Die Diagnose ist klar und in der Diskussion unumstritten: Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) steht vor großen demografischen Herausforderungen. 2022 kommen etwa 100 Menschen im Alter von 20 bis unter 65 Jahren auf 37 Menschen, die 65 oder älter sind. Der Altenquotient liegt damit bei 37 %. Nach aktuellen Schätzungen wird der Altenquotient bis zum Jahr 2030 auf etwa 45 % und bis 2040 auf knapp 49 % steigen (Statistisches Bundesamt, 2022).1 Das Erwerbspersonenpotenzial geht also im Verhältnis zu den Menschen im Rentenalter erheblich zurück. Dadurch steigt absehbar der finanzielle Druck auf das Rentensystem.2
Die Herausforderung für die Politik besteht darin, neben der finanziellen Nachhaltigkeit des Umlagesystems gleichzeitig die Einkommenssicherungsfunktion der Rentenversicherung zu erhalten und weiterzuentwickeln. Dazu kommt der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel. Auch hier gibt es Forderungen an die Rentenpolitik. Insbesondere sollen durch Reformen das Arbeitsleben verlängert werden und die Erwerbstätigkeit während der Rentenphase erhöht werden.
Die Einkommenssicherungsfunktion wird häufig durch das sogenannte Sicherungsniveau vor Steuern (§154 Abs. 3a SGB VI) gemessen, welches das Verhältnis der Standardrente nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge (Standardrente mit 45 Beitragsjahren und Durchschnittseinkommen) und des verfügbaren Durchschnittsentgelts vor Steuern angibt. Es wird geschätzt, dass das Sicherungsniveau ohne weitere Reformen von gut 48 % (2023) bis zum Jahr 2037 auf 45 % zurückgehen wird.3
Bei der Einkommenssicherungsfunktion geht es aber nicht nur um die Durchschnittsrenten, sondern auch um die Vermeidung von Altersarmut. Das Risiko, von Altersarmut betroffen zu sein, ist in den vergangenen Jahren angestiegen und wird wohl auch in den kommenden Jahren weiter zunehmen (Geyer et al., 2019; Buslei et al., 2023a). Das liegt erstens an den Rentenreformen der vergangenen Jahre, da die Altersarmut steigt, wenn das Rentenniveau sinkt (Buslei et al., 2019a). Zweitens verstärkt sich dieser Effekt durch Veränderungen am Arbeitsmarkt, insbesondere durch die Zunahme nicht-sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung (Soloselbstständige, Minijobs, Crowdworker) und die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Dabei ist das Risiko für Menschen mit unterbrochenen Erwerbskarrieren, mit Erwerbsunfähigkeit oder längeren Zeiten in Teilzeitbeschäftigung besonders hoch. Oft betrifft dies Alleinerziehende, Menschen mit geringer Bildung, Menschen mit schlechter Gesundheit oder Menschen mit Migrationshintergrund (Geyer et al., 2019). Gleichzeitig haben diese Menschen in der Regel auch weniger Ansprüche an die betriebliche oder private Altersvorsorge (Geyer et al., 2021a).
Rentenreform mit Bündel von Maßnahmen
Zahlreiche Vorschläge, das Rentensystem zu reformieren, liegen auf dem Tisch und etliche Gutachten haben die Ersparnisse für das Rentensystem und die Auswirkungen für Rentner:innen und die Beitragszahlen simuliert und quantifiziert. Dabei wird klar, dass es nicht die eine Reform gibt, die die beschriebenen Herausforderungen des Rentensystems adressieren kann. Darüber hinaus ist die politische Umsetzbarkeit der Reformen oft problematisch (Ehrentraut und Moog, 2017; Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, 2021; Bittschi und Wigger, 2023), wird aber in der Diskussion häufig ausgeblendet. Um die Herausforderungen des Rentensystems angemessen zu adressieren, sind jedoch beide Aspekte zentral: erstens ein politisches Konzept, das die Finanzierungs- und Absicherungsfragen insgesamt im Blick hat und zweitens ein Bündel aus abgestimmten Reformen, das für dieses Ziel auch umgesetzt werden kann. Dabei haben Zweckmäßigkeit und Umsetzbarkeit eine ähnliche Bedeutung (Geyer, 2020).
