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Der Krankenstand ist 2022 in Deutschland massiv gestiegen und verharrte 2023 in etwa auf dem Rekordniveau. Da der Anstieg der Krankenfälle in den beiden Jahren jeweils fast 2 % des gesamten Arbeitsvolumens ausmachte, stellt sich die Frage, inwieweit dies die Wirtschaftsleitung belastete. Auch in der Vergangenheit unterlag der Krankenstand Schwankungen. Allerdings waren die jährlichen Veränderungen bei Weitem geringer. Vielmehr folgte der Krankenstand bis 2022 eher längerfristigen Trends (vgl. Abbildung 1). Solche Trends können z. B. durch die Arbeitsmarktsituation beeinflusst werden. So könnten sich Arbeitnehmende weniger häufig krankmelden, wenn Arbeitslosigkeit und Arbeitsplatzunsicherheit eher hoch sind. Auch der demografische Wandel kann den Krankenstand beeinflussen, da ältere Alterskohorten im Durchschnitt länger von krankheitsbedingten Ausfällen betroffen sind als jüngere (BKK, 2023; TK, 2023). Schließlich könnte auch eine hohe gesamtwirtschaftliche Auslastung mit höheren Krankenständen einhergehen. In Deutschland nahm der Krankenstand seit der Wiedervereinigung in der Tendenz zunächst ab und ist seit 2007 wieder aufwärtsgerichtet; bis 2019 legte er seitdem durchschnittlich um knapp 0,1 Prozentpunkte zu.

Abbildung 1
Krankenstand im langjährigen Vergleich
Krankenstand im langjährigen Vergleich

Jahresdaten; IAB: Krankenstand der Personen in %.

Quelle: IAB.

Unterjährig unterliegt der Krankenstand großen saisonalen Schwankungen. Sieht man von solchen Einflüssen ab, bewegte sich der Krankenstand zu Beginn der Pandemie zunächst auf ähnlichen Niveaus wie 2019 (vgl. Abbildung 2). Im Verlauf des Jahres 2021 stieg der Krankenstand jedoch sukzessive an und lag 2022 im Durchschnitt auf einem Rekordniveau. Im Verlauf des Jahres 2023 nahmen die krankheitsbedingten Arbeitsausfälle zunächst ab. Gegen Ende 2023 stiegen sie jedoch wieder kräftig, erreichten im vierten Quartal einen neuen Höchststand und lagen im Jahresdurch­schnitt auf einem ähnlichen Niveau wie 2022. Insgesamt stieg der Krankenstand von knapp 70 Stunden je Arbeitnehmer:in 2021 auf mehr als 90 Stunden je Arbeitnehmer:in 2022 sprunghaft an. Dieser Anstieg entspricht 1,8 % der Arbeitszeit je Arbeitnehmer:in. Wäre der Anstieg des Krankenstands 2022 vollständig auf die Produktion durchgeschlagen, hätte er das BIP entsprechend um 1,8 % gedrückt. Zwar könnte ein erhöhter Krankenstand sogar überproportionale Effekte auf die Wirtschaftsleistung haben, z. B. wenn Betriebe ihre Tätigkeit aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsausfälle vorübergehend einstellen müssten oder durch Ausfälle Vorleistungen für die Produktion an anderer Stelle fehlen. In der Regel dürften Betriebe Arbeitsausfälle jedoch zumindest teilweise kompensieren können. So kann entfallene Produktion nachgeholt werden, wenn der Krankenstand wieder zurückgeht. Auch kann ein erhöhter Krankenstand durch Arbeitsverdichtung bei den gesunden Arbeitnehmenden kompensiert werden. In diesem Zusammenhang dürften sich krankheitsbedingte Arbeitsausfälle in Zeiten einer geringen Kapazitätsauslastung weniger bemerkbar machen. Schließlich kann ein erhöhter Krankenstand durch Überstunden der gesunden Arbeitnehmenden abgefedert werden. All dies spricht auch dafür, dass kurzzeitige und geringe Schwankungen des Krankenstands weniger Effekte auf die Wirtschaftsleistung haben als langanhaltende und größere Schwankungen, die von den Betrieben schwerer kompensiert werden können.

Abbildung 2
Krankenstand im Quartalsverlauf
Krankenstand im Quartalsverlauf

Quartalsdaten; Saisonbereinigt. IAB, GKV: Krankenstand der Personen in %, GKV: Abweichung vom Mittelwert 2003 bis 2019.

Quelle: GKV, IAB, eigene Berechnungen.

