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Der Mindestlohn hat bei Frauen seit seiner Einführung zu stärkeren Anstiegen der durchschnittlichen Stundenlöhne und monatlichen Verdienste geführt als bei Männern. Die Auswirkungen des Mindestlohns auf die Stundenlöhne der vom Mindestlohn betroffenen Frauen und Männern fielen im Durchschnitt ähnlich hoch aus. Frauen sind jedoch häufiger im Mindestlohnbereich beschäftigt als Männer und profitieren somit häufiger von diesem. Ergebnisse zu geschlechterspezifischen Reduzierungen der Arbeitszeit aufgrund des Mindestlohns fallen unterschiedlich aus. Weder bei Frauen, noch bei Männern kam es zu erheblichen Beschäftigungseffekten des Mindestlohns. Der Mindestlohn trägt somit zur Reduzierung der Entgeltungleichheit nach Geschlecht bei.

Der Mindestlohn wird regelmäßig als politische Maßnahme genannt, die zu mehr Gleichberechtigung und zu mehr Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern beitragen könne. Wissenschaftliche Veröffentlichungen wiesen bereits vor der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland auf diese Potenziale hin (Weinkopf, 2012; Rubery und Grimshaw, 2011). Im Zentrum der Argumentation steht dabei, dass Frauen häufiger als Männer im Mindestlohn- und Niedriglohnbereich beschäftigt sind und daher häufiger vom Mindestlohn profitieren können. Weitere Potenziale werden in der Aufwertung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse und der Einschränkung monopsonis­tischer Lohnsetzungsmacht von Arbeitgebern, insbesondere gegenüber Frauen, gesehen (Weinkopf, 2012). Mit dem Mindestlohn geht primär eine Anhebung der untersten Stundenlöhne einher. Allerdings könnten auch potenzielle Folgeeffekte, wie beispielsweise Arbeitszeitanpassungen, Anstiege monatlicher Verdienste und Haushaltseinkommen, eine Reduzierung der Armutsgefährdung oder Beschäftigungseffekte, bei Frauen anders ausfallen als bei Männern.

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die bisherigen Erkenntnisse zu den geschlechterspezifischen Wirkungen des Mindestlohns. Mittlerweile liegen zahlreiche Evaluationsstudien zum gesetzlichen Mindestlohn vor. Dessen Auswirkungen auf Geschlechterungleichheiten wurden explizit in Bezug auf Stundenlöhne von Caliendo und Wittbrodt (2022) und in Bezug auf Arbeitszeiten, Stundenlöhne und Monatslöhne von Ohlert (2023) untersucht. Weitere Studien weisen nach Geschlecht differenzierte Wirkungsanalysen oder zumindest Anhaltspunkte für geschlechterspezifische Folgen des Mindestlohns aus. Somit kann eine zwischenzeitliche Bilanz über die geschlechterspezifischen Wirkungen des Mindestlohns gezogen werden. Für die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro je Stunde im Oktober 2022 liegen bislang noch keine Evaluationsergebnisse vor. Frauen waren allerdings auch hiervon häufiger als Männer betroffen und konnten somit häufiger mit Lohnsteigerungen rechnen.

Der gesetzliche Mindestlohn wurde in Deutschland im Jahr 2015 in der Höhe von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt. Gemäß Mindestlohngesetz orientieren sich die Entscheidungen der Mindestlohnkommission über die Anpassung des Mindestlohns nachlaufend an der Entwicklung der Tariflöhne (MiloG Art. 9). In den Jahren 2017 und 2019 wurde der Mindestlohn um 34 Eurocent und um 35 Eurocent angehoben. Im Anschluss kam es aufgrund der COVID-19-Pandemie zu mehreren geringeren Anpassungsschritten und zum Juli 2022 folgte eine stärkere Anhebung von 9,82 Euro auf 10,45 Euro. Zum Oktober 2022 kam dann die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro, die ausnahmsweise nicht durch die Mindestlohnkommission, sondern durch den Bundestag festgelegt wurde. Im Jahr 2023 beschloss die Mindestlohnkommission eine weitere Anhebung auf 12,41 Euro, die ab Januar 2024 gilt und eine Anhebung auf 12,82 Euro ab Januar 2025.

