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Bei der Gestaltung seiner neuen Währung ist das Deutsche Reich nicht frei. Es hat sich an die Grundzüge des Dawes-Berichts gebunden und damit an die Geldverfassung, die jener Ausschuss ausländischer Kenner entworfen hat, sie sei gut oder schlecht. In Einzelheiten sind Abänderungen zwischen Dr. Schacht und Sir Robert Kindersley, den beiden Mitgliedern des Organisationsausschusses für die Zentralnotenbank verabredet worden. Die Form der Währung aber bleibt davon unberührt: anfangs reine Notwährung mit Befestigung der Mark am Dollarkurs; später Einlösung der Mark, aber nach Wahl der Zentralbank in Goldmünzen, in Goldbarren oder in Anweisungen auf ausländische Zahlungsmittel. Der Typus der deutschen Geldverfassung wird also in Zukunft sehr verschieden von der des Vorkriegs-Deutschland sein. Es wäre zweckmäßig, die rechtliche Neuregelung, die damit notwendig wird, in einem allgemeinen Währungsgesetz zu kodifizieren. Allein auf diese Weise könnten die Bestimmungen über Münzen und Banknoten, Zahlungsbeziehungen und Zahlungsmittelschaffung in vernünftigen und durchsichtigen Zusammenhang gebracht werden. Aus einer Art von Kontinuitätswillen am unrechten Ort haben die Ämter anders entschieden. Sie begnügen sich damit, das alte Münzgesetz und das alte Bankgesetz in neuer Flickung vorzulegen. Was davon bisher bekannt geworden ist (siehe „Frankfurter Zeitung“ Nr. 551 vom 25. Juli 1924, Handelsteil), zeigt ein solch ungewöhnliches Maß von Unverständnis und Gedankenlosigkeit, dass man anzunehmen geneigt war, es handele sich um den Entwurf eines in Münzsachen dilettierenden Kopisten. Da aber die Richtigkeit jener Angaben gegen alle Erwartung bisher nicht bestritten worden ist, wird es notwendig, auf folgende Punkte hinzuweisen:

1. Im Deutschen Reiche gilt die Goldwährung. Ihre Rechnungseinheit bildet die Mark, welche in 100 Pfennige eingeteilt wird.“ So begann das alte Münzgesetz, und so soll nach dem Entwurf auch das neue Münzgesetz beginnen. Dieser Satz ist doppelt unsinnig. Er ist ohne Sinn auch dort, wo eine wirkliche Goldwährung besteht, wie im Vorkriegs-Deutschland. Denn die Eigenart einer Währung ist ein Sachverhalt; ein solcher besteht oder besteht nicht; unmöglich aber kann er gelten. In keinem Fall ist damit eine Rechtsnorm gesetzt. Dass jener Satz in der Tat ohne alle rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung ist und also auch keinesfalls in ein Gesetz gehört, zeigt der Umstand, dass niemand es für richtig, geschweige denn für notwendig gehalten hat, ihn während der letzten zehn Jahre entschiedenster Nicht-Goldwährung abzuändern oder aufzuheben. Er ist also durch den Gang der Dinge ad absurdum geführt worden wie kein anderer Paragraph unserer Gesetzgebung. Ihn unverändert in die neue Währungsgesetzgebung übernehmen zu wollen, heißt, die neue Währung mit einer ominösen Erinnerung belasten; es verrät einen ernstlichen Mangel an Sinn für die Kräfte, auf denen Sinn und Geltung des Rechts beruht.

Nun aber kommt ein zweites hinzu: die neue Währung ist durchaus keine Goldwährung. Sie ist es ganz und gar nicht in der ersten, vielleicht sehr langen Zeit des „Übergangs“, in der die Banknoten uneinlöslich sein werden. Sie ist es aber auch später nicht – da es der Verwaltung freisteht, die Noten in Forderungen einzulösen, die auf bestimmte ausländische Zahlungsmittel lauten, statt in Goldmünzen oder Goldbarren. Eine solche Währungsform wird seit vielen Jahren ganz allgemein als Goldkern- oder Golddevisenwährung bezeichnet. Dem zuständigen Ministerium ist dieser wichtige Unterschied völlig unbekannt. Es genügt ihm, dass es irgendwo das Wort „Gold“ läuten hört.

