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Im Einklang mit den Voraussagen der Auguren ist gegen Ende der ersten Februarwoche ein heftiger Angriff auf den Stand des Markkurses unternommen worden. In zwei Tagen wurde der Kurs, der seit zehn Wochen sich in regungsloser Starrheit behauptet hatte, um mehr als ein Sechstel geworfen, so daß die Zustände der Inflationszeit wiederzukehren schienen. Der Angriff ist abgeschlagen worden, und die Reichsbank hat Maßnahmen ergriffen, die seine Wiederkehr sehr erschweren müssen. Sie hat überdies mit einer bisher nicht beobachteten Energie diejenigen Firmen zur Rechenschaft gezogen und durch Nennung der öffentlichen Mißachtung preisgegeben, die durch Nachlässigkeit oder strafbarer Absicht die auf die Zertrümmerung unserer Währung gerichteten Bestrebungen unterstützt oder hervorgerufen haben. Gleichzeitig hat der Erste Sachverständigenausschuß ein Communiqué veröffentlicht, das für den Fortgang der deutschen Wirtschafts- und Währungssanierung von der größten Bedeutung werden kann — wenn sich nicht irgendwelche politischen oder pseudowirtschaftlichen Kräfte der Verwirklichung des Projektes der Sachverständigen entgegensetzen: durch Gründung einer Goldnotenbank die deutsche Zwischenwährung in ein Definitivum überzuführen, die Regelung der Reparationen mit der Stabilisierung des Markkurses ex institutione zu verknüpfen und die Einheit der deutschen Geldverfassung durch Umtausch der Reichsbanknoten und Rentenbankscheine in Noten der neuen Währungsbank wiederherzustellen. Diese Lösung bedeutet eine Regelung der Reparationsfrage, die dem französischen Finanzminister schwerlich genehm sein wird, zugleich aber auch die Aufhebung des Notenprivilegs der Reichsbank und Rentenbank. Die Widerstände, die sich gegen sie erheben werden, können also im Ausland wie im Inland beträchtliche Stärke erreichen. Daß Dr. Schacht selber mit dem Projekt der Sachverständigen einverstanden ist, hat er ausdrücklich erklärt. Er wird die von ihm geplante Goldkreditbank so einrichten, daß sie leicht in die Goldnotenbank übergeleitet werden kann. (Die Aufgabe der von ihm zu gründenden Anstalt ist sehr viel enger umschrieben: nicht Stabilisierung der Währung, sondern Konzentrierung der im Binnenland verstreuten Devisen nach dem Muster der Hamburgischen Bank von 1923 bei einem Institut, das auf Grund dieser Devisenbestände Goldzertifikate ausgeben, Goldkredite erteilen und Rediskontierungsmöglichkeiten im Ausland schaffen soll.) Die Berliner Besprechungen der Sachverständigen sind beendet; die Beratungen sollen am 18. Februar in Paris, unter Mitarbeit von Dr. Schacht, wiederaufgenommen werden.