Betroffenheit vom Mindestlohn bei Frauen und Männern

Auswertungen der Verdienststrukturerhebungen (VSE) der Jahre 2014 und 2018 sowie der Verdiensterhebung (VE) des Jahres 2022 zeigen, dass Frauen sowohl von der Einführung als auch von den darauffolgenden Anpassungen des Mindestlohns relativ und absolut häufiger betroffen waren als Männer. Demnach waren von der Einführung rund 14 % der beschäftigten Frauen (etwa 2,5 Mio. Personen) und 8 % der beschäftigten Männer (etwa 1,5 Mio. Personen) betroffen. Von der Anpassung des Mindestlohns auf 9,19 Euro 2019 waren insgesamt weniger Arbeitnehmer:innen betroffen als von der Einführung, jedoch wiederum mehr Frauen als Männer (vgl. Abbildung 1).

Abbildung 1
Anteil der vom Mindestlohn betroffenen Frauen und Männer
Anteil der vom Mindestlohn betroffenen Frauen und Männer

Quellen: VSE (2014; 2018) und VE (2022, Juli).

Von der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro im Oktober 2022 konnten insgesamt rund 5,8 Mio. Beschäftigte (rund 15 %) profitieren bzw. so viele Beschäftigte erhielten zuvor noch einen Stundenlohn von weniger als 12 Euro (siehe auch Mindestlohnkommission, 2023, 71). Die Reichweite dieser Maßnahme ist somit höher als bei den vorherigen Anhebungen und auch höher als bei der Einführung des Mindestlohns (vgl. Abbildung 1). Wie zuvor sind Frauen mit rund 17,7 % bzw. 3,3 Mio. Beschäftigten deutlich häufiger von der Anhebung betroffen als Männer (rund 12,3 % bzw. 2,5 Mio. Beschäftigte). Auch verschiedene frühere Abschätzungen wiesen auf eine höhere Betroffenheit von Frauen als von Männern von der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro hin (Pusch, 2021; Lübker, 2021).

Die Population der Arbeitnehmer:innen, die von der Einführung des Mindestlohns betroffen war, setzte sich im Jahr 2014 aus etwa 62 % Frauen und 38 % Männern zusammen.1 Die von der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro betroffenen Arbeitnehmer:innen waren zu 57 % Frauen und zu 43 % Männer. Auch angesichts der etwas geringeren Erwerbsbeteiligung von Frauen ist somit eine Überrepräsentation von Frauen im Mindestlohnbereich festzustellen, die sich über die Zeit nur wenig verändert hat.

Im Mittel verdienten Frauen in Deutschland im Jahr 2018 20,1 % weniger als Männer (Mischler, 2021). Bei Betrachtung der Durchschnittslöhne innerhalb des Niedriglohn- bzw. Mindestlohnbereichs ergibt sich allerdings ein anderes Bild. Frauen und Männer, die vor der Einführung des Mindestlohns weniger als 8,50 Euro je Stunde erhielten, hatten im Mittel einen gleich niedrigen Stundenlohn von rund 7 Euro (Ohlert, 2023). Das heißt, die notwendige Stundenlohnerhöhung, um den Wert des Mindestlohns zu erreichen, fiel bei direkt betroffenen Frauen und Männern im Mittel gleich hoch aus und betrug etwa 1,50 Euro bzw. rund 21 %. Frauen waren demnach zwar häufiger, aber nicht stärker von der Einführung des Mindestlohns betroffen. Auch nach der Einführung des Mindestlohns gab es weiterhin Beschäftigung mit Stundenlöhnen unterhalb des Mindestlohns. Die so gemessene Non-Compliance mit dem Mindestlohn kommt bei Frauen sowohl anteilig als auch absolut häufiger vor als bei Männern (Mindestlohnkommission, 2018, 64; 2020, 71).

