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Dieser Beitrag ist Teil von Die Innovationsfähigkeit Deutschlands

Die Bundesregierung hat von ihrer Vorgängerin ein Projekt der Superlative übernommen: die Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Energiewende, die Mobilitätswende, die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Schaffung einer nachhaltigen Landwirtschaft sind einige der Transformationen, die die amtierende Koalition auch ins Zentrum ihrer Zukunftsstrategie Forschung und Innovation gestellt hat (Bundesregierung, 2023a).

Die Transformationen bedürfen einer Vielzahl tiefgreifender technologischer und sozialer Innovationen, die vermutlich keinen Bereich in Wirtschaft und Gesellschaft unberührt lassen werden. Sie anzugehen, wird der Bundesregierung nicht leicht gemacht, denn die infolge der Kriege in der Ukraine sowie im Gazastreifen gestiegenen außen- und innenpolitischen Spannungen, die Energiekrise sowie die rezessiven Nachwirkungen der COVID-Krise stellen weitere drängende Herausforderungen dar. Es droht die Gefahr, dass durch den politischen Fokus auf die aktuell drängenden Probleme die notwendigen ökonomischen, sozialen und ökologischen Weichenstellungen für eine langfristige Transformation ins Hintertreffen geraten. Schließlich erfordern die Transformationsbemühungen massive Investitionen, die letztlich von der Bevölkerung getragen werden müssen.

Über die zahlreichen transformationsbedingten Probleme sollten allerdings die vielfältigen Chancen nicht vergessen werden, die mit umfassenden Strukturveränderungen einhergehen. Schließlich werden einer Volkswirtschaft, der es gelingt, die anstehenden Transformationen mit innovativen Technologien und sozialen Innovationen ökonomisch erfolgreich zu meistern, viele andere folgen. Investitionen in die Transformation werden sich somit nicht nur mit Blick auf Nachhaltigkeit, sondern auch ­ökonomisch auszahlen.

Innovationsgetriebene Prozesse der Transformation sind durch eine Reihe von Hemmnissen und Misserfolgen gekennzeichnet. So werden Transformationen von verschiedenen Formen des Marktversagens, von Tatbeständen des Systemversagens bis hin zum Auftreten sogenannten Transformationsversagens gehemmt (EFI, 2021). Der induzierte Strukturwandel selbst wirft weitere Probleme auf, insbesondere den Umgang mit denjenigen, die von den Strukturveränderungen negativ betroffen sind, weil sie beispielsweise arbeitslos werden oder ihr Geschäftsmodell aufgeben müssen. Daher ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, die großen ökonomischen Chancen der Transformation nutzen und die negativen Wirkungen des Strukturwandels auffangen zu können, eine entschlossene und kluge transformationsorientierte F&I-Politik.

Aus diesem Gesamtkontext heraus zeigt die Expertenkommission im Folgenden am Beispiel der Landwirtschaft, wie technische Innovationen die Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit unterstützen können und was die Politik tun kann, um aus Inventionen auch Innovationen werden zu lassen. Neben der Analyse eines einzelnen transformationsrelevanten Wirtschaftssektors analysiert die Kommission ferner, welche Rolle soziale Innovationen als Querschnittsinstrument bei der Bewältigung der Transformation spielen und wie sie gefördert werden können.

Neue Technologien für nachhaltige Landwirtschaft

Die Schaffung einer nachhaltigen Landwirtschaft gehört mit zu den wichtigsten Zielen der anstehenden Transformationen. Die im Rahmen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen formulierten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) fordern einerseits die Bekämpfung des Hungers, andererseits einen nachhaltigen Umgang mit der natürlichen Umwelt, den Erhalt der Biodiversität und die Bekämpfung des Klimawandels. Um diesen Spagat zu meistern, ist eine umfassende Transformation des Landwirtschaftssektors notwendig. Chancen bieten hierbei der Einsatz digitaler und smarter Technologien, insbesondere ressourcen- und damit umweltschonender Präzisionstechnologien, aber auch Verfahren der grünen Gentechnik, die die Züchtung von klimaresistenteren und gleichzeitig nährstoffreicheren Pflanzen ermöglichen.

