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Dieser Beitrag ist Teil von Die Innovationsfähigkeit Deutschlands

In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Technologien entstanden, die als „Schlüsseltechnologien“ die zukünftige Entwicklung und Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig mitbestimmen (Mokyr, 2014). Durch einen Kompetenzaufbau in solchen Technologien lassen sich in der Regel erhebliche wirtschaftliche Erträge realisieren, da ihr Einsatz die FuE- und auch die wirtschaftliche Produktivität in zahlreichen Anwendungsfeldern parallel erhöht (Bresnahan und Trajtenberg, 1995). Auch bei der Entwicklung der Technologien selbst bestehen First-Mover-Advantages. Volkswirtschaften, die in der Lage sind, konzertiert Ressourcen für die Entwicklung von Querschnittstechnologien zu mobilisieren, können unter anderem durch Skalenerträge häufig nur schwer wieder aufzuholende Vorsprünge realisieren (Bresnahan und Trajtenberg, 1995). Darüber hinaus bestehen erhebliche Spezialisierungsvorteile, in dem Sinne, dass Volkswirtschaften, die sich in bestimmten Technologien spezialisieren, gegenüber unspezialisierten Volkswirtschaften Wettbewerbsvorteile erzielen können (Romer, 1987). Ein entscheidender Mechanismus sind dabei kritische Massen in Bezug auf den Umfang der durchgeführten Forschungsakitvitäten, da gesamtwirtschaftliche Effekte von Querschnittstechnologien nur bei hinreichenden Investitionen in zur Technologie komplementären Komponenten erzielt werden (Helpman und Trajtenberg, 1994). Die Notwendigkeit zur Spezialisierung ist dabei naturgemäß umso ausgeprägter, je kleiner das Land ist, weil kleinere Länder nicht die finanziellen Ressourcen haben, um eine kritische Masse in vielen Technologien gleichzeitig zu garantieren (BDI, 2023).

Anhand zweier konkreter Beispiele argumentieren wir, dass ein wiederkehrendes Muster deutscher Forschungs-, Technologie- und Innovationspolitiken (FTI-Politiken) eine zu geringe Spezialisierung mit einhergehender unterkritischer Ressourcenausstattung auf Ebene der einzelnen Aktivitäten ist. Zunächst schauen wir auf die Förderung der Spitzenforschung, die für die Entwicklung und den langfristigen Erhalt führender Kompetenzen im Bereich der Querschnittstechnologien eine besondere Rolle spielen. Wir zeigen anhand der Exzellenzinitiative/Exzellenzstrategie, dass die Unterkritikalität hier maßgeblich das Resultat der Förderung einer großen Zahl unverbundener, im internationalen Maßstab eher klein dimensionierter Einzelvorhaben ist. In Bezug auf die Zukunftsstrategie der Bundesregierung argumentieren wir, dass diese derzeit ebenfalls keine ausreichende Grundlage für eine Bündelung von Ressourcen liefert. Sie identifiziert zwar eine Reihe wichtiger Schwerpunktbereiche mit hoher Legitimität.1 Allerdings sind diese thematisch sehr breit und zum Teil nicht mit konkreten Zielen oder Maßnahmen unterlegt. Wir argumentieren, dass insbesondere Deutschland seine Position langfristig nur sichern kann, wenn es seine Ressourcen in spezifischen Technologien und Anwendungsbereichen strategisch bündelt, um das Erreichen kritischer Investitionsvolumina zu gewährleisten. Für eine solche Priorisierung müsste die Zukunftsstrategie aber eine echte strategische Priorisierung der Ziele gewährleisten.