Geschlechterspezifische Effekte auf Stundenlöhne und Verdienste

Bisherige Studien bestätigen die Erwartung von mindestlohnbedingt höheren Lohnanstiegen bei Frauen und somit einer Reduzierung des Gender Pay Gaps. Die geschlechterspezifischen Effekte der Einführung des Mindestlohns wurden von Caliendo und Wittbrodt (2022) in der mittleren Frist (anhand der VSE 2014 und 2018) und von Ohlert (2023) in der kurzen Frist (anhand der VSE 2014 und der VE 2015) untersucht. Weitere Studien wiesen nach Geschlecht differenzierte Mindestlohneffekte aus, ohne die Auswirkungen auf den Gender Pay Gap explizit zu untersuchen (vgl. Tabelle 1).

Tabelle 1
Lohneffekte des Mindestlohns auf Frauen und Männer
  Stundenlöhne Monatslöhne
Studie: Daten (Untersuchungsebene) Jahr, Zielgröße Männer
in %
Frauen
in %
Veränderung des Gender Pay Gaps
in Prozentpunkten
Männer
in %
Frauen
in %
Veränderung des Gender Earnings Gaps
in Prozentpunkten
Ohlert (2023): VSE 2014, VE2015 2015, Mittelwert 5,0 (8,6 ) -3,6 4,3 (10,3) -6,0
(Beschäftigte in vom Mindestlohn betroffenen Betrieben vs. in nicht betroffenen Betrieben) 2015, Mittelwert Beschäftigte < 10 Euro 13,0 (13,0) 0,0 8,8 (13,4) -4,6
Caliendo/Wittbrodt (2022): VSE 2014, 2018, 2018, Mittelwert - - -2,3 - - -
(unterschiedlich stark vom Mindestlohn betroffene Regionen) 2018, 25. Perzentil - - -3,4 - - -
  2018, 10. Perzentil - - -4,6 - - -
Bachmann et al. (2020): SOEP 2015, Mittelwert Beschäftigte < 8,50 Euro 3,7(n. s.) 5,7 - -2,3(n. s.) 0,7(n. s.) -
(Beschäftigte mit Stundenlöhnen unter Mindestlohn vs. über Mindestlohn) 2016, Mittelwert Beschäftigte < 8,50 Euro 10,2 3,2(n. s.) - 1,1(n. s.) -1,1(n. s.) -
  2017, Mittelwert Beschäftigte <8,84 Euro 4 %(n. s.) 2,6 %(n. s.) - 4,1(n. s.) -3,4(n. s.) -

Befunde aus Bachmann et al. (2022) sind hier nicht dargestellt. Die Stundenlohneffekte mit Differenzierung nach Geschlecht sind dort fast ausschließlich statistisch insignifikant. Monatslohn­effekte sind dort nicht nach Geschlecht differenziert ausgewiesen. n. s.: nicht statistisch signifikant.

Quelle: eigene Darstellung.

Von Ohlert (2023) wird die durchschnittliche Entwicklung der Stundenlöhne von Frauen und Männern in von der Einführung des Mindestlohns betroffenen Betrieben mit der jeweiligen Lohnentwicklung in nicht betroffenen Betrieben verglichen. In den vom Mindestlohn betroffenen Betrieben stiegen die Stundenlöhne von Frauen im Durchschnitt um 8,6 % stärker als bei Frauen in nicht betroffenen Betrieben, während der so ermittelte Stundenlohneffekt bei Männern nur 5,0 % betrug. Der durchschnittliche Gender Pay Gap ging also bei Beschäftigten in vom Mindestlohn betroffenen Betrieben um 3,6 Prozentpunkte stärker zurück als in anderen Betrieben. Bei Beschäftigten im Niedriglohnbereich (mit Stundenlöhnen bis zu 10 Euro) fielen die Stundenlohneffekte der Mindestlohneinführung mit jeweils etwa 13 % höher aus, unterschieden sich aber nicht nach Geschlecht.