Beispielhaft für einen relativ weitreichenden Vorschlag, der sich auch der Umsetzbarkeit widmet, steht das neue Jahresgutachten des Sachverständigenrats. So fordert ein Teil der Wissenschaftler:innen in diesem Gutachten eine deutliche Dämpfung der Ausgaben und eine Umverteilung innerhalb des Versichertenkollektivs, um für mittlere und niedrige Einkommen starke Einschnitte zu vermeiden und die Akzeptanz der Reform zu erhöhen (SVR, 2023). Kernelemente der Reformvorschläge sind eine Dynamisierung des Renteneintrittsalters, eine neue Form ergänzender privater Altersvorsorge mit Kapitaldeckung sowie eine Anpassung des Nachhaltigkeitsfaktors und die Einführung einer Inflationsindexierung von Bestandsrenten. Diese Elemente zielen vor allem darauf ab, die finanzielle Nachhaltigkeit des Rentensystems zu sichern. Um auch die Einkommenssicherungsfunktion der Rente zu garantieren, wird im Gutachten über eine nach Jahreseinkommen gestaffelte Rentenberechnung nachgedacht. Diese soll dazu beitragen, eine unbeabsichtigte regressive Verteilung in der Rentenversicherung zu reduzieren4 und die Einkommenssicherungsfunktion für mittlere und geringe Einkommen zu verbessern sowie Altersarmut zu senken. Konkret sollen die finanziellen Spielräume genutzt werden, um das Sicherungsniveau einer Standardrente langfristig zu stabilisieren.
Der Vorteil einer Kombination von Reformen liegt auf der Hand: Die negativen Einkommenseffekte und Verteilungswirkungen von Rentenkürzungen, die vor allem durch eine Anpassung des Nachhaltigkeitsfaktors oder durch die Einführung einer Inflationsindexierung von Bestandsrenten entstehen würden, können bei einer geeigneten Wahl von Reformelementen abgemildert werden. Das würde auch die politische Akzeptanz erhöhen. Allerdings sind die finanziellen Spielräume innerhalb der Rentenversicherung so gering, dass es ohne weitere Mittel aus Steuern oder höheren Beitragssätzen bei starken Rentenkürzungen trotz Umverteilung zu einem Absenken der Einkommenssicherungsfunktion für große Teile des Versichertenkollektivs kommen würde. Eine Reform der privaten Vorsorge kann erst in der fernen Zukunft einen Teil dieser Einkommenseinbußen kompensieren – sofern sehr optimistische Annahmen zur Vorausberechnung eintreffen.
Derzeit ist es kaum vorstellbar, dass sich der Steuerzuschuss über das vorgesehene Maß erhöhen wird. Im Gegenteil: Der Entwurf für das neue Haushaltsfinanzierungsgesetz sieht vor, dass der Bundeszuschuss in den Jahren 2024 bis 2027 um ca. 600 Mio. Euro pro Jahr gekürzt werden soll. Nach Aussagen der Rentenversicherung kumuliert sich der Rückgang des Bundeszuschusses für 2022 bis 2027 damit auf etwa 5 Mrd. Euro, sodass die Rücklagen der Rentenversicherung und der Puffer für die anstehenden demografischen Herausforderungen deutlich reduziert werden.5
Die entscheidende Frage ist, welche Gruppen finanziell besonders stark durch Rentenreformen betroffen sind und welche Gruppen also durch Umverteilung im Rentensystem unterstützt werden können. Die Stabilisierung der Standardrente würde vor allem mittleren Einkommen helfen. Das Rentenniveau hat auch Auswirkungen auf die Altersarmut (Buslei et al., 2019a). Die Veränderung des Rentenniveaus betrifft allerdings unterschiedslos alle Renten, daher sind die Auswirkungen auf die Altersarmut bei hohen Kosten eher gering. Es ist also wichtig, darüber hinaus konkrete Reformen vorzuschlagen und umzusetzen, die gezielt die Altersarmut reduzieren.
