Es ist nicht beabsichtigt, unter diesem Titel die bisherige Währungspolitik des Deutschen Reiches abzuhandeln, so sehr sie jenes Prädikat zu verdienen scheint, wenn mit ihm der Begriff des Gestaltlosen, Zerstörerischen und Irrationellen dauernd verbunden bleiben soll. Vielmehr soll versucht werden, auf Grund der wenig ergiebigen Zahlen und Meldungen, über die wir verfügen, einige Züge der Entwicklung der russischen Währung seit dem Wiederbeginn einer geordneten Geldwirtschaft darzulegen. Nicht den geringsten Teil unserer Unterrichtung auf diesem wenig erforschten Gebiet verdanken wir dabei der Abhandlung, die Boris Milentj unter dem Titel „Die Neuorientierung der bolschewistischen Finanzpolitik" (83. Heft der Finanz- und Volkswirtschaftlichen Zeitfragen, herausgegeben von G. Schanz und J. Wolf, Verlag von Ferdinand Enke in Stuttgart, 1923, 123 Seiten) hat erscheinen lassen. Die Zahlenangaben für das Jahr 1923 haben wir der Tagespresse entnommen, soweit sie sich auf Angaben der russischen Ämter zu stützen scheint. Wenn aber statistische Angaben mit Skepsis aufzunehmen sind, so diese mit doppelter Skepsis.
Als die Bolschewisten im Herbst 1917 die Herrschaft über das Zarenreich antraten, fanden sie einen Papierumlauf vor, der das siebeneinhalbfache des Friedensgeldumlaufs (2,4 Milliarden Rubel) betrug. Die Lebensmittelpreise in Moskau zeigten ebenfalls etwa das Siebenfache des Friedensstandes. Anfang 1918 war das Fünfundzwanzigfache, Anfang 1919 das Dreiundvierzigfache, Anfang 1920 das Vierundneunzigfache, Anfang 1921 das Vierhundertneunzigfache des Friedensumlaufs erreicht. Die letzte Zahl entspricht ziemlich genau dem Stand der deutschen Inflation in der zweiten Hälfte des November 1922. In Rußland war sie das Ergebnis einer folgerichtigen Politik, die sich den Zweck gesetzt hatte, die Institution des Geldes an sich zu diskreditieren, die Nichtproletarier zu proletarisieren, die Proletarier an den Staat zu fesseln. Als diese Politik sich am Willen der Bauern brach und als Lenin mit seiner berühmten Rede vom 8. März 1921 eine neue Phase der bolschewistischen Wirtschaftspolitik eröffnete, änderte sich auf dem Feld der Geldverfassung zunächst nicht viel. Die Politik der Abschaffung des Geldes, die durch eine lange Reihe von Dekreten bewerkstelligt werden sollte, wurde zum ersten Mal im Sommer 1921 durchbrochen, als festgesetzt wurde, daß in Zukunft die Benutzung der Eisenbahnen für den Personen- und Frachtverkehr nicht mehr wie bisher unentgeltlich erfolgen sollte. Zugleich wurde eine Geldsteuer wieder eingeführt, in Form einer Handels- und Gewerbesteuer, und bald darauf auch die erste indirekte Abgabe.
Die Erträge dieser Geldsteuern waren sehr geringfügig. Von den Ausgaben des Jahres 1921 wurde ein halbes Prozent durch Geldsteuern gedeckt, 48 Prozent durch die Naturalsteuern, 50,7 Prozent durch Papiergeldausgabe, der kaum 1 Prozent betragende Rest durch „Einnahmen aus Staatsunternehmungen". Anfang 1922 waren die Geldmenge und Preise auf das Achtzigtausendfache gestiegen. Erst in jenem Jahr haben die in der zweiten Hälfte 1921 begonnenen Reformen sich auswirken können.
Die interessanteste unter diesen Maßnahmen ist die Einführung einer neuen Rechnungseinheit in den russischen Staatshaushalt: den Vorkriegsrubel. Die Umrechnung nahm man nicht nach dem Goldpreis vor; da im August 1922 beispielsweise das Gold 34.000 mal, das Mehl 243.750 mal, das Brot 100.000 mal, die Butter 40.000 mal, die Schuhe 15.000 mal und das Petroleum 5.000 mal teurer geworden waren als im Frieden, hielt man das Gold für völlig untauglich, die eingetretenen Veränderungen zweckrichtig auszudrücken; so benutzte man einen Warenpreisindex, und dividierte alle Ausgaben und Einnahmen durch den Index des betreffenden Monats.