Von Caliendo und Wittbrodt (2022) wird die Entwicklung des Gender Pay Gap in Regionen, die stark vom Mindestlohn betroffen sind, mit der Entwicklung in Regionen die schwächer vom Mindestlohn betroffen sind, verglichen. Aufgrund des Untersuchungszeitraums von 2014 bis 2018 wurden die Auswirkungen der Einführung und der ersten Anpassung des Mindestlohns gemeinsam untersucht. Demnach ist der durchschnittliche Gender Pay Gap in stark betroffenen Regionen um 4,6 Prozentpunkte stärker zurückgegangen als in weniger betroffenen Regionen. Im unteren Bereich der Lohnverteilung (am 25. und am 10. Perzentil der Lohnverteilung) war der reduzierende Effekt des Mindestlohns auf den Gender Pay Gap stärker ausgeprägt.

In Bachmann et al. (2022; 2020) wurde das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) verwendet, um die Stundenlohn­entwicklung von Beschäftigten, die vor der Einführung des Mindestlohns weniger als 8,50 Euro verdient haben, mit der Entwicklung bei Beschäftigten mit Stundenlöhnen zwischen 8,50 Euro und 10 Euro zu vergleichen. Die Ergebnisse sind in jedem der untersuchten Jahre entweder bei den Frauen oder bei den Männern nicht statistisch signifikant. Dies deutet darauf hin, dass die vorliegende Fallzahl von befragten Arbeitnehmer:innen für eine belastbare Differenzierung der Ergebnisse nach Geschlecht nicht ausreichen.

Eine empirische Abschätzung des Effekts der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro auf den Gender Pay Gap der Stundenlöhne liegt auf Basis der VSE 2018 vor (Mischler, 2021). Die Studie zeigt, dass es durch die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro zu einer Reduzierung des Gender Pay Gap um 1,2 Prozentpunkte kommen könnte. Der Mindestlohneffekt auf den Gender Pay Gap dürfte in dieser Studie durch den Ausschluss von Kleinbetrieben (mit weniger als zehn Beschäftigten) unterschätzt sein.

Die Wirkungen des Mindestlohns auf monatliche Verdienste ergeben sich aus dem Zusammenspiel von veränderten Stundenlöhnen und Arbeitszeiten. Aufgrund der Einführung des Mindestlohns kam es zu einer deutlichen Reduzierung der Verdienstunterschiede zwischen Frauen und Männern (Gender Earnings Gap) (Ohlert, 2023). Diese fällt stärker aus als die Reduzierung des Gender Pay Gaps der Stundenlöhne, was darauf hindeutet, dass Arbeitszeiteffekte den Verdiensteffekt mindestens kurzfristig verstärkt haben. Ein stärkerer positiver Verdiensteffekt des Mindestlohns auf Frauen liegt sowohl in Bezug auf den durchschnittlichen Verdienst als auch auf den Verdienst von Niedriglohnbeschäftigten vor. Der Effekt des Mindestlohns auf den bereinigten Gender Earnings Gap fällt deutlich geringer aus. Das heißt, wären Frauen und Männer gleich auf Vollzeit, Teilzeit und geringfügige Beschäftigung verteilt gewesen, hätte die Mindestlohneinführung keine nach Geschlecht unterschiedlichen Verdiensteffekte gehabt. Studien auf Basis des SOEP konnten keine signifikanten Monatslohneffekte des Mindestlohns auf Frauen oder Männer nachweisen. Stärkere positive Auswirkungen auf die Bruttomonatslöhne von Frauen zeigten sich allerdings auch auf Basis von Daten des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (SIG/BEH Daten) (Bruckmeier und Schwarz, 2022, 102).

