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Über die Ursachen des Marksturzes gibt es eine ganze Reihe von Meinungen, von Laien unbilligerweise Theorien genannt, in Wirklichkeit meist bloße Bündel von Vermutungen, Vorurteilen und Verallgemeinerungen. Die eine schreibt die Bewegungen des Markkurses dem bösen Willen der deutschen Regierung und der deutschen Kapitalisten zu, eine zweite sucht die Ursache in der Vermehrung des Papiergeldes, die dritte in der sogenannten Zahlungsbilanz, eine vierte in dem Stand der „Kaufkraftparitäten“, eine fünfte im Staatskredit. Einige versuchen diese Ansichten miteinander zu mischen, andere geben den Versuch auf, in dem Gewirr der intervalutarischen Kurse irgendeine faßbare Regel aufzufinden. Politisch wirksam sind bisher nur die beiden ersten geworden. Ihrer Erörterung sind die folgenden Darlegungen gewidmet.

Die erste dieser Meinungen wird fast nur in Frankreich vertreten. Es geschieht das nicht nur der Propaganda wegen. Die These dient nicht nur dazu, Deutschland immer und überall ins Unrecht zu setzen und so der Anwendung von Sanktionen und Repressalien einen schwachen Schein des Rechts zu geben. Sie entspricht auch sehr tief dem Geist der französischen Politik, die in Gesten denkt und in Demonstrationen glänzt. Den Sieger um seinen Tribut prellen, indem man die eigene Währung entwertet; ihn ad absurdum führen, indem man das Recht des Besiegten statuiert, sich selbst unbegrenzt zu schaden — dies ist in der Tat eine Politik der Überraschung, der Ironie und des Theaters, wie sie einem französischen Intellekt wohl gemäß ist. „Drohgebärdig, Brauenzieher und tragödienheldisch sind sie; aber von scharfem Verstand und zum Lernen nicht unbegabt,“ sagt schon Poseidonios, der große Freund des Pompejus, von den Galliern. Sie haben ihre Art in zwei Jahrtausenden wenig verändert.

Es darf vermutet werden, daß auch die Assignatenwirtschaft der französischen Revolution, vor allem unter der Herrschaft des Direktoriums, von solchen Anlagen und Motiven mitbestimmt worden ist. Wer aber auch nur eine schwache Ahnung von der Art der deutschen Kabinette in den letzten Jahren hat, wird es schlechthin lächerlich finden, daß diese übersachlichen, um die Ruhe der Arbeitermassen besorgten und zu jeder Art von Repräsentation und Geste wenig befähigten Männer eine Politik der Inflation aus Regie, Ironie und Blague betrieben hätten. Was es bedeutet, die Teuerung weit über das Maß hinauszutreiben, in dem die Löhne der städtischen Proletarier und die Gehälter des Beamtentums gesteigert werden können, davon kann man sich allerdings in dem noch immer vorwiegend bäuerlichen Frankreich kaum einen Begriff machen; was eine soziale Krisis in einem Land bedeutet, dessen Heer zerbrochen ist, noch weniger.

Von den Kapitalisten und Unternehmern aber, die ihre Kapitalien ins Ausland geschafft und damit allerdings den Sturz der Mark empfindlich verschärft haben, hat Sir Robert Horne in seiner letzten Unterhausrede mit Recht gesagt, daß diese Flucht aus der Mark in dem Augenblick beendet sein wird, wo die deutsche Währung zur Ruhe kommt.