Es ergab sich in dieser Berechnungsart eine bemerkenswerte Steigerung der Steuereinnahmen und ein sehr erhebliches Steigen des Anteils der Einnahmen aus Steuern, Staats- und Kommunalbesitz und sozialisierten Unternehmungen an den finanziellen Deckungsmitteln überhaupt. Den absoluten Beträgen nach sind sie noch immer ganz geringfügig. Es betrugen nämlich in „Vorkriegsrubeln" (in Millionen):
Monat | Steuereinnahmen (staatl. u. lokale) | Andere Staatseinnahmen | Verhältnis der gesamten Geldeinnahmen zur monatlichen Papiergeldemission |
---|---|---|---|
Januar 1922 | 0,78 | 3,1 | 10% |
März | 1,3 | 3,8 | 21% |
Mai | 2,5 | 6,5 | 41% |
Juli | 5,5 | 13,7 | 60% |
September | 11,8 | 21,4 | 126% |
November | 15,2 | 18,4 | 112% |
Dezember | 21,4 | 20,4 | 136% |
Januar 1923 | 20,3 | 26,1 | 163% |
Februar | 25,3 | 27,6 | 241% |
Eine monatliche Einnahme von 50 Mill. „Goldrubeln" ist gering. Sie deckt genau ein Sechstel des Vorkriegsbudgets, wenn dies mit 3,6 Milliarden Rubeln richtig angegeben wird. Das Orientierungsbudget für 1922/23 (das bolschewistische Finanzjahr beginnt mit dem Monat September) schließt allerdings nur mit einer Gesamtausgabe von 1.600 Mill. Goldrubel. Hiervon entfallen nach einer etwas undurchsichtigen Zeitungsmeldung 800 Mill. auf Landesverteidigung und auf „Finanzierung von Industrie und Landwirtschaft", 400 Mill. auf Eisenbahn, der Rest auf Verwaltungsausgaben und Bildungswesen. Die sozialisierte Industrie scheidet aus dem Staatsbudget aus; sie wird ihr Defizit selbständig zu decken haben. Der Staat bezahlt die von ihr gelieferten Produkte zum Marktpreis. Allerdings behauptet die Industrie, diese Marktpreise lägen unter ihren Produktionskosten. Ferner kommt zu jener Gesamtsumme noch ein Betrag von 300 Mill. Goldrubeln hinzu, der auf „lokale Budgets" übertragen ist. Für Zwecke der Volksbildung sind im Staatsbudget 41 Mill., in den Kommunalbudgets 60 bis 70 Mill. Goldrubel ausgeworfen.
Das Defizit dieses Voranschlags beträgt 385 Mill. Goldmark, gleich 25 % der Gesamtausgabe. Die Regierung plant, davon 73 Mill. durch Anleihen zu decken, den Rest durch Ausgabe von Papiergeld. Für diese Emissionen ist eine neuartige Kontingentierungsvorschrift erlassen: der monatliche Emissionsbetrag wird zahlenmäßig streng begrenzt; da aber das Kontingent in „Vorkriegsrubel" normiert wird, wird die Grenze mit jeder allgemeinen Preissteigerung höher hinaufgerückt. Für Juni und Juli ist eine monatliche Ausgabe von 30 Mill. Goldrubel erlaubt. Das Finanzkommissariat hat beantragt, sie für August auf 15 Mill. herabzusetzen. Nach einer Meldung des Revaler Boten vom 3. Juli soll das Finanzkommissariat der Meinung sein, daß die Steuerlast keine Erhöhung verträgt; man könne höchstens den Apparat der Finanzverwaltung verbessern.
