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Der Friedensvertrag von St. Germain schuf aus den Alpenländern des alten Österreich ein Staats- und Wirtschaftsgebiet. Der auf den Trümmern der Donaumonarchie entstandene Kleinstaat zählt 6½ Millionen Einwohner, davon fast ein Drittel in Wien. Die agrarische Basis des neuen Staatsgebildes, namentlich hinsichtlich der Brotversorgung, ist außergewöhnlich schmal. Für Ackerbau und Gartenbau ist bloß 24 % der gesamten Bodenfläche verwendbar, während im Reich durchschnittlich 48,6 % des Bodens der Ackerwirtschaft unterliegen. Die Schweiz ist der einzige Staat, welcher bezüglich des verfügbaren Ackerbodens noch schlechter gestellt ist als Deutschösterreich. Die 4½-jährige Kriegswirtschaft hatte den Boden stark ausgesogen. Gleichzeitig wurden auch die industriellen Produktionsgrundlagen Wiens und der Alpenprovinzen durch die Herauslösung aus dem großen Wirtschaftsverband, deren integrierender Bestandteil sie waren, erschüttert. Zudem war diese Industrie auf die Bedürfnisse einer Millionenarmee eingestellt und ihre Umstellung erheischte Zeit und vor allem erhebliche Kapitalien und Rohstoffe. Schwer lastete auf dieser Umstellungsarbeit wie auf der laufenden Produktion die Trennung von der Kohlenbasis. Diese Trennung wurde in der Entstehungsperiode der Nationalstaaten im buchstäblichen Sinne durchgeführt. Die neu errichteten politischen Grenzen bildeten zunächst durch die erlassenen Ein- und Ausfuhrverbote ein nahezu absolutes Verkehrshindernis. Damit wurde zugleich die Fertigindustrie Deutschösterreichs, soweit sie arbeitsfähig war, von ihren wichtigsten Absatzgebieten abgeschnürt. Eine schwere Last entstand dem neuen Staate durch die Zerstückelung des Eisenbahnsystems. Die alpenländischen Strecken der österreichischen Bahnen waren stets passiv, infolge der schwierigen Geländeverhältnisse gehören sie zu den teuersten Bahnlinien Europas, das in ihr steckende Kapital ist daher selbst bei höchst rationaler Betriebsführung schwierig zu verzinsen. Bei dem übergroßen Beamtenapparat war natürlich an einen sparsamen Betrieb nicht zu denken. Auch nach erfolgtem Abbau, der zu den vornehmsten Aufgaben des Sanierungswerkes gehört, bleiben wohl die Bundesbahnen ein Sorgenkind der österreichischen Finanzverwaltung. Die Hypertrophie des Beamtenkörpers beschränkte sich freilich nicht auf die Staatsbahnen, sie bestand vielmehr in allen Zweigen der auf ein großes Reich zugeschnittenen Verwaltung. Zu all dem Übel trat der allen kleinstaatlichen Gebilden gemeinsame Rückgang von Arbeitsintensität und Leistung einer unterernährten und zermürbten Bevölkerung hinzu. Schließlich trat noch das besondere Problem der Millionenstadt Wien hinzu, deren Rolle als Finanzierungsmittelpunkt und Handelsmonopol durch den politischen Zerfall zunächst fast gänzlich verspielt erschien.

Die schlimmste Krise, während welcher nahezu der gesamte industrielle Produktionsapparat stillstand, wurde von Mitte 1919 schrittweise überwunden. Lebensmittelhilfen, Hilfskredite linderten die äußerste Not der Bevölkerung und die durch den Marktsturz kurzfristig geschaffene Exportprämie belebte die industrielle Tätigkeit, sofern die spärliche Rohstoffversorgung dies zuließ. Die Verkehrserschwernisse zwischen den Nachfolgestaaten wurden nach und nach abgetragen. Mitte und Ende 1920 wurden Kohlengentlemen mit Jugoslawien und Rumänien abgeschlossen, 1921 folgte der auch politisch bedeutende Liefervertrag mit der Tschechoslowakei. Ende 1920 entwickelte sich eine regelrechte Valutakonjunktur, die bis zum Ausgang des Jahres 1921 anhielt. Der relative Aufschwung – durchschnittlich wurde vielleicht 50 % der industriellen Produktionskapazität ausgenutzt – vollzog sich inmitten der schwersten Krise des Weltmarktes. Die Absatzstockung der valutastarken Länder erleichterte gerade für Deutschösterreich die Beschaffung tschechischer Kohle. Ende 1921 kam die Konjunkturbewegung ins Stocken. Die deutsche Konkurrenz wurde infolge der Krise der Markvaluta selbst auf Binnenmärkte drückend. Die Krone wurde dagegen infolge einer Aktion des Völkerbundes zugunsten Österreichs relativ stabil. Nachdem aber diese zu keinem Resultat führte, setzte im April des Jahres 1922 ein neuer Valutasturz und auch eine gewisse Belebung der industriellen Tätigkeit ein. Die Phasen der Valutabewegung und der Beschäftigungslage sind aus der nachstehenden Übersicht erkenntlich:

Datum 1 Goldkrone = Papierkrone1 (auf Grund des durchschn. Kurses des schweiz. Franken) Unterstützte Arbeitslose am Ende des Monates
1919 Januar 3,40  
1919 Juli 6,51  
1920 Januar 41,— 69 427
1920 Juli 28,46 23 970
1921 Januar 106,87 16 217
1921 Juli 141,69 11 708
1921 Oktober 634,06 8 709
1922 Januar 1 546,— 33 641
1922 April 1 568,— 44 320
1922 Juli 6 232,— 80 909
1922 Oktober 14 104,— 58 018
1923 Januar 18 867,— 101 225

Die logische Entwicklung der Arbeitspolitik im dritten Quartal des Jahres 1922 weist schon deutlich darauf hin, dass die Regierung zur Ankurbelung des Wirtschaftsapparates ihre Zauberkraft eingebüßt hat. Der Rückgang der Produktion trotz (oder vielmehr infolge) des stürmischen Aufwärtsbewegung der fremden Wechselkurse war ein Symptom einer außerordentlich gefahrvollen Krise des deutsch-österreichischen Geldwesens, welche Staat und Wirtschaft mit dem Zerfall und der völligen Auflösung bedrohte.

Die österreichische Geschäftsführung der Österreichisch-Ungarischen Bank wies nach Durchführung der Währungstrennung durch die Notenabstempelung am 1. April 1919 einen Notenumlauf von 4687 Mill. K auf. Innerhalb eines Jahres wuchs der Betrag auf 15.458 Mill. und bis zum 1. Jan. 1921 erfolgte eine weitere Verdoppelung. Zur Beleuchtung des weiteren Ganges der Inflation mögen die wichtigsten Daten aus dem Status der Notenbank dienen:

Datum Staatsschatzscheine
(in Mill. K)
Wechsel
(in Mill. K)
Notenumlauf
(in Mill. K)
1921 Ende Juli 51 683 1 130 54 107
1922 Ende Januar 191 107 39 166 227 016
1922 Ende Juni 378 920 175 301 349 916
1922 Ende September 996 216 783 289 2 277 678
1922 Ende Oktober 1 384 368 876 406 2 970 917
1922 Ende November 2 560 845 721 245 3 417 786

Die Finanzverwaltung hatte ein monatliches Defizit von etwa 30–35 Mill. Goldkronen mittels der Notenpresse zu decken. Infolge der herrschenden Geldflüssigkeit war bis zur Mitte des Jahres 1921 der staatliche Zuschussbedarf fast die einzige Quelle der Inflation. Das Bild änderte sich nachher rasch, weil die privaten Kredite in viel schleunigerem Tempo anwuchsen als die Vorschüsse an den Staat. Ende September 1922 beträgt das Wechselportefeuille rund 80 % der gesamten Scheinkredite. Es vollzog sich mithin, was sich ein Jahr später in Deutschland abspielte. Die Notenbank stellte der Geschäftswelt große Geschenke zur Verfügung (7 % Diskont ohne Entwertungsklausel). Diese großzügige Versorgung von Handel und Industrie mit Betriebsmitteln, die durch keinerlei merkliche Produktionssteigerung begleitet war, wirkte sich irgendwie am Devisenmarkt aus und trug zweifellos in erheblichem Maße zur Währungszerrüttung bei.

An ernsthaften Versuchen seitens der Regierung und des Parlamentes zur Herabdrückung des Budgetdefizits fehlte es nicht. Man leistete jedoch Rückwerk, da man wiederholt nur – von der Einnahmeseite her – die Sanierung versuchte, und die Ergebnisse der in Angriff genommenen finanzpolitischen Maßnahmen wurden durch die nachfolgende Inflationswelle weggeschwemmt. 1920/21 mussten 61 % der Ausgaben mittels der Notenpresse gedeckt werden. Ende des Jahres 1921 wurde der Entschluss gefasst, einen großen Abstrich im Ausgabenetat durch Einstellung der Lebensmittelzuschüsse zu machen. Auch dieser Versuch schlug fehl. Was die Regierung an den Zuschüssen ersparte, musste sie an erhöhtem Personalaufwand verausgaben. Die im Gefolge dieser „Ersparungsmaßnahme“ entstandenen Lohnstreitigkeiten führten zur Annahme des Indexlohnsystems, das nachher auch für die Beamten und Angestellten des Staates zur Anwendung kam.