2. Mit jenem ersten Paragraphen soll anscheinend nicht nur die Währungsform bezeichnet, sondern auch die neue Werteinheit bestimmt werden. Genauer gesprochen: es scheint, nach den Mitteilungen der „Frankfurter Zeitung“ zu urteilen, dass man überhaupt nicht die Notwendigkeit eingesehen hat, zwischen einer alten und einer neuen Werteinheit zu unterscheiden. Oder ist in dem Entwurf die unumgängliche Bestimmung vorhanden, dass die neue Mark als der billionste Teil der alten Mark zu definieren ist? Fehlt dieser Satz, so ergibt sich eine Folge von höchster Wichtigkeit: alle auf Mark lautenden Forderungen sind demnach, soweit die Gesetzgebung dem nicht vorgegriffen hat, in voller Höhe aufzuwerten. Wer irgendwann einmal 100 M zu fordern hatte, hat Anspruch auf nicht weniger als 100 M in der neuen Währung! Ob die neuen Ämter an diese revolutionäre Folge ihrer Gesetzgebung durch Kopieren gedacht haben? Es ist kaum anzunehmen; sie hörten wohl nur das Wort „Goldmark“ in ihren währungspolitischen Schlaf hineinläuten und deduzierten die Gleichheit alter und neuer Mark daraus, dass doch die Münznorm gleichgeblieben sei. Das Ganze ist ein schöner Beweis für den Satz, dass einer Werteinheit nur durch rekurrenten Anschluss an die früher gültige ein eindeutiger Sinn verliehen wird. Wo dieser fehlt, gerät der Zahlungsverkehr in Verwirrung. Hierzu geben, in bescheidenem Maße, schon die Silbermünzen Anlass, die weder auf Rentenmark noch auf Goldmark lauteten, sondern auf Mark – ebenso wie die Reichsbanknoten, so dass der mit dem Gesetzestext nicht Vertraute in Zweifel gerät, ob diese Münzen ein Billionstel oder – das Billionenfache der aufgeprägten Zahl gelten sollen ... Dieselben ärgerlichen Zweifel werden in Zukunft auch die alten und neuen Reichsbanknoten betreffen. Wenn man sich nicht für die Schaffung eines neuen Namens für die Werteinheit entschließen will – wofür mehr als ein psychologisches Motiv spricht – so wird man aber umso mehr Nachdenken ihrer Definition und der Regelung der Zahlungsbeziehungen zu widmen haben. Oder soll dies etwa in einem anderen Gesetz geschehen, weil solches Nachdenken einem anderen Amt obliegt?

3. Stattdessen finden wir im Münzgesetz ausführliche Bestimmungen über die Ausprägung von Goldmünzen. Der Dawes-Bericht erlaubt es. Warum also nicht die schönen alten Paragraphen kopieren? Weil auch sie angesichts der neuen Lage schlechthin unsinnig sind. Kein verständiger Mensch wird die finanziellen und valutarischen Möglichkeiten des Deutschen Reiches so hoch einschätzen, dass sie ihm in absehbarer Zeit den Luxus gestatten könnten, einen Umlauf goldener Münzen wiederherzustellen. Der Gebrauch goldener Zahlungsmittel mag sehr viele Vorzüge haben: vom Standpunkt der Schönheit, der Gesundheit, und, unter Umständen, der Kriegsbereitschaft aus. Es hat aber den Nachteil für Deutschland, vielleicht für alle europäischen Länder von Belang, auf absehbare Zeit wegen seiner Kostspieligkeit unerreichbar zu sein. Man soll also das Münzgesetz nicht dadurch lächerlich machen, dass man Vorsorge für einen casus irrealis trifft und Anordnungen über Prägenorm und Passiergewicht schafft, die nicht ernst gemeint sein können und also nur dazu beitragen können, den geringen Rest von Achtung für Gesetz und Recht zu untergraben. Es wäre wohl auch etwas mehr Nachdenken am Ort, ob nicht die Annahmepflicht von Kupfermünzen bis zum Betrage von 5 M sehr lästige Zustände schaffen kann. In diesem Punkt hätte man sich ruhig an die alte Vorlage halten sollen.

Die Ämter können nicht erwarten, dass die Gesetze den Charakter des Ehrwürdigen wiedergewinnen, wenn sie selber nicht mit größerem Ernst, mit größerer Wachheit und größerer Kenntnis dessen verfahren, was außerhalb ihrer vielgeschäftigen Stuben, in Wissenschaft und im Lebendigen vorgeht.

Prof. Dr. Kurt Singer

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