteigerungen abzubilden, wird von folgenden Annahmen ausgegangen: im Basisszenario steigen die Personal- und Versorgungszahlungen angelehnt an die durchschnittliche Rate der vergangenen zehn Jahre um 4,0 %. Für das Basisszenario des hohen Inflationsumfelds wird davon ausgegangen, dass die Inflation einen steigernden Effekt auf die Dynamik der Nominallöhne hat. Angelehnt an die Gültigkeit der Vereinbarungen für die tariflichen Entgelte wird dabei davon ausgegangen, dass es im Jahr 2022 noch keinen Inflationseffekt gibt. Für die Jahre 2023 und 2024 wird dann angenommen, dass der Anstieg der Personalauszahlungen jeweils um 2,5 Prozentpunkte höher ausfällt, als es ohne Inflationsanstieg der Fall gewesen wäre (vgl. Tabelle 2).
Bei den Auszahlungen für Investitionen wird für den Vergleich der Szenarien davon ausgegangen, dass die Preise im Basisszenario mit der jahresdurchschnittlichen Veränderungsrate des Deflators der Bruttoanlageinvestitionen der Jahre 2012 bis 2019 von 1,9 % steigen. Im Szenario mit hoher Inflation wird der hohe tatsächliche Wert des Jahres 2022 von 11 % genutzt, somit ergibt sich eine Differenz von 9,1 % (vgl. Tabelle 2). Anschließend werden im Einklang mit der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung ebenfalls erhöhte Werte für den Anstieg des Deflators angenommen.4 Bei dem Vergleich wird unterstellt, dass die realen Investitionsvolumen unverändert bleiben, die Dynamik der Auszahlung sich also nur aus der Preisentwicklung ergibt.
Die Auszahlungen für Instandhaltung und Unterhaltung des unbewegten Vermögens wiesen anders als die Investitionsauszahlungen in den vergangenen Jahren keine starke Anstiegsdynamik auf. Der starke Anstieg der Baupreise dürfte hier weniger stark durchschlagen als bei den Investitionen. Die für den Szenarienvergleich angenommenen Werte orientieren sich an der Entwicklung des Deflators für den staatlichen Konsum.
Die Entwicklung der Auszahlungen für Sozialtransfers wird wesentlich durch Änderungen der gesetzlichen Regelungen, die meist außerhalb der Entscheidungsgewalt der Kommunen liegen, und von sozio-demografischen Entwicklungen bestimmt. Gleichzeitig unterscheiden sich die Transferauszahlungen in ihren Determinanten, sodass sie in unterschiedlichem Maße von preislichen Entwicklungen betroffen sind, insbesondere im Bereich der Mieten und Heizkosten. Zudem beteiligt sich der Bund seit dem Jahr 2020 stärker an den Kosten für Unterkunft und Heizung (Christofzik, 2023). Den Preissteigerungen auf der Auszahlungsseite steht also ein Anstieg bei den Einzahlungen gegenüber. Für den Szenarienvergleich wird vereinfachend ebenfalls an die Entwicklung des Deflators der staatlichen Konsumausgaben angeknüpft. Dasselbe Vorgehen wird für die korrespondierenden Einzahlungen gewählt. Analog gilt dies für die übrigen Transferauszahlungen und Leistungsbeteiligungen, wie auch die nicht näher betrachteten übrigen Konten der Auszahlungen (Rest).
Bei den Zinszahlungen dürfte der kräftige Abwärtstrend der vergangenen Jahre angesichts der deutlich angehobenen Leitzinsen zu Ende gehen.5 Inwieweit das aktuelle Zinsniveau auf die Zinsauszahlungen durchschlägt, wird nicht zuletzt durch den aktuellen Schuldenstand und seine Laufzeitstruktur bestimmt. Die deutliche Reduktion der Zinszahlungen in den vergangenen Jahren wurde vor allem durch das niedrigere Zinsniveau erreicht und nicht durch eine deutliche Reduktion des Schuldenstands. Sowohl bei der Refinanzierung auslaufender Kreditvereinbarungen aus der Phase der niedrigen Zinsen als auch bei laufenden variabel verzinsten und etwaigen neuen Krediten, nicht zuletzt für Investitionen, fallen nun höhere Zinsen an. Vor dem Hintergrund der raschen geldpolitischen Straffung ist die Zinsstrukturkurve derzeit invers: In Erwartung zukünftig niedrigerer Zinsen liegen die langfristigen unter den kurzfristigen Zinsen. Da vor allem im Bereich der Investitionskredite längerfristige Laufzeiten vereinbart werden, dürfte also nicht der volle Anstieg der kurzfristigen Zinsen durchschlagen.6 So sind etwa die Umlaufrenditen für zehnjährige Bundesanleihen nun rund 3 Prozentpunkte höher als zu den Tiefstständen 2020.7
