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Deutschland erlebt derzeit einen erheblichen Rückgang seines Produktionspotenzials. Wesentliche Ursache ist die demografische Alterung und insbesondere der Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge (Baby-Boomer) in den Ruhestand. Das verfügbare Arbeitsvolumen wird darüber hinaus durch niedrige Erwerbsquoten bei älteren Erwerbspersonen sowie ein Absinken der durchschnittlichen Arbeitsstunden verstärkt. Um die Wachstumsschwäche zu überwinden, muss die Fähigkeit der Volkswirtschaft gestärkt werden, das Produktionspotenzial durch technologischen Fortschritt und die effiziente Nutzung von Ressourcen zu steigern. Der vorliegende Beitrag analysiert die Entwicklung des Wachstumspotenzials, quantifiziert die möglichen Beiträge zur Überwindung der Wachstumsschwäche und skizziert abschließend wirtschaftspolitische Handlungsoptionen.

Der Wachstumspfad einer Volkswirtschaft hängt von ihrer Fähigkeit ab, die Produktion durch Akkumulation und effiziente Nutzung von Produktionsfaktoren, wie Arbeit, Humankapital sowie materieller und immaterieller Vermögenswerte, zu steigern (Solow, 1956; Romer, 1986; Mankiw et al., 1992). Wesentlich für das Wachstum des Produktionspotenzials ist neben Einsatz und Wachstum der Produktionsfaktoren die Wachstumsrate der Totalen Faktorproduktivität (TFP), die vorwiegend durch technologischen Fortschritt und effiziente Ressourcenallokation bestimmt wird (Ramsey, 1928; Solow, 1956; Romer, 1986; Barro und Sala-i-Martin, 1997; Bloom et al., 2020).

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung weist in seinem Jahresgutachten 2023/2024 darauf hin, dass Deutschland derzeit einen erheblichen Rückgang der Wachstumsrate des Produktionspotenzials erlebt (SVR, 2023; siehe auch Ochsner et al., 2024). So sank das Wachstum des Produktionspotenzials von rund 3,3 % im Jahr 1970 über 1,4 % in den 2010er Jahren auf im Durchschnitt etwa 0,4 % in den 2020er Jahren. Auf diesem Niveau dürfte es absehbar bis in die Mitte der 2030er Jahre verharren und auch anschließend nicht signifikant steigen, sollten sich die gesamtwirtschaftlichen Dynamiken nicht strukturell ändern. Das Wachstum der TFP ist in nahezu allen fortgeschrittenen Volkswirt­schaften seit Jahrzehnten rückläufig (Barro und Sala-i-Martin, 1991; SVR, 2019) und auch die Wachstumsbeiträge der Kapitalakkumulation und der verfügbaren Arbeitskraft sinken in Deutschland seit Jahren. Im kommenden Jahrzehnt wird die demografische Alterung der deutschen Gesellschaft dieses Bild durch erhebliche negative Wachstumsbeiträge weiter eintrüben.

In Zeiten von demografischem Wandel, Energiewende und geopolitischer Instabilität stellt die Aufrechterhaltung und Förderung des Wirtschaftswachstums eine besondere Herausforderung dar. Wir beleuchten in diesem Beitrag zwei zentrale Handlungsfelder, die in Deutschland besonders in den Blick genommen werden sollten: die Abmilderung der Auswirkungen der demografischen Alterung und die Steigerung von Investitionen und Innovationen. Die Abmilderung der demografischen Effekte kann durch eine Erhöhung der Lebensarbeitszeiten, die höhere Erwerbstätigkeit von Frauen, die wirksame Integration von Migrant:innen in den Arbeitsmarkt und die Substitution von Arbeit durch Kapitalgüter gelingen. Die Steigerung von Investitionen ist besonders wachstumsfördernd, wenn auf Bereiche mit einem hohen Potenzial für technologischen Fortschritt fokussiert wird.