Fragmentierte Förderung der internationalen Spitzenforschung

Über die letzten Dekaden ist die industrielle Forschung in zunehmendem Maße wissens- und wissenschaftsintensiver geworden (Patsali, 2024). Es gilt daher als gesetzt, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt in starkem Maße von der Qualität des deutschen Wissenschaftsstandortes abhängt (Meyer-Guckel, 2014). Eine besondere Rolle kommt dabei der internationalen Spitzenforschung zu. Allerdings belegt Deutschland hier nur Plätze im oberen Mittelfeld und liegt hinter führenden Wissenschaftsnationen zurück. So erreicht Deutschland beispielsweise bei der Publikationsintensität (Publikationen pro 1.000 Einwohner) und der Exzellenzrate (Anteil an den 10 % meistzitierten Publikationen) weltweit betrachtet leicht überdurchschnittliche, aber keine Spitzenwerte (2,1 Publikationen pro 1.000 Einwohner und eine Exzellenzrate von 15 %). Großbritannien hingegen kommt auf Werte von 3,1 Publikationen pro 1.000 Einwohner und 19 %. Die Schweiz erreicht 5,7 bzw. 20 % und liegt in etwa gleichauf mit Dänemark (5,2 bzw. 21 %).

Interessant ist der Vergleich mit den USA, die gemeinhin als führende Wissenschaftsnation gelten. Auch die USA scheinen in vielen der Indikatoren eher durchschnittliche Ergebnisse zu erzielen. Demgegenüber stehen international hochsichtbare Erfolge in der absoluten Spitzenforschung, die die USA z. B. in Bezug auf erhaltene Nobelpreise deutlich von den meisten anderen Nationen absetzen. Eine Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch aus einer Führungsposition in der Spitzenforschung und insgesamt systemisch eher durchschnittlichen Ergebnissen liegt in einer hierarchischen Zweiteilung des Forschungssystems in Organisationen der Spitzenforschung wie MIT, CalTech oder Harvard und vielen zum Teil sehr regional bzw. kommunal aufgestellten, eher lehrintensiven Universitäten und Colleges.

Mit dieser Zweiteilung ist auch eine enorme Ressourcenkonzentration verbunden, die den führenden amerikanischen Universitäten Zugriff auf enorme finanzielle Mittel beschert. Ein Vergleich der Etats des KIT und des MIT verdeutlicht die Dimensionen. Im Jahr 2022 verzeichnete das MIT ein Jahresbudget von 4,26 Mrd. US-$ (entsprechend 3,9 Mrd. Euro), während das KIT trotz etwa doppelter Studierendenzahl nur über ein Budget von 1,12 Mrd. Euro verfügte. Neben strukturell-organisatorischen Unterschieden zwischen den deutschen und amerikanischen Universitäten, liegt es also nahe, dass auch die Ressourcenausstattung maßgeblich zu der unterschiedlichen Positionierung in der Spitzenforschung beiträgt.

Die deutschen Universitäten in Bezug auf die internationale Spitzenforschung wieder zu stärken und zu den international führenden Einrichtungen aufschließen zu lassen, das war das ursprüngliche Ziel der durch die damalige Bildungsministerin Edelgard Buhlman 2004 ins Leben gerufenen Exzellenzinitiative (Sondermann et al,. 2008). In den ersten beiden Runden von 2005 bis 2012 wurde die Exzellenzinitiative mit 1,8 Mrd. Euro ausgestattet. Dies sind zweifelsfrei keine unerheblichen Mittel, aber im Vergleich zu den oben genannten jährlichen Finanzierungsunterschieden zwischen dem KIT und dem MIT nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Hinzu kommt, dass diese Mittel auf insgesamt 85 unterschiedliche Projekte in drei Förderlinien (Graduiertenkollegs, Exzellenzcluster, Zukunftskonzept) und auf eine große Zahl unterschiedlicher Universitäten verteilt wurden.

