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I. Die neue Deflationsdrohung.

In den letzten Wochen haben zwei einflußreiche Direktoren der Bank von England, Sir Charles Addis und Sir Robert Kindersley, und der Vorsitzende des Verwaltungsrats der Westminster-Bank Dr. Leaf, eine sofortige Deflationspolitik befürwortet, zwecks rascher Wiederherstellung der Vorkriegsparität des Sterlingpfundes mit dem Gold – also die Umkehrung der Politik der berühmten Baldwinschen „nonflationistischen“ Rede vor gerade einem Jahr, in welcher dieser erklärte, es sei die richtige Politik, alles zu tun, was in unserer Macht steht, um die Preise stetig und auf gleichem Stand zu halten.

Von diesen drei Autoritäten hat nur Dr. Leaf Einzelheiten auseinandergesetzt. Seine Ideen von finanzieller Strategie bewegen sich auf denselben Linien, wie die des Herrn Poincaré und würden sich ungefähr ebenso erfolgreich erweisen. Er glaubt, daß das Problem der intervalutarischen Kurse durch eine zeitweilige heftige Aufregung der Spekulanten gelöst werden kann. Herrn Poincarés Heilmittel für den Frank war, die „Bären“ (Baissiers) zu veranlassen, in Deckung zu stürzen; Dr. Leafs Heilmittel für das Sterlingpfund ist, die „Bullen“ (Haussiers) aufzuregen, ins Offene zu stürzen.

Er glaubt, daß die Sache gemacht werden kann, wenn man schwimmende Kapitalien nach London zieht und den Glauben bewirkt, daß das Pfund steigen wird; wie es scheint, ohne andere grundlegende Anordnungen. Es war beunruhigend, die Poincaristische Mentalität an dieser Stelle hier zu entdecken; aber beruhigend, ein wenig später zu finden, daß Dr. Leafs Leichtsinn¹ in der City nicht weiterhin geteilt wird.

Während ein paar Tagen erfreute sich Dr. Leaf eines Als-ob-Erfolges in den Tageszeitungen. Herr „sitzt allerdings immer noch auf dem Zaun“, mit dem Bemerken, daß er nicht „auf das Eis tanzen gehen darf“- indem er eine Geschichte, „dass nur zwei Menschen die intervalutarischen Kurse verstehen, von denen der eine tot und der andere im Irrenhaus ist,“ und ablehnt, in eine Erörterung gezogen zu werden, — enttäuschende Bekenntnisse eines Arbeiterpartei-Sachsekretärs zu einem Streitpunkt, den fast alle Autoritäten, vom Cunliffeausschuß angefangen, einstimmig als von vitaler Bedeutung für den Beschäftigungsgrad betrachtet haben. Aber in anderen Vierteln erhoben sich klare und entscheidene Stimmen rasch zum Widerspruch. Der Verband der britischen Industrien petitionierte die Bank von England, die Ansicht der Industrie anzuhören, ehe man handele. Die „fünf Großen“, geführt von der Midland-Bank, haben, wie man annimmt, zur Vorsicht gedrängt. Die Wochenschriften (denn die Scheidung der Meinungen ist heute bei wirklich wichtigen Streitpunkten oft nicht zwischen den Parteien, sondern zwischen der Tagespresse und der Wochenpresse zu suchen) die „Nation“, der „Spectator“, der „New Leader“ und der „New Statesman“ legten einstimmige Proteste in die Wagschalen.

Es ist als wahrscheinlich anzunehmen, daß fürs erste die deflationistische Bewegung einige Schrammen erlitten hat. In der Tat würde es eine verrückte Politik sein, in dieser Jahreszeit und bei den gegenwärtigen Tendenzen des Arbeitsmarktes und des Preisstandes sich auf einen Feldzug für rapide Deflation im Umfang von 10 bis 12 % zu begeben. In den ersten Stadien könnte die Erregung der Haussiers eine rasche Aufwärtsbewegung hervorrufen; bevor aber das Endziel erreicht wäre, würden viele andere schwierige und schädliche Dinge sich ereignen müssen. Wir wollen — zur Befestigung unserer Stellung — hier vier von den offenkundigen Folgen einer absichtlichen und raschen Steigerung des Realwerts unseres Währungsmaßstabes um 10 Prozent betrachten.

1. Die wirkliche Last der Staatsschuld würde um 10 Prozent vergrößert werden, gleichbedeutend mit fast 40 Millionen £ im Staatshaushalt, denn die Zahlung der festen Geldzinsen auf die Schuld würde ein größeres wirkliches Opfer der Steuerzahler bedeuten. Dies würde zustandekommen, indem die Staatseinnahmen mit den Preisen sinken, während die Ausgaben für Verzinsungsdienst unverändert bleiben würden.