Potenziale und Herausforderungen digitaler und smarter Technologien

Mittels digitaler und smarter Technologien ist die ortsdifferenzierte, zielgerichtete und variable Ausbringung von landwirtschaftlichen Betriebsmitteln wie Saatgut, Pflanzen, Dünger, Pflanzenschutzmitteln oder Wasser möglich. Dadurch können die Ausbringungsmengen von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln reduziert werden, was wiederum Betriebskosten einspart und gleichzeitig negative Umweltauswirkungen reduziert (Finger, 2023).

Digitale und smarte Technologien umfassen (teil-)automatisierte Landmaschinen, Roboter oder Drohnen ebenso wie Farmmanagement- und Informationssysteme (FMIS) sowie Entscheidungsunterstützungssysteme (Decision Support Systems, DSS). FMIS und DSS unterstützen landwirtschaftliche Betriebe durch automatisierte Erfassung und Verarbeitung von Daten, die eine bessere Planung, Überwachung, Dokumentation und Optimierung von Betriebsabläufen ermöglichen. Dabei werden sowohl betriebsinterne Daten als auch Daten aus externen Quellen verarbeitet und künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt (Zhai et al., 2020; Saiz-Rubio und Rovira-Más, 2020).

Für den Einsatz digitaler und smarter Technologien stellen förderliche rechtliche Rahmenbedingungen sowie eine qualitativ hochwertige digitale Infrastruktur zentrale Voraussetzungen dar. Letztere ist in vielen ländlichen Gebieten noch unzureichend ausgebaut. Zugleich hemmen rechtliche Unsicherheiten hinsichtlich Datensicherheit und Datenhoheit bei betriebsinternen Prozessen den Einsatz innovativer Technologien, insbesondere von FMIS.

Anreize zum Einsatz neuer Technologien für Nachhaltigkeit unerlässlich

Neue digitale und smarte Technologien haben häufig noch Wettbewerbsnachteile gegenüber leistungsstarken konventionellen Landmaschinen, die für eine intensive Landwirtschaft entwickelt wurden. Dafür gibt es drei Hauptgründe: Erstens sind einige dieser Technologien in ihrer Entwicklung noch nicht ausgereift. Um beispielsweise Roboter und Drohnen konkurrenzfähig zu machen, bedarf es weiterer Innovationen, um deren Flächenleistung, Einsatzdauer und Präzision weiter zu steigern. Zweitens sind die neuen Technologien aufgrund ihrer geringen Stückzahlen noch vergleichsweise teuer. Mit zunehmender Verbreitung dieser Technologien würden diese Preise sinken. Drittens haben konventionelle landwirtschaftliche Technologien gegenüber den neuen nachhaltigen allein deshalb einen Kosten- und damit Preisvorteil, weil sich bei ihnen die negativen Umweltwirkungen nicht in den Produktionskosten der Betriebe niederschlagen. Letzteres würde sich ändern, wenn der Einsatz umweltbelastender Betriebsmittel mit einer Steuer oder Abgabe belegt würde. In Dänemark ist dies bereits der Fall (Wissenschaftliche Dienste, 2021; Nielsen et al., 2023; Böcker und Finger, 2016). Der Einsatz alter, nicht nachhaltiger Agrartechnologien würde sich somit verteuern und neue (Präzisions-)Technologien würden wettbewerbsfähig werden.