Die mittlerweile nach einer Evaluation (Imboden-Kommission) in Exzellenzstrategie umbenannte Nachfolgeinitiative, in der zwar die Graduiertenkollegs gestrichen wurden, folgt weiterhin diesem breiten Förderungsansatz. Neben elf Exzellenzuniversitäten, werden ab 2019 57 Exzellenzcluster an 34 Universitäten mit insgesamt 385 Mio. Euro jährlich gefördert. Jeder einzelne Förderfall bewegt sich somit im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Selbst für die Exzellenzuniversitäten werden jährlich nur 15 Mio. Euro zur Verfügung gestellt, was nicht ansatzweise ausreichen kann, um die Lücke zu den amerikanischen Standorten zu schließen. Auch ist nicht davon auszugehen, dass über die Projekte hinweg größere Synergien erzeugt werden können, da die Exzellenzstrategie bewusst themenoffen gestaltet ist und die volle Breite wissenschaftlicher Disziplinen abbildet. Dies ist im Rahmen einer auf Exzellenz ausgerichteten Strategie zweifelsohne begründbar, erschwert allerdings die Bündelung von Ressourcen. Entsprechend zeigen empirische Untersuchungen, dass die Exzellenzinitiative sowohl für die forschungsbezogene Leistungsfähigkeit der Universitäten (Frietsch et al., 2017) als auch für die Innovativität der Wirtschaft (Krieger, 2024) nur geringe Effekte zeitigte. Um ihre Durchschlagskraft zu erhöhen, wäre es unter Beibehaltung der Themenoffenheit notwendig, die Förderung so zu gestalten, dass kritische Massen erzeugt werden. Dazu ist sowohl eine deutliche Aufstockung der Gesamtbudgets als auch eine erhebliche Reduzierung der Förderfälle notwendig. Denkbar wäre es in diesem Bereich z. B. auch, der Förderung von Verbünden, die zum Teil bereits existieren, ein höheres Gewicht zu geben.

Bedeutungsverlust und Unterkritikalität in den Schlüsseltechnologien

Unter Schlüsseltechnologien werden Technologien verstanden, die eine überdurchschnittliche Breitenwirksamkeit bzw. Relevanz für unterschiedlichste Anwendungsfelder entfalten (General Purpose Technologies) und hierdurch einen wichtigen Beitrag zur Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft leisten (Kroll et al., 2022a). Jenen Nationen und Akteuren, die in diesen Technologiebereichen über besondere Kompetenzen verfügen, erwächst daraus fast automatisch eine herausgehobene Stellung im globalen Innovations- und Wertschöpfungssystem. Vor dem Hintergrund wachsender technologischer Komplexität und auch der zunehmenden Bedeutung digitaler Plattformen lassen sich entsprechende Kompetenzen allerdings weniger denn je durch isolierte Beiträge im Sinne spezifischer Einzeltechnologien entwickeln. Unbestritten sollten – aus originär technologischen wie auch geopolitischen Erwägungen – bestimmte „kritische Technologien“ auf jeden Fall beherrscht werden. Um von herausgehobenen Kompetenzen im Bereich der Schlüsseltechnologien nachhaltig zu profitieren, müssen diese jedoch systemisch erbracht werden, sodass zumindest für einen bestimmten Anwendungsbereich (Domäne) konsistente, marktfähige Lösungen entwickelt und auch erbracht werden können.

Diverse Studien liefern dabei empirische Evidenz, dass Deutschland hier in Bezug auf relevante Schlüsseltechnologien absolut wie auch relativ nicht mehr hinreichend stark positioniert ist (Iszak et al., 2020; Kroll et al., 2022a). Eine für die Entwicklung entsprechender Kompetenzen technologisch erforderliche kritische Masse liege nicht vor bzw. eine hinreichend relevante Position Deutschlands in globalen Innovations- und Wertschöpfungsketten erscheine nicht automatisch gesichert. Gleichzeitig bestehen in vielen Fällen zunehmende systematische Abhängigkeiten von China, aber auch den USA (Mayer und Lu, 2023; Kroll, 2024). Erschwerend kommt hinzu, dass Deutschlands wissenschaftlich-technologische Kooperationsmuster (gemessen in Ko-Publikations- und Ko-Patentierungsaktivitäten) noch immer überwiegend die globalen Strukturen der 1980er und 1990er Jahre widerspiegeln (Kroll et al., 2022a). Während sowohl wissenschaftlich als auch mit Blick auf Konzernstrukturen eine enge und verlässliche Integration mit europäischen und nordamerikanischen Partnern besteht, konnten entsprechende Verbindungen zu vielen relevanten Nationen Asiens bislang nicht oder nur unzureichend aufgebaut werden. Es bleiben also wichtige Potenziale bei der Nutzung strategischer Kooperationsbeziehungen für die Sicherstellung des Zugangs zu relevanten Technologien ungenutzt.