Deutliche Geschlechterunterschiede zeigen sich auch mit Blick auf den Gesamtzahlungsanspruch von Beschäftigten mit Leistungsbezug nach dem SGB II (Aufstocker:innen). Die Reduzierung des Zahlungsanspruchs durch den Mindestlohn fällt bei Frauen deutlich stärker aus als bei Männern (Bruckmeier und Schwarz, 2022, 103). Die Übergänge von erwerbstätigen Leistungsbeziehenden in eine Beschäftigung ohne Leistungsbezug wurden in diesen Studien jedoch nicht nach Geschlecht differenziert untersucht.

Bezüglich der Armutsgefährdung in Haushalten zeigen sich bislang keine nach Geschlecht unterschiedlichen Effekte des Mindestlohns. Bruckmeier und Becker (2018) berechnen, dass vom Mindestlohn betroffene Personen, nach der Einführung des Mindestlohns eine um fast 6 Prozentpunkte stärkere Reduzierung ihrer Armutsgefährdung aufwiesen. Der Effekt ist jedoch nicht statistisch signifikant. Hinsichtlich des Geschlechts ergaben die Schätzungen keine signifikanten Unterschiede. Auch laut Bach et al. (2022) liegt insgesamt eine reduzierende Wirkung des Mindestlohns auf die individuelle Armutsgefährdung um bis zu 5 Prozentpunkte vor, die sich jedoch nicht nach Geschlecht unterscheidet.

Geschlechterspezifische Effekte auf Arbeitszeiten und Beschäftigung

Mindestlohnbedingte Veränderungen des Beschäftigungsumfangs können durch Veränderungen der Zahl von Arbeitsplätzen, aber auch durch Veränderungen von Arbeitszeiten gemessen werden. Arbeitszeitreduzierungen können dabei eine betriebliche Maßnahme sein, um mindestlohnbedingt gestiegene Arbeitskosten zu verringern. Es ist aber auch denkbar, dass Arbeitnehmer:innen auf mindestlohnbedingte Anhebungen des Stundenlohns mit einer Reduzierung oder Ausweitung ihrer Arbeitszeit reagieren (Bachmann et al., 2022).

Nach Geschlecht differenzierte Befunde zu Arbeitszeiteffekten fallen je nach Studie bzw. verwendetem Datensatz unterschiedlich aus (vgl. Tabelle 2). Anhand der VSE/VE zeigt sich, dass die Einführung des Mindestlohns kurzfristig zu einer Reduzierung des Gender Time Gap bei Beschäftigten in vom Mindestlohn betroffenen Betrieben führte (Ohlert, 2023). Der grundsätzlich reduzierende Effekt des Mindestlohns auf Arbeitszeiten von Niedriglohnbeschäftigten fiel demnach bei Frauen schwächer als bei Männern aus. Im Mittel stieg die Arbeitszeit von Frauen in vom Mindestlohn betroffenen Betrieben sogar stärker als in anderen Betrieben. Auch auf Basis des SOEP ergab sich kurzfristig insgesamt ein negativer Mindestlohneffekt auf die Arbeitszeit (Bonin et al., 2018; Bachmann et al., 2020). Gemäß diesen Studien fiel der negative Effekt allerdings bei Frauen höher aus als bei Männern, was den Gender Time Gap tendenziell erhöhen würde. Eine Studie von Biewen et al. (2022) fand für die mittlere Frist anhand der VSE keine signifikanten Arbeitszeiteffekte, differenzierte dabei jedoch nicht nach Geschlecht.

Tabelle 2
Arbeitszeiteffekte des Mindestlohns auf Frauen und Männer
  Vertragliche Arbeitszeit
Studie: Daten
(Untersuchungsebene)
Jahr, Zielgröße Männer
in %
Frauen
in %
Veränderung des Gender Time Gaps
in Prozentpunkten
Ohlert (2023): VSE 2014, VE 2015 2015, Mittelwert -0,7 (n. s.) (1,7) -2,4
(Beschäftigte in vom Mindestlohn betroffenen Betrieben vs. in nicht betroffenen Betrieben) 2015, Mittelwert Beschäftigte < 10 Euro -4,7(n. s.) (-0,8) -3,9
Bonin et al. (2018): SOEP
(Beschäftigte mit Stundenlöhnen unter Mindestlohn vs. über Mindestlohn)
2015, MittelwertBeschäftigte < 8,50 -4,0(n. s.) -6,0 -
Bachmann et al. (2020): SOEP 2015/2016, Mittelwert -6,0 -8,0 -
(unterschiedlich stark vom Mindestlohn betroffene Regionen) 2017, Mittelwert -6,0 -11,0 -