Empirisch lässt sich der Zusammenhang zwischen Arbeitsausfällen und BIP nur schwer abschätzen. Ein Grund dafür ist, dass kurzfristige Schwankungen des Krankenstands in der Vergangenheit kein wesentlicher Treiber der Wirtschaftsleistung waren und deren Einfluss durch bedeutendere Einflussfaktoren, wie der weltweiten Konjunktur, überlagert worden sind. So lässt sich für Deutschland umso eher ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Zuwachsrate des BIP und Änderungen des Krankenstands feststellen, je mehr für andere Einflussfaktoren kontrolliert wird, z. B. mittels der Zuwachsrate des weltweiten BIP oder den ifo-Geschäftserwartungen (angenommen der Krankenstand beeinflusst nicht die Angaben der Unternehmen bezüglich ihrer Geschäftsaussichten). Solche Schätzungen sprechen dafür, dass ein erhöhter Krankenstand das BIP spürbar, aber unterproportional mit einer Elastizität von 0,4 bis 0,6 dämpft (Jannsen, 2020).1 Entsprechend hätte der Anstieg des Krankenstands 2022 das BIP zwischen 0,7 % und 1,1 % gedämpft. 2023 ist das Niveau des BIP wohl in ähnlichem Umfang durch den hohen Krankenstand gedrückt worden. Die Zuwachsrate war hiervon hingegen wohl kaum berührt, weil der Krankenstand sich kaum verändert hatte.

Die Auswirkungen des erhöhten Krankenstands auf die Wirtschaftsleistung dürften durch zahlreiche Faktoren beeinflusst werden. Dazu zählen die branchenspezifische Verteilung des Krankenstands, die Dauer des erhöhten Krankenstands oder der gesamtwirtschaftliche Auslastungsgrad. Wäre der Anstieg des Krankenstands besonders hoch in Wirtschaftszweigen mit überdurchschnittlich hoher Arbeitsproduktivität, würde die Wirtschaftsleistung stärker in Mitleidenschaft gezogen, als wenn der Krankenstand vor allem in weniger produktiven Bereichen angestiegen wäre. In den Daten ist allerdings zwischen dem Anstieg des Krankenstands 2022 und der Arbeitsproduktivität über Branchen hinweg kein besonders ausgeprägter Zusammenhang zu erkennen (vgl. Abbildung 3). Mit zunehmender Dauer dürfte es Unternehmen umso schwerer fallen, krankheitsbedingte Arbeitsausfälle durch Nachholeffekte, Überstunden oder Arbeitsverdichtung zu kompensieren. Dies gilt umso mehr, da viele Unternehmen bereits seit geraumer Zeit über Fachkräftemangel klagen und somit längerfristige Arbeitsausfälle zuletzt selbst über Neueinstellungen nur schwer kompensieren konnten. Dies spricht dafür, dass die Auswirkungen des hohen Krankenstands im Verlauf der Jahre 2022 und 2023 zugenommen haben. Allerdings ist die gesamtwirtschaftliche Auslastung Unternehmensbefragungen zufolge seit dem Herbst 2022 deutlich rückläufig, sodass arbeitsbedingte Arbeitsausfälle seitdem weniger stark auf die Produktion durchgeschlagen haben dürften.

Abbildung 3
Krankenstand und Arbeitsproduktivität nach Wirtschaftszweigen
Krankenstand und Arbeitsproduktivität nach Wirtschaftszweigen

Anstieg des Krankenstands: 2021 auf 2022 in Stunden je Arbeitnehmer; Arbeitsproduktivität: Arbeitnehmerentgelt je Stunde in Euro (2022); Blasengröße: Arbeitnehmerentgelt in Mrd. Euro (2022); Wirtschaftszweige: A21-Gliederung nach Klassifikation WZ 2008.

Quelle: Statistisches Bundesamt, IAB.

Alles in allem dürfte der hohe Krankenstand die Wirtschaftsleitung in den beiden vergangenen Jahren spürbar belastet haben. Entsprechend könnte eine Normalisierung des Krankenstands stimulierend auf die wirtschaftliche Aktivität wirken. Die jüngsten Zahlen liefern jedoch noch kein einheitliches Bild, und auch im Verlauf des vergangenen Jahres kam es zu erheblichen Schwankungen, ohne dass der Krankenstand im Jahresdurchschnitt gesunken ist. Der vor der Pandemie zu beobachtende langjährige Aufwärtstrend beim Krankenstand spricht zudem dafür, dass der Krankenstand bei einer Normalisierung nicht wieder ganz auf sein ursprüngliches Niveau zurückgehen dürfte.

  • 1 Auch andere Schätzungen legen einen merklichen Einfluss von Schwankungen des Krankenstands auf die Wirtschaftsleistung nahe (Grinza und Rycx, 2020; vfa, 2024).

Literatur

BKK (2023), Monatsstatistik der Betriebskrankenkassen, Jahresübersicht 2023, BKK Dachverband e. V.

Grinza, E. und F. Rycx (2020), The Impact of Sickness Absenteeism on Firm Productivity: New Evidence from Belgian Matched Employer–Employee Panel Data, Industrial Relations, 59(1), 150-194.

Jannsen, N. (2020), Arbeitsausfall und Wirtschaftsleistung, Kiel Insight

vfa (2024), Hoher Krankenstand drückt Deutschland in die Rezession, MacroScope Pharma, Economic Policy Brief.

TK (2023), Gesundheitsreport 2023 – Arbeitsunfähigkeiten.

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DOI: 10.2478/wd-2024-0057