Schlüsselt man die rückläufigen Trends nach Technologiebereichen auf, dann sieht man zum einen, dass sowohl traditionelle Stärken Deutschlands als auch solche Felder betroffen sind, in denen Deutschland schon früher eher im Mittelfeld positioniert war. Zum anderen fallen Niveauunterschiede auf. So hatte Deutschland bei Produktionstechnologien bis in die 2010er Jahre zwar Patentanteile von 15 % erzielt. In den sich mit größter Dynamik entwickelnden Bereichen der Digitalisierungstechnologien steht Deutschland dagegen, trotz einiger absoluter Exzellenzpole und einer – relativ betrachtet – durchaus dynamischen Entwicklung, in absoluten Zahlen mittlerweile fast völlig im Schatten der USA und Chinas, die ihre relative Position im globalen Innovations- und Wertschöpfungssystem kontinuierlich weiter ausbauen. In zentralen Technologiebereichen ist Deutschlands Anteil am Weltpatentaufkommen dagegen weiter rückläufig und nähert sich zum Teil seinem Anteil am Weltsozialprodukt an (z. B. um 5 % in den Bereichen KI und Big Data; Iszak et al., 2020; Kroll et al., 2022a).

Diese absoluten Rückstände in der Breite der digitalen Technologien aufzuholen, bzw. analog der Situation in den 1980er und 1990er Jahren in den Schlüsseltechnologien unserer Zeit eine relative technologische Bedeutung weit oberhalb des eigenen Anteils am Weltsozialprodukt zu erreichen, erscheint dabei in absehbarer Zukunft wenig realistisch, insbesondere wenn Länder wie China und die USA auf einer bereits wesentlich breiteren Basis weiterhin größere Ressourcen mobilisieren und von technologiebezogenen Skalenerträgen (Bresnahan und Trajtenberg, 1995) und Plattformeffekten profitieren können. Gleichzeitig ist es keine Option, sich aus den digitalen Technologien zurückzuziehen und alte Geschäftsmodelle wiederzubeleben in der Hoffnung auf traditionelle Stärken, z. B. in der Produktionstechnologie. Vor dem Hintergrund gegebener Stärken und – relativ betrachtet – durchaus dynamischer Entwicklungen erschiene dies in der Sache verfehlt und unterambitioniert.

Eine sinnvolle Strategie erfordert vielmehr die Definition von Spezialisierungsprofilen an Schnittstellen, in denen Stärken in etablierten Anwendungsfeldern mit neuen technologischen Potenzialen z. B. in der Digitalisierung kombiniert werden, um so an emergenten Dynamiken zu partizipieren und zukunftsfeste Alleinstellungsmerkmale zu erzeugen. Als technologische Mittelmacht verfügt Deutschland nach wie vor auch über absolut hinreichende Ressourcen, um in entsprechenden Schnittstellendomänen weltweit führende, systemische Kompetenzen in der bereichsspezifischen Anwendung und Entwicklung modernster Schlüsseltechnologien aufzubauen (Kroll et al. 2022a), wie z. B. Robotik/Industrie 4.0, generative Fertigung, digitale Mobilität, Internet of Things, Landwirtschaft 4.0.