Handlungsempfehlungen

Obwohl mit digitalen und smarten Technologien negative Umweltauswirkungen deutlich reduziert werden können, haben landwirtschaftliche Betriebe derzeit noch wenig Anreize, solche Technologien zu nutzen, da deren Einsatz noch vergleichsweise teuer ist. Die Expertenkommission empfiehlt der Bundesregierung daher, die Ausbringung von Pflanzenschutz- und Düngemitteln nach dem Vorbild Dänemarks mit einer Abgabe zu belegen. Zusätzlich müssen auch die Rahmenbedingungen für deren breitere Nutzung verbessert werden. So ist die digitale Infrastruktur in ländlichen Regionen auszubauen. Ebenso sollte die Bundesregierung einen bundesländerübergreifenden, einheitlichen Datenraum für die Landwirtschaft schaffen und klare Regelungen zu Datenschutz sowie Datenhoheit verabschieden, um die rechtssichere Nutzung digitaler und smarter Agrartechnologien zu ermöglichen und unbefugte Datennutzung zu verhindern. Auch bedarf es klarer rechtlicher Rahmenbedingungen und einfacher Verfahren für die Genehmigung des Einsatzes von vollautomatisierten und autonomen Landmaschinen, Robotern und Drohnen.

Potenziale und Hemmnisse für grüne Gentechnik in der Landwirtschaft

Neben digitalen und smarten Technologien kann auch die grüne Gentechnik einen Beitrag zur Transformation der Landwirtschaft leisten. Bei der grünen Gentechnik wird das genetische Material einer Pflanze so verändert, dass neue Eigenschaften entstehen. Eine dieser Modifikationen wird als Mutagenese bezeichnet. Es gibt grundsätzlich zwei verschiedene Verfahren, mit denen eine Mutagenese durchgeführt werden kann: die ungezielte Mutagenese z. B. durch Chemikalien oder radioaktive Strahlung einerseits und die gezielte Mutagenese mittels Genomeditierung andererseits. Verfahren der Genomeditierung haben den Vorteil, dass sie die Zeit für die Entwicklung eines modifizierten Pflanzenmerkmals um Jahre oder Jahrzehnte verkürzen können. Da heute viele Gene und ihre Funktionen sequenziert sind, bietet die Genomeditierung die Möglichkeit, Veränderungen nicht nur schneller, sondern auch präziser umzusetzen als ungezielte Verfahren wie die klassische Gentechnik oder die ungezielte Mutagenese.

Grüne Gentechnik in Deutschland durch verfahrensbasierte Regulierung gehemmt

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind in der EU definiert als Organismen, deren genetisches Material in einer Weise verändert wurde, wie es in der Natur durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt. Daraus folgt, dass alle Organismen, die nicht durch konventionelle Züchtung entstanden sind, als GVO gelten (Deutscher Bundestag, 2021; Europäisches Parlament, 2001).

Um in der EU zugelassen zu werden, müssen GVO aufwendige und langwierige Zulassungsverfahren durchlaufen (European Commission Regulatory Scrutiny Board, 2023; Hartung et al., 2024). Diese Verfahren beinhalten eine umfangreiche Risikobewertung und Umweltverträglichkeits­prüfung. Darüber hinaus unterliegen GVO der Kennzeichnungspflicht. Als GVO gekennzeichnete Produkte dürfen im ökologischen Landbau nicht verwendet werden (Europäisches Parlament, 2001; Deutscher Bundestag, 2021).

Die derzeitige Regulierung der grünen Gentechnik wird den wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht gerecht. Produkte der grünen Gentechnik werden in der EU verfahrensbezogen reguliert, obwohl bisher keine verfahrensinhärenten Risiken der grünen Gentechnik identifiziert werden konnten (Hartung et al., 2024; Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e.V. et al., 2019; European Commission, 2021). Bei dieser Art der Regulierung steht das Verfahren im Vordergrund – und nicht die veränderte Pflanzeneigenschaft, von der potenziell ein Risiko ausgehen kann.

