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I.

Die Reichsregierung wird in den nächsten Wochen Entscheidungen von großer Schwere zu treffen haben. Sie wird sich dabei bewußt sein, daß die Freiheit ihres Handelns in erster Linie bedingt ist durch den Stand und die Aussichten der deutschen Währung. Stünde es wirklich so, daß das System der Zwischenwährung zusammenbrechen muß, wenn nicht in kürzester Frist ein Reparationspakt geschlossen wird, so hätten die Gegner in der Tat leichtes Spiel. Der Zweck der folgenden Darlegungen ist es, zu zeigen, daß jene Meinung auf einer Häufung von Irrtümern beruht. Das Reich kann warten, bis eine Lösung heranreift, die von seinen Staatsmännern verantwortet werden kann. In der Währungslage wenigstens ist kein Zwang zu übereilten Entschlüssen und fatalistischer Schwäche begründet.

II.

Der sichere Bestand einer Währung beruht auf der Einsicht des Staates in die Ziele und Mittel der Geldpolitik, und in der Kraft, die er für die Verwirklichung dieser Einsichten einsetzen kann. Über die nächsten Ziele der deutschen Geldpolitik besteht unter den führenden Fachleuten, auch solchen sehr verschiedener Schule und Richtung, mehr Übereinstimmung, als der Laie anzunehmen geneigt ist. Wenigstens werden diejenigen Nationalökonomen, die durch eigene Forschung historischen oder theoretischen Charakters das Wissen von den neueren Geldverfassungen gefördert haben, leicht darin übereinkommen, daß die deutsche Geldpolitik ihre nächsten Aufgaben erfüllt hat, wenn sie für die Stabilität der intervalutarischen Kurse und des innerdeutschen Preisstandes gesorgt hat; des Preisstandes in einer Höhe, die die deutsche Industrie wettbewerbsfähig hält und damit die Vorbedingung für die Andauer der Stabilität von Wirtschaft und Währung schafft. Hierbei wird allgemein zugestanden, daß die Parität von 4,2 Billionen Mark mit dem amerikanischen Dollar aufrechterhalten werden muß; eine Aufgabe, die indessen nach der Meinung der meisten Kenner nur lösbar ist, wenn eine Senkung des gegenwärtigen deutschen Preisstandes durchgesetzt wird.

Weniger große Übereinstimmung besteht in der Frage der Mittel, mit denen jene Ziele erreicht werden können. Doch auch hier sind die verschiedenen Forscher weniger durch die Verschiedenheiten ihres theoretischen Ausgangspunkts getrennt als durch Unterschiede des politischen Temperaments: ob einer sich mehr dem Herkommen oder der Ratio anvertraut, ob er Sicherung für stets dringlicher hält als Kühnheit, ob er die Fehler automatischer oder die verstandesmäßiger Regelung für größer hält, entscheidet hier mehr als die Verschiedenheit begrifflich-methodischer Voraussetzungen. Führende Forscher sehr verschiedener theoretischer Richtung stimmen in ihren währungspolitischen Anschauungen überein; Angehörige der gleichen Schulen weichen in ihrer Währungspolitik stark voneinander ab – ein Zustand, der um so weniger verwunderlich ist, als staats- und sozialwissenschaftliche Theorie, richtig verstanden, weder eine Aussage über das Wesen der Dinge noch über ihre richtige Gestaltung, sondern lediglich eine Ordnung von Gesichtspunkten ist, nach denen betrachtet die Sachverhalte von Staat und Wirtschaft am klarsten aufzufassen und darzustellen sind.