Wachstumspotenzial in Deutschland – Rückblick und Ausblick

In den 1990er Jahren galt Deutschland als der „kranke Mann Europas“, geprägt durch eine hohe strukturelle Erwerbslosenquote von fast 10 % und einen Rückgang der Arbeitsstunden. Dieses Bild wandelte sich jedoch im Laufe der 2000er und 2010er Jahre, als wichtige Reformen umgesetzt wurden, die zu einer sinkenden strukturellen Erwerbslosenquote und einer steigenden Erwerbspartizipation führten (Hochmuth et al., 2021). Seit 2016 lässt sich allerdings ein starker Rückgang der durchschnittlichen Arbeitszeit beobachten – eine Entwicklung, die sich bereits seit der Jahrtausendwende abzeichnete, jedoch weniger stark ausgeprägt (Ochsner et al., 2024).

Die folgenden Szenarien basieren auf dem Modell des Sachverständigenrats für seine Mittelfristprojektion, das die Potenziale von Arbeitseinsatz, Humankapital, physischem sowie immateriellem Kapital und TFP schätzt und diese mit einer Cobb-Douglas-Funktion zum gesamtwirtschaftlichen Produktionspotenzial aggregiert (Havik et al., 2014; Shackleton, 2018; Chalaux und Guillemette, 2019; SVR, 2023). Das Modell ermöglicht die Schätzung des deutschen Produktionspotenzials seit 1970 und darüber hinaus Projektionen bis 2070, dem Endzeitpunkt der aktuellen Bevölkerungsvorausberechnung des Statistischen Bundesamts.1 In einem Referenzszenario wird angenommen, dass sich die Trendwachstumsraten ihren langfristigen Mittelwerten annähern werden. Die darauf basierenden Projektionen des Sachverständigenrats deuten auf eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Produktionspotenzials von 0,4 % in den 2020er Jahren und 0,5 % in den 2030er Jahren hin (vgl. Abbildung 1). Dies entspricht lediglich einem Drittel des durchschnittlichen jährlichen Wachstums im Vergleich zum vorherigen Jahrzehnt. Diese Projektionen sollten nicht als traditionelle prognostische Vorhersagen betrachtet werden, sondern vielmehr als Szenarienanalyse, die es erlaubt, potenzielle Entwicklungen des Produktionspotenzials bei Beibehaltung aktueller Trends zu betrachten. Dabei ist zu betonen, dass realisierte Dynamiken sich z. B. durch gezielte politische Maßnahmen anders entwickeln könnten.

Abbildung 1
Zerlegung der Wachstumsrate des Produktionspotenzials in Deutschland, 1970 bis 2070
Zerlegung der Wachstumsrate des Produktionspotenzials in Deutschland, 1970 bis 2070

1 Werte für 2023 und 2024 basieren auf der Kurzfristprognose des SVR Wirtschaft. Ab 2025 Projektion.  2 Das Produktionspotenzialwachstum berechnet sich als Summe der Wachstumsbeiträge der vier Faktoren der Produktionsfunktion: Kapitaleinsatz, Arbeitsvolumen, Totale Faktorproduktivität sowie Humankapital. Deren Beiträge können auch negativ sein.

Quelle: Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung, OECD, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

Insbesondere die demografische Entwicklung, die maßgeblich durch den Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge (Baby-Boomer) in den Ruhestand geprägt wird, wird ab dem Ende der 2020er Jahre dazu führen, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter – also zwischen 15 und 74 Jahren – abnimmt (SVR, 2023; Ochsner et al., 2024). Darüber hinaus dürfte der anhaltende Trend zur Verringerung der wöchentlichen Arbeitsstunden weiter anhalten. Kapitalinvestitionen tragen im Referenzszenario jährlich 0,4 Prozentpunkte zum Potenzialwachstum bei. Die Wachstumsbeiträge der TFP und des Humankapitals liegen bei 0,3 bzw. 0,2 Prozentpunkten.

Demografischer Wandel reduziert Potenzialwachstum

Im Referenzszenario wird das vor allem aufgrund des Rückgangs der Erwerbsbevölkerung rückläufige Arbeitsvolumen das Potenzialwachstum bis etwa 2050 signifikant reduzieren (vgl. Abbildungen 1 und 2; SVR, 2023; Ochsner et al., 2024). Hervorzuheben ist, dass der demografische Wandel nicht nur durch die sinkende Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter, sondern ebenfalls durch höhere Teilzeitquoten und niedrigere Erwerbs­quoten älterer Arbeitnehmer negativ auf den Wachstumsbeitrag des Arbeitsvolumens wirkt (Ochsner et al., 2024). Daher tragen vor allem kurzfristig neben der sinkenden Erwerbspersonenzahl aufgrund der Verrentung der Baby-Boomer auch die durchschnittliche Arbeitszeit und die Erwerbsquote zur Reduktion des Arbeitsvolumenwachstums bei (vgl. Abbildung 2).

