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Dieser Beitrag ist Teil von Reformoptionen der gesetzlichen Rentenversicherung

Die derzeit im politischen Raum diskutierte Einführung einer dauerhaft geltenden Haltelinie bei 48 % für das Sicherungsniveau widerspricht den Anforderungen an eine nachhaltige Rentenpolitik. Sie verkennt die demografische Realität und vergeudet wertvolle Zeit. Die Frage nach der Finanzierbarkeit bleibt offen. Für die Rentenpolitik bedarf es einer klaren Problemanalyse sowie der politischen Bereitschaft, auch unbeliebte Reformen anzugehen. Die Kopplung des Renteneintrittsalters an die fernere Lebenserwartung sowie der Aufbau einer ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge sind zentrale Bausteine, um die Alterssicherung langfristig wieder in ruhiges Fahrwasser zu bringen. Kurzfristig werden steigende Beiträge bei einem sinkenden Sicherungsniveau unumgänglich sein. Dies sollte klar kommuniziert werden.

Der Rentenversicherungsbericht vom November 2023 zeigt erneut, dass sich das Ende der demografischen Atempause verzögert. Von einer Erhöhung des Beitragssatzes der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) kann nach den dort vorgestellten Berechnungen bis zum Jahr 2027 abgesehen werden. Doch bereits 2025 greift laut des Berichts die Haltelinie für das Sicherungsniveau bei 48 %. In jedem Fall bleiben die langfristigen Probleme der GRV bestehen.

Die demografische Alterung der Bevölkerung schreitet voran, wodurch sich die Finanzierung der umlagefinanzierten Rente auf immer weniger Schultern verteilt (vgl. Abbildung 1). Junge Erwerbstätige werden übermäßig belastet, um die Renten der Älteren zu finanzieren. Getrieben wird diese Entwicklung von drei unterschiedlichen Ursachen: dem Anstieg der ferneren Lebenserwartung beim Renteneintritt, der anhaltend niedrigen Geburtenrate sowie der derzeit anlaufenden Verrentung der Babyboomer, die die ungünstige Entwicklung der Rentenfinanzen temporär beschleunigt. Eine einzelne Reformmaßnahme wird nicht genügen, um jede dieser Entwicklungen zu adressieren. Vielmehr bedarf es eines Maßnahmenpakets, das ursachengerechte Reformen umsetzt.

Abbildung 1
Der Altenquotient dürfte in den kommenden zehn Jahren stark steigen
Der Altenquotient dürfte in den kommenden zehn Jahren stark steigen

1 Der Altenquotient bildet das Verhältnis von Personen im Alter von 65 Jahren und älter zu 100 Personen im Alter von 20 bis 64 Jahren ab.  2 Referenzszenario auf Basis des Bevölkerungsstands für das Jahr 2022 und Annahmen der mitt­leren Variante zu Geburtenhäufigkeit (G2), Lebenserwartung (L2) und Nettozu­wan­de­rung (W2 mit 293.000 Personen im Durchschnitt aller Jahre im Projektionszeitraum) gemäß der 15. koordinierten Be­völ­kerungsvorausberechnung.  3 Effekt des Rückgangs der Geburtenrate in den 1970er Jahren.  4 Zusätzlicher Ef­fekt durch Babyboom. Erster Ausschlag durch Primäreffekte und zweiter Ausschlag als Echoeffekt des Babybooms.  5 Effekt des Anstiegs der Lebenserwartung bei Geburt.  6 Effekt der Nettozuwanderung.

Quelle: Human Mortality Database, SIM.21, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

Dazu gehört die Orientierung des Renteneintrittsalters an der ferneren Lebenserwartung. Der Effekt der steigenden Lebenserwartung könnte dadurch weitgehend neutralisiert werden. Durch eine neue Form ergänzender kapitalgedeckter Altersvorsorge kann das Sicherungsniveau trotz niedriger Geburtenraten auf Dauer wieder spürbar erhöht werden. Die Verrentung der Babyboomer führt allerdings zeitnah zu steigenden Beiträgen bei sinkendem Sicherungsniveau. Um den Anstieg der Beitragssätze kurzfristig zu dämpfen, können ergänzende Reformmaßnahmen dazu beitragen, die Lasten des demografischen Wandels fairer zwischen den Generationen zu verteilen. Angesichts der enormen Herausforderungen in der Rentenpolitik sollten auch alte Grundsätze der GRV wie die Beitragsäquivalenz überprüft werden. Durch umverteilende Elemente in der GRV könnten soziale Härtefälle aufgrund eines sinkenden Sicherungsniveaus kompensiert und hohe Beitragsbelastungen für alle abgewendet werden.