Aber auch unter den führenden wissenschaftlichen Vertretern der verschiedenen währungspolitischen Lager wird heute keine erhebliche Verschiedenheit der Meinungen über die Mittel bestehen, mit denen die Stabilität der intervalutarischen Kurse von Deutschland in der gegenwärtigen Lage verteidigt werden muß, unbeschadet der Antwort auf die Frage, was in einer günstigeren Situation geschehen könne. Sie werden alle darin übereinstimmen, daß die Kraft zur intervalutarischen Stabilisierung der Mark abhängig ist von der Höhe der Währungsreserven, von der Balancierung des Staatshaushalts und von einer Kreditpolitik der Reichsbank, die es verhindert, daß einem Kapitalmangel durch Geldvermehrung abgeholfen wird; drei Bedingungen, von denen die beiden letzten auch mit einigen Vorbehalten im Anschluß an die Forschungen der Schule von Cambridge so formuliert werden können, daß die Geldmenge nur im Einklang mit den Veränderungen des Geldbedarfs der Volkswirtschaft verändert werden darf. Der Geldbedarf der Volkswirtschaft, nicht zu verwechseln mit dem Kreditbedarf der Unternehmungen, ist hier gemäß der Definition gemeint, die er nach der bestechenden Formulierung von Keynes (A Tract on Monetary Reform, London 1923 eh. III) in jener Schule gefunden hat; er ist bei gegebenem Wohlstand und Versorgungsgrad und gegebener Gestaltung der Volkswirtschaft eindeutig bestimmt durch die Höhe des Preisstandes (p), die Teile ihrer Realeinkommen und Realvermögen, die Haushaltungen und Unternehmungen in Form von Noten (k) und Giralguthaben (k1) zu halten pflegen, und durch die Größe des Teils der Giralguthaben, der von den Banken durch Geldzeichen gedeckt zu werden pflegt (r), in algebraischer Formulierung: n = p (k + rk1). Inflatorisch wird hier eine Geldmenge genannt, die den so definierten Geldbedarf überschreitet; kontraktorisch eine solche, die hinter ihn zurückbleibt. Beim Gebrauch der Formel muß beachtet werden, daß es Fälle gibt, in denen eine Vermehrung der Geldmenge das Maß der Bedarfsdeckung, den Versorgungsgrad und Wohlstand der Wirtschaft erhöhen kann und also nicht als inflatorisch zu bezeichnen ist, obwohl die übrigen Bedingungen des Geldbedarfs sich nicht verändert haben.

Dies sind die Fälle, die von Bendixen als „klassische Geldschöpfung“ bezeichnet worden sind, in erster Linie die Vermehrung der Geldmenge bei Gelegenheit der Diskontierung echter Warenwechsel über verkaufte Waren, vorausgesetzt, daß der Kreditnehmer sich über die Absatzmöglichkeiten des Marktes keinen Täuschungen hingegeben hat. Diese Fälle sind von Keynes nicht beachtet worden. Er legt mit Recht großen Nachdruck darauf, daß eine Veränderung der Geldmenge nicht zu einer Preissteigerung führen muß, wenn sie durch Veränderungen der übrigen Komponenten des Geldbedarfs: der Kassenhaltung und der Reservenpolitik ausgeglichen wird (Sachverhalte, die von der früheren Theorie höchst unzweckmäßigerweise mit dem Begriff der Umlaufsgeschwindigkeit gefaßt werden sollten); er scheint zu übersehen, daß das Geld unter Umständen ohne inflatorische Wirkung vermehrt werden kann, ohne daß die Größen p, k, k1, r überhaupt eine Änderung erfahren – und daß dieser Fall zu den wichtigsten zu zählen ist, mit dem eine rationale Währungspolitik zu rechnen hat. Hier liegt eine Grenze seiner Theorie, wie umgekehrt die wichtigste Grenze der Theorie Bendixens in der Vernachlässigung des Umstandes zu suchen ist, daß die Kassenhaltung der Unternehmungen und Haushaltungen sehr beträchtlicher Veränderungen fähig ist.

III.

Der Erfolg der deutschen Währungspolitik in den letzten acht Monaten beruht darauf, daß die oben umrissenen Grundsätze einsichtiger Währungspolitik, zum Teil nach einigem Tasten und Zögern, im großen und ganzen beachtet worden sind. Wir reden vom Erfolg der deutschen Währungspolitik – nicht der Rentenmark, denn diese bildet nur ein Nebengeld im Gefüge der deutschen Geldverfassung, dem weder im Guten noch im Schlimmen die ausschlaggebende Bedeutung zukommt, die ihm von Bewunderern und Feinden in parteipolitischen und publizistischen Auseinandersetzungen von großer Heftigkeit noch immer beigelegt zu werden pflegt.

Über den Anteil der Rentenmarkscheine am deutschen Geldumlauf und über dessen Gesamtbewegungen seit dem Beginn der provisorischen Währungsreform unterrichtet die folgende Zusammenstellung, die auf amtlichen Angaben beruht. Sie ist insofern nicht vollständig, als sie das ohne staatliche Genehmigung ausgegebene Notgeld und die als Zahlungsmittel auch im Inland dienenden Auslandszahlmittel nicht berücksichtigt – Beträge, die sich nicht nur der Berechnung, sondern auch der Schätzung entziehen, zumal es immer unsicher bleiben muß, ein wie großer Teil der Devisen und der ausländischen Noten als Zahlungsmittel verwendet worden ist und in welchem Verhältnis dieser Teil zu den ruhenden Beständen an Sicherungsdevisen gestanden hat.