Die zweite These, die die Entwertung der Mark auf die Inflation zurückführt, ist interessanter und schwieriger. Sie wird in der Hauptsache in England vertreten. Sie stützt sich auf den Gedanken, daß jede Vermehrung der Geldmenge die Tendenz hat, die Preise zu steigern, dadurch die Einfuhr ausländischer Waren zu begünstigen, die Ausfuhr einheimischer Waren dagegen zu erschweren und so die Nachfrage nach ausländischen Zahlungsmitteln zu vermehren. Es wird meist anerkannt, daß diese Tendenz sich aber nur dann auswirken kann, wenn nicht gleichzeitig mit der Vermehrung der Zahlungsmittel der Deckungsstand der Volkswirtschaft sich verbessert und wenn die Zahlungssitten sich nicht in der Weise ändern, daß für die gleiche Zahl von Umsätzen eine größere Menge von Zahlungsmitteln erfordert wird. Daß solche Zusammenhänge bestehen können, wird niemand leugnen wollen. Es ist aber von da noch ein weiter Weg bis zu der Behauptung, daß der Satz von der Möglichkeit valuta-senkender Wirkungen der Inflation sich umkehren läßt in den Satz von der notwendigen Verursachung jeder Valutasenkung durch Vermehrung der Zahlungsmittel. Ist es nicht möglich, daß die Nachfrage nach ausländischen Zahlungsmitteln sich aus Gründen vermehrt, die mit der Erhöhung des inneren Preisniveaus nichts zu tun haben? Schlechte Ernten etwa, Kriegstribute, Steuerflucht, Einfuhrhemmungen des Auslands und anderes können die intervalutarischen Kurse in die Höhe treiben und damit wiederum zu Motiven der Inflation werden — wenn die höheren Valutakurse zu wachsender Teuerung und zur Erhöhung der Löhne und Staatsausgaben führen und die Erhöhung durch Vermehrung der Zahlungsmittel ermöglicht wird. Die Inflation kann also ebensogut Ursache wie Wirkung einer Veränderung der intervalutarischen Kurse sein.

Welcher von beiden Fällen liegt in dem Nachkriegs-Deutschland vor? Es liegt nahe, von der Statistik die Antwort auf die Frage zu erwarten. Doch ist es gut, sich gegenwärtig zu halten, daß die Statistik nur dem Laien eindeutige Antworten zu geben pflegt. Der Forscher weiß, daß allenfalls die Statistik der Valutakurse für solche Untersuchungen tauglich ist — allenfalls, denn die amtlichen Tagesnotierungen geben bei stark schwankenden Kursen nur ein sehr ungenaues Bild und in jedem Fall sagt die Notierung wenig, wenn nicht bekannt ist, wie groß der Umsatz zu diesem Kurse war. Die Statistik „der Preise“ ist schon deshalb fragwürdig, weil die Auswahl der Waren, die maßgebend sein sollen für die Ermittlung des „allgemeinen Preisniveaus“, immer willkürlich sein wird. Die Statistik der Ein- und Ausfuhr leidet unter der Unzulänglichkeit der Anschreibungen und besonders der Wertangaben. Eine Statistik der Inflation aber gibt es nicht. Wir kennen die Bewegungen der Produktion nicht und müssen uns also mit einer Statistik der Zahlungsmittel begnügen, und hier wieder müssen wir uns auf das Geld im engeren Sinne beschränken, da die giralen Zahlungsmittel in Deutschland nicht zahlenmäßig zu ermitteln sind. Wir halten uns also an den Papiergeldumlauf und vergessen nicht, was diese Einschränkung bedeutet.

In der folgenden Tabelle sind die Veränderungen von Dollarkurs, deutschem Großhandelspreisstand, Papiergeldumlauf, Teuerung im Kleinhandel und Löhnen in halbjährlichen Durchschnitten dargestellt, alles bezogen auf den gleich 100 gesetzten Friedensstand, denn nur so wird eine Vergleichung der Bewegungen möglich. Der Papiergeldumlauf ist dabei auf den gesamten Geldumlauf vor dem Kriege (Münzen und Scheine) bezogen.

Tabelle 1
  Dollarkurs1) Großhan-delspreise2) Papiergeld-Menge Teuerungs-Index3) Löhne4)
1918 I. 124,5 201,33 370,—
II. 161,83 229,67 502,5 263,33 282,33
1919 I. 263,33 282,33 733,66 349,33 440,33
II. 674,— 853,83 1162,— 783,60 643,25
1920 I. 1559,83 1517,83 1409,67 1454,17 1464,17
II. 1523,33 1358,83 1568,17 902,67 985,—
1921 I. 1433,255) 1393,33 1193,83 838,17 887,—
II. 3456,50 2462,50 1934,33 1267,60 1033,33
1922 I. 6284,17 5507,33 2869,50 2356,606) 2093,75

1) Für 1918 und 1919 indirekt berechnet. 2) Statistisches Reichsamt. 3) do. 4) Lohn der gelernten verh. Metallarbeiter in Frankfurt a. M. 5) Verbesserte Berechnung 1433,25 6) Verbesserte Berechnung 2662.

