Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Der Staat sollte gezielt Investitionen in wichtige Bereiche, wie Bildung, Dekarbonisierung, Digitalisierung, Infrastruktur und Verteidigung tätigen, wenn wegen der Eigenschaften von öffentlichen Gütern dafür keine privaten Unternehmen zur Verfügung stehen. Die Vizepräsidentin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Gita Gopinath, empfiehlt Deutschland, 1 Prozent­punkt mehr als bisher für Investitionen auszugeben. Und selbst der Sachverständigenrat Wirtschaft möchte die Möglichkeit der Verschuldung über die bisherigen 0,35 % des BIP ausdehnen, solange der Schuldenstand unter 90 % des BIP liegt.

Schulden sind im Deutschen nicht nur Kredite, sondern es steckt auch das Wort Schuld darin. Im Englischen bezeichnet debt lediglich Kredite ohne moralische Wertung. In den meisten Staaten ist eine Verschuldung für Zukunftsinvestitionen sogar positiv belegt. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) würde die ohnehin niedrige deutsche Schuldenquote von aktuell etwa 65 % selbst bei einer jährlichen Neuverschuldung von 1,5 % des BIP weiter sinken. Damit könnten pro Jahr Investitionen von etwa 60 Mrd. Euro getätigt werden. Haushaltstechnisch gibt es zwei Möglichkeiten, eine zusätzliche Schuldenaufnahme gesetzeskonform zu veranschlagen. Entweder der Gesetzgeber ändert die restriktive Schuldenbremse oder schafft ähnlich wie bei der Bundeswehr zweckgebundene Sondervermögen und kann die Investitionen dann außerhalb des regulären Haushalts tätigen. So finanziert z. B. die Schweiz ihr Bahnsystem aus einem Bahninfrastrukturfonds, dessen Finanzierung bis 2035 sichergestellt ist. Exemplarisch soll für die Bereiche Bildung, Infrastruktur und Verteidigung skizziert werden, warum eine Erhöhung der staatlichen Ausgaben dort besonders notwendig ist.

Bei der Bildung hat die kürzlich vorgestellte PISA-Studie gezeigt, dass die Leistungen deutscher Schüler:innen inzwischen unter dem Niveau liegen, das 2001 den ersten PISA-Schock auslöste. Zwar führte die COVID-19-Pandemie in allen Ländern zu Rückgängen im Leistungsniveau, diese sind in Deutschland aber besonders hoch. So haben z. B. Jugendliche im Alter von 15 Jahren in den OECD-Ländern 17 Punkte in Mathe verloren, in Deutschland jedoch 25 Punkte. Verglichen mit den Jugendlichen des Jahres 2018 entspricht dies fast einem kompletten Schuljahr Rückstand. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Anteil der Risikoschüler:innen in Mathematik von 18 % auf fast 30 %, während sich der Anteil der Spitzenschüler:innen von 18 % auf 9 % halbierte. Deutschland gibt pro Jahr 4 % des BIP für Bildung aus, im Durchschnitt der OECD-Länder sind es 4,6 %, bei den nordischen Staaten sogar mehr als 5 %. Wenn Deutschland also 0,5 % seiner Wirtschaftsleistung mehr in Bildung investieren würde, könnte es zumindest annähernd zum Durchschnitt der OECD-Länder aufschließen.

Bei der Infrastruktur ist eine der größten Baustellen sicherlich die Deutsche Bahn. Hier sind Investitionen seit Jahrzehnten zugunsten des Straßenbaus unterblieben und müssen nun nachgeholt werden. Deutschland gab 2022 pro Kopf 114 Euro für die Schieneninfrastruktur aus, in der Schweiz und Österreich waren es 450 bzw. 319 Euro. Um auf das exzellente Schweizer Niveau zu kommen, wären pro Jahr über 28 Mrd. Euro notwendig, das immer noch gute Niveau Österreichs ließe sich mit etwa 11 Mrd. Euro erreichen. Dabei ist der bisher aufgelaufene Nachholbedarf noch nicht berücksichtigt. Deshalb sollte das Geld auch zusätzlich zu den bereits geplanten rund 40 Mrd. Euro für die Generalsanierung in den nächsten vier Jahren fließen.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bekennen sich eine große Mehrheit der Bevölkerung und der politischen Parteien zum NATO-Ziel von 2 % des BIP für Verteidigungsausgaben. Manche Länder betrachten dies als zu gering. Das an Russland grenzende Estland will etwa 2024 seine Militärausgaben auf 3,2 % des BIP erhöhen. Somit können die 2 % als Untergrenze für ein NATO-Land interpretiert werden. Die 100 Mrd. Euro des Sondervermögens Bundeswehr dürften spätestens 2027 aufgebraucht sein. Um die Verteidigungsausgaben auf 2 % verstetigen zu können, werden dann zusätzlich mindestens 0,5 % des BIP notwendig sein.

Letztlich gibt es noch die Notwendigkeit der Dekarbonisierung. Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will, sind umfangreiche Investitionen erforderlich. Die müssen zwar größtenteils vom Privatsektor getätigt werden, aber der Staat muss zumindest zu Beginn die notwendigen Anreize setzen. Und die Versäumnisse der Digitalisierung sind nicht erst seit dem Einsatz von Faxgeräten der Gesundheitsämter während der Coronapandemie bekannt.

Der Schuldenbremse alle notwendigen Investitionen unterzuordnen und im Zweifel einen sinkenden Wohlstand durch ein geringeres Bildungsniveau, eine schlechte Infrastruktur und hohe geopolitische Risiken durch eine unzureichende Verteidigungsfähigkeit in Kauf zu nehmen, scheint mir nicht der Weisheit letzter Schluss zu sein.

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0025