Die genaue Bestimmung der Auswirkungen der Zinswende auf die Kommunen übersteigt den Umfang der hier angestellten Analyse.8 Da Ausmaß und Tempo der Zinswende der EZB jedoch wesentlich durch die beobachtete, stark angestiegene Inflation bestimmt waren, wird für den Vergleich davon ausgegangen, dass sich die Zinsauszahlungen in den beiden betrachteten Szenarien unterscheiden und im Szenario mit hoher Inflation merklich höher ausfallen. Dabei wird angenommen, dass auch im Szenario ohne hohe Inflation der Abwärtstrend allmählich zu einem Ende gekommen wäre. Vereinfachend wird angenommen, dass sich im Basisszenario die dämpfenden Effekte aus auslaufenden längerfristigen Altschulden mit noch höherer Verzinsung und die Effekte der Neuverschuldung die Waage gehalten hätten und die Auszahlungen konstant geblieben wären. Im Szenario mit einer höheren Inflation wird angenommen, dass die Zinsauszahlungen bereits im Jahr 2023 um 50 % höher ausfallen und sich bis zum Endjahr der Projektion in jedem weiteren Jahr um 10 % erhöhen.9 Ausgehend von einem im langjährigen Vergleich sehr niedrigen Niveau, würden die Zahlungen für Zinsen damit wieder merklich steigen. Der Szenarienvergleich wird nur für die Kommunengruppen insgesamt angestellt, der Schuldenstand der jeweiligen Kommune wird also nicht berücksichtigt.
Auswirkungen auf die Einzahlungen
Bei den Einzahlungen hängen die Steuern mittelbar von der Inflation ab, nämlich in dem Maße, in dem die Bemessungsgrundlagen durch die Preissteigerungen beeinflusst sind. Die bundesweiten Gewerbesteuereinnahmen legten im Jahr 2022 um 15 % zu, wohl auch wegen erhöhter Gewinne im Zuge der allgemeinen Preissteigerungen. Für die folgenden Jahre sind laut Steuerschätzung vom Mai 2023 moderate Zuwächse angelegt. Im Niedriginflationsszenario wird daher ein Abschlag bei der Zuwachsrate für 2022 von 5 Prozentpunkten vorgenommen (vgl. Tabelle 2). Die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer ist unabhängig von der allgemeinen Preissteigerung, sodass in beiden Szenarien die Zuwachsraten der Steuerschätzung vom Mai 2023 unterstellt werden.
Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer beinhaltet sowohl Lohnsteuer als auch veranlagte Einkommensteuer, wobei die Lohnsteuer etwa drei Viertel des Gesamtaufkommens ausmacht. Während sich das Lohnsteueraufkommen recht präzise auf Basis der Bruttolöhne und -gehälter ableiten lässt (Boysen-Hogrefe et al., 2020), besteht nur ein loser Zusammenhang zwischen dem Aufkommen der veranlagten Einkommensteuer und makroökonomischen Aggregaten. Für das Basisszenario mit erhöhter Inflation werden die in der Steuerschätzung projizierten Veränderungsraten der Einkommensteuer insgesamt unterstellt. Im Alternativszenario wird von geringeren Zuwächsen der Bruttolöhne und -gehälter ausgegangen und diese geringeren Zuwächse – der Einfachheit wegen und da die Lohnsteuer ohnehin den Löwenanteil der Einkommensteuer ausmacht – auf die projizierten Aufkommen der gesamten Einkommensteuer übertragen. Dies geschieht in Anlehnung an das bei der Steuerschätzung verwendete Ableitungsschema für die Lohnsteuer. Für sich genommen mindert der geringere Anstieg der Bruttolöhne und -gehälter im Niedriginflationsszenario den Anstieg des Einkommensteueraufkommens überproportional.
Gleichzeitig ist aber die Verschiebung des Einkommensteuertarifs in den Jahren 2023 und 2024 der erhöhten Inflation geschuldet. Die Eckwerte des Einkommensteuertarifs werden jährlich basierend auf dem im alle zwei Jahre veröffentlichten Steuerprogressionsbericht projizierten Anstieg des Deflators des privaten Konsums verschoben. Der im November 2022 veröffentlichte Steuerprogressionsbericht ging von Anstiegen um 7,2 % und 6,3 % in den Jahren 2022 und 2023 aus. Die Eckwertanpassungen in den Jahren 2023 und 2024 gleichen jeweils den prognostizierten Anstieg des Vorjahres aus, sodass die durchschnittliche Steuerlast bei real unverändertem Lohn unverändert bleibt. Da der Anstieg der Nominallöhne am aktuellen Rand ausnahmsweise hinter dem Anstieg der Konsumentenpreise zurückblieb, bzw. bleiben dürfte, führte die Eckwertanpassung sogar zu einem Rückgang der Steuerquote (Jessen und Schmidt, 2023). Im Alternativszenario wird davon ausgegangen, dass die Anpassung der Tarifeckwerte 2023 und 2024 auf Basis des Anstiegs des Konsumdeflators um 2 % stattfindet. Im Vergleich zum Basisszenario erhöht dies den Anstieg des Einkommensteueraufkommens 2023. Der Unterschied in der Zuwachsrate der Einkommensteuer zwischen den beiden Szenarien fällt damit 2022 deutlich stärker als in den Folgejahren aus.