Zunehmende Lebenserwartung über Regelbindung adressieren

Um die zunehmende finanzielle Anspannung der GRV durch die steigende Lebenserwartung gezielt zu adressieren, eignet sich eine Orientierung der gesetzlichen Regelaltersgrenze an der ferneren Lebenserwartung bei Renteneintritt. In den vergangenen Jahrzehnten (1980 bis 2022) ist diese fernere Lebenserwartung bei Frauen und Männern jeweils um ungefähr acht Jahre angestiegen. Bis 2012 blieb das gesetzliche Renteneintrittsalter hingegen bei 65 Jahren konstant. Dies hatte eine Ausweitung der Rentenbezugszeit zur Folge. Zwar wurde dann eine schrittweise Anhebung der Regelaltersgrenze bis zum Jahr 2031 auf 67 Jahre implementiert. Laut des Statistischen Bundesamtes ist für die weitere Zukunft aber mit einer steigenden Lebenserwartung in Höhe von 8,4 Monaten je Dekade zu rechnen.

Vor diesem Hintergrund hat sich der Sachverständigenrat Wirtschaft mehrheitlich für eine Regelbindung der künftigen Regelaltersgrenze an die fernere Lebenserwartung im Verhältnis von 2:1 ausgesprochen, die die stufenweise Heraufsetzung des gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre fortsetzt. Durch die 2:1-Aufteilung zusätzlicher Lebensjahre würde das durchschnittliche Verhältnis von Versicherungsjahren in der Erwerbsphase (40 Jahre) zur Dauer der Rentenbezugsphase (20 Jahre) konstant gehalten. Der Effekt der steigenden Lebenserwartung für die Rentenfinanzen wird damit neutralisiert.

Nach dem derzeit erwarteten Anstieg der ferneren Lebenserwartung würde dies zu einem Anstieg der Regelaltersgrenze um knapp sechs Monate alle zehn Jahre führen (SVR, 2023, Ziffer 406). Personen des Jahrgangs 1986 wären demnach die Ersten, die ein ganzes Jahr länger arbeiten müssten und demnach erst im Jahr 2054 anstatt 2053 in Rente gehen könnten. Im internationalen Vergleich ist eine solche Regelbindung als moderat einzustufen. Andere Länder, wie beispielsweise Dänemark oder Italien, ordnen den Zuwachs an Lebenserwartung vollständig der Erwerbsphase zu. Allerdings braucht es einige Zeit, bis eine solche Reform spürbare entlastende Effekte für die Rentenfinanzen erzeugt (SVR, 2023, Ziffer 407).

Die Bindung der Regelaltersgrenze an demografische Fakten bietet auch politische Chancen. Einmal implementiert werden wiederkehrende Diskussionen über eine Anhebung des Renteneintrittsalters unnötig, die Anpassung kann weitgehend automatisch erfolgen. Zu beachten ist jedoch auch, dass Personen, die beispielsweise Berufe mit hohen physischen oder psychischen Belastungen ausüben, aus gesundheitlichen Gründen unter Umständen nicht bis zur Regelaltersgrenze arbeiten können. Andere Gruppen haben eventuell eine systematisch geringere Lebenserwartung. Dennoch ist von der Einführung berufsspezifischer Sonderregelungen abzusehen. Diese bergen die Gefahr einer Fragmentierung des Rentensystems und stellen ein Einfallstor für Gruppen mit einer starken Lobby dar. Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist ebenfalls wenig zielgenau, um solche Härten zu adressieren und sollte daher abgeschafft werden (Börsch-Supan et al., 2015; Schüler, 2022; Dolls und Krolage, 2023; SVR, 2023, Ziffern 416 ff.). Ein vereinfachter Zugang zur Erwerbsminderungsrente für Personen im fortgeschrittenen Alter und eine Regelung zur Frühverrentung für Geringverdienende können Härtefälle gezielter adressieren (SVR, 2023, Ziffern 413 ff.).

