Eine Währung ist immer so viel wert wie der Staat, der für ihre Verfassung verantwortlich ist. Ein schwacher und unsicherer Staat wird eine haltlos schwankende, ein sich befestigender eine sich befestigende, ein starker eine starke Währung haben. Der Zusammenbruch der Reichsmark war nur ein genauer Ausdruck der Ohnmacht und Ratlosigkeit des Reiches. Die Tätigkeit der Notenpresse ist immer ein Symptom; nur Pfuscher kurieren an solchen Symptomen herum; die wirkliche Ursache liegt stets in der Schwäche des Staates, der mit zu hohen Ausgaben überlastet ist oder nicht genug Autorität besitzt, um sich die nötigen Deckungsmittel zu verschaffen. Wenn solche Bedingungen zusammentreffen mit einer völligen Abwesenheit planmäßiger Währungspolitik, so muß die Währungskrisis zur Währungskatastrophe werden, wie sie jetzt über das Deutsche Reich hereingebrochen ist.
Es genügt zur Kennzeichnung der Lage, daß die polnische Währung in Berlin über der Parität steht und daß für eine Reichsmark nicht mehr zwei österreichische Kronen gekauft werden können. Alle Kenner werden darin übereinstimmen, daß ein solcher Fall der Mark auf ein Zehntausendstel der Friedensparität schlechthin absurd ist, selbst wenn die schlimmsten Folgen der Ruhraktion sich verwirklichen sollten. Die Kurse kommen dadurch zustande, daß einer nicht erheblichen, aber erregten Nachfrage nach Auslandsvaluten überhaupt kein Angebot gegenübersteht — Panik der Käufer, Streik der Verkäufer. Bei einer solchen Verfassung des Marktes sind beliebig hohe Kurse möglich. Das Spiel von Angebot und Nachfrage ist außer Kraft gesetzt und die großen Vorteile der freien Preisbildung existieren nicht mehr.
In einer solchen Lage kann die Regierung zwei Arten von Maßnahmen ergreifen: obrigkeitliche und kaufmännische. Die obrigkeitlichen sind in diesem Fall ganz ungeeignet. Der Valutamarkt entzieht sich der Reglementierung viel mehr als irgendein anderer Markt, denn er ist einer der internationalsten. Es ist schon fraglich, ob eine wirksame Überwachung des zwischenstaatlichen Zahlungsverkehrs in Kriegszeiten, unter der Herrschaft von Post- und Telegraphenzensur, durchgeführt werden kann. Unter den jetzt gegebenen Verhältnissen wird eine Devisenhandelsverordnung mehr Verwirrung als Nutzen stiften. Wenn auf die intervalutarischen Kurse heute eingewirkt werden kann, so ist das nur durch Anwendung kaufmännischer Mittel möglich. Devisen lassen sich nicht kommandieren, aber sie zeigen stets eine bemerkenswerte Gefügigkeit, wenn ein mächtiger Gegenspieler auf dem Plan erscheint und der Börse so starke Schläge erteilt, daß ihr die Lust am Panikmachen vergeht. Die Gelegenheitsspekulanten werden es dann für richtiger halten, ihre eingesperrten Devisen an den Markt zu bringen.
Ist das Reich imstande, eine solche Kurspolitik zu treiben, die zwar den Sturz der Mark nicht beseitigen, aber doch hemmen und mildern könnte? Die Antwort auf diese Frage hängt von der Schätzung der deutschen Währungsreserven und ihrer künftigen Belastungsproben ab.
Wie groß die Bestände der Devisenbeschaffungsstelle sind, wissen wir nicht. Nimmt man an, daß ihr im Durchschnitt 25 Prozent der deutschen Ausfuhrwerte zufließen, so hätte sie in den letzten Monaten mindestens je 60 Millionen „Goldmark“ eingenommen. Aus diesen Summen sind die 270 Millionen „Goldmark“ belgischer Reparationswechsel abzudecken und die Getreideeinfuhr der Reichsgetreidestelle zu finanzieren... Der Rest soll nach Zeitungsmeldungen dem Valutamarkt laufend zur Verfügung gestellt werden. Es steht demnach so, daß in den nächsten sechs Monaten die Getreideeinfuhr den Valutamarkt nicht irgendwie erheblich belasten wird, und daß für die Abzahlung der schwebenden Schuld gegen Belgien hinreichend vorgesorgt ist. Auch der Valutenbedarf für die Kohleneinfuhr wird zum großen Teil durch die Devisenbeschaffungsstelle gedeckt. So nützlich die Tätigkeit dieser Stelle ist und so viel für die Beibehaltung der Devisenablieferungspflicht spricht: man wird sich nicht der Tatsache verschließen können, daß der Valutamarkt durch das Ausscheiden eines wesentlichen Teils der Exportdevisen noch weiter verengt wird. Es folgt hieraus zum mindesten, daß die so zustandekommenden Kurse den Stand der Zahlungsbilanz in starker Verzerrung spiegeln.