Die deutsche Geldentwicklung der letztvergangenen Monate hatte hier ein Vorspiel. Es zeigte sich bald, dass das Indexsystem die Inflationswirtschaft ad absurdum führt, indem es deren Nachteile ins Unerträgliche steigert und die ephemeren Vorteile beseitigt. Indem sich Angestellte und Arbeiter gegen die Kürzung ihrer Bezüge durch die unausgesetzte Preishaussse zur Wehr setzten, schwanden die Voraussetzungen der Valutakonjunktur, da keine breite Schicht mehr da war, auf welche die Kosten derselben abwälzbar waren. Durch den Index wurde die Anpassung an die Weltmarktpreise wie das Tempo der Inflation und letzten Endes die Valutahausse sehr beschleunigt. So wurde die österreichische Krone relativ schnell einem Stadium entgegengeführt, in dem sie ungeeignet erschien, als Mittel zur Deckung des Defizits von Staats- und Volkswirtschaft zu dienen und, sich selbst überlassen, irgendwelche Geldfunktionen zu verrichten.

Offenbar ist es noch in hohem Maße ein massenpsychologisches Problem, wann eine Papierwährung so weit getrieben ist. Es kommt dabei weniger auf die absolute Kurshöhe als auf die Intensität der Kursschwankungen an. Jedenfalls gewann man im Sommer 1922 die Überzeugung, dass es so nicht weitergehe. Der Arbeitermassen Wiens bemächtigte sich ein dumpfer Groll, Regierung und öffentliche Meinung waren sich über die Notwendigkeit der schnellen Abhilfe zur Vermeidung eines völligen Zusammenbruches einig.

Zunächst wurde eine Sanierung aus internen Kräften ins Auge gefasst. Eine neue Notenbank, welcher die Großbanken das zur Valutaregelung erforderliche Devisenmaterial zur Verfügung zu stellen hätten, sollte gegründet, durch eine innere Goldanleihe das Budgetdefizit gedeckt werden. Der gesunde Kerngedanke war hier, mittels eigener Anstrengungen die Vertrauenskrise zu überwinden, um nach der provisorischen Konsolidierung an die Kapitalmärkte des Auslandes zu appellieren.

Es fehlten nicht an ernsthaften Stimmen, die diesen Weg für gangbar, die österreichische Wirtschaft für leistungsfähig genug hielten, das Budgetdefizit eines Jahres von sich aus aufzubringen. Die Regierung entschied sich jedoch für die andere Lösung. Der Bundeskanzler Seipel trat seine berühmten Reisen nach Prag, Berlin, Verona an. Diesmal ist es gelungen, die entgegenstehenden Machtbestrebungen Italiens und der Tschechoslowakei auszubalancieren. Über das sich entspinnende diplomatische Ränkespiel gibt der Vorschlag Kunde, der Polen die Garantie für 10 % der kommenden Völkerbundsanleihe zuschieben wollte. Er diente dem Zweck, im Kontrollkomitee Frankreich und der kleinen Entente die absolute Majorität zu sichern. Die Entbehrlichkeit Polens zur Sicherung der Anleihe wurde doch eingesehen und die Hilfsaktion des Völkerbundes zugunsten Österreichs zum Beschluss erhoben. Die Bedingungen wurden in den um 4. Oktober 1922 unterfertigten Genfer Protokollen niedergelegt.

Das Genfer Hilfswerk erstreckt sich nicht auf ein organisch durchdachtes Wiederaufbauprogramm. Es führte im Gegenteil in seinen Konsequenzen aus bündnispolitischen Rücksichten zur Drosselung der Ausgaben für Elektrifizierungsarbeiten und Wasserkraftanlagen, obwohl der ökonomische Wiederaufbau ohne eine weitgehende Ausnutzung der Wasserkräfte undenkbar ist. Die Aktion des Völkerbundes beschränkt sich auf die finanzielle Sanierung. Indem sie aber anstelle einer zerrütteten Valuta eine stabile setzt, schafft sie eine Grundbedingung zur Gesundung des ganzen Wirtschaftskörpers.