Infolge der Entwicklung der gezielten Mutagenese mittels Genomeditierung ergibt sich bei der verfahrensbasierten Regulierung ein Problem der Inkonsistenz. Denn durch die verfahrensbasierte Regulierung werden z. B. Pflanzen aus ungezielter und gezielter Mutagenese mit denselben Eigenschaften unterschiedlich reguliert (Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. et al., 2019; Dederer, 2024). Während die Pflanze aus ungezielter Mutagenese kein Zulassungsverfahren mit Risikobewertung durchlaufen muss und im Ökolandbau verwendet werden darf, unterliegt die gleiche Pflanze aus gezielter Mutagenese einem strengen Zulassungsverfahren sowie einer Kennzeichnungspflicht als GVO und darf nicht im Ökolandbau verwendet werden (Hartung et al., 2024; Europäischer Gerichtshof, 2018; Deutscher Bundestag, 2021). Zudem können nicht alle Pflanzen, die durch gezielte Mutagenese mittels Genomeditierung entstanden sind, von konventionell gezüchteten Pflanzen und Pflanzen aus ungezielter Mutagenese unterschieden werden, was eine konsistente Umsetzung der Regulierung erschwert (Hartung et al., 2024). Die derzeitige Regulierung führt so zu erheblicher Unsicherheit bei den Pflanzenzüchtern und kann Unternehmen, insbesondere KMU und Start-ups, davon abhalten, sich in Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet zu engagieren (European Commission Regulatory Scrutiny Board, 2023).

Neue Regulierung in der EU vorgeschlagen

Eine Teillösung für die genannten Hemmnisse könnte der Vorschlag der EU-Kommission zur Neuregelung von Pflanzen sein, die unter anderem durch Mutagenese entstanden sind (Dederer, 2024; Europäische Kommission, 2023). Die von dem Vorschlag erfassten Pflanzen werden in zwei Kategorien eingeteilt, die sich im Ausmaß der vorgenommenen Veränderungen unterscheiden, um unterschiedlichen Risikoprofilen Rechnung zu tragen. Die erste Kategorie umfasst Pflanzen, die auch auf natürlichem Wege oder durch konventionelle Züchtung entstehen können und in weniger als 20 Basenpaaren (Hartung et al., 2024) verändert wurden – sogenannte NGT-1-Pflanzen (NGT = Neue genomische Techniken). Dazu gehören auch Pflanzen aus gezielter Mutagenese. Alle anderen Pflanzen fallen in die zweite Kategorie (NGT-2). Dem Vorschlag der EU-Kommission zufolge sind NGT-1-Pflanzen als solche zu kennzeichnen, nicht aber als GVO. Darüber hinaus sind NGT-1-Pflanzen von den Anforderungen der GVO-Regelung hinsichtlich Risikobewertung und Zulassung ausgenommen.

NGT-2-Pflanzen unterliegen dagegen weiterhin den Zulassungsverfahren, Risikoüberprüfungen und der GVO-Kennzeichnungspflicht, die auch für Pflanzen aus der klassischen Gentechnik gelten. Vereinfachte Zulassungsverfahren gelten darüber hinaus auch für Pflanzen, die einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der EU leisten können (Europäische Kommission, 2023). Auch wenn diese Neuregelung zu einer Verbesserung der aktuellen Situation beitragen kann, bleibt das grundsätzliche Problem, dass die Regulierung verfahrensbasiert ist, weiterhin bestehen.

Handlungsempfehlungen

Die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die grüne Gentechnik in der EU bewegt, hemmen nicht nur die Forschung und Entwicklung in dem Bereich, sondern auch die innovationsgestützte Transformation der Landwirtschaft. Die Bundesregierung sollte daher den von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag zur differenzierten Regulierung von genomeditierten Pflanzen zustimmen. Dieser Vorschlag enthält Maßnahmen zur differenzierten Kennzeichnung von sogenannten NGT-1-Pflanzen und zur vereinfachten Zulassung von Pflanzen, die einen Beitrag zu den Nachhaltigkeitszielen der EU leisten können. Langfristig sollte sich die Bundesregierung bei der EU dafür einsetzen, dass über eine Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen vorrangig auf Grundlage der Eigenschaften einer Pflanze entschieden wird und nicht auf Grundlage des verwendeten Verfahrens.

