Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Drei Monate lang dauert die Stabilisierung des Markkurses an, trotz vieler erschwerender Umstände und trotz der noch ungeklärten Lage des Reparationsproblems. Die Mehrzahl der Beurteiler, darunter auch die verantwortlichen Reichsminister, scheinen die Überzeugung gewonnen zu haben, daß dieser Zustand auch nicht vorübergehend unterbrochen werden darf. Da aber das Gegenteil nicht selten, und nicht nur von reinen Spekulanten, noch immer behauptet wird, sollen hier in aller Ruhe die Vorteile und Nachteile einer möglichen Lockerung der intervalutarischen Kurse dargelegt und abgewogen werden.

Dies ist nicht möglich, ohne daß ein Wort über die Natur und Funktion dieser Kurse gesagt wird (die nach alter Sitte noch immer Wechselkurse genannt werden, obgleich der Wechsel längst nicht mehr das einzige oder auch nur das wichtigste derjenigen ausländischen Zahlungsmittel ist, um deren Preis es sich hier handelt). Ein Preis aber hat keine andere Funktion, als Angebot und Nachfrage so ins Gleichgewicht zu setzen, daß ein Höchstmaß an Stetigkeit und Intensität der Bedarfsdeckung entsteht. Wenn sich in Ländern mit geordneter Wirtschaft und Währung steigende Preise ausländischer Zahlungsmittel aus einem Nachlassen der Ausfuhr bei gleichbleibender Einfuhr und also aus gleichbleibender Nachfrage nach jenen Zahlungsmitteln bei verringertem Angebot ergeben, so pflegt das denn auch in der Regel zu bewirken, daß die teurer gewordene Einfuhr sich einschränkt, die rentabler gewordene Ausfuhr sich hebt; und daß kurzfristig ausgeliehene Kapitalien sich diesem Lande mit sinkender Valuta zuwenden, wenn die Aussicht besteht, daß in absehbarer Zeit das frühere Kursniveau wiederhergestellt sein wird: inzwischen nimmt der Kreditgeber den Vorteil einer höheren Realverzinsung wahr und trägt durch seine Nachfrage nach den Zahlungsmitteln des Landes mit gesunkenem Kurs selber zur Hebung von dessen Währung bei.

Werden diese Wirkungen auch in unserm Fall eintreten? Dies ist von allen möglichen Fällen der unwahrscheinlichste. Die Einfuhr, die schon heute nur zur Ausnutzung eines Teils unserer gewerblichen Leistungsfähigkeit hinreicht (sie beträgt rund ein Drittel der Friedenseinfuhr), wird, wie das Beispiel der letzten Jahre zeigt, schwerlich weiter eingeschränkt werden. Die Ausfuhr aber wird von dem fallenden Kurs nicht das geringste profitieren können – nachdem nämlich die Goldrechnung durchgeführt ist. Exportprämien infolge von fallenden Wechselkursen entstehen nur dort, wo die Inlandspreise und -löhne sich nicht sofort dem fallenden Kurse anpassen. Dieser Zustand besteht seit spätestens Mitte 1923 nicht mehr. Damit hat der intervalutarische Kurs seine wichtigste Funktion als Regulator des Außenhandels eingebüßt. Eine Änderung dieser Verhältnisse wäre nur durch einen Verzicht der Arbeiterschaft auf Goldlöhne oder durch folgerichtige Verminderung der Goldlöhne, jeweils im Einklang mit dem Fall der Währung, denkbar. Beides ist gleich unwahrscheinlich. Es ist aber nützlich, diesen Fall durchzudenken, da auf diese Weise deutlich wird, was jene jetzt weggefallene „Exportprämie“ in Wirklichkeit bedeutet hat: die stetige Herabdrückung der Lebenshaltung der Arbeiterschaft und der Erträge inländischer Rohstoffgewinnung. Da diese nicht weit von dem Mindeststand entfernt sind, unter den sie nicht hinuntergehen können, ohne das Gefüge der Volkswirtschaft noch stärker zu zerrütten, ist der Zustand erreicht, wo Angebot und Nachfrage auf den Märkten der Auslandszahlungsmittel nicht mehr als wirksame Regulatoren des Marktes angesehen werden können. Die „ökonomischen Gesetze“ gelten eben nur innerhalb bestimmter Grenzbedingungen. In extremis versagen sie ebenso wie die übrigen Gesetze und Regeln und Funktionalbeziehungen der normalen bürgerlichen Welt.

