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Deutschland leistet sich nach internationalen Maßstäben überdimensionierte Bettenkapazitäten, die sich auf zu viele und häufig zu kleine Krankenhäuser verteilen. Aufgabe der Länder wäre es, die Struktur anzupassen. Sie scheuen aber den politischen Widerstand der unmittelbar Betroffenen. Einfacher ist es, die Dinge laufen zu lassen. Unter dem Druck, überdimensionierte Vorhaltekosten decken zu müssen, wird daher häufig mehr behandelt, als medizinisch geboten ist. Dieser Missstand hat seine wahre Ursache in mangelhaften Planungsanreizen. Bundesgesundheitsminister Lauterbach versucht dies durch eine Vergütungsreform von Krankenhausleistungen zu beheben. Das Ziel der Reform kann auf dem vorgeschlagenen Weg nicht erreicht werden.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat sich viel vorgenommen. Er will nicht nur das Gesundheitswesen digitalisieren, die Pflege reformieren und Arzneimittelengpässe beheben. „Ganz große Defizite“ will er auch im Bereich der Krankenhausversorgung beseitigen (Lauterbach, 2023). Und zwar will er den Krankenhäusern den (Fehl)Anreiz nehmen, medizinisch nicht zwingend notwendige Behandlungen vorzunehmen, für die im aktuellen System wirtschaftliche Anreize bestehen. Dieser Fehlanreiz rührt bekanntlich daher, dass sich die Häuser gezwungen sehen, auch bei überdimensionierten Kapazitäten kostendeckend zu wirtschaften. Im bestehenden Fallpauschalensystem ist die Vergütung leistungsmengenorientiert, während der Großteil der Kosten aber leistungsmengenunabhängig („fix“) und durch die Vorhaltung der Kapazitäten verursacht ist. Diese Konstellation zwingt die Krankenhäuser dazu, Leistung um Leistung zu erbringen, um neben den variablen Behandlungskosten die fixen Vorhaltekosten zu erwirtschaften.

Um diesen Fehlanreiz zu beseitigen, soll nach den Plänen des Ministers die Vergütung von Krankenhausleistungen neu geregelt werden. Zu diesem Zweck werden die Kliniken zunächst in zwei Gruppen eingeteilt. Der einen Gruppen kommt die Aufgabe der wohnortnahen und sektorenübergreifenden medizinischen Grundversorgung zu. Überwiegend geht es hierbei um eine medizinisch-pflegerische Versorgung, die mit einem krankenhausindividuellen Tagesentgelt honoriert wird. Der anderen Gruppe wird die Sicherstellung besonderer Versorgungsleistungen übertragen. Dazu müssen die Kliniken qualitative und kapazitative Voraussetzungen erfüllen, für deren Vorhaltung ein neuartiges Vergütungselement eingeführt wird. Der Ansatz zur Behebung des Fehlanreizes, aus primär wirtschaftlichen und nicht unbedingt medizinischen Gründen zu behandeln, unterscheidet sich nun zwischen den Gruppen.

Den sektorenübergreifenden Einrichtungen der Grundversorgung wird der Anreiz zur Erbringung medizinisch nicht notwendiger Leistungen weitestgehend dadurch genommen, dass die Honorierung auf Tagesentgelte umgestellt wird. In gewisser Weise findet hier eine Rückkehr in die Zeit vor Einführung der Fallpauschalen statt. Als Folge der Reform dürften die Kliniken bei unausgelasteten Kapazitäten ein wieder erstarktes wirtschaftliches Interesse an längeren Verweildauern ihrer Patienten und Pflegebedürftigen haben. Die Begünstigten dürften das gutheißen, gesamtwirtschaftlich sind medizinisch nicht notwendige Verweildauern dagegen kritisch zu sehen. Der wirtschaftliche Anreiz verschwindet also nicht, vielmehr wird er lediglich weg von medizinisch nicht notwendigen Leistungen hin zu nicht gebotenen Unterbringungsleistungen verschoben. Etwas abgemildert wird dies durch eine geplante Degression bei den Tagesentgelten.