Soziale Innovationen – wesentliches Element zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen

In den letzten Jahren ist in Gesellschaft und Politik das Bewusstsein gewachsen, dass die mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimawandel, demografischer Alterung oder Digitalisierung verbundenen Transformationen nicht allein durch technologische Veränderungen umgesetzt werden können. Es bedarf vielmehr auch Veränderungen im individuellen und kollektiven Verhalten, die – oft im Zusammenspiel mit neuen Technologien – diese Transformationen vorantreiben. Derartige Veränderungen bezeichnet man als soziale Innovationen. Sie werden von Politik und Gesellschaft zunehmend in den Blick genommen. Auch die Bundesregierung betrachtet Sozialunternehmen als wichtige Treiber von Innovationen und hat zu ihrer Unterstützung im September 2023 die Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen verabschiedet (Bundesregierung, 2023b).

Die Expertenkommission definiert soziale Innovationen als neue individuelle und kollektive Verhaltensweisen sowie Organisationsformen, die zur Lösung gesellschaftlicher oder wirtschaftlicher Probleme beitragen und damit einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Beispiele für soziale Innovationen sind Mehrgenerationenhäuser, Bürgerenergiegenossenschaften oder Car-Sharing-Plattformen. Sie werden von unterschiedlichen Akteuren wie Einzelpersonen, Haushalten, Gruppen und Unternehmen entwickelt. Sie können, müssen aber nicht, mit technologischen Innovationen im Zusammenhang stehen (EFI, 2024).

Empirische Befunde zu sozialen Innovationen

Einer von der Expertenkommission beauftragen Auswertung zufolge liegt der Anteil sozialinnovativer Unternehmen in Westdeutschland höher als in Ostdeutschland und fällt in städtischen Regionen höher aus als in ländlichen Regionen. Ferner zeigt eine nicht-repräsentative Befragung von sozialen Innovationsinitiativen, dass für 61,9 % der Befragten soziale Innovationen durch gesellschaftliche Herausforderungen motiviert sind. Fast ebenso viele soziale Innovationen sind durch gesellschaftliche Bedürfnisse (61,2 %) motiviert. Deutlich seltener werden soziale Innovationen durch neue Ideen (28,1 %) oder neue Technologien (23 %) ausgelöst (SI-Drive-Datensatz in Weber et al., 2024).

Als Träger sozialer Innovationen werden in der Regel sozial orientierte Unternehmen und Verbände, Bürgerinitiativen sowie Einzelpersonen und Haushalte genannt. Allerdings spielen auch bei gewinnorientierten Unternehmen soziale Innovationen eine wichtige Rolle. Unternehmensintern nutzen diese Unternehmen soziale Innovationen, die sie selbst generiert oder von anderen übernommen haben. Zudem bieten gewinnorientierte Unternehmen von ihnen selbst oder von anderen entwickelte Produkte und Dienstleistungen an, die wiederum soziale Innovationen an anderer Stelle fördern.

In der forschungsintensiven Industrie weisen 67,6 % der Unternehmen mit Prozess- und/oder Produktinnovationen auch soziale Innovationen auf, während nur 52,6 % der Unternehmen ohne Prozess- und/oder Produktinnovationen sozial innovativ sind. In der sonstigen Industrie ist diese Diskrepanz mit 58,6 % und 29,2 % noch deutlicher.

Hemmnisse für soziale Innnovationen

Ein wesentliches strukturelles Hemmnis für soziale Innovationen stellt die Schwierigkeit dar, eine auskömmliche Finanzierung zu erhalten. Eine nicht-repräsentative Befragung von sozialen Innovationsinitiativen zeigt, dass mehr als die Hälfte der befragten sozialen Innovationsinitiativen Finanzierungsschwierigkeiten als Hemmnis für soziale Innovationen angibt (SI-Drive-Datensatz in Weber et al., 2024). Damit sind sie das mit Abstand am häufigsten genannte Hemmnis.