Riester-Rente reformieren – kapitalgedeckte Altersvorsorge stärken

Mit der Riester-Rente wird seit Anfang der 2000er Jahre die ergänzende private Altersvorsorge staatlich gefördert. Trotz Zulagen und nachgelagerter Besteuerung ist die Riester-Rente jedoch kein Erfolgsmodell. Sie gilt als teuer, bürokratisch und auch aufgrund der gesetzlich geforderten Beitragsgarantie als renditeschwach. Insgesamt bedarf es eines Neustarts bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge, der die Schwächen von Riester überwindet (Werding et al., 2023).

Alle Versicherten sollten dabei automatisch einbezogen werden (Auto-Enrolment), sich jedoch auf Antrag befreien lassen können (Opt-Out). Beiträge werden wie bei Riester durch staatliche Zulagen aufgestockt. Zentrales Element könnte ein öffentlich verwalteter, stark aktienbasierter Fonds mit breiter Diversifizierung sein. Der Fonds würde als Standardprodukt (Default) neben privaten Anbietern fungieren. Auf die Verpflichtung zur renditemindernden Beitragsgarantie sollte verzichtet werden. Der Garantiefall tritt nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit ein, wenn das Portfolio gemäß einem Lebenszyklus-Modell gemanagt wird. Das Aktienportfolio wird dabei mit zunehmendem Alter in sicherere Anlagen umgeschichtet.

Simulationen von Bucher-Koenen et al. (2019) zeigen, dass sich die eingezahlten Beiträge unter diesen Umständen bei einer Laufzeit von 45 Jahren als Median-Resultat mehr als verfünffachen. Selbst Verluste im letzten Beitragsjahr aufgrund einer schweren Finanzkrise wie im Jahr 2007 können in der Rentenphase zum Teil oder gänzlich noch aufgeholt werden, wenn das Portfolio nach Renteneintritt nur anteilig verkauft wird. Gemäß den Simulationen würde die jährliche Rendite in diesem äußerst ungünstigen Fall von 7,3 % auf 6,6 % sinken – und läge damit immer noch deutlich oberhalb der geschätzten durchschnittlichen Renditen von Riester-Verträgen (IVFP, 2022) sowie der impliziten Renditen der GRV (SVR, 2023, Ziffern 458 ff.).

Der Aufbau einer ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge ist keine Schwächung der GRV. Er ist eine Rückkehr zu einer ehrlichen Rentenpolitik. Die Umlagerente ist nur eine von mehreren Säulen des Alterssicherungssystems. Der Rückgang des Sicherungsniveaus der GRV aufgrund der absehbaren demografischen Entwicklung kann jedoch durch steigende Leistungen aus der kapitalgedeckten Rente kompensiert werden. So könnte ab dem Jahr 2040 ein kombiniertes Sicherungsniveau aus umlagefinanzierter und kapitalgedeckter Rente von über 50 % erreicht werden, ab 2060 würde es 60 % überschreiten (vgl. Abbilung 2). Bei diesen Werten handelt es sich um Durchschnitte für den gesamten Rentenbestand des jeweiligen Jahres (Werding et al., 2024). Das Niveau der Zugangsrenten erhöht sich noch schneller.

Wie bei der Riester-Rente könnten die Eigenbeiträge zur kapitalgedeckten Altersvorsorge (inkl. staatlicher Förderzulagen) 4 % des beitragspflichtigen Einkommens betragen. Ob dies zusätzliche Ersparnisse erfordert, hängt davon ab, ob die Vorsorgenden dafür bisherige Vorsorgeersparnisse umlenken, Bankeinlagen umschichten oder zusätzlich sparen. Zu zusätzlichen Ersparnissen sollen am ehesten die geschätzt 17 % aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten motiviert werden, die bisher nicht auf andere, möglichst gleichwertige Weise für ihr Alter vorsorgen (infas, 2020; Werding et al., 2023).