Bei den Kliniken mit besonderem Versorgungsauftrag wird der Anreiz zur Behandlung aus wirtschaftlichen Motiven dadurch geschwächt, dass die bestehenden Fallpauschalen abgesenkt werden. Im Gegenzug gibt es für die Vorhaltung von Kapazitäten eine Vergütung, die „weitgehend unabhängig von der Leistungserbringung“ ermittelt werden soll.1 Nachfolgend wird gezeigt, dass die Loslösung der Vorhaltevergütung von der Leistungserbringung auf dem vorgeschlagenen Weg nicht erreicht wird. Das liegt daran, dass die vorgeschlagene Vorhaltevergütung allem Ansinnen zum Trotz nicht leistungsmengenunabhängig ist. Der Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und Vergütung wird also effektiv nicht aufgehoben, sondern allenfalls geschwächt und vor allem buchhalterisch anders geregelt. Die erbrachte Leistungsmenge wird weiterhin die zentrale Größe sein, nach der sich die Einnahmen eines Krankenhauses mit besonderem Versorgungsauftrag bemessen. Das eigentliche Ansinnen der Reform, die Bedeutung wirtschaftlicher Erwägungen im Krankenhausbereich zurückzudrängen, wird also nicht erreicht, wie nachfolgend gezeigt wird. Begrüßenswert ist lediglich, dass die Beiträge, die sich zur Deckung fixer Kosten mit jeweiligen Behandlungsleistungen erzielen lassen – im Weiteren Margen genannt, als Ergebnis der Reform innerhalb von Leistungsgruppen angeglichen werden. Daher kann man erwarten, dass bei der Auswahl spezieller Leistungen innerhalb einer Leistungsgruppe wirtschaftliche Erwägungen eine geringere Rolle spielen als heute. Allerdings könnte es zu ungewollten aber in ihrer Richtung erwartbaren Verschiebungen von Einnahmen zwischen Krankenhausstandorten kommen.

Die Vergütungsreform ist Regelungsbestandteil des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG, 2023). Der Gesetzesentwurf umfasst nebst Erläuterungen 109 Seiten. In den Gesetzesformulierungen ist er voller präzisierender Einschübe und Verweise auf andere gesetzliche Regelungen, was das Durchdringen für juristische Laien erschwert. Um die Zusammenhänge transparenter darstellen zu können, stützen sich die nachfolgenden Ausführungen auf ein paar einfache mathematische Formeln.

Der wirtschaftliche Anreiz zur Mengenausweitung bei Behandlungen im Krankenhaus

Zunächst wird der wirtschaftliche Anreiz zur Mengenausweitung im bestehenden Vergütungssystem mit Fallpauschalen skizziert. Betrachtet sei eine bestimmte medizinische Leistung l, die im geltenden DRG (Diagnosis Related Groups)-System mit der Fallpauschale Pl vergütet wird. Der Entwurf zum KHVVG geht davon aus, dass Pl die variablen Sachkosten Cl der Behandlung übersteigt. Den Überschussbetrag Pl Cl kann man als Marge bezeichnen. Sie wird im Weiteren mit Ml symbolisiert. Wenn Xli die vom Krankenhaus i erbrachte Menge in der Leistungsart l darstellt, beschreibt (Pl Cl) Xli = Ml Xli den Beitrag zur Deckung leistungsmengen­­unabhängiger Kosten und darüber hinaus zur Erzielung eines wirtschaftlichen Überschusses. Angenommen sei vorerst, dass die erbrachte Leistungsmenge nicht von derjenigen abweicht, die der Vergütungsplanung zugrunde gelegen hat. Der gegenteilige Fall wird weiter unten betrachtet.

Man muss nun Kliniken keine Gewinnerzielungsabsicht unterstellen, vielmehr reicht die regulatorische Vorgabe, alle Kosten decken zu müssen, um bei überdimensionierten Kapazitäten den wirtschaftlichen Anreiz zur Ausdehnung der Leistungsmenge Xli über ein medizinisch gebotenes Maß hinaus nachvollziehen zu können. Dabei bestimmt die Margengröße die Stärke des Anreizes, d. h. je größer die Marge Ml für eine Leistungsart l ist, desto höher der wirtschaftliche Anreiz eben diese Leistungsmenge Xl zu erhöhen.