Daß aber ein Gleitenlassen des Markkurses heute nicht die heilsamen Gegenbewegungen hervorrufen kann, die in geordneten Volkswirtschaften daraus zu entstehen pflegen, ist noch nicht die gefährlichste seiner Folgen; es würde damit nur seine Indifferenz gegenüber dem zu lösenden Problem dargetan. In Wirklichkeit ist die Verschlimmerung des Zustandes zu erwarten, den zu heilen er berufen wird. Sobald der Markkurs ins Gleiten gerät, wird nicht, wie im Verkehr etwa zwischen England und Amerika, eine für Deutschland günstige Kapitalbewegung eingeleitet, sondern es wird die Flucht aus der Mark mit panikartiger Gewalt wieder einsetzen und alle Dämme staatlicher Devisenpolitik zerbrechen. Das bestehende Ungleichgewicht am Markt der Auslandszahlungsmittel wird also ins Maßlose hinein gesteigert werden. Die Unternehmungen werden mit elementarer Gewalt alle verfügbaren Devisen an sich saugen; das Publikum wird seine Kassenhaltung auf das liliputarische Mindestmaß verringern, das Mitte November zu konstatieren war, und die Revolution von rechts oder links oder gleichzeitig oder abwechselnd von rechts und links wird wieder vor der Tür stehen.

Später freilich, wenn einmal die deutsche Wirtschaft auf sicherer Grundlage neu geordnet, das Reparationsproblem bewältigt und vor allem die staatliche Einheit und Struktur gefestigt ist, wird man nicht zögern dürfen, den festgefrorenen Markkurs vorsichtig aufzutauen, so daß er künftig wieder unter normalisierten Bedingungen seine normalen Funktionen erfüllen kann. Es wird dann auch der, für sich betrachtet, widersinnige Zustand beseitigt werden müssen, daß der Markkurs gegen den Dollar stabil gehalten wird, während die Währung der ersten europäischen Wirtschaftsmacht, der Kurs des Pfund Sterling, merklich gegen den Dollar schwankt. Heute ist für solche Erwägungen kein Raum. Da alle Welt im Dollar das „Wertbeständige an sich“ sieht (ob mit Recht oder mit Unrecht, ist heute nicht zu erörtern), wird bei jener Neuordung von Währung und Wirtschaft der Markkurs vermutlich gegen den Dollar stabilisiert werden müssen, wenn nicht neue Verwirrung entstehen soll.

Bewegung ist für den normalen, vor allem für den starken Menschen, einer der vorzüglichsten Regulatoren des organischen Kreislaufs, nicht für jeden Kranken. Der Markkurs braucht absolute Ruhe, wenn er gesunden und Kräfte sammeln soll. Alles andere kann seinen prekären Gesamtzustand nur verschlimmern.

Jene Apologeten des „halbstarren Systems“ halten eine Regel der Diätetik des gesunden Menschen für einen Satz der klinischen Medizin.

Wenn aber die Ziele der deutschen Währungspolitik bis zum Ende der Übergangszeit starr festgehalten werden müssen, soll nicht das Erreichte aufs Spiel gesetzt werden — so wird das gleiche nicht von den Mitteln dieser Politik gelten. Diese Mittel waren bisher von jener bestrickenden Einfachheit, die den volkswirtschaftlichen Gedanken der meisten Finanzpraktiker eigen zu sein pflegt: Man halte die Versorgung des Verkehrs mit Zahlungsmitteln am Rand der äußersten Knappheit, und die Stabilität der Währung wird die notwendige Folge sein. Die Devisen, die sich dem Zugriff des Staates entziehen, werden durch Anziehen der Diskontschraube am leichtesten dem Markte zugeführt werden. Kreditrestriktion ist das beste Vorbeugungsmittel gegen Valutaspekulation. Verringerung der Geldmenge schafft Verbesserung der Währungslage. In diesen Variationen des einen Gedankens scheinen die Grundsätze der Schachtschen Politik beschlossen zu sein. Diese Politik war bisher erfolgreich, über die Erwartungen der meisten hinaus erfolgreich. Aber es darf heute die Frage nicht ungestellt bleiben, — ob nicht das Ziel mit weniger scharfen und gefährlichen Mitteln zu erreichen ist.

