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Dieser Beitrag ist Teil von Die Innovationsfähigkeit Deutschlands

Die mittelfristigen Aussichten für die Wachstumsleistung der deutschen Wirtschaft sind düster. Aktuelle Mittelfristprojektionen schätzen lediglich das quantitative Ausmaß des Niedergangs leicht unterschiedlich ein, stellen ihn aber nicht grundsätzlich infrage.1 Abbildung 1 zeigt zur Einordnung in den aktuellen Stand der Debatte stellvertretend die aktuelle Mittelfristprojektion der Gemeinschaftsdiagnose der Institute (GD, 2024). Angesichts dieser Bestandsaufnahme überrascht der Optimismus, den Teile der Bundesregierung mit Blick auf die langfristigen Wachstumsaussichten der deutschen Volkswirtschaft nach wie vor ausstrahlen.

Abbildung 1
Potenzialwachstum der deutschen Volkswirtschaft und dessen Komponenten, 2001 bis 2028

Potenzialwachstum in %, Komponenten in Prozentpunkten

Potenzialwachstum der deutschen Volkswirtschaft und dessen Komponenten, 2001 bis 2028

Quelle: GD (2023); GD (2024); SVR (2023); eigene Berechnungen.

Von der von Bundeskanzler Scholz im öffentlichen Diskurs begrifflich verankerten „Zeitenwende“ hatte sich die Bundesregierung eine umfassende Transformation hin zu großer wirtschaftlicher Prosperität versprochen. Vielversprechender Ausgangspunkt schien die direkte Ansprache (Scholz, 2023) der drei kritischen Abhängigkeiten Deutschlands zu sein: von den USA bei der Verteidigung, von Russland bei der Energieversorgung und von China beim Güterexport. Dieser Neuaufbruch sollte jedoch offenbar gelingen, ohne mit voller Kraft auf das koordinierende Potenzial des Marktes zu setzen.

Abbildung 1 dokumentiert hingegen das seit langem ebenso bekannte wie bedrückende Muster eines schier unaufhaltsamen Niedergangs (des Wachstums) der Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft (Schmidt, 2023): Noch um die Jahrhundertwende lag das reale Potenzialwachstum bei rund 1,5 % pro Jahr, befand sich aber auf einem Sinkflug. Gegen Mitte des ersten Jahrzehnts konnte die Wachstumsrate dann bei etwas über 1 % stabilisiert werden. Einem Einbruch infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise gegen Ende des Jahrzehnts auf etwa 0,8 % folgte dann wieder eine Erholung.

Diese Stabilisierung des Potenzialwachstums spiegelte nicht zuletzt die langfristigen Auswirkungen der Agenda 2010 wider, die in der ersten Hälfte der 2000er Jahre mit den sogenannten Hartz-Reformen das marktwirtschaftlich inspirierte Prinzip des Förderns und Forderns durchgesetzt hatte. Das dadurch gestützte Arbeitsmarktgleichgewicht – eine höhere Beschäftigung und anhaltend geringere Arbeitslosigkeit – blieb sogar während der Finanz- und Wirtschaftskrise erhalten. Auch der nachfolgende dauerhafte Aufschwung der 2010er Jahre fand darin seine Basis und wurde zudem von der Zuwanderung von Arbeitskräften gestützt.

Doch dem bei etwa 1,5 % verharrenden Potenzialwachstum des vergangenen Jahrzehnts folgte seit dem Jahr 2018 ein drastischer Sinkflug: In der Rückschau der vergangenen Jahre fiel es auf deutlich weniger als 1 %. Noch ernüchternder ist die unter intelligenter Fortschreibung der Komponenten des Potenzialwachstums ermittelte Vorausschau, denn die aktuellen Wachstumsprojektionen gehen sogar von einem Absinken unter ein halbes Prozent aus. Darüber hinaus dokumentiert die Abbildung, dass sich seit dem vergangenen Frühjahr (GD, 2023) die Einordnung für die Jahre 2021 bis 2024 nochmals deutlich eingetrübt hat.

Abbildung 1 kontrastiert schließlich die Projektion der Gemeinschaftsdiagnose (GD, 2024) mit derjenigen des Sachverständigenrates (SVR, 2023; Grimm et al., 2024) aus dem vergangenen November: Wenngleich dieser in der mittleren Frist ebenfalls von unter einem halben Prozent Potenzialwachstum ausgeht, zeichnet er den Weg dorthin sogar in noch düstereren Farben. Somit wird nicht nur die Analyse eines anhaltenden Niedergangs der Fähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zum Prosperitätswachstum breit geteilt, all diese Projektionen berücksichtigen bereits die stützende Wirkung erheblicher künftiger Zuwanderung.

