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Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 steht die Finanzpolitik vor großen Herausforderungen. Zumindest eine Herausforderung ist vorerst bewältigt: Der Bundeshaushalt 2024 steht mit einem Volumen von rund 477 Mrd. Euro und die Schuldenbremse wird bei einer Nettokreditaufnahme von 39 Mrd. Euro eingehalten. Die Bundesregierung rühmt sich einer Fortsetzung der Investitionsoffensive mit einem Volumen von 70,5 Mrd. Euro. Nach Abzug der Sondereffekte von insgesamt 17,5 Mrd. Euro für die Eigenkapitalaufstockung bei der Deutschen Bahn AG und dem Aufbau des Generationenkapitals für die gesetzliche Rentenversicherung sieht es allerdings schon weniger spektakulär aus. Die Bundesregierung betont zwar den Anstieg der Investitionsausgaben gegenüber 2019, aber als Maßstab scheint das Ende eines Jahrzehnts zweifelhaft, an dem der Nachholbedarf bei der Infrastruktur auf 450 Mrd. Euro über 10 Jahre geschätzt wurde (Bardt et al., 2019).

Eine deutlich größere Herausforderung stellt der Bundeshaushalt 2025 dar, denn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird im kommenden Jahr nur minimal wachsen. Auch wenn über die Konjunkturkomponente eine höhere Verschuldung im Rahmen der Schuldenbremse möglich sein dürfte, werden vermutlich zweistellige Milliardenbeträge im Kernhaushalt und im Klima- und Transformationsfonds (KTF) einzusparen sein. Heftiger politischer Konflikt ist damit vorprogrammiert. Eine weitere Problematik ergibt sich aus der beabsichtigten Stärkung der Landesverteidigung. Die Nato-Zielmarke von 2 % des BIP wird mithilfe des Sondervermögens Bundeswehr aktuell erreicht. In der mittelfristigen Finanzplanung stagnieren die Verteidigungsausgaben im Kernhaushalt jedoch in den kommenden Jahren. Wenn das Sondervermögen in wenigen Jahren aufgebraucht ist, wird die Finanzierungslücke im Kernhaushalt umso größer sein.

Zusätzliche Herausforderungen sind absehbar: Der Jahreswirtschaftsbericht 2024 lässt für die kommenden Jahre ein Potenzialwachstum von deutlich unter 1 % erwarten, welches auch das Wachstum der Steuereinnahmen begrenzt. Das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsmarkt ist eine wesentliche Ursache für das geringe Potenzialwachstum. Pro Jahr gehen durchschnittlich etwa 400.000 Personen mehr in den Ruhestand als in die Arbeitswelt eintreten. Zusätzliche Zuwanderung, weniger Teilzeit und mehr Vollzeit, sowie verbesserte Anreize zum Arbeiten im Alter können das abmildern, aber nicht kompensieren. Mit dem demografischen Wandel drohen die Defizite in den Sozialversicherungen zu steigen, die der Bund durch erhebliche Zuschüsse ausgleicht. Neben dem steigenden Bundeszuschuss zur Gesetzlichen Rentenversicherung wird auch die Soziale Pflegeversicherung zunehmend in den Blickpunkt rücken (Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK, 2022).

Einige der diskutierten finanzpolitischen Optionen sind ökonomisch problematisch oder politisch umstritten. Das wiederholte Ausrufen einer Notlage nach Art. 115 GG führt zu einer De-facto-Abschaffung der Schuldenbremse. Auch wenn eine Notlage mit einer Mehrheit der Mitglieder im Bundestag beschlossen werden kann, so ist dies in der jetzigen Bundesregierung politisch unwahrscheinlich. Der Ausweg über die Einrichtung von Sondervermögen mit Kreditermächtigungen, die unter einer Notlagensituation aufgenommen und über mehrere Jahre verwendet werden, ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verbaut. Die explizite Abschaffung der Schuldenbremse ist aus politökonomischen Gründen keine nachhaltige Option und garantiert nicht eine investive Verwendung zusätzlicher Finanzmittel. Zudem schränken die gestiegenen Zinsausgaben schon jetzt und die ab 2028 vorgesehene Tilgung von Notlagenkrediten den fiskalischen Spielraum ein.