Maßnahmen zur Reduktion von Altersarmut bisher nicht zielgenau
Die Rentenreformen der Vergangenheit – insbesondere die Grundrente und auch die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente6 – mindern das Problem der Altersarmut bisher unzureichend. Die derzeitige Grundrente, die keine Mindestrente garantiert, sondern nur einen Rentenzuschlag (Geyer und Haan, 2024), fokussiert auf eine spezielle Gruppe von Versicherten mit langen Versicherungsbiografien und geringen Einkommen und verbessert deren Einkommensposition. Simulationen weisen darauf hin, dass die Armutsrisikoquote durch die Grundrente im Jahr ihrer Einführung um etwa 2 Prozentpunkte reduziert werden konnte. Allerdings erreicht sie viele Gruppen nicht, die besonders von Armut betroffen sind (Geyer et al., 2020).
Auf Basis der Daten der GRV aus dem Jahr 2022 untersuchen Geyer und Haan (2024), welche Personen eine Grundrente bekommen. Es zeigt sich, dass deutlich weniger Menschen von der Grundrente profitieren, als bei der Gesetzgebung angenommen wurde. Ein wesentlicher Grund ist, dass mehr als die Hälfte der Personen, die die rentenrechtlichen Bedingungen für die Grundrente erfüllen, wegen der Einkommensprüfung keinen Anspruch auf einen Zuschlag hat. Im Rentenbestand gab es 2022 rund 1,1 Mio. Menschen, die Zuschläge durch die Grundrente bekommen haben. Die Gesamtzahl der Zuschläge liegt damit deutlich unter den von der Regierung geschätzten 1,3 Mio. Begünstigten. Der größte Teil, etwa 950.000, bezieht einen Zuschlag zu einer Altersrente. Es profitieren vor allem Frauen vom Grundrentenzuschlag, da Kindererziehung, Teilzeitbeschäftigung und niedrigere Löhne zu geringeren Rentenansprüchen führen. Bei Frauen liegt der Anteil im Rentenbestand mit 6,5 % fast dreimal so hoch wie bei Männern (2,3 %). Auch in der Grundsicherung profitieren deutlich weniger Personen, als frühere Schätzungen nahelegten. Beschränkt man die Betrachtung auf die Personen mit Grundsicherung im Alter, liegt der Anteil höher. Hier sind es etwa 4,5 %. Fast genauso viele Personen qualifizieren sich über die Wartezeiten für den Freibetrag, ohne dass sie Grundrente beziehen.
Da die Bekämpfung von Altersarmut eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, wird oft argumentiert, dass diese nicht über das Rentensystem, sondern über das Steuer- und Transfersystem organisiert werden sollte. In dem Kontext spielt die Grundsicherung im Alter eine zentrale Rolle. Der Vorteil der Grundsicherung ist, dass dieser Transfer durch die Einkommens- und Vermögensprüfung vom Grundsatz zielgenau ist. Allerdings liegt die Höhe der Grundsicherung für die meisten Haushalte deutlich unter der Armutsrisikoquote, definiert als 60 % des Medianeinkommens (Geyer, 2015) und ist somit für die Reduktion der Armutsrisikoquote wirkungslos. Neben der Höhe hat die Grundsicherung noch ein weiteres Problem: Die hohen Raten der Nichtinanspruchnahme für diesen Transfer führen dazu, dass die Grundsicherung – sei es wegen Stigma, Komplexität oder Kosten der Beantragung – längst nicht den Kreis aller Berechtigten erreicht. Auf Basis der Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) schätzen Buslei et al. (2019b), dass die Nichtinanspruchnahme im Durchschnitt über 50 % liegt. Für Personen, die älter als 76 Jahre sind, nur geringe Ansprüche an die Grundsicherung haben und in Westdeutschland leben, ist die Nichtinanspruchnahme sogar noch höher.7
Mindestsicherung in der Rente in Nachbarländern
Um Altersarmut zu reduzieren, könnte Deutschland auch von seinen Nachbarländern lernen. In Österreich werden durch die Ausgleichszulage in der gesetzlichen Pensionsversicherung Renten (in Österreich Pensionen) bei finanzieller Bedürftigkeit auf einen bestimmten Schwellenwert angehoben. Voraussetzung ist die Erfüllung der Mindestversicherungsdauer von 15 Jahren.8 Es findet eine automatische Einkommensprüfung9, aber keine Vermögensprüfung statt. Liegt das verfügbare Einkommen unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts, besteht Anspruch auf die Ausgleichszulage. Die tatsächlichen Zahlbeträge liegen deutlich über den durchschnittlichen Ansprüchen aus der Grundsicherung im Alter in Deutschland.