2. Die Geldlöhne in der ganzen Industrie würden um 10 Prozent herabgezwungen werden müssen; dies würde durchaus keine Veränderung der Reallöhne bedeuten; trotzdem kann man sich leicht die Störung des industriellen Friedens vorstellen.

3. Wenn die Besserung des intervalutarischen Kurses des Pfundes die Anpassung der inneren Preise zuvorkommen und in rascherem Tempo voranschreiten würde, so würden für ausländische Käufer die Kosten für den Bezug unserer Stapelaufschläge, Kohlen, Textilien und Eisen- und Stahlwaren vergrößert werden, und die niedrigen Preise würden durch Depression und vermehrte Arbeitslosigkeit in unseren Ausfuhrindustrien erzwungen werden müssen.

4. Alle Warenproduzenten würden Warnung erhalten, daß ihre Waren (im Durchschnitt) während der Produktionsperiode im Preise sinken werden, so daß sie besser daran tun würden, ihre Erzeugung fürs erste einzustellen oder zu beschränken. Allen künftigen Verbrauchern würde gesagt werden, daß sie billiger kaufen würden, wenn sie warteten und ihre Aufträge zurückhielten. Alle Personen und Gesellschaften, die neue Kapitalisierungen erwägen, würden ihre Projekte zurückstellen, denn die Furcht vor anfallenden Defiziten ist schlimm genug; die Gewißheit muß die Arbeitslosigkeit verschlimmern und die produktive Aktivität verzögern.

Ein fröhliches Programm! Ist es den Aspirationen der Arbeiterregierung angemessen? Würde seine Ausführung das Prestige und die Autorität der City erhöhen? Würde die Öffentlichkeit niederfallen und die Goldwährung mit Dankbarkeit und Ehrfurcht verehren?

Diese Ergebnisse würden aus einer Steigerung des Pfundkurses selber folgen, wenn diese langsam durch eine Entwertung des Goldes herbeigeführt werden würde – das heißt durch steigende Preise in Amerika. Sie sind aber das zugestandene Ergebnis eines erklärten Programms erzwungener Deflation.

Eine neue Theorie kann auf dem Feld der Praxis stets niemals ihren Wert haben, wenn sie nicht die gleiche Tatsachen illustriert und durch die Ergebnisse bestätigt wird. Dienjenigen, die sich der Preisstabilität als Grundsatz ihrer Politik verschreiben, sind noch in der Welt. Die letzten Wochen haben gezeigt, welches Gewicht populärer Meinung in ihre Wagschale geworfen wird, wenn es ans Handeln geht.

II. Der Bankdiskont

Der Politik der Währungsregelung (policy of monetary control) wird ein schlechter Dienst geleistet werden, wenn wir erlauben, daß das Instrument des Bankdiskonts in der Stimmung der Öffentlichkeit mit der verhaßten Deflationspolitik verkoppelt wird. Früher oder später — und vielleicht recht bald — wird ein höherer Bankdiskont erforderlich sein, um unsere Stellung zu verbessern. Wenn diese Zeit kommt, so wird der Gouverneur der Bank von England jede Unterstützung brauchen, die er bekommen kann. Es sind immer starke, natürliche Kräfte vorhanden, die zur Inflation neigen. Bei dieser Gelegenheit hatten die Geldreformer ihren Einfluß gegen die Fanatiker der Deflation geltend zu machen, die uns am liebsten mit Messern traktieren; das nächste Mal stehen sie möglicherweise auf der anderen Seite – gegen diejenigen, die uns mit der Inflation berauschen wollen. Man muß nur auf die Diskontpolitik seit dem Kriege zurückblicken, um zu sehen, daß der meiste Schaden dadurch entstanden ist, daß man den Bankdiskont nicht früh genug erhöht hat.

Es würde ein schwerer Schritt sein, den Bankdiskont jetzt zu erhöhen; – und ein verhängnisvoller, wenn er als erster Schritt zur Deflation gedeutet werden müßte. Aber ich würdige den zugrunde liegenden Zug der Dinge, der die verantwortlichen Autoritäten veranlaßt, auf die Zeit zu warten, wo teureres Geld notwendig werden wird. Ich glaube, daß sie im Recht sind, besorgt zu sein, und daß promptes Handeln unterstützt werden sollte, wenn die Zeit kommt.