Komponenten des Potenzialwachstums

Um von der Vorausschau in Richtung wirtschaftspolitischer Handlungsoptionen zu gelangen, bietet es sich an, die Struktur des Potenzialwachstums näher zu betrachten. In einer als rein beschreibend zu verstehenden Aufteilung speist sich das Potenzialwachstum jeweils aus drei Komponenten: den Veränderungen des Arbeitsvolumens und des Kapitalstocks sowie einer Sammelgröße, der sogenannten Totalen Faktorproduktivität (TFP). Letztgenannte greift sämtliche Formen von Prozess- und Produktinnovationen auf. Es gehört zur Routine von Mittelfristprojektionen, diese Komponenten ebenfalls ex post sowie ex ante zu berichten.2

Abbildung 1 zeigt unmissverständlich, dass ein Großteil der Schwankungen des Potenzialwachstums im Zeitverlauf mit Schwankungen des Arbeitsvolumens einhergeht: Während die Verläufe der Beiträge des Wachstums des Kapitalstocks und der TFP jeweils eher glatt sind, ist der Verlauf der Beiträge des Arbeitsvolumens volatiler, und sie wechseln insbesondere gegen Ende des Betrachtungszeitraums3 ins Negative. Es liegt aus politischer Sicht zunächst nahe, diese Konsequenz des demografischen Wandels mehr oder weniger hinzunehmen und sich vorwiegend der Stärkung der Beiträge der beiden anderen Komponenten zu widmen.

Stärkung des Investitions- und Innovationsstandorts

Aus den Projektionen ergibt sich für die Beiträge der Erweiterungen des Kapitalstocks sowie der Veränderungen der TFP jeweils ein recht unspektakuläres Bild: Lagen die Beiträge des Wachstums des Kapitalstocks der Gemeinschaftsdiagnose zufolge zu Beginn des Jahrhunderts noch bei rund 0,8 %, sanken diese im weiteren Zeitverlauf stetig ab, auf mittlerweile rund 0,3 % (GD, 2024). Bis zum Jahr 2028 zeichnet sich auch keinerlei Erholung ab. Gegenüber der Einschätzung vom vergangenen Jahr (GD, 2023) hat sich dabei keine nennenswerte Änderung ergeben; die Projektion des Sachverständigenrates fällt ähnlich aus (SVR, 2023).

Diese Einschätzungen lassen sich mit den Hoffnungen der Bundesregierung auf ein nachhaltiges Prosperitätswachstum nur schwer in Einklang bringen: Diese fußen nicht zuletzt auf den für den Umstieg zur Klimaneutralität notwendigen gewaltigen Investitionsvolumina, denn schließlich sind dafür weite Teile des bestehenden Energie- und Wirtschaftssystems zu ersetzen. Doch aus dem bloßen Austausch des Kapitalstocks lässt sich kaum ein nennenswerter Wachstumsimpuls erzeugen (GD, 2024). Zudem bedeutet das Aufrufen eines Transformationsziels keineswegs dessen erfolgreichen Vollzug.

Ein ähnlich ernüchterndes Bild ergibt sich (auch bei SVR 2023; GD, 2023) bei der Betrachtung der Beiträge des TFP-Wachstums: Hier zeigt sich zwar ein eher wellenförmiger Verlauf, mit deutlichen Einbrüchen in Richtung 0,3 % und 0,2 % in der Zeit der Finanz- und Wirtschaftskrise beziehungsweise der Coronapandemie und einer deutlichen Erholung in den 2010er Jahren, aber vor allem ein anhaltender Abwärtstrend von 0,8 % bis auf 0,4 % gegen Ende des Projektionshorizonts. Wiederum wäre es ein reiner Zirkelschluss, Innovationen allein deswegen zu erwarten, weil sie für die Transformation vonnöten sind.

Die Realität des praktischen Wirtschaftslebens sieht anders aus: Ein staatlicher Planer könnte niemals das überlegene Wissen besitzen, um die angestrebte Transformation effizient, also mit dem bestmöglichen Einsatz volkswirtschaftlicher Ressourcen zu bewerkstelligen. Dies muss in einer dezentral verfassten Volkswirtschaft den Einzelentscheidungen der Unternehmen und Haushalte überlassen bleiben. Um möglichst viele Investitionen in Kapital und Innovationsanstrengungen anzuregen, sind daher vor allem die Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln attraktiv zu gestalten (SVR, 2019; Schmidt, 2023; Grimm et al., 2024).