Fig 1

In einer zweiten Tabelle sind die wichtigsten Daten zusammengestellt, die zur Bemessung der deutschen Wirtschaftslage verfügbar sind. Es fehlen die wichtigsten Ausweiszahlen der Großbanken: Kassenbestände, Devisen und Auslandsguthaben, Wechsel, Lombard, Debitoren, Kreditoren. Während für England und die Vereinigten Staaten monatliche, zum Teil wöchentliche Ausweise der wichtigsten privaten Kreditinstitute vorliegen, wird in Deutschland in diesem Punkt eine durchaus unverständliche Geheimniskrämerei geübt. Von dieser Feststellung ist auch die Reichsbank nicht auszunehmen, die noch immer ihre Auslandsguthaben unter den „Sonstigen Aktiven“ mehr versteckt als ausweist, obgleich ein Verstecken dieser Währungsreserven genau den gleichen Sinn und die gleiche Wirkung hat wie ein Verstecken des Goldbestandes.

Fig 2

Man wird diese Zahlenreihen nicht verstehen und man wird die Handlungsweise der Reichsbank nicht beurteilen können, wenn man sich nicht vergegenwärtigt, daß für die deutsche Währungspolitik in dem ersten Stadium der Reform nur eine Zahl als feststehend gelten konnte: der Stand des Dollarkurses, den man zu verteidigen gedachte. Alle anderen Daten mußten als variabel gelten: nicht nur die Kassenpolitik der Haushaltungen und Unternehmungen (vulgo: „Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes“), sondern auch der Preisstand und der Versorgungsgrad der Volkswirtschaft; als variabel aber war auch einzusehen die Gestaltung der Wirtschaft selbst. Der Preisstand: denn man hat den valutarischen Stand der Mark, wie uns scheint, mit guten Gründen, sich nicht aus den Mitte November geltenden Kaufkraftparitäten, dem Verhältnis also der in- und ausländischen Preisindices, ergeben lassen; sondern man wollte, daß sich der deutsche Preisstand auf das Niveau einstellte, bei dem der Dollarkurs von 4,20 M gehalten werden konnte. Der Versorgungsgrad: denn es war damit zu rechnen, daß die Befestigung der Währung wie die Liquidation des Ruhrkriegs auf Produktion und Konsum, Ein- und Ausfuhr die stärksten Wirkungen üben würde. Die Gestaltung der Wirtschaft: denn es war allen Kennern spätestens im Herbst 1923 deutlich geworden, daß die deutsche Volkswirtschaft während der Inflationsjahre so starke Deformationen erlitten hatte, daß die Frage dringlich wurde, ob in der letzten Phase der Markzerstörung überhaupt noch von einer sinnvollen Wirtschaft gesprochen werden konnte. Sparen und Rechnen hatte seinen Sinn verloren, die Kapitalien waren in Warenbeständen, Anlagen und Devisenvorräten immobilisiert, der bankmäßige Zahlungsverkehr und das Kreditgeschäft der Banken war zerstört, das Denken der meisten spekulativ entartet. Diese Umstände bewirkten vereint, daß eine rationale Veranschlagung des deutschen Geldbedarfs, in dem oben definierten Sinn, nicht vorgenommen werden konnte. Der Vergleich mit den Schätzungen des Friedensgeldumlaufs (nach der Meinung der Reichsämter 6 Milliarden M, vielleicht 1–2 Milliarden weniger) konnte dem Kenner nicht viel sagen. Es blieb also kein anderes Mittel, als sich besonnen und kühn so lange vorzutasten, bis man festen Boden unter den Füßen fühlte.