Die drei Reformvorschläge des Sachverständigenrats Wirtschaft (2024) zur Reform der Schuldenbremse sind ein Schritt in die richtige Richtung, lösen aber nicht ein Kernproblem. Eine längerfristige Phase zur Krisenbewältigung nach einer Notlage ist sinnvoll, wenn regelgebunden mehr Spielraum eingeräumt wird. Eine alternative Berechnung der Konjunkturkomponente, die sie weniger revisionsanfällig macht und die Gefahr einer prozyklischen Finanzpolitik reduziert, ist zu befürworten; ebenso die Möglichkeit einer höheren Nettokreditaufnahme bei niedriger Schuldenquote. Die Vorschläge des Sachverständigenrats würden in der Summe den fiskalischen Spielraum erhöhen. Das Problem der geringen öffentlichen Investitionen wird in den Reformvorschlägen jedoch nicht adressiert, man darf vermuten, weil es keine Einigkeit im Sachverständigenrat gibt.

Verschiedene Vorschläge zielen auf bessere Anreize für öffentliche Investitionen, denn die öffentliche Infrastruktur kann durch die Komplementarität zum privaten Kapitalstock zu einer Steigerung des Produktionspotenzials führen. Vor dem Hintergrund des schwachen Potenzialwachstums kommt diesem Aspekt eine zentrale Bedeutung zu. Die jetzige Schuldenbremse differenziert allerdings nicht, wofür Kredite verwendet werden. Dies macht die Schuldenbremse einerseits einfach implementierbar, hat andererseits den Nachteil, dass öffentliche Investitionen zum Restposten der Finanzpolitik werden. Befürworter der jetzigen Schuldenbremse setzen ihre Hoffnung darin, dass eine harte Fiskalregel zu einer Priorisierung investiver Ausgaben führt. Der Druck, der aus anstehenden Wahlen resultiert, begünstigt jedoch konsumtive Ausgaben.

Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWK (2023) hat eine „Goldene Regel Plus“ vorgeschlagen, unter der kreditfinanzierte staatliche Nettoinvestitionen nicht auf die zulässige Nettokreditaufnahme unter der Schuldenbremse angerechnet werden. Fuest et al. (2024) schlagen alternativ ein über das Grundgesetz abgesichertes Sondervermögen für Investitionen vor. Den Vorschlägen ist gemein, dass es eine durchsetzbare Abgrenzung zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben geben muss. Die praktische Umsetzbarkeit könnte darin bestehen, „investive“ Ausgaben im Gruppierungs- und Funktionenplan des Bundeshaushalts zu identifizieren, wie vom ZEW im Konzept der Zukunftsquote vorgestellt (Bohne et al., 2024), und dann durch eine externe Organisation, wie den Bundesrechnungshof, zertifizieren zu lassen. Beim Vorschlag von Fuest et al. (2024) muss sichergestellt werden, dass es nicht zu einer Substitution zwischen Ausgaben im Kernhaushalt und dem Sondervermögen kommt, die die beabsichtigte Erhöhung der Investitionsausgaben im Umfang des Sondervermögens unterläuft. Die Relevanz dieses Problems wird am Beispiel des Sondervermögens Bundeswehr deutlich. Bei beiden Vorschlägen sind die Details der Umsetzung nicht trivial, unmöglich ist eine Umsetzung aber nicht.

Literatur

Bardt, H., S. Dullien, M. Hüther und K. Rietzler (2019), Für eine solide Finanzpolitik: Investitionen ermöglichen, IMK Report, 152, November.

Bohne, A., F. Heinemann und T. Niebel (2024), Berechnung der Zukunftsquote 2018 bis 2023: Zukunftsausrichtung des Bundeshaushalts erholt vom Corona-Tief, ZEW policy brief, 2. März.

Fuest, C., M. Hüther und J. Südekum (2024), Sondervermögen für Investitionen schaffen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Januar.

Sachverständigenrat Wirtschaft (2024), Die Schuldenbremse nach dem BVerfG-Urteil: Flexibilität erhöhen – Stabilität bewahren.

Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK (2022), Nachhaltige Finanzierungen von Pflegeleistungen.

Wissenschaftlicher Beirat beim BMWK (2023), Finanzierung von Staatsaufgaben: Herausforderungen und Empfehlungen für eine nachhaltige Finanzpolitik.

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© Der/die Autor:in 2024

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0040