Abbildung 2
Zerlegung der Wachstumsrate des Arbeitsvolumens in Deutschland, 1970 bis 2070
Zerlegung der Wachstumsrate des Arbeitsvolumens in Deutschland, 1970 bis 2070

1 Werte für 2023 und 2024 basieren auf der Kurzfristprognose des Sachverständigenrats. Ab dem Jahr 2025 Projektion, Er­geb­nisse des Referenzszenarios.  2 Ab dem Jahr 2022 explizit modelliert; 1970 bis 2021 in Be­völ­kerung inbegriffen.

Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

Das sinkende Arbeitsvolumen stellt die Wirtschaftsbereiche in unterschiedlichem Ausmaß vor Herausforderungen. Der steigende Anteil von Beschäftigten über 55 Jahre ist ein Trend, der in fast allen Wirtschaftsbereichen zu beobachten ist. Der Anteil der Beschäftigten in Engpassberufen ist je nach Sektor heterogen (vgl. Abbildung 3). Die Ausbildungsquote ist zudem rückläufig, was die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften zusätzlich beeinträchtigen könnte (Schönfeld et al., 2020; BIBB, 2023). Diese Entwicklungen, die zukünftig zu vermehrten Fachkräfteengpässen führen werden, dürften unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Wirtschaftszweige haben. Wirtschaftszweige, in denen ein hoher Anteil in Engpassberufen beschäftigt ist und ein vergleichsweise hoher Anteil der Beschäftigten – über 23 % – 55 Jahre oder älter ist (im ersten Quadranten in Abbildung 3) dürften am stärksten betroffen sein. Dazu zählen Bereiche, wie das Gesundheitswesen, Bildung sowie Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung. In Sektoren, wie dem Handel und der Informations- und Kommunikations­branche, ist die Situation hingegen noch vergleichsweise entspannt.

Abbildung 3
Anteil der Beschäftigten über 55 Jahre und in Engpassberufen sowie Bruttowertschöpfung
Anteil der Beschäftigten über 55 Jahre und in Engpassberufen sowie Bruttowertschöpfung

Größe der Kreise gibt die Bruttowertschöpfung an.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit, eigene Berechnungen.

Angesichts der absehbaren Verknappung von Arbeitskräften werden Unternehmen versuchen, die zukünftig fehlenden Arbeitskräfte durch verstärkten Einsatz von Kapital zu substituieren. Dies ist jedoch nicht in jedem Sektor in gleichem Maße möglich (vgl. Abbildung 4). Die Substitution von Arbeit und Kapital erfordert eine strategische Umstellung auf relativ kapitalintensive Produktionsmethoden durch eine Erweiterung des produktiven Kapitalstocks. So dürfte die Automatisierung mittels Industrierobotern in bestimmten Branchen und Tätigkeitsfeldern dazu beitragen, den Mangel an Fachkräften auszugleichen (SVR, 2023, Ziffern 77 und 135). Neben physischem Kapital spielt immaterielles Kapital eine immer größere Rolle bei der Steigerung der Arbeitsproduktivität (SVR, 2023, Ziffer 105). Investitionen in Software, Datenbanken, Patente und das Wissen der Mitarbeiter:innen können die Effizienz und Innovationskraft von Unternehmen steigern. Immaterielles Kapital ermöglicht die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, die Optimierung von Geschäftsprozessen und den Zugang zu neuen Märkten.