Es ist völlig legitim, das Konzept einer „angebotsorientierten Wirtschaftspolitik“ breit auszulegen und darunter sämtliche wirtschaftspolitischen Weichenstellungen und Eingriffe zu verstehen, die Veränderungen der Struktur der Angebotsseite der deutschen Volkswirtschaft bewirken sollen (BMWK, 2024). Doch der Kern angebotsorientierten Vorgehens im eigentlichen Sinne liegt nicht in der gezielten Veränderung dieser Struktur, sondern vielmehr in der diskriminierungsfreien Unterstützung der – unter zentralen Nebenbedingungen – möglichst ungehemmten Entfaltung wirtschaftlicher Aktivitäten.

Die Wahrheit liegt auch in diesem Falle nicht in semantischen Übungen, sondern „auf‘m Platz“.4 Der traditionelle „horizontale“ Ansatz angebotsorientierter Wirtschaftspolitik sieht jedenfalls davon ab, einzelne Technologien, Unternehmen oder Sektoren zu bevorzugen. Nun haben sich die Zeiten geändert: Geopolitische Spannungen machen es zum einen erforderlich, dass Deutschland und Europa künftig mehr für die eigene äußere und innere Sicherheit, nicht zuletzt die Cybersicherheit, tun als bisher (Wörner und Schmidt, 2022; Scholz, 2023). Dabei ist zweifellos in starkem Maße, wenngleich nicht ausschließlich, der Staat als Akteur gefragt.

Eine Kernaufgabe der Politik ist die Sicherstellung der Versorgung mit Energie. Bis zum Februar 2022 folgte die Politik der Vorstellung einer ebenso kostengünstigen wie sicheren Versorgung mit russischem Gas, das beim Ausstieg aus der Nutzung der in der Klimawirkung besonders problematischen fossilen Energieträger Öl und Kohle als Brücke dienen sollte. Nach deren Zusammenbruch müsste die Energie- und Klimapolitik nun berücksichtigen, dass die Defossilisierung nicht nur diesen Ausstieg, sondern auch den Einstieg in neue Energieträger erfordert, denn heimische regenerative Energien allein werden nicht ausreichen.

Zum anderen hat sich die Verletzlichkeit allzu schlanker und ausdifferenzierter Liefer-, Innovations- und Wertschöpfungsketten gezeigt. Es stellt sich daher für Unternehmen und Volkswirtschaften die Aufgabe, jeweils eine neue Balance zwischen wirtschaftlicher Effizienz und resilienten Strukturen zu finden. Dazu gehört, sich frühzeitig auf Störungen des jeweiligen Systems vorzubereiten, diese zeitnah zu erkennen, den von ihnen ausgehenden schädlichen Impuls zu dämpfen, dessen Konsequenzen ohne größere Funktionsstörungen zu verkraften und sich rasch davon zu erholen und daraus zu lernen (Kagermann et al., 2021b).

Es sind die Unternehmen, die ihre Wertschöpfungs-, Liefer- und Innovationsketten besser vernetzen, auf Diversifikation setzen, Reserven vorhalten und in ihren Abläufen Redundanzen zulassen müssen. Sie müssen bei dennoch auftretenden Störungen ihre Prozesse rasch umstellen und ihre Geschäftsmodelle agil anpassen. Um im Wettbewerb nicht unterzugehen, müssen sie gleichzeitig rentabel genug bleiben. Ähnliches gilt in solchen („systemrelevanten“) Bereichen, deren Ausfall besonders negativ auf andere Bereiche ausstrahlen würde; hier tragen Unternehmen und Politik eine – schwer abzugrenzende – gemeinsame Verantwortung.

Schließlich gilt es, im Falle sogenannter Schlüsseltechnologien wie der KI unter dem Stichwort der „technologischen Souveränität“ die Fähigkeit zu bewahren, das Heft des Handelns in der eigenen Hand zu behalten (Kagermann et al., 2021a; EFI, 2022; EFI, 2024). Kommt es bei Querschnittstechnologien mit breiten Ausstrahlungseffekten zu technologiespezifischem Markt- oder Koordinationsversagen, kann die „vertikale“ Förderung einzelner Sektoren oder Technologien sinnvoll sein. Aber ihr Einsatz stellt hohe Anforderungen an staatliches Handeln, um zu verhindern, dass der Staat für Einzelinteressen vereinnahmt wird (SVR, 2019).