Die Grundlinien des Sanierungsprogramms lauten im Folgenden zusammengefasst: Deutschösterreich erhält eine internationale Anleihe von 650 Mill. Goldkronen, wovon 130 Mill. zur Rückzahlung früherer Schulden dienen. Die Anleihe wird von den im Völkerbund vertretenen Staaten garantiert und erhält außerdem eine Spezialsicherung durch die Verpfändung der Einnahmen aus der Zollverwaltung und dem Tabakmonopol. Die bereits vorher erfolgte Aufhebung der Generalhypothek der Reparationsgläubiger auf die gesamten Staatseinkünfte Deutschösterreichs auf die Dauer von 20 Jahren ermöglichte die Stellung dieser letzten Sicherung. Der Erlös der Anleihe dient zur Deckung des Budgetdefizits während der Jahre 1923/24. Eine weitere Inanspruchnahme der Notenpresse zur Deckung der staatlichen Ausgaben ist ausgeschlossen. Nach dem Übergangsstadium von zwei Jahren soll das Budget ins Gleichgewicht kommen. Zur Erreichung dieses Zweckes wurde ein bestimmter Finanzplan zur allmählichen Herabdrückung des Defizits in halbjährigen Etappen entworfen. Dieser Plan schreibt auf der einen Seite Einnahmeerhöhungen, noch mehr aber Einsparungsmaßnahmen vor, unter welchen der Beamtenabbau und die Umwandlung der Bundesbahnen in ein von der staatlichen Administration unabhängig arbeitendes gemeinwirtschaftliches Unternehmen eine hervorragende Rolle spielt. Verzinsung und Tilgung der Völkerbundsanleihe sind in den Finanzplan einbezogen. Die Durchführung der Finanzreform wird vom Repräsentanten des Kontrollkomitees des Völkerbundes beziehungsweise dessen Vollzugsorgan in Wien, dem Generalkommissar, übertragen. Die Kontrollbefugnisse sind außerordentlich weitgehend und bedeuten, kritisch betrachtet, die Suspendierung der Souveränität des Staates Deutschösterreich auf die Dauer von zwei Jahren. Nach Ablauf der Übergangsperiode wird die Kompetenz des Generalkommissars auf die Verwaltung der Spezialpfänder beschränkt, sofern die Bedingungen des Finanzplanes bis dahin erfüllt werden. Das Wiederaufbaugesetz sorgt auch für die Ausschaltung eines etwaig renitenten Parlamentes, indem es jede Regierung, die während der nächsten zwei Jahre amtieren wird, ermächtigt, ohne Anrufung des Parlamentes alle Maßnahmen zur Wiederherstellung des budgetären Gleichgewichtes innerhalb des vereinbarten Programmes zu ergreifen. Die Finanzhoheit des Parlaments ist damit vollständig aufgehoben, weil ein weiterer Artikel auch dafür sorgt, dass die Regierung im Einvernehmen mit dem Generalkommissar auch Abänderungen des Programms vornehmen kann, sofern die vorgesehenen Maßnahmen die Erreichung des Gleichgewichts im Staatshaushalt nicht gefährden. Die uneingeschränkte Vollmacht von Regierung und Generalkommissar wird durch die Bildung eines erweiterten Kabinettsrates, in dem auch die parlamentarische Opposition Sitz hat, formell etwas gemildert. Dieser wird von den Mitgliedern der Regierung, des Bundesrates und der Nationalversammlung gebildet und fasst über Verordnungen gesetzesändernder Natur Beschlüsse.

Die Durchführung des Sanierungsprogrammes.

1. Die Regelung der Währung. Die Inanspruchnahme der Notenpresse für die Finanzverwaltung hörte im November 1922 gemäß den getroffenen Abkommen auf. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Diskontierung von Staatsschatzscheinen eingestellt. Am 1.12.1922 wurde die österreichische Geschäftsführung der „Österreich-Ungarischen Bank“ in die neu gegründete „Nationalbank“ überführt und damit die alte Zentralnotenbank der früheren Monarchie liquidiert. Das Kapital der neuen Notenbank wurde mit 30 Millionen Goldkronen bemessen, das im Inland aufgebracht wurde. Das Notenausgaberecht der neuen Notenbank ist in folgender Weise geregelt: Bis zum Betrag von 2560 Millionen Kronen kann der Notenumlauf durch Schatzscheine (d. i. der im November erreichte Höchststand der Schatzscheinemission) gedeckt werden. Darüber hinaus müssen die Noten und Giralverbindlichkeiten während der ersten fünf Jahre des Bestehens des Noteninstituts zu 20 % durch Gold beziehungsweise Devisen auf Edelvalutaländer, der Rest durch Handelswechsel gedeckt werden. Während des ersten Jahrfünftes dürfen auch die Lombardkredite der Notendeckung zugerechnet werden. Die Gold- beziehungsweise Devisendeckungsverpflichtung soll in fünfjährigen Abständen bis zu einem Drittel erhöht werden. Auf die neue Zentralbank überging auch die Devisenzentrale, und damit übernahm sie notwendig die Verpflichtung zur Regelung des Devisenverkehrs. Sie erhielt zu diesem Zweck die Devisenbestände der Devisenzentrale und weiter auch die Erlöse aus den inneren Goldanleihen und der Völkerbundsanleihe. Gegen diese Erlöse wurden Banknoten an die Staatsverwaltung ausgehändigt. Der Status der Nationalbank entwickelte sich wie folgt (in Milliarden Papierkronen):