Wenn man die Wirkungen der neuen Finanzpolitik auf die Bewegung der Preise abschätzen will, so wird man gut tun, die hier zusammengestellten Zahlen zu betrachten (in Mill.):
Monat | Staatliche Geldeinnahmen und Steuern (in Vorkriegsrubeln) |
Emission v. Papiergeld: | Preise | ||
---|---|---|---|---|---|
a) in Rubeln von 1923 | b) in Vorkriegsrubeln | a) Kleinhdl. (1913=1) | b) Großhndl. (1913=1) | ||
1922 Jan. | 3,8 | 12,6 | 40,0 | 0,32 | – |
1922 März | 5,1 | 32,9 | 23,8 | 1,38 | – |
1922 Mai | 9,0 | 85,8 | 21,8 | 3,93 | – |
1922 Juli | 19,2 | 154,3 | 32,1 | 4,81 | 4,34 |
1922 Sept. | 33,2 | 155,3 | 26,4 | 5,88 | 5,34 |
1922 Nov. | 33,6 | 383,7 | 29,9 | 12,82 | 12,82 |
1922 Dez. | 41,4 | 515,2 | 30,5 | 16,92 | 18,08 |
1923 Jan. | 46,4 | 634,7 | 28,5 | 22,23 | 24,37 |
1923 Febr. | 53,2 | 607,4 | 22,1 | 27,55 | 30,98 |
Der allrussische Kleinhandelsindex, der hinter dem Moskauer stark zurückbleibt, den allrussischen Großhandelsindex der Staatskommission für planmäßige Wirtschaft aber merkwürdigerweise hinter sich ließ, stieg von Januar bis März 1922 um 331 %, von März bis Mai um 185 %, von Mai bis Juli um 22 %, von Juli bis September ebenfalls um 22 %, von September bis November um 118 %, von November bis Dezember um 32 %, von Dezember bis Januar um 31 %, von Januar bis Februar um 24 %, von Februar bis März um 24,6 %, von März bis April um 37,5 %, von April bis Mai um 44,7 %, von Mai bis Juni um 61,5 %.
Es scheint aus diesen Zahlen zu folgen, dass die neue Steuerpolitik und die Steigerung der Produktion in einigen Wirtschaftszweigen, vor allem im Erzbergbau und in der Eisenindustrie, die Preissteigerung eine Zeitlang stark gedämpft haben. Wie die Preisbewegung im letzten Vierteljahr 1922 zu erklären ist, die eine andere Richtung eingeschlagen hat, ist aus dem uns vorliegenden Zahlenmaterial nicht zu ersehen. Die ordentlichen Einnahmen des Staates waren im November, umgerechnet in Vorkriegsrubel, sogar ein wenig höher als im September. Die Eisenerzförderung, Eisen- und Stahlproduktion macht gerade in diesen Monaten starke Fortschritte. Allerdings steigt die monatliche Papiergeldemission von September bis November wieder sehr stark an: von 155,3 auf 383,7 Mill. Rubel (Typ 1923). In Vorkriegsrubel umgerechnet ist zwar die Zunahme geringer als in den Monaten Juli oder Dezember, und das Verhältnis der Gesamtsumme der ordentlichen Einnahmen zur monatlichen Emission ist mit 112 % nur wenig schlechter als im September und fast doppelt so hoch wie im Juli.
Vielleicht ist eine der wichtigsten Ursachen der Preissteigerung in der Erhöhung der Reallöhne zu sehen, die im Januar 1922 mit 26,3 % des Standes in 1913 angegeben werden, für Juli mit 36,2 %, für September mit 41,1 %. Im Übrigen muss beachtet werden, dass bei der Erörterung der Ursachen einer Preissteigerung die Umrechnung der Mehremission von Papiergeld in „Vorkriegsrubel“ durch Division mit den Warenpreisindices wenig Sinn hat: wenn überhaupt die Vermehrung des Papiergeldes als mögliche Ursache der Preissteigerung betrachtet werden soll, so wird man die Größe dieser Ursache nicht „richtiger“ ermitteln können, wenn man sie durch eine Größe teilt, die möglicherweise ihre eigene Wirkung misst. Es ist dies einer der häufigen Fälle, wo die Umrechnung in „Goldwerte“ zu Trugschlüssen führt.
Das entscheidende Faktum, es sei nun Ursache oder Symptom, ist die monatliche Vermehrung der Emission von 383,7 Mill. Rubel 1921 im November, gegen 155,3 Mill. im September.