Anders als in der umlagefinanzierten Rente kommen die Sparbeiträge im Kapitaldeckungsverfahren jeweils der Generation zugute, die sie erwirtschaftet. Würde die umlagefinanzierte Rente stattdessen durch höhere Beiträge „gestärkt“ werden, führt dies zwar zu einem höheren Sicherungsniveau, das jedoch mit der Zeit wieder sinkt, weil die strukturellen Probleme der GRV bestehen bleiben (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Simulationen zur GRV mit ergänzender Kapitaldeckung
Simulationen zur GRV mit ergänzender Kapitaldeckung

1 Netto vor Steuern; bei ergänzender Vorsorge: Durchschnitt für alle Rentner:innen.  2 Erhöhung der Bei­trags­sätze um 4 Prozentpunkte gegenüber dem Basisszenario und eine entsprechende Erhö­hung der um­lage­finan­zier­ten Renten.  3 Szenario mit einer realen Rendite von 5 % pro Jahr.

Quelle: Deutsche Rentenversicherung, SIM.21, eigene Berechnungen.

Um die reformierte kapitalgedeckte Altersvorsorge zum Erfolgsmodell zu machen, bedarf es eines starken Gestaltungswillens. Die Schwächen der umlagefinanzierten Rente müssen offengelegt und die Probleme der Riester-Rente vermieden werden. Neben klug gestalteten Rahmenbedingungen ist eine transparente Kommunikation ein Schlüssel zum Erfolg. Insbesondere darf keine Zeit mehr verloren werden, denn die Effekte stellen sich – wie bei einer Anhebung der Regelaltersgrenze – erst mittel- bis langfristig ein.

Mechanismus zur Rentenanpassung reformieren …

Daher bedarf es weiterer Reformelemente, die den Anstieg der Beitragssätze der GRV kurz- bis mittelfristig stabilisieren. Ansonsten ist die ergänzende Altersvorsorge für die aktiv Versicherten nicht tragbar. Dies kann eine Reform des Rentenanpassungsmechanismus leisten, etwa eine Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors oder die Einführung einer Inflationsanpassung von Bestandsrenten.

Der Nachhaltigkeitsfaktor berücksichtigt die demografische Alterung in der Rentenanpassungsformel. Er wurde 2004 als Stabilisator in die Rentenanpassungsformel eingefügt und bewirkt, dass der Anstieg der Renten kleiner ausfällt als die Lohnsteigerungen, wenn es weniger Beitragszahlende und mehr Rentner:innen gibt. Derzeit werden die Kosten der demografischen Alterung mit diesem Faktor zu drei Vierteln den Erwerbstätigen (in Form höherer Beitragssätze) und nur zu einem Viertel den Rentner:innen (in Form eines sinkenden Sicherungsniveaus) auferlegt. Der Nachhaltigkeitsfaktor könnte aber verstärkt werden, sodass eine gleichmäßige Verteilung auf die Generation der Renter:innen und die Erwerbstätigen erreicht wird. Eine Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors entspricht bereits früher erfolgten Reformen, sie dämpft aber geringe und hohe Renten gleichmäßig.

Aktuell folgen die Rentenanpassungen in Deutschland im Kern der Lohnentwicklung. International überwiegt hingegen eine Koppelung der Bestandsrenten an die Preisentwicklung. Ein Übergang zu diesem Standard kann die GRV-Finanzen kurzfristig entlasten. In diesem Fall würden die Zugangsrenten weiterhin gemäß der Lohn­entwicklung festgesetzt, die Bestandsrenten würden dagegen der Preisentwicklung folgen. Dies entspricht einer realen Rentengarantie. Rentenbeziehende würden jedoch nicht weiter am Lohnwachstum partizipieren. Dies führt so lange zu einer Entlastung in der GRV, wie das Lohnwachstum oberhalb der Inflationsrate verläuft, was in den vergangenen 30 Jahren in aller Regel der Fall war. In Zeiten sinkender Reallöhne könnten eine Schutzklausel und ein Ausgleichsfaktor als Sicherungsmechanismus eingeführt werden, durch den die Renten temporär der Lohnentwicklung folgen, der Inflationsausgleich aber später nachgeholt wird. Im Endeffekt sinkt das individuelle Sicherungsniveau bei der Inflationsanpassung mit der Dauer des Rentenbezugs, dafür kann das Sicherungsniveau der Zugangsrenten höher ausfallen.