Datum Barschatz, Gold- und Edelvaluten Wechsel Staats-schatzscheine Banknoten-umlauf
7. Januar 1928 1195,2 731,6 2537,9 4053,7
7. April 1928 1426,1 826,3 2530,2 4310,1
7. Juli 1928 2833,0 70.,8 2547,2 5369,9
7. August 1928 3064,0 643,0 2539,0 5643,0
7. September 1929 3116,0

664,0 2538,0 5870,0
7. Oktober 1929 3236,0 931,0 2537,0 6220,0

Die Stabilisierung der Krone wurde erfolgreich durchgeführt. Der Nationalbank flossen nicht nur aus den oben erwähnten Quellen Devisen zu, sondern auch infolge des Zustroms ausländischer Kapitalien seit der Stabilisierung. Die noch formal bestehenden Beschränkungen des Devisenverkehrs haben für den Devisenmarkt praktisch keine Bedeutung mehr. Die Devisenabteilung der Nationalbank kann den Anforderungen voll entsprechen. Die Bank wäre sicherlich in der Lage gewesen, die Devisenkurse noch weiter herunterzudrücken, doch wurde aus guten Gründen von einer Deflationspolitik Abstand genommen und an einem Dollarkurs von rund 71.000 festgehalten. Dies bedeutete einen Dollarindex von 14.800, während der Lebenshaltungsindex sich in den letzten zwölf Monaten zwischen 9.865 und 11.000 bewegte (Juli 1914 = 1), der (ungewogene) Großhandelsindex erreichte im September dieses Jahres 17.746. Die Disparität zwischen Lebenshaltungsindex und Dollarkurs erklärt sich vor allem durch den Mieterschutz. Es bestehen auch noch für Lebensmittel Ausfuhrverbote, welche die Preise einzelner Artikel etwas unter Weltmarktparität halten. Die Beruhigung des Devisenmarktes seit dem ersten Vorbereitungsstadium des Sanierungswerkes zeigt die folgende Reihe:

Monat Dollar-Höchstkurs
in Wien
Dollar-Mindestkurs
in Wien
1922 Juli 42 525 20 844
1922 August 88 925 51 030
1922 September 76 225 74 483
1922 Oktober 74 125 73 625
1922 November 74 030 71 678
1922 Dezember 71 525 70 175
1923 Januar 71 575 70 175
1923 April 71 075 71 025
1923 Juli 70 985 70 935
1923 Oktober 70 931 70 093

Währungstheoretisch ist es sehr bemerkenswert, dass der Betrag an umlaufenden Noten seit der Stabilisierung sehr stark zugenommen hat – von 2.277 Milliarden Ende September auf 4.080 Ende Dezember. Wie der Status der neuen Notenbank zeigt, ist auch seither eine namhafte Weitererhöhung des Notenumlaufs eingetreten. Die Steigerung, die keine Hausse am Waren- und Devisenmarkt zur Folge hatte, ist offenbar auf die Wiederherstellung des Vertrauens zurückzuführen, das den Umlaufbedarf durch Herabdrückung der Zirkulationsgeschwindigkeit der Noten erheblich steigerte. In der Friedenszeit entfiel vom Notenumlauf der Österreich-Ungarischen Bank nach verbreiteten Schätzungen ein Betrag von 500 Mill. Goldkronen auf das heutige Gebiet Deutschösterreichs. Der gegenwärtige Notenumlauf erreicht in Goldkronen ausgedrückt etwa 400 Mill. Berücksichtigt man die Unterschiede in der Intensität der Wirtschaftstätigkeit gegenüber der Vorkriegszeit, so erscheint der erreichte Stand des Notenumlaufs recht hoch.