Die Befestigung der intervalutarischen Kurse gelang im ersten Ansturm, über alle Erwartung gut. Die Baissespekulation wurde, auch auf den Auslandsmärkten, so sehr in die Enge getrieben, daß die Dollarparität dieser Märkte im Dezember sich auf 4,00 stellte. Das deutsche Preisniveau senkte sich im Dezember nach dem Großhandelsindex des Statistischen Reichsamts, der die landwirtschaftlichen Produkte stark bevorzugt, von 139, nach dem Index der „Frankfurter Zeitung“, der auch industrielle Fertigwaren einschließt, von 165 auf 126 und 156, im Januar auf 117 und 146, um im Februar ungefähr auf diese Höhe zu verharren. Inzwischen aber war der Dollarkurs, nach den Notierungen der Auslandsbörsen, auf 4,314 und 4,482 gestiegen. Er erlitt im März eine geringfügige Abschwächung, während die Inlandspreise anzuziehen begannen. Sie hielten sich aber nicht nur in diesem Monat noch immer unter dem Dezemberdurchschnitt, sondern auch im April, wo der Höhepunkt von 124,1 bzw. 152,3 erreicht wurde, während der Dollarkurs, infolge der mißglückten Frankenspekulation, vorübergehend bis über 4,6 M anstieg.

Es zeigte sich damals, daß die Abdrängung des geschäftlichen Denkens auf das Gebiet der Valutaspekulation noch immer nicht überwunden war: die Unsicherheit der politischen Lage hat dazu nicht weniger beigetragen, als das goldorthodoxe Mißtrauen in die Rentenmark.

In keinem Fall ist die Steigerung des Wechselkurses eine Folge der vermehrten Geldmenge und einer etwa durch sie verursachten Preissteigerung gewesen; denn die aufgeführten Zahlen beweisen deutlich, daß die Wechselkurse führten, die Inlandspreise folgten. Als Bestimmungsgrad des intervalutarischen Kurses kann also nicht eine bereits eingetretene, sondern höchstens eine erwartete Geldvermehrung angesehen werden. Das heißt: die Devisenkursbewegung war spekulativ und stand im Zeichen neuer Inflationshoffnungen oder -befürchtungen. Daß sie nicht ohne weiteres aus den Veränderungen der Handelsbilanz abzuleiten ist, die im Januar stark passiv zu werden begann (vorausgesetzt, daß die seit dem Ruhrkrieg notorisch unvollständigen Zahlen der Reichsstatistik ein getreues Bild der Sachlage geben), zeigt die rückläufige Bewegung des Dollars in den nächsten Monaten, für die ein erheblich größeres Defizit der Handelsbilanz ausgewiesen wird.

Die nackten Zahlen der Geldumlaufsstatistik sagen wenig zur Sache. Sie zeigen Mitte November einen Umlauf von rund 460 Mill. Goldmark, der sich durch Auslandszahlmittel und illegales Notgeld mindestens auf 750 Mill. erhöhen wird; Ende Dezember und Ende Januar einen dreimal oder etwas mehr als dreimal so großen Umlauf. Da die Kassenbestände sich in diesem Zeitraum mindestens verdreifacht haben, kann von einer inflatorischen Wirkung bis Ende Januar nicht im Ernst gesprochen werden. Fragwürdiger ist die starke Vermehrung der Zahlungsmittel in den beiden nächsten Monaten. Sie beträgt für die statistisch erfaßten Zahlungsmittel rund eine halbe Milliarde Jl; insgesamt wahrscheinlich weniger, da die nicht erfaßbaren Zahlungsmittel in dieser Zeit sich eher vermindert als vermehrt haben werden. Seit Ende März ist keine erhebliche Veränderung des statistisch sichtbar zu machenden Geldumlaufs zu verzeichnen; einer Vermehrung um etwa 90 Mill. M bis Ende Mai steht eine vermutlich weit höhere Zahl solcher Auslandszahlmittel gegenüber, die aus dem deutschen Geldumlauf verschwunden sind. Allerdings wäre es sehr irrig, die ganze Verringerung der Devisen- und Notenbestände der deutschen Unternehmungen in dieser Zeit und in den folgenden Wochen als Verringerung des Zahlungsmittelumlaufs aufzufassen: ein großer Teil dieser Bestände hat im Inlandsverkehr niemals als Zahlungsmittel gedient.