In den Niederlanden hängt die Höhe der gesetzlichen Rente (AOW-Rente) nicht vom Einkommen in der Erwerbsphase oder Vermögen ab. Für den Bezug einer vollen AOW-Rente ist ein Aufenthalt in den Niederlanden von 50 Jahren erforderlich. Im Grundsatz ist jede Person, die im Land lebt, in die Versicherung einbezogen, unabhängig vom Erwerbsstatus. Für jedes Jahr mit Einbezug in die Versicherung (Wohnort oder Arbeitsort in den Niederlanden) steigt der Rentenanspruch (Anteil an voller AOW-Rente) um 2 Prozentpunkte. Die (Netto-)Rente beträgt für eine alleinstehende Person 70 % des Mindestlohns, bei Paaren (verheiratet oder unverheiratet) sind es 50 % für jeden der beiden. Neben der Mindestrente gibt es eine beinahe flächendeckende Betriebsrente in den Niederlanden, die die wichtige zweite Säule des Rentensystems darstellt.
Durch die Mindestrenten sind die Rentensysteme in Österreich und in den Niederlanden also deutlich umverteilender als das Rentensystem in Deutschland. Die Beitragsäquivalenz, die im Zentrum des deutschen Rentensystems steht, ist damit stark aufgeweicht oder gilt weitgehend nicht. Es ist aber eine effektive Absicherung von Altersarmut gegeben. Offensichtlich unterscheidet sich die Struktur des Rentensystems in Österreich und den Niederlanden vom deutschen Rentensystem. Insbesondere spielen in den Niederlanden die Betriebsrenten eine deutlich wichtigere Rolle als in Deutschland. Buslei et al. (2023b) diskutieren im Detail die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland. Neben der günstigeren demografischen Struktur sorgen vor allem höhere Sozialversicherungsbeiträge für eine bessere finanzielle Situation der österreichischen Rentenversicherung. Auch beim Steuer- und Transfersystem gibt es wichtige Unterschiede zwischen den Ländern. Daher ist ein direkter Ländervergleich immer mit Vorsicht zu interpretieren. Ein institutioneller Umstand in Österreich bietet für die Gewährung einer Mindestrente gegenüber Deutschland aber einen eindeutigen Vorteil. In Österreich sind auch die Selbstständigen in die gesetzliche Pensionsversicherung einbezogen und für die Beamten gelten nach einem Übergangszeitraum im Grundsatz die gleichen Regelungen wie für die übrigen Beschäftigten. Damit gelten Mindestsicherungsregelungen im Alterssicherungssystem im Wesentlichen für die gesamte (ältere) Bevölkerung, was zur Gleichbehandlung der Bevölkerungsgruppen, zur Vereinfachung der Regelungen selbst und auch der Verwaltung beiträgt.
Grundrente als effektive Mindestrente ausbauen
Die Einführung einer echten Mindestrente, wie in den Niederlanden oder Österreich, wäre ein großer Eingriff in das deutsche Rentensystem. Einfacher und aus politischer Sicht realistischer wäre es daher, Veränderungen im bestehenden System vorzunehmen und die Grundrente als wirkungsvolles Instrument gegen Altersarmut auszubauen. Die derzeitigen Regeln der Grundrente reichen hierfür nicht aus. Wie oben diskutiert, ist die Zahl der Personen, die von der Grundrente erreicht werden, niedrig, da insbesondere Personen mit langen Erwerbsunterbrechungen ausgeschlossen werden. Daher sollte die Grundrente auch für Menschen mit geringeren Beitragszeiten ausgeweitet werden. Gleichzeitig wäre es wichtig, die Grundrente als eine echte Mindestrente zu verankern, die einen Rentenbetrag garantiert, und nicht, wie derzeit, Zuschläge gewährt (Geyer und Haan, 2024).