Abbildung 4
Substitutionselastizitäten zwischen Arbeit und physischem und immateriellem Kapital1
Substitutionselastizitäten zwischen Arbeit und physischem und immateriellem Kapital1

1 Daten der Jahre 1995 bis 2020, gepoolt für die Länder Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Japan, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, USA, Vereinigtes Königreich, Zypern. Daten in aktuellen Preisen, Kapital entspricht dem Kapitaleinsatz, Arbeit entspricht dem Arbeitseinsatz (jeweils indiziert 2015 = 100). Wirtschaftszweige gemäß der Statistischen Systematik der Wirtschaftszweige in der Europäischen Gemeinschaft (NACE Rev. 2). Substitutionselastizitäten von Arbeit durch Kapital geschätzt je Wirtschaftszweig anhand einer geschachtelten CES-Produktionsfunktion; zu den Details vgl. Ziffer 178 SVR Wirtschaft (2023). Bei Substitutionselastizitäten größer 1 spricht man von (unvollkommenen) Substituten, ist die Substitutionselastizität kleiner 1, spricht man von (unvollkommenen) Komplementen.

Quelle: Bontadini et al. (2023), EUKLEMS, Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.

In einigen Sektoren, insbesondere solchen mit kreativen und interaktiven Aufgaben, ist die Substitution durch Technologie schwieriger als in stark standardisierten und repetitiven Produktionsprozessen (vgl. Abbildung 4). Ein Großteil der Bruttowertschöpfung entfällt zudem auf Wirtschaftszweige, in denen die Substitution von Arbeit durch Kapital besonders schwer ist. Während in der Landwirtschaft und Fertigung menschliche Arbeit leicht durch physisches Kapital ersetzt werden kann, ist dies im Bauwesen und im Sozial- und Gesundheitswesen schwieriger. In einigen Bereichen, wie der pharmazeutischen Industrie, hat immaterielles Kapital allerdings das Potenzial, Arbeit in großem Umfang zu substituieren. Zudem könnte eine flächendeckende Verbreitung von Künstlicher Intelligenz (KI) zu deutlichen Verbesserungen der Substitutionselastzitäten zwischen Arbeit und Kapital beitragen, was die gesamtwirtschaftliche Kapitalintensität stark erhöhen würde.

Neben der Substitution von Arbeit durch Kapital spielt auch die Nettozuwanderung eine wichtige Rolle für das Produktionspotenzial Deutschlands (SVR, 2023; Ochsner et al., 2024). Eine Erhöhung der Nettozuwanderung von 250.000 Personen pro Jahr auf etwa 400.000 Personen könnte das Produktionspotenzial im Jahr 2030 um etwa 1 % steigern (2040 um etwa 2 %). Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass die Integration der Zugewanderten in den deutschen Arbeitsmarkt einen signifikanten Einfluss auf den wachstumssteigernden Effekt hat. Eine sofortige und vollständige Integration der im langfristigen Durchschnitt jährlich 400.000 Nettozuwanderer:innen, d. h. eine 100-prozentige Erwerbsquote unter Annahme, dass sich alle Zuwanderer:innen im erwerbsfähigen Alter befinden und nicht erwerbslos sind, könnte das Produktionspotenzial um 4,5 % im Jahr 2030 (2040 um etwa 8,5 %) über das Referenzszenario hinaus erhöhen. Wenngleich dies lediglich eine theoretische Möglichkeit darstellt, illustrieren diese Berechnungen dennoch das Potenzial der Zuwanderung von Arbeitskräften. Anders als eine Erhöhung der Geburtenziffer, die das Wachstum erst in frühestens zwei Jahrzehnten erhöhen würde, können zugewanderte Arbeitskräfte unmittelbar zur Abmilderung von arbeitsangebotsseitigen Engpässen beitragen. Hochqualifizierte Zuwanderung kann neben dem direkten Effekt auf die Arbeitsstunden auch den Innovationsprozess stimulieren (Kerr und Kerr, 2018), was das Wachstum der TFP steigern würde. Dadurch könnte die potenzielle Steigerung des Produktionspotenzials durch Arbeitsmigration höher ausfallen, da nicht nur die Arbeitskraft, sondern auch das Innovationspotenzial und die damit verbundene Produktivität wachsen würden.