Diese Stärke will das Gesetz absenken, indem ein Anteil α der um die variablen Sachkosten bereinigten Vergütung – der Marge also – ausgegliedert und dem Kranken­hausstandort nicht länger ausgezahlt wird. Im Weiteren sei die Ausgliederungsquote mit α bezeichnet. Im Entwurf zum KHVVG wird eine Quote von 60 % vorgeschlagen. Mit den ausgegliederten Vergütungsanteilen soll ein Vorhaltebudget gespeist werden, das in jedem Bundesland nach Leistungsgruppen getrennt einzurichten ist. Seien nun mit l = 1,2, ... die verschiedenen Leistungen in der Leistungsgruppe L bezeichnet und mit j = 1,2, ... die verschiedenen Krankenhausstandorte in dem betrachteten Bundesland. Das Vorhaltebudget VL in der Leistungsgruppe L ergibt sich dann durch Addition aller α MlXlj, wofür man auch

VL = ljαMlXlj = αl(Ml j Xlj)

schreiben kann.

Aus dem Vorhaltebudget sollen die Vorhaltekosten der verschiedenen Krankenhausstandorte vergütet werden. Einen Anspruch auf Vergütung haben grundsätzlich aber nur solche Standorte, denen von der Landesplanung die entsprechende Leistungsgruppe zugewiesen wurde, was eine Prüfung der jeweils geltenden Qualitätskriterien durch den Medizinischen Dienst voraussetzt. Der Vergütungsanteil γLi, der in der Leistungsgruppe L auf den Krankenhausstandort i entfällt, wird dadurch bestimmt, dass die Zahl der behandelten Fälle lXli mit einem Vorhalte-Case-Mix-Index CLV multipliziert und das Produkt durch die über alle Krankenhausstandorte dieses Landes in dieser Leistungsgruppe addierten Produkte geteilt wird.2 Der Vergütungsanteil γLi, des Krankenhausstandorts i an dem Vorhaltevolumen VL entspricht also

CLV .lXli [j (CLV lXli)] = lXliljXlj .

Da sich der Vorhalte-Case-Mix-Index herauskürzen lässt, ist der Vergütungsanteil von ihm offenbar nicht abhängig.

Die Vorhaltevergütung VVLi des Krankenhausstandortes i erhält man nun, indem man dessen Anteil γLi, = lXliljXlj an dem Vorhaltebudget mit diesem multipliziert:

VVLi = γLi VL =lXliljXlj αl (Ml jXlj) = α ML lXli

mit MLjXljljXljMl > 0. (1)

Die Variable MLlässt sich als eine mit Leistungsmengen gewichtete durchschnittliche Marge interpretieren. In dem extremen Fall, in dem es in einer Leistungsgruppe L nur eine Leistungsart gibt, was sich dann durch L = l abbilden lässt, unterscheidet sich die Leistungsmarge nicht von der durchschnittlichen, ML= Ml. Im Übrigen unterscheidet sich die durchschnittliche Marge MLnicht zwischen verschiedenen Krankenhausstandorten. Sie nimmt vielmehr für alle Standorte des betrachteten Bundeslandes den gleichen Wert an und variiert allenfalls mit der betrachteten Leistungsgruppe L.

Die Gesamtvergütung des Krankenhausstandortes i für die erbrachten Leistungen in der Leistungsgruppe L ergibt sich durch die Addition der gekürzten Fallpauschalen und der Vorhaltevergütung:

lPl Xli αl Ml Xli + α ML l Xli

= l [(1 − α) Pl + α Cl + α ML] Xli (2)