Die Daten des Deutschen Social Entrepreneurship Monitor zeigen zudem, dass Sozialunternehmen bei der Fördermittelbeantragung auf Hindernisse stoßen. Von 46,9 % der befragten deutschen Sozialunternehmen wird die komplexe Vergabe von öffentlichen Fördermitteln am häufigsten als Hemmnis genannt, während sie im europäischen Vergleich nur von 37 % der befragten Sozialunternehmen als Hemmnis genannt wird (Euclid Network, 2022).

Begründung für staatliche Unterstützung

Für die Begründung einer staatlichen Förderung sozialer Innovationen fehlt die empirische Evidenz. Dies liegt vor allem daran, dass repräsentative, vergleichbare und langfristig erhobene Daten nicht vorliegen und eine systematische Datenerhebung nicht stattfindet. Dennoch kann eine staatliche Förderung, vor allem bei Sozialunternehmen, aus zwei konzeptionellen Gründen gerechtfertigt werden. Erstens können die von Sozialunternehmen bereitgestellten Güter und Dienstleistungen externe Effekte aufweisen, wenn sich die Vorteile ihres Konsums nicht allein auf die Kunden beschränken. So kommt der gesellschaftliche Mehrwert, der z. B. dadurch entsteht, dass Sozialunternehmen höhere Umweltstandards einhalten, nicht allein ihren Kunden zugute. Die Preise, die Sozialunternehmen für ihre Produkte im Markt verlangen können, reflektieren dann nicht die gesamtgesellschaftlichen Umweltvorteile ihrer Produktion. Dies kann dazu führen, dass umweltfreundlich produzierte Güter in einem aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu geringem Maße angeboten werden. Zweitens werden die Finanzierungsmöglichkeiten von Sozialunternehmen prinzipiell dadurch erschwert, dass ein Einstieg renditeorientierter Investoren die Gemeinwohlorientierung der Unternehmen gefährden könnte.

Handlungsempfehlungen

Die Bundesregierung sollte die Entwicklung einer einheitlichen Indikatorik zu sozialen Innovationen und den Aufbau einer international repräsentativen Datenbasis nachdrücklich unterstützen. Nur so ist eine evidenzbasierte Förderung sozialer Innovationen möglich. Dabei ist darauf zu achten, dass eine sachgerechte Erfolgsmessung und Wirkungsanalyse von Politik­maßnahmen zur Förderung sozialer Innovationen und Sozialunternehmen ermöglicht werden.

Die Bundesregierung sollte bestehende Innovationsförderprogramme noch weiter für soziale Innovationen öffnen. Dies ermöglicht es insbesondere, Komplementaritäten von sozialen und technologischen Innovationen besser zu berücksichtigen. Sozialunternehmen sind für renditeorientierte Investoren wenig attraktiv, da die Gewinnerzielungsabsicht zumeist nur eine untergeordnete Rolle spielt. Daher sollten die von der Bundesregierung zur Förderung alternativer Finanzierungsformen geplanten Maßnahmen zügig umgesetzt werden, um den besonderen Bedarfen der Sozialunternehmen gerecht zu werden.

Der vorliegende Beitrag basiert auf den Kapiteln A0, B1 und B3 des EFI-Jahresgutachtens (EFI, 2024). Die Autoren sind die Mitglieder der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) Irene Bertschek, Guido Bünstorf, Uwe Cantner, Carolin Häussler, Till Requate, Friederike Welter, die Mitarbeiter der Kommissionsmitglieder Eric Arndt, Lukas Dreier, Daniel Erdsiek und Markus Rieger-Fels sowie die Mitarbeiter der EFI-Geschäftsstelle Helge Dauchert, Lea Eilers und Friederike Heiny.

Literatur

Bundesregierung (2023a), Zukunftsstrategie Forschung und Innovation, BMBF.