Seit 2006 bemühen sich verschiedene Bundesregierungen zunächst mittels verschiedener Hightech-Strategien und nun der Zukunftsstrategie um eine entsprechende Rahmensetzung in der Technologie- und Innovationspolitik. Insbesondere seit 2018 wurde dabei der Versuch unternommen, die Politik stärker mit einer Missionsorientierung zu untermauern (BMBF, 2018). Gegenüber der Hightech-Strategie von 2014, die noch ein Sammelsurium von über 30 Themenfeldern identifizierte, ist dabei die Zahl der Missionen deutlich reduziert worden (sechs in der Zukunftsstrategie und zwölf in der High-Tech-Strategie 2025; BMBF, 2018). Roth et al. (2021) bescheinigen diesen Missionen in ihrer Evaluation der Hightech-Strategie 2025 (BMBF, 2018) eine hohe gesellschaftliche Legitimität. Allerdings erscheinen vor dem Hintergrund großer Vorsprünge anderer Nationen die Erfolgsaussichten mindestens bei einzelnen der definierten Handlungsfelder wie z. B. „Die Batteriezellproduktion in Deutschland aufbauen“ unsicher. Andere wie „Künstliche Intelligenz in Anwendung bringen“ waren sicherlich zentral, hätten aber stärker fokussiert werden müssen.

Wie Roth et al. (2021) festhalten, ist insbesondere problematisch, dass viele der Missionen weder mit Zielen noch konkreten Implementierungsplänen versehen sind. Insgesamt wird die Vermutung geäußert, dass in vielen Fällen bereits existierende oder geplante Maßnahmen lediglich post-hoc bestimmten Schwerpunkten zugeordnet wurden (Roth et al., 2021) und somit eine echte strategische Priorisierung nur sehr eingeschränkt stattgefunden hat. Grundsätzlich ist die weitere Reduktion der Missionen auf nun sechs in der Zukunftsstrategie zu begrüßen, nur scheinen sie dadurch vager geworden zu sein. So titelt nun z. B. im Bereich Digitalisierung eine allumfassende Mission „digitale und technologische Souveränität Deutschlands und Europas sichern und Potenziale der Digitalisierung nutzen“. De facto wirkt dies mehr wie ein Slogan als eine konkrete Strategie, auf Basis derer Prioritätensetzung betrieben werden könnte.

Wenn aber gerade bei den Querschnittstechnologien nur durch Spezialisierung und die Erzielung kritischer Massen nachhaltig Wettbewerbsvorteile erzielt werden können, dann ist eine Priorisierung unerlässlich. Anstatt in der Praxis erneut allumfassende Missionen zu definieren, wäre es notwendig, bestehende zu konkretisieren und in jedem Einzelfall mit Zielen und Implementierungsplänen zu unterlegen. Solche spezifischen Missionen würden das Potenzial bieten, Ressourcen stärker und zielgerichteter nicht nur in gesellschaftlich legitimen, sondern auch in aus wettbewerblicher Sicht aussichtsreichen Feldern zu bündeln. Dadurch könnten technologiebezogene Skalenerträge auch bei begrenzten Ressourcen effizienter genutzt werden. Dass bei diesem Spezialisierungsansatz naturgemäß nicht alle Technologielinien vor Ort in vollem Umfang weiterentwickelt werden können, ist auch vor dem Hintergrund des Konzepts der Technologiesouveränität nicht zwangsläufig problematisch, zumindest dann nicht, wenn der Zugang zu diesen Technologien über stabile internationale Kooperationsbeziehungen ohne einseitige Abhängigkeiten sichergestellt werden kann (Edler et al., 2023). Hier bestehen noch erhebliche Ausbaupotenziale, insbesondere was die Vernetzung mit vielen der relevanten Akteure in Südostasien (z. B. in Korea, Taiwan, Japan, aber auch nach wie vor China) anbelangt.