All diese zusätzlichen Herausforderungen an die deutsche Volkswirtschaft erfordern umso mehr, dass deren Leistungsfähigkeit hoch bleibt (Schmidt, 2023; aber auch deutlich in BMWK, 2024). Dies würde zwar umso mehr dafür sprechen, den Entdeckungsprozess der marktwirtschaftlichen Ordnung zu stärken und unternehmerisches Handeln attraktiver zu gestalten. Es ruft aber auch den Staat auf den Plan dort gestaltend einzugreifen, wo gesellschaftliche Renditen die privaten Renditen des Handelns übertreffen, beispielsweise beim Aufbau der für das Trainieren großer KI-Modelle benötigten Rechenkapazitäten (EFI, 2024).

Um hier eine kluge Balance zu finden, reicht es nicht aus, die Notwendigkeit für starke staatliche Eingriffe zu reklamieren. Ausgehend von einem klaren Bekenntnis für das Primat unternehmerischer Standortattraktivität wäre vielmehr eine offene gesellschaftliche Debatte darüber angezeigt, wo im Einzelfall die Rechtfertigung oder gar Notwendigkeit für staatliches Handeln besteht, und sich ansonsten zurückzuhalten. Dieser Diskurs konnte sich bislang schon allein deshalb nicht entfalten, weil es ein solches Bekenntnis zum Primat unternehmerischer Standortattraktivität trotz der Dringlichkeit hoher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht gibt.

Abmilderung des Fachkräftemangels

Ein Blick auf die wirtschaftspolitischen Handlungsspielräume wäre unvollständig, wenn man sich darauf beschränkte, den demografischen Wandel hinzunehmen und lediglich an der Frage der möglichen Steigerungen der Investitions- und Innovationsleistung anzusetzen. Vielmehr gilt es das Arbeitsvolumen selbst in den Blick zu nehmen. Denn zum einen zählt angesichts der düsteren Wachstumsaussichten insgesamt sicherlich jedes Zehntel eines Prozentpunkts an Wachstumsleistung. Zum anderen dürfte eine Ausweitung des Arbeitsvolumens die Investitions- und Innovationsneigung am Standort erhöhen.

Abbildung 1 verdeutlicht, dass den Projektionen des Potenzialwachstums gemäß die von den Veränderungen des Arbeitsvolumens in den kommenden Jahren zu erwartenden Impulse negativ sein werden (GD, 2024). Dies steht insbesondere im Kontrast zum langjährigen Aufschwung des vergangenen Jahrzehnts, der nicht zuletzt von einem äußerst robusten Arbeitsmarkt getragen wurde. Abbildung 2 geht noch etwas tiefer und dokumentiert die von der Gemeinschaftsdiagnose (GD, 2024) ermittelte Aufteilung der Veränderungen des Arbeitsvolumens im Zeitverlauf in seine konstituierenden Komponenten.

Abbildung 2
Veränderungen des Arbeitsvolumens und deren Komponenten, 2001 bis 2028

Arbeitsvolumen in %, Komponenten in Prozentpunkten

Veränderungen des Arbeitsvolumens und deren Komponenten, 2001 bis 2028

Quelle: GD (2023); GD (2024); SVR (2023); eigene Berechnungen.

Hier zeigt sich, dass die positiven Beiträge des vergangenen Jahrzehnts vor allem aus steigenden Partizipationsquoten und sinkenden strukturellen Erwerbslosenquoten gespeist wurden. Beide Trends scheinen allerdings mittlerweile ausgereizt. Die im demografischen Wandel zu erwartende Schrumpfung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter5 wurde bislang weitgehend durch Zuwanderung kompensiert. Durchgehend wirkt ein Trend zu geringeren Arbeitszeiten je Erwerbstätigen dämpfend auf das Arbeitsvolumen. Am Ende des Betrachtungszeitraums verbleibt lediglich diese dämpfende Komponente als wesentlicher Faktor.6

All diese Komponenten sind im Prinzip Gegenstand arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Gestaltung. Für sich genommen besteht hier somit ein Handlungsfeld, um parallel zu den diskutierten Anstrengungen, die Investitions- und Innovationsaktivitäten der deutschen Volkswirtschaft zu erhöhen, die vermeintlich vorgezeichnete Schrumpfung des Arbeitsvolumens abzumildern. Dazu gilt es, solche Weichen zu stellen, die insbesondere die Beiträge des Bevölkerungswachstums im erwerbsfähigen Alter und die Partizipationsquoten erhöhen sowie der Tendenz zur Verringerung der durchschnittlichen Arbeitszeit entgegenwirken.