2. Das Anleiheprogramm
Von der Unterfertigung der Genfer Protokolle bis zur Flüssigmachung der Völkerbundsanleihe sind acht Monate verstrichen. Die Sanierungsarbeit musste zunächst mit Hilfe von internen Anleihen in Angriff genommen werden, wollte man an dem Genfer Programm festhalten und der übernommenen Verpflichtung, mit der Inflationswirtschaft ab November 1922 aufzuräumen, nachkommen. Zu diesem Zweck mussten die österreichischen Großbanken 80 Mill. Goldkronen in Edelvaluten im November aufbringen. Weiter wurde im Dezember eine achtprozentige innere Dollaranleihe im Betrage von 27,6 Mill. Goldkronen aufgelegt, die vom Publikum gezeichnet wurde. Außerdem standen der Finanzverwaltung aus der Liquidationsmasse der Österreich-Ungarischen Bank etwa 15 Mill. Goldkronen zur Verfügung. Da aber alle diese Mittel für die Zwischenzeit nicht ausreichten, gewährte England im März 1923 einen Vorschuss von 87,6 Mill. Goldkronen auf die Völkerbundsanleihe. Schließlich wurde die Anleihe selbst im Juni an den verschiedenen Geldzentren der Welt im Gesamtbetrage von 650 Mill. Goldkronen aufgelegt. Der tatsächliche Erlös betrug 605 Mill. und die durchschnittliche Effektivverzinsung 7¾ %. Die Tilgung soll durch Verlosungen bis 1943 erfolgen. England, Frankreich und die Tschechoslowakei übernahmen die Garantie für je 22,67 % des Gesamtbetrages, Italien 16 %, außerdem die Schweiz, Spanien, Holland, Belgien, Schweden, Dänemark kleine Garantiequoten. In Österreich wurden 65 Mill. Goldkronen gezeichnet, größtenteils durch Konvertierung der oben erwähnten beiden Goldanleihen in die Stücke der Völkerbundsanleihe. Im Ausland, namentlich in London und New York, wiesen die Zeichnungen, die unter der obersten Leitung der Bank von England erfolgten, einen großen Erfolg auf. Man legte Wert darauf, zu zeigen, mit welchem Erfolg das Ententekapital ein wirtschaftlich zerrüttetes Land wieder auf die Beine helfen kann. Man war überhaupt geneigt, vom Völkerbund her, in einer gewissen Selbstgefälligkeit, in der Sanierung eine „Prunkleistung“ zu sehen, obwohl die eigentlichen Anstrengungen Deutschösterreich selbst machen musste und die Gewährung einer mit allen Sicherheiten ausgestatteten Anleihe zu ¾ nicht gerade als die reinste Wohltat betrachtet werden kann. In Österreich selbst wird das Genfer Programm von den bürgerlichen Parteien getragen und als eine streng bürgerlich-kapitalistische Lösung des Wiederaufbauproblems aufgefasst.

Da von dem Erlös der Anleihe die in 1922 gewährten Kredite von England, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei sowie der englische Vorschuss vom März 1923 im Gesamtbetrage von 287 Mill. Goldkronen in Abzug gebracht werden mussten, verblieben für die noch zurückliegende Sanierungsperiode von 18 Monaten (Juli 1923 bis Dezember 1924) 350 bis 360 Mill. Goldkronen.

3. Der Finanzplan sieht in vier halbjährigen Etappen den Abbau des Budgetdefizits vor:

Milliarden K I. Jan. / Juni 1923 II. Juli / Dez. 1923 III. Jan. / Juni 1924 IV. Juli / Dez. 1924
Ausgaben 4312,3 3857,7 3440,9 3160,1
7. April 1928 2280,7 2717,3 3134,1 3320,2
Defizit (-) oder Überschuss (+) -2031,6 -1140,4 -306,8 +160,1