Befunde aus Bachmann et al. (2022) sind hier nicht dargestellt, weil diese sehr ähnlich zu denen aus Bachmann et al. (2020) sind. n. s.: nicht statistisch signifikant.

Quelle: eigene Darstellung.

Die Beschäftigungsentwicklung fiel nach der Einführung des Mindestlohns, deskriptiv betrachtet, bei Frauen bis zum Jahr 2022 durchweg geringer aus als bei Männern (Mindestlohnkommission, 2023, 123). Hieraus lässt sich allerdings nicht auf kausale Effekte des Mindestlohns schließen. Die mutmaßlich auf die Einführung des Mindestlohns zurückgehenden zusätzlichen Umwandlungen von geringfügiger Beschäftigung in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umfassten 2015 etwa 100.000 Beschäftigungsverhältnisse und haben vom Berge und Weber (2017, 4) zufolge häufiger bei Frauen als bei Männern stattgefunden.

Gemäß den vorliegenden Kausalstudien (vgl. Tabelle 3) fielen Beschäftigungseffekte der Einführung des Mindestlohns insgesamt gering aus und gehen vorwiegend auf einen Rückgang geringfügiger Beschäftigung zurück (Pestel et al., 2020; Caliendo et al., 2022, 2023).2 Die Auswirkungen auf abhängige Beschäftigung insgesamt sowie auf sozialversicherungspflichtige Beschäftigung unterschieden sich dabei nicht statistisch signifikant nach Geschlecht (Caliendo et al., 2023, 52 ff.). In Bezug auf geringfügige Beschäftigung fiel der negative Mindestlohn­effekt auf Männer etwas stärker aus als auf Frauen (Caliendo et al., 2023, 52 ff.). Auch in den Studien von Pestel et al. (2020) und Caliendo et al. (2022) fallen Unterschiede in Beschäftigungseffekten nach Geschlecht klein aus. Des Weiteren gab es keine Auswirkungen durch die Einführung des Mindestlohns auf die Arbeitslosigkeit bei Frauen oder bei Männern (Pestel et al., 2020; Caliendo et al., 2022). Der Anteil von Frauen an der betrieblichen Beschäftigung hat sich durch den Mindestlohn ebenfalls nicht statistisch signifikant verändert (Pestel et al., 2020, 64). Eine aktuelle Studie findet allerdings Evidenz dafür, dass sich die Beschäftigungsdauer bei Männern nach der Einführung des Mindestlohns verlängert hat, während diese bei Frauen gleich blieb (García-Morán et al., 2023). Die Beschäftigungsstabilität habe sich demnach nur bei Männern durch den Mindestlohn erhöht.

Tabelle 3
Beschäftigungseffekte des Mindestlohns auf Frauen und Männer
  Beschäftigung
Studie: Daten
(Untersuchungsebene)
Jahr, Zielgröße Männer
in %
Frauen
in %
Pestel (2020): BA-Beschäftigtenstatistik 2015 bis 2019, abhängig Beschäftigte -0,9 -0,6
(hoch vs. gering vom Mindestlohn betroffene Regionen) 2015 bis 2019, geringfügig Beschäftigte -1,6 -1,6
Caliendo et al. (2023): BA-Beschäftigtenstatistik 2015 bis 2022, abhängig Beschäftigte -0,7 -0,6
(hoch vs. gering vom Mindestlohn betroffene Regionen) 2015 bis 2022, geringfügig Beschäftigte -2,7 -2,0

Befunde aus Caliendo et al. (2022) sind hier nicht dargestellt, weil diese sehr ähnlich zu denen aus Caliendo et al. (2023) sind.