Für diese Erweiterungen gibt es aber wichtige Voraussetzungen. Erstens muss das Ziel einer Grundrente als Mittel gegen Altersarmut klar benannt werden. Derzeit steht die Begründung, die „Lebensleistung“ von Arbeitnehmer:innen zu würdigen, im Vordergrund. Zweitens muss die Einkommensprüfung pragmatischer und günstiger organisiert werden. Die Einkommensprüfung ist ein zentrales Element, damit die Grundrente zielgenau ist und die Haushalte erreicht, die von Altersarmut betroffen sind. Derzeit werden Aufwand und Kosten der Einkommensprüfung als viel zu hoch kritisiert.10 So wird z. B. bei jeder Anpassung des Freibetrags und des Rentenwerts ein neuer Grundrentenbescheid ausgestellt und per Post verschickt. Besonders aufwändig ist die Prüfung der Kapitaleinkommen, die nicht im zu versteuernden Einkommen der Einkommensteuer enthalten sind. Diese Prüfung läuft parallel zur automatischen Einkommensprüfung der sonstigen Einkommen und setzt eine direkte Beteiligung der Berechtigten voraus. Auch Auslandsrenten können nicht automatisch geprüft werden. Stattdessen werden sie auf Basis der individuellen Angaben der Berechtigten durch Sachbearbeiter:innen berechnet – monatsgenau und jede kleine Einkommensänderung nachvollziehend.
Es gibt bereits einige Vorschläge, die Einkommensprüfung zu reformieren. So könnte die Einkommensanrechnung statt durch eine vorgelagerte Prüfung im Rahmen der Rentenversicherung durch eine Form der nachgelagerten Einkommensprüfung in der Einkommensteuer erfolgen (Nullmeier, 2020). Ein Verzicht auf die Prüfung der Kapitaleinkommen wäre zwar ein pragmatischer Weg, ist aber aus Gerechtigkeitsgründen vermutlich schwer zu vermitteln. Wichtig wäre es festzustellen, wie relevant diese Prüfung eigentlich ist und welche zusätzlichen Kosten durch einen Wegfall der Prüfung von Kapitaleinkommen entstünden. Sollte diese zu einer relevanten Kostenreduktion führen, sollte nach einer Alternative mit einer automatisierten Abfrage der Kapitaleinkommen gesucht werden.
Drittens muss eine Ausweitung der Grundrente finanziert werden. Derzeit belaufen sich die Kosten für die Grundrente auf weniger als 2 Mrd. Euro pro Jahr. Je nachdem, wie stark die Zahl der berechtigten Personen ausgeweitet würde, stiegen auch die Kosten an. In jedem Fall geht es um mehrere Milliarden Euro pro Jahr. Eine Möglichkeit wäre es, eine nach Jahreseinkommen gestaffelte Rentenberechnung, wie vom SVR (2023) ins Spiel gebracht, zur Finanzierung zu verwenden. Allerdings könnten die Mittel dann nicht für die Stabilisierung des Rentenniveaus verwendet werden. Um auch Haushalte mit geringen oder mittleren Renten zu unterstützen, sind also weitere Mittel notwendig. Da die Bekämpfung von Altersarmut eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, wäre es folgerichtig, Steuermittel zur Finanzierung zu nutzen. Ob eine Erhöhung des Bundeszuschusses für die Ausweitung der Grundrente durchgesetzt werden kann, ist eine politische Frage. Ohne diese Erhöhung, oder eine Anhebung der Sozialversicherungsbeiträge als andere Finanzierungsquelle, ist das Ziel der Einkommenssicherungsfunktion aber kaum zu erreichen.