Das verfügbare Arbeitsvolumen kann allerdings nicht nur durch Zuwanderung und Steigerung der Geburtenrate erhöht werden, sondern auch durch die Erhöhung der Erwerbsstunden verschiedener Bevölkerungsgruppen. Beispielsweise könnten verbesserte Arbeitsanreize im Steuer-Transfer-System das Arbeitsvolumen um etwa 98.000 Vollzeitäquivalente erhöhen (SVR, 2023, Ziffer 325). Darüber hinaus besteht aufgrund hoher Teilzeitquoten von Frauen (bei zugleich hoher Erwerbspartizipation) ein Potenzial, das Arbeitsvolumen durch Schaffung entsprechender Anreize und Möglichkeiten zu einer Steigerung der wöchentlichen Arbeitszeit zu erhöhen. Zuletzt könnte die Stärkung der Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer:innen zur Erhöhung des Arbeitsvolumens beitragen.

Investitionen steigern und Innovationen begünstigen

Die beschriebenen Maßnahmen zur Abmilderung der demografischen Effekte können das Produktionspotenzial zwar gegenüber dem Referenzszenario erhöhen und so die Wachstumsschwäche abmildern, jedoch sind produktivitätssteigernde Investitionen ebenso entscheidend. In diesem Zusammenhang gilt der sogenannte kapitalgebundene technische Fortschritt (Capital Embodied Technological Change, CETC) als ein wesentlicher Treiber für die Steigerung der TFP (Jorgenson, 1966; Comin und Hobijn, 2010; Caunedo et al., 2023). Der kapitalgebundene technische Fortschritt wird realisiert, indem neue Kapitalgüter, wie Anlagen und Maschinen, in die Produktionsprozesse integriert werden und ältere Anlagen und Maschinen ersetzen. Technologische Umstellungen, die beispielsweise bei älteren Anlagen notwendig werden und zu einer Modernisierung der Produktionsmittel führen, tragen somit zur Steigerung der TFP bei. Allerdings ist die Rate des CETC im verarbeitenden Gewerbe heterogen (vgl. Abbildung 5). Besonders in hochtechnologischen Branchen, wie der Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen, kann der CETC mit einer Rate von 14,2 % besonders hohe Werte annehmen. Zu beachten ist, dass diese Umstellungen oft von langen Lernprozessen begleitet werden, bevor sie effektiv werden (Brynjolfsson et al., 2021).

Abbildung 5
Rate des kapitalgebundenen technischen Fortschritts im verarbeitenden Gewerbe1
Rate des kapitalgebundenen technischen Fortschritts im verarbeitenden Gewerbe1

1 Branchen gemäß der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008).

Quelle: FDSZ der Deutschen Bundesbank, Mikrodatensatz JANIS 1997-2022-1, Becker et al. (2023), eigene Berechnungen.

Im Kontext von KI und Robotik reicht es zudem nicht aus, nur die Technologien selbst zu beschaffen. Es sind zusätzliche Investitionen erforderlich, um diese Technologien effektiv nutzen zu können. Dazu gehören einerseits Investitionen in Datenbanksysteme, neue Anlagen mit notwendiger Konnektivität sowie das Humankapital der Mitarbeitenden. Andererseits muss Forschung und Entwicklung mit Blick auf immaterielles Kapital betrieben werden, um die Informationstechnologie auf die spezifischen Produktionsprozesse der Unternehmen anzupassen. Diese komplementären Investitionen sind entscheidend, um die Potenziale von KI und Robotik vollständig ausschöpfen zu können.

Gerade durch den Einsatz von KI könnten allerdings substanzielle Produktivitätsschübe entstehen. Die Reaktion der TFP auf technologische Innovationen in der Vergangenheit war allerdings sehr heterogen. Während z. B. in den USA das TFP-Wachstum durch den Einsatz von Computern von 0,53 % im Zeitraum von 1978 bis 1995 auf 1,82 % zwischen 1995 und 2004 anstieg (Byrne et al., 2016), konnte dort bei Industrierobotern kein messbarer Anstieg festgestellt werden. Die Entwicklung des TFP-Wachstums folgte in der Vergangenheit häufig einer sogenannte J-Kurve (Brynjolfsson et al., 2021): Bevor ein Wachstumsschub zu verzeichnen war, musste zunächst schwer messbares immaterielles Kapital akkumuliert werden. Dies bedeutet, dass zunächst etwa die Erwerbspersonen lernen müssen, wie sie mit den neuen Technologien umgehen und diese in bestehende Systeme integrieren. Dieser Mehraufwand kann anfänglich zu Produktivitätsverlusten führen und zahlt sich oft erst nach einigen Jahren aus (Brynjolfsson et al., 2021).