… und soziale Härten vermeiden

Beide Reformoptionen führen dazu, dass das durchschnittliche Sicherungsniveau aller Rentner:innen sinkt, sodass der Anstieg der Beitragssätze gedämpft wird. Betroffen sind davon vor allem Versicherte mit geringem Einkommen, für die das Rentenvermögen einen Großteil ihres Gesamtvermögens ausmacht (Bartels et al., 2023). Die Inflationsanpassung der Bestandsrenten trifft Versicherte mit hoher Lebenserwartung allerdings überproportional, von denen viele höhere Einkommen hatten (Haan et al., 2019).

Um soziale Härten zu vermeiden, kann eine Umverteilung unter den Rentenversicherten über eine nach Jahreseinkommen gestaffelte Rentenberechnung erwogen werden. Die Rentenleistungen für Personen mit überdurchschnittlichen Jahreseinkommen würden dabei gedämpft, während die Rentenberechnung für Personen mit unter- oder durchschnittlichen Jahreseinkommen unverändert bliebe. Eine solche „progressive“ Berechnung würde nur für zukünftig erworbene Entgeltpunkte gelten. Eine finanzielle Entlastung des Rentensystems stellt sich daher erst zeitverzögert ein. Der Rentenwert je Entgeltpunkt wird dabei über den Nachhaltigkeitsfaktor erhöht, sodass sich das Sicherungsniveau für einkommensschwache Personen sogar erhöht. Aber auch Besserverdienende könnten von der Reform profitieren, weil die GRV-Beitragssätze für alle sinken. International ist eine Umverteilung innerhalb des Rentensystems verbreitet.

Dass der Sachverständigenrat in seinem letzten Jahresgutachten eine progressive Rentenbemessung mehrheitlich befürwortet hat, wurde mit Verweis auf eine Verletzung des Äquivalenzprinzips und negative Beschäftigungseffekte für Besserverdienende kritisiert. Viele der Einwände sind nicht völlig falsch, wie auch die Ratsmehrheit ausführt (SVR, 2023, Kasten 29). Gleichwohl: Wer angesichts der Herausforderungen durch die demografische Alterung unliebsame Reformen aus Prinzip ablehnt, macht die Umsetzung von Reformen der erforderlichen Größenordnung unter Umständen unmöglich.

Der absehbare Anstieg der Rentenausgaben und Beitragssätze muss bereits in den nächsten 15 Jahren gedämpft werden. Die Frage ist, wer die Lasten einer solchen Reform tragen sollte – und kann. Nur wenn die Verteilungswirkungen für die einkommensschwächere Hälfte der Bevölkerung bei den anstehenden Rentenreformen berücksichtigt wird, lassen sie sich politisch umsetzen. Die progressive Rentenbemessung kann nicht losgelöst von den anderen Reformoptionen betrachtet werden. Durch ihre Kombination mit einer Verschärfung des Nachhaltigkeitsfaktors oder mit einer Inflationsanpassung der Bestandsrenten (Werding et al., 2024) kann eine Rentenreform aber kurzfristig wirksam und gleichzeitig sozial verträglich werden.

Fazit

In Deutschland werden vielfach Versäumnisse der Rentenpolitik in der Vergangenheit beklagt und neidvoll auf skandinavische Länder verwiesen, die bereits in den 1990er Jahren weitreichende Reformen eingeleitet hatten. Für Deutschland gilt jedoch: besser spät als nie. Werden Reformen jetzt mutig vorangetrieben, könnte das Rentensystem bereits in 15 Jahren deutlich besser dastehen und in 30 bis 40 Jahren wieder nachhaltig finanziert sein. Eine einzelne Reformmaßnahme reicht dafür jedoch nicht aus, vielmehr ist eine Kombination aus kurz- und langfristig wirksamen Reformen nötig.