Von noch größerem Interesse ist die seit April 1923 einsetzende neue beschleunigte Preissteigerung. Aus diesem Ereignis geht eines mit Sicherheit hervor: die Einführung der Goldrechnung, die in Russland seit Mitte 1922 angestrebt wird und die mit der Schaffung des Goldtscherwonez Ende 1922 begonnen hat, ist nicht imstande gewesen, die Preisbewegung zu mildern: sie hat ihr vielmehr einen neuen mächtigen Antrieb gegeben. Von diesen Noten, die von der russischen Staatsbank, laut Dekret vom 21. Juli 1922, emittiert werden dürfen, gegen 25-prozentige Deckung durch Edelmetalle und Devisen und restliche Deckung durch leicht verkäufliche Waren, Wechsel und andere kurzfristige Kredite, waren am 1. März 3 Millionen emittiert (gleich 30 Mill. Goldrubel), am 1. Juli 9,6 Millionen. Hiervon waren gedeckt
Durch | 1. März | 1. Juli |
---|---|---|
Gold | 1533,9 | 4959,0 |
Silber | - | 62,7 |
ausländ. Banknoten | 454,8 | 291,5 |
Pfund-Sterling-Tratten | 246,2 | 438,2 |
Wechsel in Tschwerwonez | 414,1 | 2309,5 |
Lombard-Forderungen | 1139,6 | 2701,2 |
Diese Goldtscherwonez-Emission ist, solange nicht nachgewiesen wird, dass sie zu einer Steigerung der Produktion geführt hat, trotz aller „Deckung“ als Inflation reinen Stils zu betrachten. Sie stellt zusätzliche Kaufkraft dar, die auf den Warenmärkten sich in einer Steigerung der Preise auswirken muss, wenn ihr nicht andere Markttendenzen entgegenwirken. Wenn man sich den Grad dieser Inflation vergegenwärtigen will, so mag man daran denken, dass der gesamte Umlauf an Sowjetrubelnoten am 1. Januar 2311,8 Mill. Rubel von 1923 (= 2311,8 Billionen Rubel ursprünglicher Sowjetrubel) betrug; in Vorkriegsrubel nach dem Teuerungsindex umgerechnet 101,9 Mill. „Goldrubel“ – gegen 96 Mill. „Goldrubel“ Tscherwonzen, die sich Anfang Juli 1923 im Verkehr befanden. In sechs Monaten ist also der russische Geldumlauf verdoppelt worden – auch wenn man von der Vermehrung des Staatspapiergeldes absieht.
Dass es sich durchaus um zusätzliche Kaufkraft handelt, ergibt sich daraus, dass auch die zur „Deckung“ der Goldnoten ausgesonderten Edelmetallreserven sich in den letzten Jahren nicht im Umlauf befunden haben. Bedenkt man, dass die Menge des umlaufenden Papiergeldes, in Vorkriegsrubel umgerechnet, sich während des Jahres 1922 nur um 25 % vermehrt hat, so wird man zu dem Schluss kommen müssen, dass durch die Schaffung der Goldnoten die russische Wirtschaft in den eben überwundenen Zustand des heftigsten Inflationsfiebers zurückversetzt worden ist.
Ursachen und Wirkung sind auch hier kreisschlüssig ineinander gebunden. Weil in Gold gerechnet werden soll, erhöhen sich die Preise stärker, als sie es ohne mechanische Bindung an Dollar und Pfund getan hätten; weil die Preise sich stärker erhöhen, wird ein höheres Maß von Inflation verlangt und damit ein weiteres Sinken des Rubelkurses bewirkt. Der Kurs des Pfund Sterling zeigt diese Wechselwirkung im Zusammenhang mit den oben gegebenen Daten deutlich an: Er stand Anfang des Jahres auf 200, war bis Anfang März erst auf 212,5 gestiegen, verdoppelte sich Anfang Mai auf 444, erreichte Anfang Juli 753 und Anfang August 1100 Rubel. Auch hier ist also festzustellen, dass der Übergang zur Goldrechnung den Kurs der alten Währung nicht zur Ruhe gebracht, sondern in fortschreitende Erschütterung versetzt hat.
Kurt Singer