Bundesregierung (2023b), Nationale Strategie für Soziale Innovationen und Gemeinwohlorientierte Unternehmen, BMWK; BMBF.

Böcker, T. und R. Finger (2016), European Pesticide Tax Schemes in Comparison. An Analysis of Experiences and Developments, Sustainability, 8(4), 378.

Dederer, H.-G. (2024), Kurzstudie zu Gentechnikrecht und Patentrecht bei Pflanzen, Studien zum deutschen Innovationssystem, 6-2024, EFI.

Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V.; Deutsche Forschungsgemeinschaft; Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften e.V. (2019), Stellungnahme – Wege zu einer wissenschaftlich begründeten, differenzierten Regulierung genomeditierter Pflanzen in der EU, Schriftenreihe zur wissenschaftsbasierten Politikberatung, Leopoldina.

Deutscher Bundestag (2021), Gesetz zur Regelung der Gentechnik, GenTG.

Euclid Network – W. Dupain, K. Scharpe, T. Gazeley, T. Bennett, J. Mair, M. Raith und N. Bosma (2022), The State of Social Enter – prise in Europe – European Social Enter – prise Monitor 2021-2022, Euclid Network.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2021), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2021, EFI.

EFI – Expertenkommission Forschung und Innovation (2024), Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2024, EFI.

Europäische Kommission (2023), Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel sowie zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/625. EU 2023/0226.

Europäischer Gerichtshof (2018), Absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt – Mutagenese – Richtlinie 2001/18/EG, Europäischer Gerichtshof.

Europäisches Parlament (2001), Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates, EU 2001/18/EG.

European Commission (2021), Study on the Status of New Genomic Techniques under Union Law and in Light of the Court of Justice Ruling in Case C-528/16, European Commission.

European Commission Regulatory Scrutiny Board (2023), Impact Assessment / Legislation for Plants Produced by Certain New Genomic Techniques, European Commission.

Finger, R. (2023), Digital Innovations for Sustainable and Resilient Agricultural Systems, European Review of Agricultural Economics, 50(4), 1277-1309.

Hartung, F., D. Krause, T. Sprink und R. Wilhelm (2024), Kurzstudie über Anwendungen der Grünen Gentechnik in der Landwirtschaft – Potenziale und Risiken, Studien zum deutschen Innovationssystem, 5-2024, EFI.

Nielsen, H. Ø., M. T. H. Konrad, A. B. Pedersen und S. Gyldenkærne (2023), Ex-post Evaluation of the Danish Pesticide Tax. A Novel and Effective Tax Design, Land Use Policy, 126(1), 106549.

Saiz-Rubio, V. und F. Rovira-Más (2020), From Smart Farming towards Agriculture 5.0.: A Review on Crop Data Management, Agronomy, 10(2), 207.

Weber, M. et al. (2024), Social Innovation – (Accompanying) Instrument for Addressing Societal Challenges?, Studien zum deutschen Innovationssystem, 10,-2024, EFI.

Wissenschaftliche Dienste (2021), Darstellung der Besteuerungssysteme für Pflanzenschutzmittel in Dänemark und Frankreich, Deutscher Bundestag.

Zhai, Z., J. F. Martínez, V. Beltran und N. L. Martínez (2020), Decision Support Systems for Agriculture 4.0.: Survey and Challenges, Computers and Electronics in Agriculture, 170(7), 105256.

Title:Transformative R&I Policy using the Example of New Technologies in Agriculture and Social Innovations

Abstract:The transformation of economy and society requires far-reaching technological and social innovations. To utilise the economic opportunities of transformation and to mitigate the negative effects of structural change, a determined transformation-oriented R&I policy is needed. Using the example of new technologies in agriculture, it is shown how innovations can support the transformation towards greater sustainability. Furthermore, we analyse the role of social innovations as a cross-sectional instrument in managing the transformation and how policy makers can promote them

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© Der/die Autor:in 2024

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DOI: 10.2478/wd-2024-0064