Der Zusammenhang zwischen Umsatzsteuer und ihrer Bemessungsgrundlage ist proportional, wobei letztere maßgeblich durch den privaten Konsum, aber auch durch den öffentlichen Konsum und Wohnungsbauinvestitionen bestimmt ist. Im Einklang mit Prognosen, die vor dem Energiepreisschock erstellt wurden, wird für das Szenario mit geringerer Inflation angenommen, dass die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuer in den Jahren 2022 bis 2024 weniger stark wächst als im Basisszenario. Die Abschläge übertragen sich proportional auf das Aufkommen.
Die Zuwendungen und allgemeine Umlagen, öffentlich-rechtliche Leistungsentgelte sowie die restlichen Einzahlungen werden in den beiden Szenarien mit den jeweils unterstellten Veränderungsraten des Deflators des Staatskonsums fortgeschrieben. Hier wird unterstellt, dass diese Zuwendungen der allgemeinen Preisentwicklung für den Sektor Staat folgen. Einzahlungen aus Kostenerstattungen und aufgabenbezogene Leistungsbeteiligungen werden hingegen mit dem Deflator des privaten Konsums fortgeschrieben. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass Leistungen sich an den Lebenshaltungskosten orientieren. Die Projektion der Investitionszuwendungen ist analog zur Projektion der Auszahlungen für Investitionen. Das heißt, dass sich die Fortschreibung am Deflator der öffentlichen Investitionen orientiert.
Ergebnis: Kommunen unter erhöhtem Druck
Die entsprechende Analyse zeigt, dass die Finanzierungssalden für alle betrachteten Typen der Kommunen im Basisszenario auf mittlere Sicht niedriger sind als im Alternativszenario (vgl. Abbildung 1). Das bedeutet, dass sich die finanzielle Lage der Kommunen durch die erhöhte Inflation verschlechtern dürfte. Sie sind nach unseren Szenarienanalysen also Inflationsverlierer. Der Vergleich der Kommunentypen zeigt dabei, dass die Verschlechterung der Finanzierungssalden durch die Inflation bei den Kommunen mit Altschulden sogar noch etwas stärker sein dürfte. Diese weisen im Durchschnitt bereits ein Defizit auf, das sich nun noch deutlicher ausweitet.
Abbildung 1
Projektion der Finanzierungssalden
Quelle: eigene Berechnungen.
Die Analyse knüpft an die durchschnittlichen Anteile wichtiger Ein- und Auszahlungskategorien an und trifft Annahmen für deren Entwicklung in den beiden Inflationsszenarien. Unter den getroffenen Annahmen steigen sowohl die Einzahlungen als auch die Auszahlungen im Szenario mit hoher Inflation stärker, als es ohne sie der Fall gewesen wäre. Wie der Nettoeffekt auf den Finanzierungssaldo ausfällt, hängt auch von den Anteilen der Kategorien ab. Diese können sich zwischen den einzelnen Kommunen unterscheiden. Im Durchschnitt zeigt sich jedoch die beschriebene Verschlechterung der Salden. Die dargestellte Entwicklung stellt dabei ein mögliches Szenario dar. Die komplexen Entwicklungen in den kommunalen Haushalten werden dafür aber stark vereinfacht. Zudem besteht eine hohe Unsicherheit über die anzunehmenden Veränderungsraten der verschiedenen Zahlungskategorien. Trotzdem verdeutlicht die Analyse, dass eine spürbare Verschlechterung der Finanzlage aufgrund der Inflation plausibel ist.
Zu den Faktoren, die das Ergebnis beeinflussen, zählt nicht zuletzt, inwieweit Zuweisungen und Erstattungen für die Kommunen an die Preissteigerungen auf der Ausgabenseite angepasst werden. Erfolgt dies mit Verzögerung oder in einem zu geringen Ausmaß, verschlechtert dies die Finanzlage der Kommunen. Ein weiterer Punkt, der zu bedenken ist: In der Analyse werden Unterschiede bei den nominalen Auszahlungen betrachtet. Werden diese nicht entsprechend den Preisanstiegen erhöht, sondern etwa aufgrund von Budgetbeschränkungen nicht oder in einem geringeren Ausmaß ausgeweitet, würde sich zwar keine oder eine geringfügigere Verschlechterung der Finanzlage zeigen. Die reale Entwicklung, etwa bei den Investitionen oder der Instandhaltung des Vermögens, hätte sich jedoch verschlechtert.