Doch es geht dabei um mehr als nur einen additiven Beitrag bei dieser dritten Komponente der deskriptiven Aufteilung des Potenzialwachstums: Die Neigung potenzieller Investoren, Produktionsstätten oder Forschungszentren zu errichten oder auszubauen, ist keine von den Verhältnissen am Arbeitsmarkt isoliert getroffene Entscheidung. Ob am Standort ein hinreichendes Reservoir an kompetenten und an neue Entwicklungen ebenso anpassungsfähigen wie anpassungsbereiten Arbeitskräften vorhanden ist, wird über Investitionen mitentscheiden, nicht allein die restliche Infrastruktur oder gar kurzfristig ausgeteilte Subventionen.

Bereits jetzt zeigen sich in vielen Bereichen Fachkräfteengpässe, nicht zuletzt im Bereich der Schlüsseltechnologie KI. Es ist daher kein Zufall, dass die Expertenkommission Forschung und Innovation den Innovationspotenzialen einer alternden Gesellschaft einen Schwerpunkt gewidmet hat (EFI, 2023). Ebenso folgerichtig scheint, dass die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – acatech ihr mehrjähriges Projekt „Innovationssystem Deutschland“ im Jahr 2023 mit einer Analyse darüber eingeleitet hat, welche Ansätze dafür geeignet sein können, die Fachkräftesicherung in Deutschland zu unterstützen (Achleitner et al., 2023).

Letztlich ergeben sich aus diesen Analysen drei Handlungsfelder für die Politik: Erstens gilt es, Ansätze zu verfolgen, um die Quantität des Arbeitseinsatzes auszuweiten. Ziel sollte dabei zum einen die Mobilisierung des inländischen Erwerbspersonenpotenzials sein, beispielsweise durch die Herstellung einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Unausweichlich scheinen in diesem Kontext zudem eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit sowie eine Umkehr des Trends zu immer geringeren Arbeitszeiten zu sein. Zum anderen sollte im Vordergrund des Bemühens um qualifizierte Zuwanderung ein drastischer Bürokratieabbau stehen.

Zweitens gilt es, die Qualität des Arbeitseinsatzes zu stärken. Anstrengungen mit diesem Ziel sollten bei der Stärkung der Kompetenzen der Berufswahl beginnen und im weiteren Lebens- und Karriereverlauf intensive Weiterbildungsmöglichkeiten enthalten. Nicht zuletzt wird eine qualifizierte Zuwanderung nur dann die gewünschten Potenziale entfalten können, wenn entsprechende Bildungsangebote und -verpflichtungen Integration beflügeln. Schließlich sind drittens Ansätze der Automatisierung und Robotisierung als Vehikel zu begreifen, um die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu stärken – nicht als Bedrohung für gute Arbeit.

