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Auch nach dem zweiten Jahrestag des russischen Großangriffs auf die Ukraine ist Russland weiterhin in der Lage Krieg zu führen. Zahlreiche Kommentare in den Medien hinterfragen daher die Effektivität der internationalen Sanktionen. Dies ist sowohl falsch als auch kontraproduktiv für die außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands und Europas.

Für eine Auseinandersetzung mit diesem Thema ist es unabdingbar, realistische Erwartungen zu formulieren. Sanktionen allein können und werden den Krieg nicht beenden – dafür braucht es die robuste militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine. Aber ohne Sanktionen wird auch dies nicht ausreichen. Zur Einordnung der Wirkung bisheriger Sanktionen: Russlands Handelsbilanz ist letztes Jahr um 200 Mrd. US-$ gefallen. Die Zentralbank kann knapp 300 Mrd. US-$ an eingefrorenen Reserven zur Stabilisierung der Wirtschaft nicht einsetzen. Dem Regime stehen diese Mittel nicht zur Verfügung und Russland hat begrenzten Zugang zu kriegswichtiger Technologie aus dem Ausland. Zur Wahrheit gehört auch, dass Russland seit 2014 Zeit hatte, sich auf weitere Sanktionen vorzubereiten, z. B. durch den Aufbau von Rücklagen wie dem aus Öleinnahmen gespeisten Staatsfonds. Zentrale Maßnahmen innerhalb des Sanktionsregimes, wie das EU-Ölembargo und der G7-Preisdeckel, traten außerdem erst mit einiger Verzögerung in Kraft. In den ersten Kriegsmonaten sorgten stark gestiegene Energiepreise zudem für außerordentlich vorteilhafte Rahmenbedingungen. Russlands Resilienz überrascht deshalb nicht.

Als Argument für das Scheitern der Sanktionen wird häufig auf Russlands robustes Wachstum im letzten Jahr verwiesen. Es ist legitim, die Glaubwürdigkeit offizieller Daten anzuzweifeln – darüber hinaus ist aber Folgendes wichtig: In den vergangenen zwei Jahren hat sich Russland konsequent auf Kriegswirtschaft ausgerichtet und die Militärausgaben drastisch hochgefahren. Zudem erhöhen in der Ukraine zerstörte Panzer oder eine auf ukrainische Zivilisten abgefeuerte Rakete Russlands BIP. Über den tatsächlichen Zustand der Wirtschaft sagt dies jedoch wenig bis gar nichts aus. Sanktionen, vor allem im Energiebereich, haben Wirkung gezeigt und Russlands Kriegsanstrengungen erschwert. Das heißt aber nicht, dass es nicht erhebliche Probleme mit ihrer Durchsetzung gäbe. Russland erzielt weiterhin enorme Einkünfte aus dem Ölexport – auch weil der Ölpreisdeckel nicht effektiv durchgesetzt wird und die wachsende Schattenflotte seinen zentralen Mechanismus untergräbt. Außerdem gelingt es Russland noch immer, ausländische Technologie für die Rüstungsindustrie zu importieren – auch von Firmen in Ländern, die Exportkontrollen verhängt haben.

Gerade hier steht Deutschland in der Verantwortung. Einer Analyse der Kyiv School of Economics zufolge sind im Jahr 2023 kriegswichtige Güter deutscher Firmen im Wert von mehr als 275 Mio. Euro nach Russland gelangt – größtenteils über Zwischenhändler in Drittstaaten wie China. Sicherlich ist die Kontrolle globaler Lieferketten kompliziert, aber deutliche Verbesserungen des Status quo sind möglich. Wenn Exportkontrollen Russland einschränken und ihre Glaubwürdigkeit für die Zukunft bewahren sollen, wird daran kein Weg vorbeiführen. Fundamental geht es hier auch um gesamtgesellschaftliche Folgen privatwirtschaftlicher Entscheidungen. Je weniger Unternehmen gewillt und in der Lage sind, Sanktionen effektiv durchzusetzen, desto länger wird Russlands Krieg andauern und desto höher die Rechnung für Deutschland ausfallen. Mit jedem weiteren Monat benötigt die Ukraine zusätzliche Milliarden für ihren Haushalt. Mit jedem westlichen Computerchip in russischen Waffen werden zusätzliche Luftabwehrsysteme gebraucht, um die Bevölkerung gegen Raketen und Drohnen zu verteidigen. Eine effektive Implementierung der Sanktionen ist nicht nur moralisch geboten – alles andere macht auch volkswirtschaftlich keinen Sinn.

Natürlich entstehen durch die Sanktionen Belastungen für Deutschland. Ihre Kritiker unternehmen allerdings häufig nicht einmal den Versuch, Alternativen aufzuzeigen. Mehr Aufrichtigkeit wäre hier dringend geboten. Putins geopolitische Ambitionen enden nicht im Donbass, nicht in Kyiv, Odessa oder Lwiw. Im Falle einer ukrainischen Niederlage wird die militärische Bedrohung deutlich näher an Deutschland heranrücken und die regelbasierte globale Ordnung, von der die deutsche Wirtschaft über Jahrzehnte profitiert hat, würde in ihren Grundfesten erschüttert. Sollte die gegenwärtige Strategie der Wirtschaftssanktionen und militärischen wie finanziellen Unterstützung für die Ukraine scheitern, kämen auf Deutschland – und Europa – Kosten ganz anderer Größenordnung zu. Eine entschlossene Durchsetzung der Sanktionen setzt Russland maximal unter Druck. Mehr als zwei Jahre nach dem Beginn des russischen Großangriffs auf die Ukraine ist klar: die Zeit zu Handeln ist jetzt!

JEL: F51, H56

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0059