- 1 Wenngleich sich die Pflicht zum Haushaltsausgleich in NRW – anders als im kameralen System des Bundes – nicht auf die Zahlungsströme, sondern auf einen Ausgleich von Aufwendungen und Erträgen bezieht, verwenden wir aus Gründen der Datenverfügbarkeit Zahlungsdaten.
- 2 Bei der Prognose wird insbesondere auf die Frühjahrsprojektion der Bundesregierung des Jahres 2023 zurückgegriffen, da diese die Grundlage der verwendeten Steuerschätzung aus dem Mai 2023 bildet (vgl. Tabelle 1).
- 3 Im Fall der Beamtenbesoldung und -pensionen könnten gegebenenfalls Ansprüche auf Erhöhungen bestehen, wenn diese nicht ausreichend an die Preissteigerungen angepasst werden.
- 4 Jüngere Prognosen gehen von einem stärkeren Anstieg 2023 aus, dem ein deutlicherer Rückgang des Preisauftriebs 2024 gegenübersteht (Schmidt et al., 2023; Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2023).
- 5 Zur Zinsentwicklung siehe auch Brand und Salzgeber (2023) oder Freier et al. (2023).
- 6 Gemäß der Schuldenstatistik des Statistischen Bundesamts gab es zum Jahresende 2022 in den kommunalen Kernhaushalten in NRW auch noch immer Kassenkredite mit recht langer Laufzeit. Etwa die Hälfte aller kommunalen Kassenkredite in NRW wird erst nach 2023 fällig, 16 % sogar erst nach 2027.
- 7 Gegenüber den bereits niedrigen Ständen der Jahre 2017 und 2018 beträgt der Anstieg allerdings nur rund zwei Prozentpunkte.
- 8 Hierzu wären nicht zuletzt genauere Informationen zu Laufzeiten und Verzinsung der Schuldenbestände der Kommunen erforderlich. Darüber hinaus müssten detaillierte Annahmen zum zukünftigen Schuldenmanagement getroffen werden.
- 9 Nach einer vereinfachten Rechnung würde die Zinsausgabenquote der Kommunen in NRW laut Brand und Salzgeber (2023, Abbildung 2) bei einem Anstieg der Refinanzierungskonditionen für die in den Jahren 2022 und 2023 auslaufenden Kredite von 1,4 % auf 3,4 % kurzfristig ausgehend von rund 0,9 % im Jahr 2021 um knapp 0,5 Prozentpunkte ansteigen.
Literatur
Boysen-Hogrefe, J., M. Göttert, P. Jäger und R. Jessen. (2020), Der Einfluss der Lohnspreizung und der Haushaltszusammensetzung auf die Lohnsteuereinnahmen, Kieler Beiträge zur Wirtschaftspolitik, 25.
Brand, S. und J. Salzgeber (2023), Kommunalfinanzen in Zeiten steigender Zinsen, Wirtschaftsdienst, 103(1), 55-61, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2023/heft/1/beitrag/kommunalfinanzen-in-zeiten-steigender-zinsen.html (15. Dezember 2023).
Christofzik, D. I. (2023), Zahlungen der Länder an Gemeinden in finanzstatistischer Abgrenzung – Eckpunkte eines Schätzmodells. Forschungsvorhaben FE 5/21 im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen. Abschlussbericht, Januar 2023.
Freier, R., R. Geißler und M. Gnädiger (2023), Kommunaler Finanzreport 2023, Bertelsmann Stiftung.
Jessen, R. und T. Schmidt (2023), Heimliche Änderungen der Steuerbelastung vermeiden, Ifo Schnelldienst, 76(2), 21-23.
Jessen, R., T. Schmidt, D. Christofzik, N. Isaak und F. Kirsch (2023), Inflation und kommunale Schuldentragfähigkeit. Projektbericht im Auftrag des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen, Oktober, RWI Projektberichte.
MHKBD – Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2023), Gemeindefinanzierung 2024 stärkt mit 15,34 Milliarden Euro kommunale Haushaltssituation, https://www.mhkbd.nrw/presse-und-medien/pressemitteilungen/gemeindefinanzierung-2024-staerkt-mit-1534-milliarden-euro-kommunale-haushaltssituation (29. September 2023).
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2023), Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2023: Kaufkraft kehrt zurück – Politische Unsicherheit hoch.
Schmidt, T., G. Barabas, N. Benner, B. Blagov, M. Dirks, D. Grozea-Helmenstein, N. Isaak, R. Jessen, F. Kirsch, C. Krause, P. Schacht und K. Weyerstraß (2023), Sommer 2023: Aufschwung verzögert sich in Deutschland, RWI Konjunkturberichte, 74, 3, 5-39.