Inzwischen bleibt die deutsche Währung in einem Schwebezustand, der ebenso reich an günstigen wie an gefährlichen Möglichkeiten, vor allem aber in einem bisher unerhörten Maße undurchsichtig ist. Die Beurteilung unserer Wirtschaftszustände ist durch das Fehlen ausreichender Zahlenangaben bis zur Unmöglichkeit erschwert. Wenigstens gilt dies für die deutsche Wissenschaft und für die breitere Öffentlichkeit: die Sachverständigen der Entente haben alle sachdienlichen Statistiken erhalten, und man darf annehmen, daß sie nicht ungeschickt und nicht sparsam gefragt haben. Der deutsche Beurteiler aber kennt weder die Zahlen der deutschen Steinkohlenproduktion noch der Roheisenerzeugung noch irgendeines anderen Hauptproduktionszweiges; weder die wirklichen Währungsreserven der Reichsbank und der Devisenbeschaffungsstelle noch den Stand und die Bewegung der wichtigsten Bilanzposten unserer Großbanken. Ohne Kenntnis dieser Zahlen aber ist ein ausreichend fundiertes Urteil über die Lage der deutschen Volkswirtschaft unmöglich. Wir müssen zufrieden sein, wenn unsere Schätzung, auf Grund ganz unzulänglicher Informationen, so gut mit den Schätzungen der besser unterrichteten Stellen übereinstimmt, wie z. B. die Zahl, die wir in unserm Aufsatz „Zur Beurteilung unserer Währungsverhältnisse“ für die Verringerung der deutschen Produktion, im Vergleich mit 1913, angegeben hatten (50 %) und die einige Tage später von Dr. Schacht in seiner Königsberger Rede in der gleichen Höhe angegeben worden ist. Aber wir können einen solchen Zustand nicht für dauernd erträglich halten. Die Reichsämter und die Reichsbank werden sich darüber klar werden müssen, daß mit der bisher geübten Geheimniskrämerei niemand anderem gedient wird als der gegen die Mark gerichteten Spekulation, die, wie alle Bakterien, am besten im Dunkel gedeiht. Was bisher an deutschen Wirtschaftszahlen vorliegt, rechtfertigt in keiner Weise die düsteren Voraussagen der gewiß sehr klugen Leute, die jeden Zustand überaus gefährlich finden, dessen Möglichkeit sie nicht in ihre Rechnungen eingestellt haben. Mit welcher Eilfertigkeit die Börse auf Argumente der zweifelhaftesten Art reagiert, zeigt die Tatsache, daß zur Begründung der Markbaisse nichts anderes vorgebracht zu werden brauchte als das Gerücht von Unstimmigkeiten im Ersten Sachverständigenausschuß, die sofort auf das Bündigste dementiert werden konnten und deren Tragweite in keinem Fall auch nur in grober Annäherung abzuschätzen war, und der Hinweis auf stärkere Einfuhrbedürfnisse der Industrie infolge der Belebung der Geschäfte im Januar — als ob es sich hier um einen ungeheuren legitimen Mehrbedarf an Devisen handeln könne und als ob nicht wahrscheinlich mit einer solchen Besserung der Wirtschaftslage auch eine Besserung der Ausfuhr verbunden wäre.

Es muß leider bemerkt werden, daß dieser gewohnheitsmäßige Pessimismus, der bezeichnenderweise im Inland sehr viel stärker verbreitet ist als im Ausland, wo man nicht nur kühler denkt, sondern auch weniger an künftigen Inflationsgewinnen interessiert ist, unverdiente Nahrung aus Äußerungen verantwortlicher Stellen gewonnen hat, deren Zweck gewiß ein anderer war als die Ermutigung der Markbaissiers. Wenn z. B. der Reichsfinanzminister Dr. Luther in der breitesten Öffentlichkeit erklärt, die Zahlung der Besatzungskosten sei nicht möglich ohne Wiederbeginn der Inflation, so kann eine solche Äußerung, zusammen mit der Tatsache, daß auf Drängen des besetzten Gebiets diese Zahlungen vorerst eben doch weiter geleistet werden — den gegen die Mark spekulierenden Individuen und Unternehmungen sehr leicht als Bestätigung ihres Rechts auf Marksabotage erscheinen. Wir haben uns hier nicht mit der Frage zu beschäftigen, ob jene Inflation sich in der Tat notwendig einstellen muß; wir verweisen nur darauf, daß mit einem solchen Argument, wie man es leider seit dem Waffenstillstand allzu oft gehört hat, im Ausland nicht die geringste Wirkung ausgeübt, im Inland aber nur das hier und dort aufwuchernde Mißtrauen von amtlicher Stelle legitimiert wird. Ähnliches gilt von einigen der Kommentare, mit denen gewissenhafte Handelszeitungen die Reichsbankausweise zu versehen pflegen. Wird jede starke Erhöhung der von der Reichsbank gewährten Kredite als Inflation bezeichnet, so liegt auch hier eine Legitimierung des Mißtrauens in die Mark vor. Solange die Reichsbank nur solche Wechsel diskontiert und lombardiert, die von einem Produzenten auf seine Abnehmer bei Gelegenheit des Verkaufs der Ware gezogen werden — und es wird versichert, daß diese Richtlinie gültig geblieben ist —, so lange ist keine Inflation zu befürchten. Ob die Reichshank sorgfältiger als in der letzten Zeit das Portefeuille daraufhin untersuchen sollte, ob sich nicht unter der Maske des Abnehmerwechsels zu Unrecht Finanzwechsel eingeschlichen haben, darüber steht uns kein Urteil zu; gut unterrichtete Handelszeitungen sind dieser Meinung. Von einer erheblichen inflationistischen Wirkung kann aber — bisher jedenfalls — keine Rede sein, wenn man die Bewegung der Warenpreise betrachtet. Es könnte höchstens vermutet werden, daß die Preissenkung größer gewesen wäre, wenn die Kreditgewährung der Reichsbank sich in engeren Grenzen gehalten hätte. Dieser Preisfall aber wäre mit einer Verschlimmerung der Übergangskrisis, der Arbeitslosigkeit und der Absatzstockung teuer erkauft. Unsere kapitolinischen Warner sollten mehr auf die Indexzahlen als auf die Reichsbankausweise achten, die nur zusammen mit anderen Wirtschaftszahlen verständlich sind. Daß die von der Reichsbank gewährten Privatkredite Ende Januar die Höhe von einer Milliarde Goldmark überschritten haben und also nur noch um ein Fünftel hinter der Durchschnittszahl für das Jahr 1913 zurückbleiben, gibt sicherlich zu denken. Die Bedeutung der Zahl aber kann erst abgeschätzt werden, wenn die Höhe der von den Banken gewährten Kredite wieder bekannt ist. Einstweilen muß uns das stabile Preisniveau genügen.