Der geklammerte Ausdruck (1 α) Pl + α Cl + α ML pl lässt sich als Vergütung interpretieren, die im reformierten System pro Einheit für die Behandlungsleistung l gezahlt wird. Die reformierte Marge beträgt somit ml pl Cl = (1 α) Ml + α ML. Zweierlei gilt es zu beachten. Erstens stimmt die reformierte Marge exakt mit der Marge im geltenden System überein, wenn es in der Leistungsgruppe L nur eine Leistung gibt. Dann impliziert ML= Ml schließlich ml = pl Cl = Ml . Zweitens bleibt die Marge auch im reformierten System positiv, weshalb der Anreiz bestehen bleibt, bei überdimensionierten Kapazitäten aus wirtschaftlichen Gründen Leistungen zu erbringen. Die einzelnen Margen in der Leistungsgruppe L werden lediglich in Richtung der durchschnittlichen angepasst. Mit anderen Worten: große Margen werden verkleinert und kleine vergrößert. Das folgt unmittelbar aus dem Vergleich der Marge im bestehenden System Ml mit der reformierten Marge ml = (1 α) Ml + α ML:

ml < Ml , wenn Ml > MLund

ml > Ml , wenn Ml < ML (3)

Kurzum, die Vergütungsreform erschöpft sich vorrangig darin, die Leistungsmargen in ihrer Größe anzugleichen. Positiv ist daran, dass im Krankenhaus die Wahl einer speziellen Leistung innerhalb ihrer Leistungsgruppe weniger als im bestehenden Vergütungssystem von wirtschaftlichen Erwägungen beeinflusst wird. Der Anreiz, bei überdimensionierten Kapazitäten aus wirtschaftlichen Gründen Leistungsmengen auszuweiten, wird aber nicht reduziert – jedenfalls nicht grundsätzlich.

Der Mechanismus zur Anpassung der Vorhaltevergütung im Zeitablauf

Etwas komplizierter gestaltet sich die Analyse der wirtschaftlichen Anreize bei einem sich dynamisch verändernden Leistungsgeschehen. In diesem Fall muss zwischen den Fallzahlen X-Li, die der Vorhaltevergütung für die Leistungsgruppe L zugrunde gelegt wurden, und den tatsächlich erbrachten Fallzahlen XLi lXli unterschieden werden. Solange XLi nicht stärker als 20 % von X-Li abweicht, kann die Klinik mit der vereinbarten Vorhaltevergütung dauerhaft rechnen. Im Leistungskorridor von 80 % X-Li bis 120 % X-Li ändert sich der Anspruch auf eine Vorhaltevergütung nicht. Anders ist es bei stärkeren Abweichungen oder wenn das Land mit dem betroffenen Krankenhausstandort abweichende Planfallzahlen vereinbart. In diesem Fall ist die Vorhaltevergütung spätestens nach drei Jahren entsprechend anzupassen. Die Auswirkung dieser Regelung auf Behandlungsanreize hängt nun davon ab, ob die Klinik eine Notwendigkeit zum Ausbau ihrer Kapazitäten sieht oder nicht.

Im ersten Fall schwächt die Regelung den Anreiz, die Leistungsmenge in der Leistungsgruppe L über die 80 %-Grenze auszuweiten. Mit zusätzlichen Leistungen ist schließlich nur eine um die Ausgliederungsquote reduzierte Marge zu erwirtschaften. In dem Maße, wie Fixkosten kurzfristig variabel sind und sich einsparen lassen – man denke etwa an den Verzicht auf die Besetzung freiwerdender Stellen –, hat die Leistungseinschränkung ihren zusätzlichen Reiz.

Man wird diesen Anreiz zur Leistungseinschränkung begrüßen, wenn man Kliniken unterstellt, dass sie zu viele Behandlungen ohne medizinische Notwendigkeit durchführen. Ein finanzierungstechnisches Problem resultiert gleichwohl, wenn die Unterstellung auf eine nennenswerte Zahl von Kliniken zutrifft. Wenn Leistungen, auf denen die Vorhaltebudgetierung basiert, in nennenswertem Umfang unterbleiben, fehlen die Einnahmen, die notwendig sind, um die zugesagten Vorhaltevergütungen auszuzahlen. Schließlich fehlen mit der Einschränkung von Leistungen die ausgegliederten Margen, aus denen sich das Vorhaltebudget finanzieren soll. Der Gesetzesentwurf lässt offen, aus welchen Mitteln die Lücke zu schließen ist. Sofern sie nicht geschlossen wird, droht bei der Vergütung von Vorhalteleistungen eine Rationierung. Das bedeutet, dass keine Klinik ihren grundsätzlich vereinbarten Anspruch auf Vorhaltevergütung im vollen Umfang durchsetzen kann, und zwar nicht nur solche Kliniken, die ihre Leistungen zuvor eingeschränkt hatten. Schließlich wird unterstellt, dass diese Kliniken ihre Leistungen nicht unter die 80 % der vereinbarten Fallzahlen reduzieren, sodass alle Kliniken gleichbehandelt werden müssen, und zwar unabhängig davon, ob sie Leistungen eingeschränkt haben oder nicht.