Die Devisenbestände und Auslandsguthaben der Reichsbank sind nicht bekannt. Sie werden von ihr nicht gesondert aufgeführt, während die Reichsbank doch sonst den größten Wert darauf legte, ihre Reserven möglichst hoch auszuweisen, um ein günstiges „Deckungsverhältnis“ zu erzielen. Die Undurchsichtigkeit der Ausweise ist um so unverständlicher, als die Entente durch ihre Kommissionen sicherlich sehr genau über den Stand unserer Währungsreserven unterrichtet ist. Die Nichtveröffentlichung leistet also, sehr gegen den Willen der Reichsbank, einem Teil der Valutenspekulanten und einem Teil der Auslandspresse Vorschub, die dem Reich seit Jahren vorwirft, seine Finanz- und Wirtschaftslage zu verschleiern.
Der Goldbestand der Reichsbank wird in den Ausweisen noch immer mit einer Milliarde, also in „Goldmark“ angegeben, während die Banknoten mit fast 2000 Milliarden, also in „Papiermark“ ausgewiesen werden. Das ist eine ganz unzureichende Art der Bilanzierung. In Reichsmark ausgedrückt, steht bei einem Dollarkurs von 42000 M einem Goldbestand von 10 Billionen ein Notenumlauf von fast 2 Billionen gegenüber. Nimmt man an, daß der Notenumlauf, der zu erwartenden Preissteigerung entsprechend, bald auf 5 Billionen anwachsen wird, so wäre auch dann der Notenumlauf noch immer mit 200 Prozent in Gold gedeckt. Hier sind also Reserven vorhanden, von denen ein Teil ohne Bedenken in den Dienst einer Regulierungspolitik gestellt werden könnte.
Nun pflegt einem solchen Gedankengang entgegengehalten zu werden, daß das Ausland jede aktive deutsche Währungspolitik leicht durchkreuzen könnte, indem es die Lawine des Auslandsbesitzes an deutschen Marknoten und Markguthaben ins Rollen bringt. Es ist nicht einzusehen, warum das Ausland sich der letzten Chance einer Heilung der Markwährung widersetzen sollte. Die angebliche Lawine aber ist im Lauf der letzten Monate zu einem höchst ungefährlichen Schneeball zusammengeschmolzen. Der Beweis ist leicht zu führen.
Der ausländische Besitz an deutschen Marknoten wurde von der Reichsbank für Ende 1921 auf 25 bis 30 Milliarden Reichsmark geschätzt. Keynes hielt im Sommer des letzten Jahres 26 Milliarden für die obere Grenze des möglichen Betrages. Im Jahre 1922 sind schwerlich erhebliche Markbeträge dauernd vom Ausland aufgenommen und in der Form von Banknoten konserviert worden.
Die ausländischen Markguthaben bei deutschen Banken wurden Ende 1921 von der Reichsbank auf 35 Milliarden Reichsmark geschätzt. Ob sie sich im Jahr 1922 beträchtlich erhöht haben, entzieht sich unserer Kenntnis. Ebensowenig ist uns bekannt, in welchem Umfang solche Guthaben in deutsche Wertpapieranlagen übergeführt worden sind. Der Besitz des Auslandes an geldmäßigen oder ähnlichen Markwerten wird schwerlich auf weniger als 50 und schwerlich mehr als 100 Milliarden Reichsmark zu schätzen sein.
Dies waren schon vor Monaten durchaus unbeträchtliche Zahlen. Legt man aber einen Kurs von 42000 M. für den Dollar zugrunde, so handelt es sich um fünf bis zehn Millionen „Goldmark“ und selbst bei einem Kurs von 10500 M nur um 20-40 Millionen, also um ein bis zwei Fünfzigstel des Goldbestandes der Reichsbank.
Es scheint also bei den gegenwärtigen Kursen ein leichtes zu sein, den gesamten Markbesitz des Auslands aus dem Markt zu nehmen, ohne den Goldbestand der Reichsbank merklich zu vermindern. Wenn aber eingewendet wird, daß jeder Versuch zum Aufkauf der Marknoten im Ausland mit erheblichen Steigerungen des Markkurses beantwortet werden müßte, die die Durchführung der Transaktion erschweren würden, so ist darauf zu antworten, daß dies eher für als gegen unsere Anregung spricht: denn der Aufkauf der Mark ist nur ein Mittel, die Hebung des Markkurses der Zweck. Wir haben in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht, daß die Steigerungen der Devisenkurse sich mit wachsender Schnelligkeit in Steigungen der Teuerung und der Löhne ausgewirkt haben. Was Deutschland auf diesem Felde bevorsteht, wird durch die Tatsache angezeigt, daß im Durchschnitt des Januar der Teuerungsindex 1000 betrug, der Dollarindex aber gegenwärtig über 9000 steht. Von den Gefahren, die eine solche Spannung einschließt, machen sich diejenigen Unternehmer keine hinreichende Vorstellung, die ihre Wirtschaftsrechnungen auf „Goldmark“ haben umstellen können. Schlechthin alles aber hängt jetzt davon ab, daß es gelingt, die deutsche Widerstandsfähigkeit nicht nur auf Wochen, sondern auf Monate zu erhalten. Das Reich hat die stärkste Regierung seit Kriegsende, und es besitzt wieder ein zu staatlichem Dasein entschlossenes, geeintes Volk. Es fehlt ihm eine Währungspolitik großen Stils, die kühn und wachsam die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen weiß. Müssen erst wieder ausländische Sachverständige herbeigeholt werden, um das zu sagen, was inländische Sachkenner (nicht die berühmten Interessenten-„Sachverständigen“) längst und immer wieder gesagt haben? K. S.