Fazit
In den kommenden Jahren steht die Rentenversicherung in Deutschland nicht nur vor finanziellen Herausforderungen. Auch die Einkommenssicherungsfunktion der Rentenversicherung muss gestärkt werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Risiko für Altersarmut deutlich angestiegen ist. Eine effektive Grundrente, die einen Rentenbetrag garantiert und die im Rentensystem verankert ist, wäre ein wichtiger Schritt, um Altersarmut zu reduzieren.11 Eine effektive Grundrente ist auch eine wichtige Voraussetzung, um andere Rentenreformen in Deutschland umzusetzen, wie eine Erhöhung des Rentenzugangsalters oder stärkere (kapitalgedeckte) private Vorsorge. Diese Reformen haben potenziell negative Verteilungswirkungen vor allem für Haushalte mit geringen Einkommen.
Als mögliche Alternative außerhalb der Rentenversicherung könnte die Grundsicherung verbessert werden. Diese ist aber nur effektiv, wenn auch die Inanspruchnahme erhöht wird. Informationskampagnen reichen hier nicht aus. Reformoptionen wären die automatische Prüfung der Anspruchsberechtigung und die direkte Auszahlung der Leistung. Mit zunehmender Digitalisierung auch der Ämter und Behörden könnte das eine Lösung für die Zukunft sein. Allerdings kann so nur eine Einkommensprüfung, aber keine individuelle Bedarfsprüfung (z. B. Kosten der Unterkunft oder Mehrbedarfszuschläge) erfolgen, welche bisher die Grundlage der Grundsicherung in Deutschland ist (Haan und Geyer, 2020). Fraglich ist auch, ob die Höhe der Grundsicherung ausreicht, um Altersarmut zu reduzieren. Auf die Armutsrisikoquote, als 60 % des Medianeinkommens definiert, hat sie kaum eine Auswirkung.
Allerdings löst eine Grundrente nicht alle sozialpolitischen Probleme im Alter. Insbesondere profitieren Haushalte mit einer erwarteten Rente knapp oberhalb einer Grundrente nicht. Daher wäre es wichtig, wie auch vom SVR (2023) diskutiert, Reformen einzuführen, die das Rentenniveau stabilisieren würden.
Dieser Artikel basiert teilweise auf früheren Beiträgen: Geyer et al. (2021b) und Geyer und Haan (2024).
- 1 Die Zahlen beziehen sich auf die Variante 2 der Bevölkerungsvorausberechnung mit mittleren Annahmen zur Migration, Lebenserwartung und Fertilität.
- 2 Auch wenn man den Altenquotienten anhand der Bevölkerung über 66 Jahren berechnet, kommt es zu einer erheblichen Steigerung von aktuell rund 32 % auf gut 42 % im Jahr 2035. Dann kommt es allerdings zu keinem nennenswerten Anstieg bis 2045.
- 3 Verschiedene Studien zeigen, dass sich der Niveaurückgang in den dann folgenden Jahren noch weiter fortsetzen wird, siehe z. B. Börsch-Supan et al. (2020).
- 4 Regressive Verteilungswirkungen können im Deutschen Rentensystem entstehen, wenn die Lebenserwartung mit den Rentenanwartschaften steigt; siehe unter anderem Haan et al. (2020).
- 5 https://www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Ueber-uns-und-Presse/Presse/Meldungen/2023/231214-rossbach-Bundeshaushalt-2024.html (24. Januar 2024).
- 6 Zu den Wirkungen der Reformen der Erwerbsminderungsrente siehe Geyer (2021) und Becker et al. (2023).
- 7 Vergleichbare Studien kommen zu ähnlich hohen Werten der Nichtinanspruchnahmen; siehe hierzu den Überblick in Harnisch (2019).
- 8 Mehr Details zum österreichischen Rentensystem finden sich z. B. in Blank et al. (2016) oder Buslei et al. (2023b).
- 9 Die Einkommensprüfung umfasst neben den Pensionen auch andere Einkünfte und berücksichtigt insbesondere auch Unterhaltsansprüche; vgl. Auskünfte auf der österreichischen Website der Regierung.
- 10 Siehe unter anderem die Kritik des Bundesrechnungshofs (2022).
- 11 Siehe auch den Vorschlag einer „Cappuccino-Rente“ der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands e. V.
Literatur
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