In Deutschland scheint bisher eine Zurückhaltung bei der Adaption von KI-Technologien vorzuliegen. Nur knapp 30 % der großen Unternehmen implementieren bislang KI, bei kleinen und mittleren Unternehmen sind es sogar weniger als 15 % (Lane et al., 2023). Zu den Hauptgründen für diese Zurückhaltung zählen die hohen Kosten von KI-Investitionen, ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften im Bereich KI und regulatorische Hindernisse (Lane et al., 2023). Diese Faktoren bremsen die Integration von KI in deutschen Unternehmen und könnten somit auch das erwartete Wachstum der TFP durch KI-Einsatz dämpfen.

Extrem optimistische Abschätzungen ergeben einen Anstieg der TFP-Wachstumsrate von 1,5 Prozentpunkten durch den Einsatz von KI (Hatzius et al., 2023). Vorsichtigere Berechnungen stellen dem einen Anstieg von nur 0,05 Prozentpunkten gegenüber (SVR, 2023). Der Sachverständigenrat hat auf Basis dieser Abschätzungen verschiedene Szenarien zur Entwicklung des Produktionspotenzials vorgelegt. Sollte die Einführung von KI in Deutschland ab 2027 zu einer Steigerung der TFP um 0,05 (bzw. 1,5) Prozentpunkte bis 2030 führen und diese Rate bis 2040 beibehalten werden, würde dies zu einer Erhöhung des Produktionspotenzials um etwa 0,1 % (bzw. 2,1 %) im Vergleich zum Referenzszenario im Jahr 2030 (2040: 0,6 % bzw. 18 %) führen (SVR, 2023).

Wirtschaftspolitische Handlungsoptionen

Wir haben aufgezeigt, dass sich zwei wesentliche Handlungsfelder identifizieren lassen, um die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum zu legen: die Abmilderung der demografischen Effekte und die Steigerung von Investitionen und Innovationen. Unternehmen passen sich fortwährend an die neuen Herausforderungen an. Der Staat ist gefragt, die Leitplanken und die Rahmenbedingungen neu zu justieren. Partielle Lösungen werden dabei nicht ausreichen, um die tiefgreifenden Herausforderungen zu bewältigen. Es ist vielmehr ein koordiniertes Zusammenspiel zahlreicher Maßnahmen und Reformen notwendig.

Die Abmilderung der negativen Effekte der Demografie erfordert eine Vielzahl von Maßnahmen. Die Erhöhung des Arbeitsvolumens kann durch eine Stärkung der Arbeitsanreize und -möglichkeiten gelingen (SVR, 2023, Ziffern 318 ff.). Die Arbeitsstunden insbesondere von Frauen könnten durch eine Reform des Ehegattensplittings und durch bessere Kinderbetreuungsangebote erhöht werden (SVR, 2021, Kasten 22). Geringere Transferentzugsraten sowie die Erhöhung der Arbeitsanreize und -möglichkeiten bei Langzeitarbeitslosen könnten mehr Menschen aus dem Transfersystem in den Arbeitsmarkt zurückbringen. Um die Arbeitsmarktpartizipation älterer Arbeitnehmer:innen zu erhöhen, könnte die Verbesserung der Zuverdienstmöglichkeiten im Rentenalter und die Anpassung der Rentensysteme an die veränderte Altersstruktur beitragen (SVR, 2023, Ziffern 391). Darüber hinaus müssen Bildungs- und Weiterbildungsprogramme verstärkt und angepasst werden, um Kompetenzen an neue Anforderungsprofile anzupassen (SVR, 2022, Ziffern 391 ff.) und Menschen zu unterstützen, die im Zuge verstärkter Automatisierung den Arbeitsplatz möglicherweise verstärkt branchenübergreifend wechseln müssen (SVR, 2023, Ziffern 136 ff.).