Handlungsempfehlungen für eine auf kritische Massen ausgerichtete FTI-Politik

Vor dem Hintergrund steigender Innovationsinvestitionen in China (und mittelfristig gegebenenfalls auch Indien und Brasilien) nimmt Deutschlands Rolle selbst bei absolut gleichbleibenden Kapazitäten im internationalen Vergleich der wissenschaftlich-technologischen Kompetenzträger relativ ab. Lagen noch vor einem Jahrzehnt lediglich die USA absolut eindeutig vor Deutschland und anderen europäischen Wettbewerbern haben nun auch in China die Innovationsaktivitäten eine andere Größenordnung erreicht. Deutschland bleibt, neben Japan und vor vielen europäischen Partnerländern, ein wichtiger, mittelgroßer Akteur auf der Weltbühne, dessen relative Bedeutung für internationale Innovations- und Wertschöpfungsketten allerdings weiterhin abnimmt, nicht zuletzt, da sich auch andere Länder wie Korea anschicken, ähnliche Positionen einzunehmen (Kroll et al., 2022a; Kroll et al., 2022b). Diesen geänderten Rahmenbedingungen muss die deutsche FTI-Politik durch strategische Priorisierung und Spezialisierung Rechnung tragen.

Vor dem Hintergrund gestiegener technologischer Komplexität ist diese Form strategischer FTI-Politik selbst in den führenden Technologienationen USA und China erforderlich und dort auch seit Jahren wesentliche Maßgabe staatlichen Handelns. In Deutschland ist sie dagegen trotz anderslautender politischer Verlautbarungen oft noch zu gering ausgeprägt. Die Exzellenzstrategie als die vermutlich zentrale Maßnahme der exzellenzorientierten Wissenschaftspolitik schlechthin in Deutschland hat sich zunehmend fragmentiert und ist damit bezogen auf die einzelnen geförderten Einheiten nicht ausreichend, um die Lücke zur forschungsintensiven Konkurrenz z. B. im angelsächsischen Bereich auch nur im Ansatz zu schließen. Im Bereich der Schlüsseltechnologien folgen Ressourcenflüsse häufig emergenten ad-hoc Strategien (Feser, 2022). Das Resultat ist eine fragmentierte und hinsichtlich der absoluten Fördersummen im internationalen Vergleich oft auch unterkritische Technologieförderung. Die Entstehung kritischer Massen in ausgewählten Bereichen muss folglich in der deutschen FTI-Politik zum Leitmotiv werden. Dafür erfordert es einen differenzierten Ansatz: In der Wissenschaft muss neben Förderprogrammen, die gezielt strategisch ausgewählte Themen adressieren, weiterhin auch die themenoffene Spitzenforschung gestärkt werden. Dabei müssen nicht nur die der Exzellenzstrategie zur Verfügung stehenden Ressourcen erhöht werden. Auch müssen die vorhandenen Ressourcen durch eine Fokussierung auf ausgewählte Exzellenzstandorte stärker konzentriert werden. Parallel ist die standortübergreifende Bündelung von Ressourcen durch die Förderung strategischer Verbundprojekte, nicht zuletzt auch im europäischen Rahmen, ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt.

Deutschland muss eine echte strategische Priorisierung seiner Handlungsfelder in der FTI-Politik vornehmen. Der Rahmen dafür müsste in der Zukunftsstrategie der Bundesregierung geschaffen werden. Dafür ist es notwendig, dass die identifizierten Handlungsfelder stärker auf deren mögliches Potenzial für Skalenerträge geprüft werden. Auch müssen die Handlungsfelder konkretisiert werden und mit Zielen und Implementierungsplänen unterlegt werden. Dies gilt insbesondere angesichts der in den führenden Technologienationen USA und China bereits erreichten Spezialisierungsvorteile und First-Mover-Advantages.

Konkret muss Deutschland verstärkt in jene Bereiche insbesondere der Digitaltechnologien investieren, in denen der Erhalt und die weitere Entwicklung vollständiger lokaler Innovationsökosysteme möglich und damit die Entwicklung eines tragfähigen, globalen Alleinstellungsmerkmals realistisch erscheint. Deutschland muss seine bestehenden internationalen Kooperationsbeziehungen in Wissenschaft und Technologie erhalten, ausbauen und neue ausländische Potenziale vor allem in Asien gezielt erschließen. Dies erfordert nicht zuletzt den strategischen Aufbau thematisch spezifischer Schnittstellenkompetenzen im Inland.