Eine ähnliche Finanzierungsproblematik droht, wenn eine Klinik die Notwendigkeit sieht, ihre Kapazitäten zu erweitern. Um bei dem vorgeschlagenen Anpassungsmechanismus einen Anspruch auf eine Erhöhung der Vorhaltevergütung geltend machen zu können, müsste sie ihre Leistungen im Vorfeld über die 120 %-Grenze hinaus ausgeweitet haben. Das bedeutet aber, dass die Klinik erhebliche Vorleistungen erbringen müsste, die im reformierten System zudem schwächer honoriert werden als im bestehenden. Im bestehenden System können die Kliniken mit Leistungen wenigstens ungeschmälerte Margen erwirtschaften, aus denen sich geplante Erweiterungsinvestitionen finanzieren lassen. Im reformierten System sind die Leistungsmargen reduziert und eine Erhöhung der Vorhaltevergütung lässt sich nur zeitlich verzögert geltend machen.

Das tiefere Problem ist, dass die Finanzierungsverantwortlichkeit für Vorhalteleistungen im Gesetzesentwurf nicht abschließend geklärt wird. Solange sich vereinbarte Vorhaltevergütungen mit ausgegliederten Leistungsmargen bestreiten lassen, stellt sich kein finanzierungstechnisches Problem. Wenn die ausgegliederten Leistungsmargen aber unzureichend sind, stellt sich die Frage nach der Finanzierungsverantwortlichkeit. Im bestehenden System ist die Verantwortlichkeit grundsätzlich klar geregelt. Fixe Personalkosten werden über die Krankenversicherungsbeiträge finanziert, und Sachinvestitionen fallen in die Zuständigkeit der Länder, die sie allerdings immer weniger verantwortungsvoll ausüben.3 Im reformierten System werden die Krankenkassen aus der Verantwortlichkeit entlassen. Sie zahlen nur für erbrachte Leistungen. Ob die Länder bereit bzw. in der Lage sein werden, die drohende Finanzierungslücke zu schließen, ist mehr als zweifelhaft.

Schlussbetrachtungen

Mit der Reform der Krankenhausvergütung möchte Minister Lauterbach wirtschaftliche Erwägungen bei der Erbringung von Krankenhausleistungen zurückdrängen. In wesentlichen Grundzügen folgt der Gesetzesentwurf den Empfehlungen der Regierungskommission Krankenhausversorgung (2022), die ihrerseits auf Vorschläge aus der Literatur zurückgreift – etwa im Krankenhaus Rating Report 2021 (Augurzky et al., 2021). Allerdings gibt es wesentliche Abweichungen. So betont die Regierungskommission die Wichtigkeit der Leistungsmengenunabhängigkeit bei der Bemessung der Vorhaltevergütung, um eine stärkere Unabhängigkeit der Leistungsanreize von dem Kostendeckungsziel zu erreichen.4 Just dieses Ziel wird mit der vorgeschlagenen Reform aber nicht erreicht.

Bei Einrichtungen der (sektorenübergreifenden) Grundversorgung wird das wirtschaftliche Interesse lediglich umgelenkt, und zwar weg von medizinisch nicht notwendigen Leistungen hin zu nicht notwendigen Unterbringungsleistungen. Die Verweildauern im Krankenhaus werden mutmaßlich wieder steigen, und das lässt sich mit einer Degression der Tagesentgelte nur eingeschränkt verhindern.