Das Hauptkriterium für die Erhöhung des Bankdiskonts unter den gegenwärtigen Umständen kann ganz kurz auseinandergesetzt werden. Die inneren Bedingungen – Beschäftigungsgrad, Kreditmarkt, Preisbewegung – begünstigen im Augenblick billiges Geld.

Es ist nicht wahrscheinlich, daß sich in der nahen Zukunft in Innern Bedingungen entwickeln werden, die Restriktionsmaßnahmen fordern. Die Gefahrenlagen müssen bei dieser Gelegenheit vom Auslande erwartet werden, denn der Bankdiskont erhöht werden muß, so wird es sein, weil unsere finanziellen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten zu fremden Ländern sich so entwickeln, daß sie eine Entwertung der Pfundwährung befürchten lassen, wenn sie nicht herabgesetzt wird.

Die außerordentliche Billigkeit von Geldkapital in New York und London bedeutet diese Tatsachen und die Möglichkeit einer Ablenkung von Kapitalien und einer ungeeigneten Beeinflussung unseres Wirtschaftslebens zu einem solchen Augenblick, wo unsere Lage sich möglich Gründe für nicht vorzeitiges Handeln.

Doch gibt es auch starke Einflüsse, die in der anderen Richtung wirken. Trotz reichlicher Kapitalien bleibt New York sehr wenig ans Ausland, und London bleibt das Hauptzentrum, aus dem sich die Börger der ganzen Welt zu versorgen bemühen. Geld mag abnorm billig in New York sein, aber es ist abnorm teuer in vielen Teilen Europas; und die europäischen Börger sind eher geneigt, in Pfundwährung zu borgen, als die amerikanischen Geldleiher, in Pfundwährung zu leihen. Das Schafganst hat große Beträge von Dollars zu kaufen, um seinen amerikanischen Verpflichtungen zu genügen, und es ist zweifelhaft, ob wir unsere Lage dieser neuen Bürde bereits angepasst haben. Wir nähern uns übrigens einer Jahreszeit, wo die Finanzierung unserer Einfuhr, besonders Baumwolle, immer gewichtig ist.

Als Resultat dieser Einflüsse kann der Pfundkurs, sich selbst überlassen – wahrscheinlich, nicht gewiß – eine Neigung zur Entwertung zeigen. Wenn diese Bewegung lediglich fallende Dollarpreise in Amerika widerspiegelte, – wie in der jüngsten Vergangenheit, – so wäre kein Grund zur Klage. Wenn aber eine ungünstige Bewegung der Valutakurssätze sich mit einer Tendenz der Dollarpreise zum Steigen verbände, so wäre eine Schutzaktion unsererseits erforderlich. Ein solches Zusammentreffen ist nicht unwahrscheinlich. Es ist schwer zu glauben, daß einige Monate sehr billigen Geldkapitals in den Vereinigten Staaten nicht eine Aufwärtsbewegung der Dollarpreise einleiten werden.

Das Kriterium für Restriktionsmaßnahmen muß also in gleichzeitigen Tendenzen des Pfundkurses zum Sinken und der Dollarpreise zum Steigen gesehen werden. Wenn sich dies nicht ereignet, – und vielleicht wird es nicht – so ist keine Handlung nötig. Wenn es sich ereignet, so sollte die besondere Korrekturmaßnahme, die anzuwenden ist, so beschaffen sein, daß sie die Kreditgewährung an ausländische Borger so viel wie möglich drosselt, an inländische Geschäftsborger so wenig wie möglich. Eine Lage, in der die äußere Situation auf teures Geld, die innere auf billiges Geld deutet, ist notwendigerweise widersprüchlich und schwer zu handhaben. Es ist ein Problem der Heilung eines Fehlgehens weniger im Betrag als in der Richtung des Kredits, wobei so wenig indirekter Schaden wie möglich während des Prozesses der Wiedergewinnung des Gleichgewichts angerichtet werden sollte.

Von jedem Gesichtspunkt aus ist die einzig vernünftige Politik im Interesse des Landes, die „nonflationistische“ Politik des Herrn Baldwin in der Gegenwart fortzusetzen. In der Tat wird eine Fortsetzung dieser Politik wahrscheinlich – auf Grund der Entwertung des Dollars – die Pfundwährung in angemessener Zeit auf ihre alte Parität zurückbringen. Erst dann wird die Kontroverse zwischen den verschiedenen geldtheoretischen Schulen wirklich als praktische Auseinandersetzung beginnen. In der Zwischenzeit möchte der größte Teil vernünftiger Meinung Handel und Industrie eine Chance des Gedeihens geben, gleicherweise befreit von der Hungerpolitik doktrinärer Deflationisten und von der Berauschungspolitik kurzsichtiger Inflationisten.

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