Eine verstärkte Zuwanderung von hochqualifizierten und gut integrierbaren Arbeitskräften ist ebenfalls entscheidend für die Bewältigung der Herausforderungen (SVR, 2022, Ziffern 450 ff.). Diese Maßnahmen müssen aber in ein breiteres strategisches Konzept eingebettet sein, das auch soziale, bildungspolitische und infrastrukturelle Aspekte berücksichtigt, denn Zuwanderung erhöht das Produktionspotenzial pro Kopf nur bei wirksamer Integration in den Arbeitsmarkt. Die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt sollte erleichtert und möglichst zentral organisiert werden. Darüber hinaus ist eine Willkommenskultur von zentraler Bedeutung (SVR, 2023, Ziffern 166).

Neben den Maßnahmen zur Abmilderung des sich abzeichnenden Arbeitskräftemangels müssen Investitionen und Innovationen gesteigert werden, um die Produktivität zu erhöhen und neue Wachstumsfelder zu erschließen. Eine entscheidende Grundlage für die nächste Generation von Technologien und Produkten sind Investitionen in Forschung und Entwicklung (SVR, 2023, Ziffern 123 ff. und 167 ff.). Die Förderung von Start-ups und die Schaffung eines günstigen Umfelds für Unternehmertum sind ebenso wichtig, um Innovationen zu stimulieren und die wirtschaftliche Dynamik zu stärken (SVR, 2023, Ziffern 160 und 186 ff.).

Verschiedene Elemente einer Reformagenda können dabei komplementär zueinander sein. Wenn die Automatisierung von Arbeitsschritten etwa insbesondere den Anteil von körperlich schwerer Arbeit senkt, könnten Arbeitnehmer:innen mithilfe geeigneter Fortbildungsprogramme länger in ihrem beruflichen Umfeld verbleiben. Gleichzeitig kann durch eine verstärkte Automatisierung in Bereichen, wo dies relativ einfach möglich ist, das Arbeitsangebot in Bereiche gelenkt werden, wo eine Substitution des abnehmenden Arbeitsangebots ungleich schwerer möglich ist.

  • 1 Der Kapitaleinsatz wird durch einen Index repräsentiert, der sich aus der Gesamtsumme der Bruttoanlagekapitalbestände ergibt, gewichtet nach ihren jeweiligen Kapitalkostenanteilen, um der unterschiedlichen Produktivität der einzelnen Kapitalgüter (Wohnbauten, Nichtwohnbauten, Ausrüstungen und Sonstiges Kapital) Rechnung zu tragen (Knetsch, 2013). Das Arbeitsvolumen wird durch die gesamten Arbeitsstunden der Erwerbstätigen abgebildet. Das Humankapital wird durch die durchschnittliche Zahl der Ausbildungsjahre ausgedrückt (de la Fuente und Doménech, 2006), wobei jedes zusätzliche Ausbildungsjahr unter Berücksichtigung seines marginalen Ertrags gewichtet wird. Die TFP resultiert aus dem Solow-Residuum, das aus der Cobb-Douglas-Produktionsfunktion abgeleitet wird. Für Details siehe Ochsner et al. (2024) sowie SVR (2023, Kasten 10).

Literatur

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SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2023), Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren, Jahresgutachten 2023/24.

Title:Ways Out of Weak Growth

Abstract:Germany is experiencing a significant decline in potential output. The main reason is demographic aging and, in particular, the retirement of the baby boomers. The available labour volume is also being exacerbated by low employment rates among older workers and a decline in average working hours. In order to overcome weak growth, it is key to strengthen the economy’s potential output through technological progress and the efficient allocation of resources. This article analyses the development of potential output growth, quantifies possible contributions to overcoming weak growth and concludes by outlining economic policy options. We discuss two areas that are important for strengthening potential growth: mitigating the consequences of demographic aging and increasing investment and innovation. Mitigating the aging effects requires measures to increase labour market participation and the substitution of labour with capital goods where possible. The latter helps to ensure that more workers become available in areas where substitution through automation is more difficult. Increasing investment and innovation is crucial in order to increase productivity, modernise and expand the capital stock and open up new growth areas.

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© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0051