Bei Einrichtungen der besonderen Versorgung wird das Reformziel verfehlt, weil die Aufteilung der Vorhaltebudgets auf die Krankenhausstandorte nach erbrachten oder vereinbarten Leistungen erfolgt. Für den Vorschlag mag zwar sprechen, dass die Auswirkung der Reform auf die Einnahmen der verschiedenen Krankenhausstandorte anfangs begrenzt bleibt. Schließlich erhält derjenige Standort eine hohe Vorhaltevergütung, der viel leistet und also auch im bestehenden System hohe Einnahmen erzielt. Mit der vorgeschlagenen Bemessung der Vorhaltevergütung gelingt es aber nicht, unerwünschte wirtschaftliche Erwägungen bei der Leistungserbringung zurückzudrängen. Das würde erst dann gelingen, wenn man die Vorhaltevergütung weniger nach Leistungen bemäße.

Dann müssten indes die Länder die regionale Verteilung und fachliche Ausrichtung von Krankenhauskapazitäten bedarfs- und erreichbarkeitsorientiert planen. Für die Durchsetzung einer entsprechenden Planung bedarf es aber starker Anreize. Diese fehlen den Ländern, weil sie mit Maßnahmen zur Veränderung von Krankenhauskapazitäten politisch wenig zu gewinnen haben. Der Abbau und gar die Schließung von Kapazitäten stößt regelmäßig auf den erbitterten Widerstand der betroffenen Bevölkerung und Leistungserbringer, und der damit eingehandelte politische Ärger wird auch nicht durch budgetäre Vorteile, wie der Einsparung von Landesmitteln, wettgemacht. Schließlich haben sich die Länder aus der gesetzlichen Verpflichtung, wenigstens bei Investitionen in Krankenhäusern die Kosten zu tragen, im Laufe der Jahre weitestgehend verabschiedet. Mit dem Rückzug aus der Finanzierung ist ihnen aber auch die Möglichkeit des wirksam steuernden Einflusses verloren gegangen.

Es hat sich eingebürgert, dem wirtschaftlichen Anreiz zur Leistungsmengenausweitung mit einem Vergütungsabschlag zu begegnen. Dieser Politikansatz ist auch für die vorgeschlagene Reform prägend. Er zeigt sich in dem Vorschlag, die für Leistungen ausgezahlten Margen abzusenken und die Tagesentgelte in der medizinisch-pflegerischen Versorgung mit einer Leistungsmengendegression zu versehen. Vergütungsabschläge sind aber ein höchst fragwürdiges Instrument, wenn es darum geht, eine Leistungsmengenausweitung zu bremsen, die ihre Ursache in nicht gedeckten Kosten hat. In solchen Fällen wirken Vergütungsabschläge sogar problemverschärfend. Sie bekämpfen Symptome und sind nicht ursachengerecht.

Ein echter Reformerfolg wäre erst dann zu erwarten, wenn es gelänge, die Instanz, die mit der Krankenhausplanung beauftragt ist, mit Anreizen auszustatten, eine Planung im Interesse der Gesamtbevölkerung konsequent durchzusetzen. Das setze aber voraus, dass man die Planungskompetenz und die Finanzierungsverantwortlichkeit zusammenbringt. Wenn die Länder, wie in Deutschland der Fall, Krankenhausstandorte dagegen nur planen, ohne einen substanziellen Beitrag zur Finanzierung zu tragen, sind überdimensionierte Kapazitäten durch Externalisierung der Vorhaltekosten im System angelegt.