Definiert man Inflation als Geldvermehrung, die bei gegebenem Preisstand und gegebenem Versorgungsgrad den Geldbedarf überschreitet, so hat ein Teil der 500 Mill. M neuen Geldes, die in den Monaten Februar und März durch die private Kreditgewährung der Reichsbank geschaffen worden sind, in der Tat inflatorisch gewirkt: das Preisniveau hat sich, um rund 6 %, erhöht, während der Grad der Bedarfsdeckung in diesem Zeitraum sich verbessert hat: von Januar bis März stiegen die Steinkohlenproduktion von 8,8 auf 10,8 Mill. t, die Einnahmen der Reichsbahn aus dem Güterverkehr von 171,8 auf 203,1 Mill. M, der Einfuhrüberschuß von 136 auf 236 Mill. M, während der Arbeitsandrang im Verhältnis 927 : 427 zurückgeht. Alle diese Momente hätten preissenkend wirken müssen. Wenn trotzdem das Preisniveau sich gehoben hat, so kann nur inflatorische Geldvermehrung die Ursache sein. Es wird hierbei vorausgesetzt, daß in jenen Wochen die Kassenhaltung der Haushaltungen und Unternehmungen nicht erheblich verändert worden ist, soweit inländische Zahlungsmittel in Frage stehen. Schwerlich aber ist der Politik jener Monate Fehler begangen, die zu vermeiden umso mehr geboten war, als die hohen intervalutarischen Kurse des Auslandes schon im Januar erheblich über der gewählten Parität standen, und als schon Anfang Februar spekulative Angriffe gegen die Mark sichtbar wurden, deren Gefahr nicht leicht unterschätzt werden durfte.1 Als das Reichsbankdirektorium, Anfang April, begriffen hatte, welche Zusammenhänge zwischen der Valutaspekulation und ihrer eigenen Kreditpolitik bestanden, hat es mit der Anwendung des stärksten Mittels geantwortet, das einer Notenbank überhaupt zu Gebote steht: mit der absoluten Kreditsperre, die nunmehr seit drei Monaten in Kraft steht und die nach einiger Wochen stillen Kampfes die intervalutarischen Kurse völlig in die Gewalt der Reichsbank gebracht hat.

Es zeigte sich damals, daß die Abdrängung des geschäftlichen Denkens auf das Gebiet der Valutaspekulation noch immer nicht überwunden war: die Unsicherheit der politischen Lage hat dazu nicht weniger beigetragen, als das goldorthodoxe Mißtrauen in die Rentenmark.

IV.

Bedeuten die Fehler, die von der Reichsbank in den ersten Monaten des Jahres begangen worden sind, ebensoviel Argumente gegen die Rentenmark? So viel gegen die Konstruktion der Zwischenwährung eingewendet werden kann2, so wäre es doch unbillig, die Zuvielausgabe von einigen hundert Millionen dem Prinzip dieser Währung zu Last zu legen. Unter der Herrschaft vollständiger Goldwährungen sind ähnliche Fehler begangen worden: die grotesken Schwankungen des Großhandelspreisniveaus in den Vereinigten Staaten von 1918 bis 1921 sind das sichtbarste Beispiel. Auch wären die Symptome und Folgen hier wie dort die gleichen gewesen. Ob Gold oder ob Devisen abgestoßen werden müssen, um den Überschuss der Schulden an das Ausland über die Auslandsforderungen zu bestreiten, ist nicht nur für den Kenner das gleiche: das eine wie das andere wird auch von den Banken und dem Zentralinstitut als gleich bedrohlich empfunden.

Es ist aber nötig, noch einen Schritt weiterzugehen. Die Gefahren einer inflatorischen Kreditexpansion werden wachsen, nicht abnehmen, wenn die Zwischenwährung durch eine Goldkernwährung abgelöst wird, wie sie der Dawes-Bericht vorsieht, wenn diese mit einer erheblichen Verstärkung unserer Gold- und Devisenbestände verbunden ist. Wenn die Reichsbank, gestützt auf ihren vermehrten Gold- und Devisenschatz, ein Mehrfaches an Zahlungsmitteln ausgeben will, statt die Vermehrung der Zahlungsmittel von dem Geldbedarf im oben definierten Sinn abhängig zu machen, so wird alsbald sichtbar werden, zu welchen Fehlern das Prinzip der Golddeckung verleiten kann. Die Aufgabe, die Warenpreise auf einen Stand zu bringen, der die deutsche Industrie bei festem Wechselkurs auf den Auslandsmärkten wettbewerbsfähig hält, kann durch die Verstärkung der Währungsreserven ebenso wirksam durchkreuzt werden wie durch die kindliche Vorstellung, es dürfe unbekümmert so viel Geld ausgegeben werden, wie der Betrag der Rentenmarkbelastung von Grund und Boden jeweils ausmacht.

V.