Ein realistisches politisches Leitbild begreift Deutschland zwar als mittelgroßen aber auch nach wie vor technologisch und wissenschaftlich leistungsfähigen Standort. Mit einer entsprechenden strategischen Priorisierung und Ressourcenbündelung stehen die Aussichten gut, dass Deutschland sich im globalen Wissens- und Technologiewettbewerb nachhaltig gut positionieren kann.

  • 1 Vgl. Roth et al. (2021) für die High-Tech-Strategie.

Literatur

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Edler, J., K. Blind, H. Kroll und T. Schubert (2023), Technology sovereignty as an emerging frame for innovation policy. Defining rationales, ends and means, Research Policy, 52(6), 104765.

Feser, D. (2022), Innovationspolitik in der neuen Legislaturperiode: eine neue strategische Ausrichtung?, Wirtschaftsdienst, 102(6), 465-469.

Frietsch, R., T. Schubert und O. Rothengatter (2017), An analysis of the Excellence Initiative and its effects on the funded universities, Studien zum deutschen Innovationssystem, 11-2017.

Helpman, E. und M. Trajtenberg (1994), A time to sow and a time to reap: Growth based on general purpose technologies, NBER Working Paper.

Izsak, K., P. Markianidou, A. Siviero, G. Carosella, G. Micheletti, I. Magnani und H. Kroll (2020), Advanced technologies for industry, https://op.europa.eu/s/zj5P (8. April 2024).

Krieger, B. (2024), Heterogeneous university funding programs and regional firm innovation: An empirical analysis of the German Excellence Initiative, Research Policy, 53(5), 104995.

Kroll, H., H. Berghäuser, K. Blind, P. Neuhäusler, F. Scheifele, A. Thielmann und S. Wydra (2022a), Schlüsseltechnologien, Studien zum deutschen Innovationssystem, 7-2022.

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Kroll, H. (2024). Assessing Open Strategic Autonomy, JRC External Study Report, https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/524071d9-ab81-11ee-b164-01aa75ed71a1/language-en(4. April 2024).

Mayer, M. und Y. C. Lu (2023), Illusionen der Autonomie? Europas Position in den globalen digitalen Abhängigkeitsstrukturen, SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, 7(4), 390-410.

Meyer-Guckel, V. (2014), Form folgt Funktion: Wie neue Organisationseinheiten für Forschung und Lehre jenseits der Fakultäten die Hochschulen verändern, iFQ – Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung, 27.

Mokyr, J. (2014), ‘Secular stagnation? Not in your life‘, in C. Teulings und R. Baldwin, Secular Stagnation: Facts, Causes and Cures, CEPR Press, Paris & London. https://cepr.org/publications/books-and-reports/secular-stagnation-facts-causes-and-cures (8. April 2024).

Patsali, S. (2024), University procurement-led innovation: Sources, procedures, and effects. Some field-study evidence, Technovation, 130, 102901.

Romer, P. M. (1987), Growth based on increasing returns due to specialization, American Economic Review, 77(2), 56-62.

Roth, F., R. Lindner, M. Hufnagl, F. Wittmann und M. Yorulmaz (2021), Lehren für künftige missionsorientierte Innovationspolitiken. Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitforschung zur deutschen Hightech-Strategie.

Sondermann, M., D. Simon, A. M. Scholz und S. Hornbostel (2008), Die Exzellenzinitiative: Beobachtungen aus der Implementierungsphase, https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/3989 (4. April 2024).

Title:Research, Technology and Innovation Policy Must Focus on the Generation of Critical Mass

Abstract:Economic research emphasises the role of increasing returns to scale and critical mass in research and technology development. This suggests that countries benefit from specialising in certain technologies and can thereby bundle available resources. Using the example of the Exzellenzstrategie and the Zukunftsstrategie, we argue that German RTI policy lacks strategic prioritisation. The lack of focus implies that Germany spreads its resources too thinly over many technological alternatives and therefore fails to create critical mass within each of them. The guiding principles for a German RTI policy should focus on creating critical mass through specialisation..

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DOI: 10.2478/wd-2024-0067