Folgt die Geldmenge dem Dollarkurs? Folgt der Dollarkurs der Geldmenge? Die Antwort der Zahlen ist merkwürdig genug. Sie zeigen, daß im letzten Kriegsjahr die Vermehrung der Geldmenge, verglichen mit dem Friedensstand, dreimal so groß war wie die Steigerung der intervalutarischen Kurse; daß aber seitdem der Abstand zwischen beiden immer kleiner wird und daß endlich, seit der zweiten Hälfte 1921, sich das Verhältnis umkehrt: jetzt läßt die Dollarhausse die Papiergeldvermehrung hinter sich, und im ersten Halbjahr 1922 ist die Dollarkurssteigung mehr als doppelt so hoch, wie die Vermehrung des Geldes. Dazwischen liegt eine nicht eben kurze Zeit (die zwölf Monate, die von Mitte 1920 bis Mitte 1921 reichen), in der die Meßzahlen für beide fast gleich waren.

Aus diesen Zahlen ist, wenn überhaupt aus Zahlen wirtschaftliche Einsicht zu gewinnen ist, der Schluß zu ziehen, daß der Sturz der Mark und die Steigung der intervalutarischen Kurse, mindestens seit Mitte 1921 nicht durch das Fortschreiten der Inflation, sondern durch den Beginn der Reparationszahlungen veranlaßt ist. Die Inflation folgt der Valutahausse in diesem Zeitraum nur zögernd und in einem weiteren Abstand: hierin kündigte sich eben schon vor Monaten das Hereinbrechen einer Kreditnot an, die notwendig aus einer Steigung der Betriebskosten bei abnehmender Sparkraft der Wirtschaft folgen mußte. Daß in der Tat die Valuta der führende, die Inflation der geführte Teil war, zeigt nicht nur die Betrachtung der einzelnen Monatszahlen, sondern auch die Tatsache, daß in den zwölf Monaten vor dem Beginn der Reparationszahlungen die Geldvermehrung fast zum Stillstand gekommen war. Der Zuwachs wird ganz unbeträchtlich, wenn man bedenkt, daß in jenem Jahr die deutsche Erzeugung sicherlich zugenommen hat. Diese Annahme wird noch dadurch erhärtet, daß der Stand des deutschen Reichshaushalts (abgesehen von den Reparationsausgaben) im Jahre 1922 sehr viel günstiger war, als im voraufgegangenen: in den letzten neun Monaten des Jahres 1921 deckten die deutschen regelmäßigen Einnahmen nur 63 % der heimischen Ausgaben, in den ersten sechs Monaten des Jahres 1922 den ganzen Betrag. Wir werden es also keinem alten oder neuen Ricardo glauben, daß die Entwertung der Mark seit Mitte 1921 die Folge der deutschen Inflation sei. Sie hat ihren Ausgang auf dem Markt der ausländischen Zahlungsmittel genommen.