Quelle: eigene Darstellung.

Fazit und Ausblick

Bisherige Forschungsergebnisse zu den nach Geschlecht unterschiedlichen Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns zeigen, dass die Effekte auf Verdienste von Frauen stärker ausfielen, sodass es zu einer Reduzierung von Geschlechterungleichheiten kam. Dies gilt für Stundenlöhne und für monatliche Bruttoverdienste. Effekte auf die Stundenlöhne von direkt vom Mindestlohn betroffenen Frauen und Männern fielen ähnlich hoch aus. Allerdings profitierten Frauen häufiger vom Mindestlohn, sodass deren durchschnittliche Stundenlöhne stärker stiegen. Ein geschlechterspezifischer Effekt des Mindestlohns auf das Armutsrisiko konnte nicht festgestellt werden. Seit der Einführung des Mindestlohns hat sich die Überrepräsentation von Frauen im Mindestlohnbereich nur geringfügig reduziert. Eine Angleichung der Mindestlohn- und Niedrig­lohnquote nach Geschlecht hätte daher weiteres Potenzial zur Reduzierung der Entgeltungleichheit.

Im Bereich Arbeitszeiten und Beschäftigung liegen keine deutlichen Unterschiede in den Auswirkungen des Mindestlohns nach Geschlecht vor. Bei beiden Gruppen kam es nicht zu erheblichen negativen Beschäftigungseffekten. Die Beschäftigungsstabilität hat sich bei Männern nach der Einführung des Mindestlohns erhöht, bei Frauen jedoch nicht. Nach Geschlecht differenzierte Befunde zu Arbeitszeiteffekten fallen je nach Studie bzw. verwendetem Datensatz unterschiedlich aus. Eine Studie deutet allerdings darauf hin, dass eine kurzfristig arbeitszeitreduzierende Wirkung der Einführung des Mindestlohns bei Frauen geringer ausfiel als bei Männern, was zu stärkeren positiven Effekten auf die monatlichen Verdienste bei Frauen beitrug.

Zu den Auswirkungen der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro liegen bisher noch keine Evaluationsstudien vor. Die deutlich höhere Betroffenheit von Frauen von der Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro lässt allerdings eine stärkere Wirkung auf die Verdienste von Frauen als auf die von Männern erwarten. Es könnte somit zu einer weiteren mindestlohnbedingten Reduzierung von Verdienstunterschieden zwischen Frauen und Männern kommen. Diese Gleichstellungswirkung wird lediglich durch die zeitgleich mit der Anhebung des Mindestlohns vorgenommenen Anhebung der Verdienstgrenzen für Mini- und Midijobs eingeschränkt. Denn diese fördert tendenziell die Beschäftigungsaufnahme von Frauen mit geringer Stundenanzahl (Blömer und Consiglio, 2022) und wirkt somit einer möglichen Ausweitung des Arbeitsumfangs von Frauen entgegen.

  • 1 Diese Zahlen auf Basis der VSE 2014 beziehen sich auf Frauen und Männer, die 2014 weniger als 8,50 Euro verdienten.
  • 2 Für eine Übersicht weiterer Studien zu den kausalen Wirkungen des Mindestlohns auf Beschäftigung siehe Mindestlohnkommission (2023, 125).

Literatur

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Bachmann, R., H. Bonin, B. Boockmann, G. Demir, R. Felder, I. Ispording, R. Kalweit, N. Laub, C. Vonnahme und C. Zimpelmann (2020), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Löhne und Arbeitszeiten, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) und Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA).

Bachmann, R., B. Boockmann, M. Gonschor, R. Kalweit, R. Klauser, N. Laub, C. Rulff und C. Vonnahme (2022), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Löhne und Arbeitszeiten, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW).