Aus dem für die erste Etappe zur Verfügung stehenden Betrage von 2.033 Mill. K zur Deckung des Einnahmeausfalles dieser Periode wurden für den genannten Zweck 1.311,7 Mill. in Anspruch genommen. Die tatsächlichen Ausgaben stellten sich, dem Voranschlage annähernd entsprechend, auf 4.307,6 Mill., die erzielten Einnahmen wiesen dagegen ein Plus von über 700 Mill. auf. Dieses günstige Ergebnis wurde durch die überraschende Steigerung der Steuereinnahmen ermöglicht. Innerhalb einzelner Gruppen wurde auch der Ausgabenetat beträchtlich überschritten (insbesondere bei der Bundesbahn und den anderen Bundesbetrieben), eine große Ersparnis in den Verwaltungsausgaben half aber, die Mehrerfordernisse auszugleichen. Die Verwaltungsausgaben des Halbjahres erforderten 1.122,8, die Pensionen 508,6, die soziale Fürsorge 415,7, das Heerwesen 301 Mill. Die Zuschüsse an die Bundesbahnen betrugen 956, an die anderen passiven Betriebe 259 Mill. K. Zum Verständnis dieser Zahlen ist es nötig, die österreichische Budgetierungsmethode sich vor Augen zu halten. Für den Bereich der Hoheitsverwaltung wird ein Bruttobudget aufgestellt, während die Staatsbetriebe und Monopole nur mit ihren Nettoüberschüssen oder -abgängen im Staatshaushaltsplan figurieren. Die Etatpositionen werden von Monat zu Monat durch den Generalkommissar überprüft und erst nach Genehmigung der Ausgaben wird monatlich eine dem Völkerbundsplan entsprechende Rate aus der Anleihe freigegeben. Die Anleiheerlöse wurden bei der Nationalbank eingezahlt und stehen unter der Verfügung des Generalkommissars. Die Einnahmen aus der Zollverwaltung und dem Tabakmonopol werden ebenfalls ihm zugeführt. Die Freigabe etwaiger Überschüsse erfolgt nach Vorwegnahme von Zins- und Tilgungsquoten der Völkerbundsanleihe.

Die Durchführung der Finanzreform stieß in den ersten Monaten auf die größten Schwierigkeiten. Der für die ersten sechs Monate vorgesehene monatliche Ausgabeüberschuss von 338,6 Mill. K wurde stark überschritten, große Steuervoreinzahlungen im April erleichterten dann die Finanzlage der Regierung, der für Jahresbeginn noch gewisse außerordentliche Einnahmen (u. a. aus der Liquidation der alten Notenbank) zur Verfügung standen. Sie hatte andererseits auch für bestimmte Ausgaben Rückstände aus dem Finanzjahr 1922 aufzukommen. Nachdem die starke Steigerung der Einnahmen über die Schwierigkeiten der ersten Monate hinweggeholfen hat, forderte die Verzögerung der Ersparnismaßnahmen den Generalkommissar zu einer scharfen Kritik heraus. Der Beamtenabbau ging nicht in dem vorgeschriebenen Tempo vonstatten. Von den 240 000 Angestellten des Bundes müssen bis Juli 1924 100 000 entlassen werden, und die Hälfte der Entlassungen musste bis zum 1. Juli des laufenden Jahres durchgeführt werden. Mitte Juli waren 36 540 Personen abgebaut.

Noch günstigere Ergebnisse als das erste Halbjahr brachte der erste Monat der zweiten Reformetappe. Gegenüber einem Voranschlag von 190 Mill. Budgetdefizit wird bloß ein Ausgabenüberschuss von 86 Mill. ausgewiesen. Dieses günstige Zahlenbild muss allerdings kritisch gewertet werden. Es gibt nur die kassenmäßige Gebarung, ohne Rücksicht auf Voreinzahlungen oder Verschiebung von Ausgaben auf spätere Termine. Nach einer Angabe Dr. Steinböcks in den „Mitteilungen des Verbandes österreichischer Banken“ betrugen die Steuervoreinzahlungen während der ersten Jahreshälfte 216,3 Milliarden, und die ressortmäßigen Schuldenrückstände am 30. Juni etwa 100 Milliarden. Schon damit erhöht sich das vom Finanzministerium für die erste Reformetappe ausgewiesene Defizit um 316 Millionen. Der im ersten Halbjahr erfolgte Personalabbau ist insofern nur ein bedingter Erfolg, weil sich unter den Entlassenen auch ungefähr 12 000 Arbeiter der Tabakregie befanden, die wegen des Absatzrückganges von Tabakfabrikaten ihre Tätigkeit einstellen mußten. Auf das gesamte Steuersystem wirft die Tatsache ein ungünstiges Licht, daß die direkten Steuern, trotz der überraschenden Steigerung der Einnahmen aus dieser Quelle, mit 729 Mill. bloß 28 % der Gesamteinnahmen ausmachen. Die Überspannung der Verbrauchsbelastung soll aber ab Januar 1924 noch gesteigert werden. Der Genfer Finanzplan sieht da eine Verdoppelung der gegenwärtigen 2%igen Umsatzsteuer und eine Erhöhung der Zollsätze vor. Bis jetzt ist noch der Zolltarif der alten Monarchie von 1906 in Geltung, wobei für die meisten Waren das 10 000fache des Friedenssatzes, mithin also 2/3 % des letzteren erhoben werden. Für eine Reihe von Waren wird die volle Goldparität berechnet, während die Lebensmittelzölle suspendiert sind. Die parlamentarische Erledigung des Entwurfs eines neuen Zolltarifes, der eine Erhöhung der Zölle auf Industrieartikel und zur Entschädigung der agrarischen Kreise auch die Belastung landwirtschaftlicher Produkte vorsieht, wurde wegen der Ende Oktober stattfindenden Wahlen hintangestellt.