Es wäre töricht, sich nicht eingestehen zu wollen, daß die Lage der deutschen Währung gefährdet ist und gefährdet bleibt, auch wenn die Vorschläge der Sachverständigen — die wir nur zum geringsten Teil kennen — in naher Zukunft verwirklicht werden sollten. Es wäre aber noch viel törichter, allein diese Gefahrmomente zum Regulator der Wechselkurse zu machen, denn es kann über die künftige Verfassung der deutschen Zahlungsbilanz eben nichts anderes gesagt werden, als daß sie völlig unabschätzbar ist. In einer solchen Lage aber kann sowohl der einzelne wie der Staat sich nur von Tag zu Tag vorantasten. Die Spekulation, die hauptberufliche wie die nebenberufliche, kann in überschaubaren Verhältnissen die Kursbewegung stetigen, indem sie die vorausgesehenen Möglichkeiten einer künftigen Lage zur Korrektur des gegenwärtigen Kurses werden läßt. In durchaus unübersichtlichen Entwicklungen, denen jedes stabilisierende Element fehlt, kann die Spekulation, das heißt aber hier jeder Devisenkauf oder -verkauf, der aus Erwägungen über zu erwartende Kursänderungen der Golddevisen hervorgeht oder von ihnen entscheidend mitbestimmt wird, den Markt nur immer heilloser verwirren. Man frage sich heute, was eigentlich damit gewonnen worden ist, daß die Berufung auf die ungeheuren schwebenden Reparationslasten jederzeit als gültiges Argument für beliebige Kurssteigerungen der Devisen dienen durfte — in einer Periode, in der die deutsche Zahlungsbilanz sich verbessert und die Aussichten auf eine Revision der französischen Reparationsforderungen sich zum mindesten nicht verschlechtert haben. Keines unserer großen Staats- und Wirtschaftsprobleme ist dadurch erleichtert worden — vorausgesetzt, daß man nicht die Vernichtung des Mittelstandes, das Zusammenschmelzen der ausländischen Markguthaben und die Befreiung von Staat, Industrie und Landwirtschaft von fast allen langfristigen Schulden auf Kosten des Sparers als wünschenswerten Gewinn bezeichnen will. In jedem Fall ist diese Wirkung bereits erzielt. Eine neue Entwertungsbewegung fände nichts vor, dessen Enteignung sich lohnte.

Dr. Kurt Singer

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