  • 1 Dies gilt nicht zuletzt für den Jahreswirtschaftsbericht 2024 der Bundesregierung (BMWK, 2024).
  • 2 Einen interessanten Perspektivwechsel hat der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Jahresgutachten vollzogen, indem er die Aufteilung von drei auf vier Komponenten ausgeweitet hat: Als vierte Komponente werden nunmehr Wachstumsbeiträge des Humankapitals herangezogen (SVR, 2023; Grimm et al., 2024; Ochsner et al., 2024).
  • 3 Angesichts der enormen Unwägbarkeiten von Wachstumsprojektionen bleibt es nach wie vor sinnvoll, Projektionsergebnisse bestenfalls bis zu einem Horizont von fünf Jahren zu betrachten: Modellgestützte Verfahren erlauben zweifellos Berechnungen jenseits dieses Zeitpunkts, die dann natürlich mit gewaltigen Bandbreiten an Restunsicherheit verbunden sind (SVR, 2023; Grimm et al., 2024; Ochsner et al., 2024). Mit deren Berichterstattung dürfte man – beispielsweise den schlechten Erfahrungen bei der Aufnahme von Simulationsrechnungen im Bereich der Klimapolitik oder des Pandemiemanagements nach zu urteilen – den praktischen gesellschaftlichen und politischen Diskurs nur in falsche Bahnen lenken: Man kann es noch so oft betonen, dass Projektionen lediglich stark annahmegestützte numerische Repräsentationen einer möglichen Zukunft darstellen, sie werden aber häufig dennoch als Repräsentationen wahrscheinlicher Verläufe, also als Prognosen, oder gar als normative Vorgaben, also als Pläne, fehlverstanden.
  • 4 Ob man nun den der BVB-Legende Alfred „Adi“ Preißler zugeschrieben Ausspruch „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz“ oder eher klassisch aus Goethes Faust „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum“ vorzieht, es bleibt dabei, dass Papier geduldig ist und dass Innovationen und Wertschöpfung immer erst erarbeitet werden müssen.
  • 5 Es ist seit langem bekannt, dass in den 2020er Jahren die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 1960er Jahre verstärkt ins Rentenalter eintreten werden, dass infolgedessen die Erwerbsbevölkerung zurückgehen und sich Fachkräfteengpässe verschärfen werden. Ebenso klar ist, dass Zuwanderung diese Schrumpfung zwar abmildern dürfte, sie aber nicht völlig wird verhindern können. Für einen frühen Beitrag siehe beispielsweise SVR (2011).
  • 6 Im Kontrast der Projektionen zeigt sich, dass sich die Einschätzung der Gemeinschaftsdiagnose hinsichtlich dieser Wachstumsbeiträge seit dem vergangenen Jahr sogar eher etwas entspannt hat (GD, 2023); der Sachverständigenrat zeichnet hingegen ein noch pessimistischeres Bild (SVR, 2023).

Literatur

Achleitner, A.-K., G. Kussel, S. Pavleka und C. M. Schmidt (2023), Innovationssystem Deutschland – Die Fachkräftesicherung in Deutschland unterstützen, acatech Studie.

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (2024), Jahreswirtschaftsbericht 2024 der Bundesregierung.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2022), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2022.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2023), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2023.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2024), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2024.

GD – Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2023), Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023.

GD – Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2024), Deutsche Wirtschaft kränkelt – Reform der Schuldenbremse kein Allheilmittel, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2024.

Grimm, V., T. Kroeger und C. Ochsner (2024), Wege aus der Wachstumsschwäche, Wirtschaftsdienst, 104(3), 180-186, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2024/heft/3/beitrag/wege-aus-der-wachstumsschwaeche.html (9. April 2024).

Kagermann, H., K. H. Streibich und K. Suder (2021a), Digitale Souveränität – Status quo und Handlungsfelder, acatech Impuls.

Kagermann, H., F. Süssenguth, J. Körner et al. (2021b), Resilienz als wirtschafts- und innovationspolitisches Gestaltungsziel, acatech Impuls.

Ochsner, C., L. Other, E. Thiel und C. Zuber (2024), Demographic Aging and Long-Run Economic Growth in Germany, SVR Wirtschaft Arbeitspapier, 02/2024.

Schmidt, C. M. (2023), Vom kranken Mann Europas zum neuen Wirtschaftswunder – und zurück?, in B. Badura, A. Ducki, J. Baumgardt, M. Meyer und H. Schröder (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2023: Zeitenwende – Arbeit gesund gestalten, Springer, 59-70.

Scholz, O. (2023), The Global Zeitenwende. How to Avoid a New Cold War in a Multipolar Era, Foreign Affairs, 102(1), 22-38.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2011), Herausforderungen des demografischen Wandels, Expertise.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2019), Den Strukturwandel meistern, Jahresgutachten 2019/20.

SVR – Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2023), Wachstumsschwäche überwinden – In die Zukunft investieren, Jahresgutachten 2023/24.

Wörner, J. D. und C. M. Schmidt (2022) (Hrsg.), Sicherheit, Resilienz, Nachhaltigkeit, acatech Impuls.

Title:No Pain, no Gain – the German Economy Has to Keep Earning its Innovative Capacity Over and Over Again

Abstract:The medium-term prospects for the German economy give little cause for optimism. In addition, demographic change will intensify in the current decade. A brightening of growth prospects can therefore only materialise with stronger investment and greater innovation momentum. However, it will hardly be enough to directly promote this through economic policy interventions if the available pool of adaptable and skilled labour cannot be strengthened. This will require a wide range of economic policy endeavours.

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© Der/die Autor:in 2024

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Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0066