Biewen, M., B. Fitzenberger und M. Rümmele (2022), Using Distribution Regression Difference-in-Differences to Evaluate the Effects of a Minimum Wage Introduction on the Distribution of Hourly Wages and Hours Worked, IZA DP, 15534, Institute of Labor Economics.

Blömer, M. und V. Consiglio (2022), Reform der Mini- und Midijobs: Verschärft die Ampel-Koalition die Teilzeitfalle?, ifo Schnelldienst, 75(4), 3-23.

Bonin, H., I. Isphording, A. Krause, A. Lichter, N. Pestel, U. Rinne, M. Caliendo, C. Obst, M. Preuss, C. Schröder und M. G. Grabka (2018), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Beschäftigung, Arbeitszeit und Arbeitslosigkeit, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), Evaluation Office Caliendo, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Bruckmeier, K. und S. Becker (2018), Auswirkung des gesetzlichen Mindestlohns auf die Armutsgefährdung und die Lage von erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Bezieherinnen und -Beziehern, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Bruckmeier, K. und S. Schwarz (2022), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf den Bezug von Sozialleistungen, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Caliendo, M., R. Olthaus und N. Pestel (2022), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Evaluation Office.

Caliendo, M., R. Olthaus und N. Pestel (2023), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit (Update 2022/2023), Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Evaluation Office.

Caliendo, M. und L. Wittbrodt (2022), Did the minimum wage reduce the gender wage gap in Germany?, Labour Economics, 78, 1-26.

García-Morán, E., M.-J. Jiang und H. Rachinger (2023), Minimum Wage Effects on Job Attachment: A Gender Perspective, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik.

Lübker, M. (2021), Wer profitiert von 12 Euro Mindestlohn?, Einblicke aus der WSI-Lohnspiegel-Datenbank, Policybrief, 59, 9/2021, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Mindestlohnkommission (2018), Zweiter Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 Mindestlohngesetz.

Mindestlohnkommission (2020), Dritter Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 Mindestlohngesetz.

Mindestlohnkommission (2023), Vierter Bericht zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns, Bericht der Mindestlohnkommission an die Bundesregierung nach § 9 Abs. 4 Mindestlohngesetz.

Mischler, F. (2021), Verdienstunterschiede zwischen Männern und Frauen. Eine Ursachenanalyse auf Grundlage der Verdienststrukturerhebung 2018, WISTA – Wirtschaft und Statistik, 4/2021, 110-125.

Ohlert, C. (2023), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Geschlechterungleichheiten bei Arbeitszeiten und Verdiensten, Soziale Welt, 74(4), 562-588.

Pestel, N., H. Bonin, I. Isphording, T. Gregory und M. Caliendo (2020), Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf Beschäftigung und Arbeitslosigkeit, Studie im Auftrag der Mindestlohnkommission, Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA).

Pusch, T. (2021), 12 Euro Mindestlohn. Deutliche Lohnsteigerungen vor allem bei nicht tarifgebundenen Beschäftigten, WSI Policy Brief, 10/2021, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

Rubery, J. und D. Grimshaw (2011), Gender and the minimum wage, in S. Lee und D. McCann (Hrsg.), Regulating for Decent Work, Palgrave Macmillan.

vom Berge, P. und E. Weber (2017), Beschäftigungsanpassung nach Mindestlohneinführung. Minijobs wurden teilweise umgewandelt, aber auch zulasten anderer Stellen, IAB-Kurzbericht, 11/2017, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Weinkopf, C. (2012), Hat Niedriglohn ein Geschlecht?, Unikate, 41, 38-46.

Title:Statutory Minimum Wage: Effects on Women and Men

Abstract:Since its introduction, minimum wage has led to greater increases in average hourly wages and monthly earnings for women than for men. The effects of minimum wage on the hourly wages of women and men affected by the minimum wage have been similar on average. However, women are more frequently employed in the minimum wage sector than men and therefore benefit from it more often. Reductions in working hours due to the introduction of minimum wage were lower for women than for men in the short term. Minimum wage did not have a significant effect on employment for women or men and therefore contributes to reducing pay inequality by gender

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0035