Nun könnte man auf die Idee kommen, die Länder gesetzlich zu zwingen, für jedes geplante Krankenhausbett und jede genehmigte Fachabteilung nennenswerte Kosten zu übernehmen. Und sicherlich würde dieser Finanzierungszwang die Länder dazu bringen, Kosten und Nutzen von Kapazitäten stärker abzuwägen und verantwortungsvoller zu planen. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass man sich angesichts fehlender Haushaltsspielräume einer gesetzlich verbindlichen Kostentragung bereitwillig unterwirft. Auch wäre zu befürchten, dass sich in Grenzregionen zu anderen Bundesländern Versorgungsengpässe herausbilden. Die Verlockung wäre einfach zu groß, Vorhaltekosten zu externalisieren. Ein derartiges Problem ließe sich zwar vermeiden, wenn man die Planungskompetenz auf den Bund übertragen würde. Allerdings verspricht die reine Übertragung auch keine ideale Lösung. Schließlich wäre der Bund dann allenfalls für die Investitionskosten verantwortlich. Die fixen Personalkosten würden dagegen im bestehenden Vergütungssystem als Teil der Betriebskosten von den Krankenversicherungen getragen. Damit würden die Probleme, die bei der Landesplanung zu beklagen sind, durch eine Übertragung der reinen Planungskompetenz auf den Bund zwar abgemildert, aber nicht verlässlich beseitigt.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach plant nun – eine Empfehlung der Monopolkommission aus 2008 aufgreifend – ein Transparenzregister einzurichten, mit dem er die Länder zu einer verantwortungsvolleren Planung zwingen will. Das „Gesetz zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz“ (Krankenhaustransparenzgesetz, 2023) liegt seit September 2023 im Entwurf vor. Es soll eine qualitätsorientierte Konsolidierung der Krankenhausstrukturen befördern. Die einzelnen Krankenhäuser sollen dazu angehalten werden, nur jene Leistungen anzubieten, die sie mit hinreichender Qualität erbringen können. Das soll dadurch erreicht werden, dass „Patientinnen und Patienten sowie einweisende Ärztinnen und Ärzte … informiert werden, welches Krankenhaus welche Leistungen in welcher Qualität anbietet“ (Krankenhaustransparenzgesetz, 2023, 1). Unklar bleibt indes, was das konkret bedeutet. In der Expertenanhörung sahen Patientenvertreter die Gefahr der Überforderung von Patienten. Die verfügbar gemachte Information müsse „einfach und eindeutig“ sein (Weisse Liste, 2023). Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO, 2023, 2) verlangte demgegenüber, dass „Behandlungsfallzahlen […] für alle Behandlungen und Eingriffe detailliert angegeben werden [sollten]“. Diese gegensätzlichen Forderungen lassen die Probleme erkennen, die mit einer reinen Informationsbereitstellung verbunden sind. Es ist schwer, ein gesundes Maß zu finden. Schließlich sind Krankenhausleistungen komplex und ihre Qualität lässt sich nicht ohne Weiteres auf wenige Zahlen reduzieren, wenn nicht irreführende Schlussfolgerungen gezogen werden sollen.

Ökonomen haben vorgeschlagen, die Verantwortung für eine qualitativ hochwertige und kostengünstige Krankenversorgung den Krankenkassen zu übertragen, weil diese schließlich die wichtigsten Kostenträger sind (Monopolkommission, 2008; Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, 2018). Eine solche Reform würde aber voraussetzen, dass die Krankenkassen das Recht erhielten, mit Leistungserbringern selektive Versorgungsverträge abzuschließen und Versicherungsnehmern Wahltarife anzubieten. Von einem gestärkten Tarifwettbewerb um Versicherte verspricht man sich verbesserte Anreize der Krankenkassen, sich für eine hochwertige Krankenversorgung gestalterisch und verantwortungsvoll einzusetzen. Für die Einzelheiten sei auf die Literatur verwiesen. Klar ist indessen, dass eine entsprechende Reform tiefgreifend wäre. Mit einer reinen Reform der Krankenhausvergütung wird man die erkannten Probleme aber auch nicht lösen können.

Für hilfreiche Kommentare und Hinweise sei Boris Augurzky, Friedrich Breyer, Klaus-Dirk Henke, Hendrik Jürges und Thomas Kopetsch gedankt.