Wer sich gegen Rentenreformen ausspricht, sollte ehrlich sagen, wie die Alternative lautet: Die Rentenbeiträge und die Bundesmittel für die GRV werden im Zuge der demografischen Alterung erst rapide und dann langsamer immer weiter steigen, während das Sicherungsniveau der Rente kontinuierlich sinkt. Eine politisch gesetzte Haltelinie für das Sicherungsniveau verschärft die finanzielle Anspannung des Rentensystems noch mehr. Diese müsste über noch höhere Beiträge und Steuermittel aufgefangen werden. Dabei würden die stabilisierenden Mechanismen zur Anpassung des Rentenwerts an die demografische Entwicklung (Beitragssatz- und Nachhaltigkeitsfaktor) außer Kraft gesetzt. Wenn zudem eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze unterbleibt, werden die auf eine nachhaltigere Finanzierung der GRV ausgelegten Reformen von Anfang der 2000er Jahre gänzlich revidiert. Die Idee, die Lasten der demografischen Alterung zwischen den Generationen aufzuteilen, wird auf Kosten jüngerer Erwerbstätiger und ihrer Einkommens- und Beschäftigungschancen aufgekündigt.

Literatur

Bartels, C., T. Bönke, R. Glaubitz, M. M. Grabka und C. Schröder (2023), Rentenvermögen macht Großteil des Vermögens der ärmeren Bevölkerungshälfte in Deutschland aus, DIW Wochenbericht, 90(45), 625-631.

Börsch-Supan, A., M. Coppola und J. Rausch (2015), Die „Rente mit 63“: Wer sind die Begünstigten?: Was sind die Auswirkungen auf die Gesetzliche Rentenversicherung?, Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 16(3), 264-288.

Bucher-Koenen, T., J. Riedler und M. Weber (2019), Kapitalanlage eines staatlich organisierten Altersvorsorgefonds, ZEW, Gutachten für den Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).

Dolls, M. und C. Krolage (2023), ‘Earned, not given’? The effect of lowering the full retirement age on retirement decisions, Journal of Public Economics, 223, 104909.

Haan, P., D. Kemptner und H. Lüthen (2019), Besserverdienende profitieren in der Rentenversicherung zunehmend von höherer Lebenserwartung, DIW Wochenbericht, 86(23), 391-399.

infas – Institut für angewandte Sozialwissenschaft (2020), Verbreitung der Altersvorsorge 2019 (AV 2019) – Abschlussbericht, Forschungsbericht 565, im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.

IVFP – Institut für Vorsorge und Finanzplanung (2022), Riestern lohnt sich noch!, https://ivfp.de/riester-rendite/ (25. Januar 2024).

Schüler, R. M. (2022), „Rente mit 63“: Wer geht abschlagsfrei vorzeitig in den Ruhestand?, IW-Kurzbericht, 98/2022, Institut der deutschen Wirtschaft.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2023), Wachstumsschwäche überwinden – in die Zukunft investieren, Jahresgutachten 2023/24.

Werding, M., C. Schaffranka, L. Nöh und F. K. Lembcke (2023), Ergänzende Kapitaldeckung der Altersvorsorge: Gründe, Gestaltungsoptionen und Auswirkungen, Arbeitspapier, 02/2023, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Werding, M., B. Runschke und M. Schwarz (2024), Alterungsschub und Rentenreform: Simulationen für GRV und Beamtenversorgung, Arbeitspapier, 01/2024, Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

Title:Recognising Reality, Designing a Sustainable Pension System

Abstract:Current plans to permanently fix the level of benefits provided by the German Statutory Pension Scheme are at odds with the reality of demographic ageing and the requirements for sustainable pension policies. Instead, the causes of the ageing process ought to be addressed through poten-tially unpopular reforms. Linking the statutory retirement age to further life expectancy and building up supplementary funded pensions are core elements of a far-sighted reform that could stabilise the German system of old-age provision in the long run. In the short run, increasing con-tribution rates and reducing the benefit level are inevitable. This should be communicated very clearly.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0027