Die Grundfrage aller heutigen deutschen Währungspolitik ist die Frage nach den Mitteln, mit denen diese Preissenkung erzielt werden soll. Die übrigen Komponenten des Währungsproblems bereiten keine Schwierigkeiten mehr: Der Reichshaushalt ist in Ordnung gebracht; in welchem Maße, zeigt die Tatsache, dass das Reichsfinanzministerium es für angängig gehalten hat, die Überschüsse der letzten sechs Monate zu Schuldtilgungen in Höhe von über 400 Mill. Goldmark zu verwenden. Bedeutete das Defizit von rund 500 Mill. Goldmark, das der Voranschlag für 1924–25 aufweist, eine ernste Sorge, so hätte das Reich nicht auf diese Weise handeln können. Die Währungsreserve der Reichsbank aber ist in den letzten Monaten auf einen sehr günstigen Stand gebracht worden, der in den Ausweisen unbegreiflicherweise verschleiert wird. Die „Sonstigen Aktiven“, unter denen sich die Devisenreserven der Reichsbank verbergen, betrugen am 15. November 1923 18,8 Mill., am 7. Januar 285,8 Mill., am 7. Mai 292,2 Mill., am 30. Juni 702,3 Mill. M. Da der Goldbestand der Bank sich von Mitte November 1923 bis Ende Juni 1924 nur von 467 auf 462 Mill. Goldmark gesenkt hat, würde die Reichsbank über eine Währungsreserve in Gold und Devisen in Höhe von 1168 Mill. Goldmark verfügen. Hiervon sind 210 Mill. Goldmark vorbelastet, als Bürgschaft für die in jener Höhe ausgegebenen Dollarschatzanweisungen. Sollte in den „Sonstigen Aktiven“ ein erheblicher Betrag für zurückgekaufte Anweisungen enthalten sein, so verringert sich doch die Währungsreserve nicht, da jene Vorbelastung im gleichen Maße vermindert wird. Falls nicht andere Belastungen des Goldbestandes bestehen, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß, und wenn nicht in den „Sonstigen Aktiven“ andere Posten in erheblichem Umfang mit den Devisen zusammengeworfen sein sollten, so steht der deutschen Wirtschaft eine Währungsreserve ersten Ranges in Höhe von 900 Mill. Goldmark zur Verfügung; ungerechnet die Gold- und Devisenbestände und ausländische Kreditmöglichkeiten anderer Kredit- und Währungsinstitute.

In welchem Maße diese Währungsreserve bedroht ist, wird im Wesentlichen von der Entwicklung des deutschen Außenhandels abhängen. Ausländische Kredite können die Lage für einige Zeit verschleiern, auf die Dauer aber nicht von der Lösung der währungspolitischen Grundprobleme entbinden. Die hypertrophische Steigerung der Einfuhr, der die allmählich wieder wachsende Ausfuhr nur zögernd folgt, kann nur rückgebildet werden, wenn das deutsche Preisniveau gesenkt wird.

Für die Lösung solcher Aufgaben gibt es keine Rezepte. Die Reichsbank hatte zunächst versucht, durch reichliche Kreditgewährung die Produktion in Gang zu setzen, in der Hoffnung, dass der erhöhte Versorgungsgrad zu einer Preissenkung führen würde. Als sie bemerken musste, dass ihre Kreditpolitik nicht zu diesem Ende führte, sondern infolge unwirtschaftlicher Verwendung der Mittel das Festbleiben der Preise und das Festhalten der Devisen bewirkte, hat sie zum Mittel der Kontraktion gegriffen, um die Warenpreise vom anderen Ende her zum Weichen zu bringen. Dies scheint ihr auch in einigem Umfang gelungen zu sein. Gleichzeitig aber ist die Wirkung eingetreten, die noch keiner Kreditsperre einer Zentralbank erspart geblieben ist: das Fehlen der Sicherheit, bei späterer Instanz auf eine unversiegliche Quelle von Notkrediten zurückgreifen zu können, führt dazu, dass die Unternehmer sich selbst ein Moratorium gewähren und dass schließlich die Wirtschaft aus Mangel an Geschäftvertrauen eingeschrumpft ist. Wenn es nicht gelingt, das Gleichgewicht der Handelsbilanz und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie durch andere Mittel herzustellen, so scheint damit der Beweis geliefert, dass die bestehende Wirtschaftsordnung mit einem Krisenproblem von dieser Schwere einstweilen nicht fertig zu werden vermag.

  • 1Vgl. dazu "W.-D" Nr. 7: "Der Markkurs und die Spekulation".
  • 2Vgl. dazu"W.-D" 1923 Nr. 37 und 39/40; 1924 Nr. 13.

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DOI: 10.2478/wd-1924-0910

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