Die These von der deutschen Inflation als einziger Ursache des Marksturzes war vor allem in England vertreten worden. Es ist bezeichnend, daß Sir Robert Horne in seiner Unterhausrede vom 3. August zugegeben hat, daß neben der Geldvermehrung noch andere Umstände im Spiel gewesen sind. Er erwähnte die Reparationszahlungen nicht, sondern nur die großen Einfuhrbedürfnisse nach Aufhebung der Blockade, die Kapitalflucht und die Sequestrierung der deutschen Auslandguthaben und -anlagen. Diese Argumente sind um so interessanter, als sie nicht für die letzten zwölf Monate gelten, sondern für den früheren Zeitraum, in dem die Argumente der Inflationsdogmatiker nicht so leicht zu entkräften sind, wie für die spätere Zeit. Denn in den ersten Jahren nach dem Waffenstillstand scheint, nach der oben wiedergegebenen Zusammenstellung, der Inflationsgrad stärker als die Valutenhausse. Es scheint, daß der Dollarkurs erst allmählich sich dem inneren Preisniveau anpaßt, das durch die Finanzierung des Reiches in der Umsturz- und Übergangswirtschaft mit Hilfe einer sehr bequemen Druckerpresse ohne valutarische Not geschaffen worden ist. Aber es scheint eben nur so. Denn erstens sind jene Zahlen ungenau. Ein sehr erheblicher Teil der Papiergeldemissionen ist versteckt oder ins Ausland geschickt worden. Er hat also nicht auf die Inlandspreise wirken können. Diese können auch für jene Zeit nicht exakt bestimmt werden, denn man befand sich damals noch unter dem Regime der Höchstpreise, die Geschäfte aber wurden vielfach zu Schleichhandelspreisen abgeschlossen, die nicht statistisch feststellbar sind. Es müssen also in unserer Zusammenstellung die Zahlen für die Papiergeldmenge, soweit sie den inneren „Umlauf“ darstellen soll, bis Anfang 1920 ermäßigt, die Zahlen für die Preise erhöht werden. Andererseits aber wird auch die Meßzahl für die Kurse der Auslandsvaluten korrigiert werden müssen, und zwar im Sinn einer Erhöhung, wenn man sich vergegenwärtigt, daß Deutschland bis in das Jahr 1919 hinein den freien Devisenhandel unterbunden hatte. Und schließlich: auch wenn die Desorganisation jener Jahre nicht zu einer Verstärkung des Inflationsgrades — etwas, wenn auch nicht viel, noch über das im letzten Kriegsjahr erreichte Maß hinaus — geführt hätte, so wäre schwerlich auf eine günstigere Entwicklung der Devisenmärkte zu rechnen gewesen. Die deutsche Handelsbilanz war unmittelbar nach Aufhebung der Blockade von grotesker Passivität (1919: Einfuhr 6,6; Ausfuhr 1,76 Milliarden Goldmark, Einfuhrüberschuß 5 Milliarden Goldmark, wozu noch der statistisch nicht erfaßbare Einfuhrüberschuß in dem illegitimen Handel an der damals noch offenen Westgrenze kommt). Die Kapitalflucht tat ein übriges, und die Spekulation wäre unsinnig gewesen, wenn sie nicht die Folgen des Vertrags von Versailles als Motive für eine chronische Baisse der Markt bewertet hätte.

Nun bleibt freilich noch die Frage zu stellen, ob die Hausse der Auslandsvaluten hätte von Dauer sein können, wenn nicht die deutsche Inflation daneben hergegangen oder ihr gefolgt wäre. Ohne Inflation ist keine dauernde Preissteigerung auf der ganzen Linie, noch dazu bei steigender Produktion im Innern, möglich. Ohne dauernde Preissteigerung aber wäre der Bezug von Auslandswaren zu den emporgetriebenen Dollarkursen unmöglich gewesen. Wäre also der deutsche Reichshaushalt leidlich in Ordnung gewesen, so hätte die Einfuhr ganz außerordentlich stark eingeschränkt werden müssen; weil aber die Ausfuhr in einem Land von der Struktur Deutschlands sehr von der Einfuhr abhängt, auch die Ausfuhr, wenn auch in minderem Grade — da dann die niedrigeren Preise dem deutschen Kaufmann eine noch leichtere Unterbietung auf den Auslandsmärkten ermöglicht hätten. Diese Veränderungen des deutschen Außenhandels hätten sicherlich der Hausse der Auslandsvaluten entgegengewirkt, sie hätten sie aber schwerlich zum Stillstand bringen können, solange die Lasten aus dem Versailler Vertrag bestehen blieben.

Es folgt daraus, daß die Inflation nicht als die Ursache des Marksturzes angesehen werden kann. Sie stellt innerhalb der deutschen Wirtschaft ein gefährliches Gegengift gegen die durch den Vertrag von Versailles bedingte Zerrüttung dar; innerhalb der Weltwirtschaft immerhin einen unverhofften Glücksfall, der es verhindert hat, daß Deutschland als Käufer noch weiter ausgeschaltet wurde und als Verkäufer noch größere Vorteile erhielt.

Auch dies Ergebnis mag paradox erscheinen. Aber wie kann der Gedanke anders als paradox geartet sein, der eine widersinnige Lage der Sachen verstandesmäßig fassen soll?

Mitte August 1922.
Kurt Singer

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