Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

In Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine hat die westliche Gemeinschaft diverse Sanktionen erlassen. Eine der erhobenen Sanktionen zielt darauf ab, das russische Zentralbankvermögen einzufrieren. Beim belgischen Zentralverwahrer Euroclear wurden daher etwa 190 von insgesamt etwa 300 Mrd. Euro eingefroren. Dieses Vermögen umfasst lediglich das Staatsvermögen Russlands und nicht das Vermögen russischer Oligarchen, die ebenfalls unter Sanktionen stehen und deren Vermögen in Teilen beschlagnahmt wurde. Seit dem Einfrieren stellt sich die Frage über die Verwendung dieses (Staats-)Vermögens. Die Tatsache, dass es auch 775 Tage nach Beginn des Krieges keine Entscheidung darüber gibt, liegt nicht nur daran, dass in der EU viele unterschiedliche Interessen vereint werden müssen und es an den Koordinationsstrukturen mangelt, sondern viel mehr daran, dass die rechtliche Lage nicht eindeutig ist und kein Präzedenzfall vorliegt. Um die eingefrorenen Mittel rechtmäßig für die Reparationszahlungen verwenden zu können, bedarf es einer „rechtlichen Anpassung“. Selbst wenn nur eine unwesentliche Gesetzesänderung notwendig wäre, sind westliche Politiker nicht dazu bereit, eine russische Gesetzgebungspraxis zu übernehmen und Gesetze im Sinne kurzfristiger Absichten zu verändern.

Ein zusätzlicher Grund, warum das eingefrorene Vermögen selbst bisher nicht für die Schadenregulierung verwendet wurde, ist die mögliche Nutzung des Vermögens als Verhandlungsmittel am Ende des Krieges oder als Einsatz für die Erlangung eines Friedens – im Sinne eines Trumpfs im Ärmel. Bei all den Vergeltungsmaßnahmen gegenüber Russland und den Entschädigungszahlungen, die der russische Staat wird begleichen müssen, sollten wir allerdings nicht vergessen, dass Russland als Staat immer unser östlicher (für die kleinen EU-Länder direkter und nicht zu vernachlässigender) Nachbar bleiben wird, mit dem wir wenigstens eine stabile neutrale Beziehung anstreben sollten.

Sofern die Verwendung des eingefrorenen Vermögens der russischen Notenbank nicht rechtmäßig und nicht zielführend ist, so scheinen die Zinserlöse auf das Kapital ein einfacheres juristisches Terrain darzustellen. Sie beliefen sich im Jahr 2023 auf etwa 4,4 Mrd. Euro und könnten bis Ende 2027 auf etwa 15 bis 20 Mrd. Euro ansteigen. Diese Beträge sind relativ gering für die europäischen oder deutschen Haushalte (ca. 0,01 % des deutschen BIP im Jahr 2023), nicht aber aus Sicht der Ukraine (ca. 3 % des BIP im Jahr 2022). Bei diesen Zahlen müssen zwei Tatsachen beachtet werden: Einerseits ist die ukrainische Staatsverschuldung im letzten Jahr durch die Finanzierung der Verteidigung um geschätzte 11 Prozentpunkte des jeweiligen BIP gestiegen. Anderseits belaufen sich die europäischen und deutschen Unterstützungsmaßnahmen auf 0 (50) und 1,6 (8,9) Mrd. Euro (in Klammern zugesicherte aber noch nicht geleistete Beträge, siehe ‚Ukraine Support Tracker‘ des IfW). Daraus folgt, dass in Kriegszeiten der Anspruch der Ukraine auf die Zinserlöse aus dem eingefrorenen russischen Staatsvermögen eine gewisse Planungssicherheit für den ukrainischen Staatshaushalt bedeuten würde. Wofür die Ukraine dieses Geld im Detail ausgibt, sollte die Ukraine mit beratender Unterstützung europäischer Regierungen entscheiden. Schwerpunkt dieser Ausgaben könnten der Wiederaufbau der Infrastruktur, die Förderung des Sozialstaats und die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit sein.

Letztlich ist die Schwerpunktsetzung für den ukrainischen Haushalt zweitrangig. Für einen Sieg der Ukraine sind aber weitere militärische Ausgaben unabdingbar. Selbst die Unterstützer der Appeasement-Politik und diejenigen, die eine Eskalation fürchten, könnten unter Umständen Gefallen daran finden, dass die russischen Zinsgewinne vermehrt für militärische Zwecke verwendet werden und die Hilfen europäischer Staaten hauptsächlich für die zivile Unterstützung eingesetzt werden. Aber selbst die Verwendung der Zinsgewinne ist in dieser Form umstritten. Eindeutige juristische Grundlagen fehlen auch hier. Die EZB vertritt die Meinung, dass sogar deren Verwendung gegen internationale Gesetze verstoßen könnte, die die Immunität der in Währungsreserven gehaltenen Zentralbankvermögenswerte garantieren. Dies könnte bedeuten, dass der Euro als sichere Anlagewährung an Glaubwürdigkeit verliert, Investoren fliehen und folglich die Stabilität des Euro gefährdet wäre. Vermutlich aber haben die Investoren ihr Kapital, das für die Erhebung der Sanktionen und das Einfrieren des Vermögens relevant werden könnte, schon bei der Einführung der Sanktionen abgezogen. Als Europäer müssen wir uns deshalb fragen, ob Investoren, die eine Verletzung des Völkerrechts bei der Verwendung ihres Kapitals nicht ausschließen, in der EU generell erwünscht sind. Eine unmissverständliche Verwendung der Zinsgewinne darf auch als politisches Zeichen und Warnung verstanden werden!

Beitrag als PDF

© Der/die Autor:in 2024

Open Access: Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht (creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de).

Open Access wird durch die ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft gefördert.


DOI: 10.2478/wd-2024-0060