  • 1 Die Formulierung findet sich sowohl im Eckpunktepapier BMG (2023) als auch mehrfach im Entwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG, 2023). Mit der Einführung einer Vorhaltevergütung folgt der Entwurf zum KHVVG der Empfehlung der Regierungskommission Krankenhausversorgung (2022), die Minister Lauterbach im Mai 2022 eingesetzt hatte.
  • 2 § 37 Abs. (2) im Entwurf zum KHVVG.
  • 3 Im Jahr 2022 haben die Krankenkassen Betriebsmittel in Höhe von 86 Mrd. Euro an die Krankenhäuser überwiesen, die Bundesländer jedoch nur 3,6 Mrd. Euro für Investitionen. Dies entspricht einem Verhältnis von 26 zu 1. Im Jahre 1991 lag diese Relation noch bei 8 zu 1 (Straub, 2023).
  • 4 Der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege hatte 2018 empfohlen, „pauschalen Vergütungskomponenten außerhalb der DRGs, wie in anderen Staaten, einen höheren Anteil an der Krankenhausvergütung einzuräumen.“

Literatur

Augurzky, B., S. Krolop, A. Pilny, C. M. Schmidt und C. Wuckel (2021), Krankenhaus Rating Report 2021: Mit Wucht in die Zukunft katapultiert, medhochzwei Verlag.

BMG – Bundesministerium für Gesundheit (2023), Eckpunktepapier: Krankenhausreform, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/ministerium/meldungen/krankenhausreform-eckpunkte (12. Januar 2024).

KHVVG ­– Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (2023), Arbeitsentwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsqualität im Krankenhaus und zur Reform der Vergütungsstrukturen, Bundesministerium für Gesundheit, 13. November.

Krankenhaustransparenzgesetz (2023), Gesetzentwurf, Bundestagsdrucksache 20/8408.

Lauterbach, K. (2023), Lauterbach wirbt für Krankenhausreform, Regierungsbefragung im Bundestag, Rede vom 24. Mai 2023, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/reden/regierungsbefragung-aktuelle-gesetzesvorhaben.html (12. Januar 2024).

Monopolkommission (2008), Weniger Staat, mehr Wettbewerb – Gesundheitsmärkte und staatliche Beihilfen in der Wettbewerbsordnung, 17. Hauptgutachten, Bundestagsdrucksache 16/10140, Kap. V.

Regierungskommission Krankenhausversorgung (2022), Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung, dritte Stellungnahme, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/K/Krankenhausreform/3te_Stellungnahme_Regierungskommission_Grundlegende_Reform_KH-Verguetung_6_Dez_2022_mit_Tab-anhang.pdf (12. Januar 2024).

Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege (2018), Bedarfsgerechte Steuerung der Gesundheitsversorgung, Gutachten.

Straub, C. (2023), Tiefgreifende Krankenhausreform ohne Abstriche notwendig, Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement, 28(6), 253-254.

Weisse Liste (2023), in Deutscher Bundestag (Hrsg.), Expertenkritik am Entwurf für das Krankenhaustransparenzgesetz, https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw39-pa-gesundheit-krankenhaustransparenzgesetz-967012 (28. November 2023).

Wissenschaftlicher Beirat beim BMF (2018), Über- und Fehlversorgung in deutschen Krankenhäusern: Gründe und Reformoptionen, Gutachten, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Ministerium/Geschaeftsbereich/Wissenschaftlicher_Beirat/Gutachten_und_Stellungnahmen/Ausgewaehlte_Texte/2018-06-19-Fehlversorgung-in-deutschen-Krankenhaeusern.html (12. Januar 2024).

WIdO – Wissenschaftliches Institut der AOK (2023), Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz (Krankenhaustransparenzgesetz), https://www.bundestag.de/resource/blob/968252/c9b70215446144146879bc786257926b/20_14_0139-20-_Wissenschaftliches-Institut-der-AOK_KHTranspG.pdf (12. Januar 2024).

Title:On New and Old (Mis)Incentives in the Reform of the Remuneration of Hospital Services

Abstract:By international standards, Germany maintains oversized bed capacities that are spread across too many hospitals that are often also too small. It is the job of the federal states to adjust the current structure. However, they shy away from the political resistance of those directly affected, believing it is easier to let things run their course. In order to cover the costs of maintenance, hospitals often provide more treatment than is medically necessary. Federal Minister Lauterbach seeks to remedy this shortcoming, which has its true roots in inadequate planning incentives, by reforming the remuneration of hospital services. The articles shows that the goals of the reform cannot be achieved in the proposed way.

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0033