*

Die Rückwirkung der Stabilisierung von Valuta und Preissystem auf die Wirtschaft bestand in der Heraufbeschwörung der unvermeidlichen Gesundungskrise. Die Arbeitslosigkeit erreichte den Höchststand Ende Februar mit 167 400 Unterstützten. Die Zahl derselben sank dann allmählich bis rund 80 000 Ende September. Die Ausschaltung des Ruhrgebietes erleichterte in den Frühjahrsmonaten die Besserung der industriellen Beschäftigungslage. Zweifellos wirkte nach einer gewissen Umstellung die Gewinnung fester Kalkulationsgrundlagen belebend auf die Produktion. Die Bautätigkeit kam lebhafter in Gang, eine großangelegte Siedlungsbewegung, unterstützt durch die zielbewusste und straffe Finanzpolitik der Gemeinde Wien, kam derselben zustatten. Eine neue Baustoffindustrie mit modernster Serienfabrikation zur Herstellung billiger Materialien entstand im Anschluss an diese Bewegung. Eine beispielslose Börsenkonjunktur setzte, unterstützt durch ausländische Nachfrage, in den Frühjahrsmonaten ein. Der Kursindex zeigt folgende Bewegung (1914 1. Halbjahr = 1):

  Oktober 1922 Januar 1923 April 1923 Juli 1923 Oktober 1923
Banken 82 100 205 345 303
Eisen-Metallindustrie 521 497 665 1 391 1 481
Elektrizität 137 171 316 629 671
Maschinen-Waggons 276 426 485 1 274 1 444
Papier 1 181 938 1 108 2 350 3 884
Gesamtindex ausschl. div- Bergwerksbetriebe 454 452 577 1 209 1 569
Diverse Bergwerksbetriebe 12 276 17 106 23 244 39 243 39 947

Zu beachten bleibt es bei dieser Vervielfachung der Kurse in stabiler Währung, dass die ersten fünf, in einem Index zusammengefassten Gruppen während der Inflationsperiode durchgehend Kapitalverwässerungen vornahmen, natürlich in verschiedenem Grade. Die Bergwerksunternehmen verfolgten eine andere Kapitalpolitik, sie setzten den Nominalbetrag ihres Aktienkapitals entweder überhaupt nicht oder nur unwesentlich in die Höhe. Das wirkliche Maß der Aufwertung kommt daher nur bei dieser Gruppe annähernd richtig zum Ausdruck. Demnach werden die Aktien der Schwerindustrie, in Gold gerechnet, auf nahezu das Dreifache der Friedenskurse bewertet. Mit der Höhe der Dividenden haben diese Kurssteigerungen nichts zu tun. Die Hausse musste sich daher aus inneren Gründen auslaufen, ihr Ende wurde aber durch die Angst vor dem deutschen Zusammenbruch beschleunigt.

Für eine wirkliche und definitive Lösung des deutsch-österreichischen Wiederaufbauproblems bleibt die Frage entscheidend, ob Produktion und Verbrauch des Landes in Einklang zu bringen sind. Die erfolgreiche Durchführung der Finanzsanierung bedeutet naturgemäß noch nicht das Gleichgewicht der Wirtschaft. Was jetzt geleistet wird, bedeutet eigentlich nichts anderes, als dass ein kleines, notleidendes Wirtschaftsgebiet durch die großen Wirtschaftsmächte zwei Jahre hindurch finanziell über Wasser gehalten wird. Dies geschieht allerdings in der Erwartung, dass die innere Wirtschaftsgesundung die finanzielle Stützung rechtfertigen wird. Zur Entfaltung der Produktionskräfte selbst unternimmt das Genfer Programm direkt gar nichts. Die zweijährige Atempause, die einer bis dahin von Krise zur Krise getriebenen Wirtschaft gewährt wird, und die erhöhte Ökonomie von Staatsverwaltung und Staatsbetrieben, wollen wir immerhin nicht unterschätzen.

(Ein zweiter Aufsatz folgt.)

Dr. Georg Kemedy

  • [1] Nach "Statistische Nachrichten", herausgg. von Bundesamt für Statistik.

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