Was dem Präsidenten der Reichsbank vorzuschweben scheint, ist die Verbindung der Liegekur für die Währung mit einer Hungerkur für die Wirtschaft. Durch Zinssätze von 25 Prozent und mehr sollen Kapital und Industrie genötigt werden, ihre Sicherungsdevisen dem eigenen Geschäft oder dem freien Markt zur Verfügung zu stellen; mit anderen Worten: das Eigenkapital soll in vollem Umfang der eigenen Unternehmung dienstbar gemacht werden, bevor der Kredit einer Bank beansprucht wird. Die erwarteten Folgen sind zum Teil eingetreten; der Mangel an Betriebskapital hat zu einer starken Verringerung der deutschen Auslandsguthaben geführt: am Amsterdamer Markt hat man das deutlich genug gespürt. Wäre aber nicht die gleiche Wirkung eingetreten, wenn man bei niedrigerem Zinssatz die Bedingungen für die „Valutabeständigkeit“ der Kredite verschärft und von Anfang an die Zweckbestimmung der einzelnen Kredite intensiver geprüft hätte? Heute sind die Kredite der Reichsbank durchaus nicht unzweifelhaft „wertbeständig“: denn wenn die Reichsbank aus Gründen der Wirtschaftsführung die Berliner Notierungen trotz eines Umschwungs auf den Auslandsbörsen unverändert läßt, so hat der Kreditnehmer bei einer Valutaspekulation über Amsterdam noch immer erhebliche Gewinnchancen, solange sich der zurückzuzahlende Betrag nach den Berliner Notierungen bemißt. Als in den letzten Wochen ersichtlich wurde, daß man von dieser Möglichkeit Gebrauch machte, hat einer der führenden Berliner Bankiers im Handelsteil der „Vossischen Zeitung“ angeregt, die Reichsbank solle sich das Recht vorbehalten, die Rückzahlung nach einem Auslandskurs der Mark zu verlangen. Wird hiergegen eingewendet, daß die ausländischen Börsen auch heute noch nur so geringfügige Markbeträge handeln, daß von einem wirklich leistungsfähigen Markt und einer regulären Kursbildung nicht die Rede sein kann, so wäre zu erwägen, ob man den deutschen Großhandelsindex zugrunde legen sollte. Nicht die Höhe der Diskontsätze entscheidet bei unsicherer Währungslage darüber, ob das Unternehmungskapital in die Devisenform flüchtet oder als Betriebsmittel verwendet wird, sondern die strikte Durchführung des Gedankens „wertbeständiger“ Kredite.

Auf der andern Seite ist die gegenwärtige Höhe des Diskontsatzes selber eine Gefahr für das Erstarken der Währung. Zinslasten von einer Höhe, wie sie in keinem exotischen Land von einiger Bedeutung getragen werden, machen der deutschen Volkswirtschaft, die überdies noch durch hohe und unzweckmäßig verteilte Steuern und durch Absperrmaßnahmen des Auslandes schwer gehemmt ist, den Wettbewerb mit den Wirtschaftsgroßmächten teils überschwer, teils unmöglich. Wo diese Wirkung nicht eintritt, ist sie in der Regel nur durch eine Senkung der Arbeitslöhne weit unter die ausländischen Paritäten abgewendet worden. Die Folge ist also hier eine Aushöhlung des inneren Marktes, der in der Kaufkraft der Arbeiterschaft seine wichtigste Stütze hat. Daß aber die Landwirtschaft Sätze von 17 Prozent und darüber überhaupt nicht zahlen kann, ohne alle wirtschaftliche Vernunft zu mißachten, liegt für den auf der Hand, der erkannt hat, was eigentlich der Kapitalzins ist: der Teil des Betriebsgewinnes, der für das Zurverfügungstellen von Kapital an den Kreditgeber abzuführen ist. Es kann aber keine Rede davon sein, daß im Lauf des nächsten Jahres von der Landwirtschaft Betriebsgewinne von weit über 17% gemacht werden können, ohne daß eine neue Preissteigerungswelle dazu verhilft. Mit Zinssätzen, die die Höhe des Gewinns weit übersteigen, wird also eine neue Schar von Inflationsinteressenten großgezogen oder es wird eine gefährliche Einschränkung der Produktion und des Exports bewirkt. Hierin liegt die Zweischneidigkeit einer überscharfen Diskontpolitik begründet.

Nach den Schicksalen der deutschen Wirtschaft in den letzten fünf Jahren ist es unvermeidlich, daß Kapitalbedarf und Kapitaldeckung nur auf der Basis sehr hoher Zinssätze ins Gleichgewicht zu bringen sind. Aber es darf bezweifelt werden, ob Zinssätze von nicht unter 17% auch unter den heutigen Bedingungen bei verständiger Bankpolitik und Marktorganisation vonnöten sind. Wenn die Gesellschaften Obligationen ausgeben und die Banken Depositen annehmen, deren Zinsbedingungen sich dem gegenwärtigen Stand der Kapitalnot anpassen, so werden die heute unschlüssig brachliegenden Kapitalien der Sparer sehr bald in die alten Kanäle fließen. Bleibt es bei der heutigen Spannung von Soll- und Habenzinsen, so wird die Kapitalklemme in Permanenz erklärt. Die Banken scheinen dabei beharren zu wollen. Sie verfahren ebenso wie die törichten Handwerker, die behaupten, ihre Preise nicht herabsetzen zu können, da der Umsatz zurückgegangen, also eine Deckung ihrer allgemeinen Unkosten sonst nicht möglich sei, und die nicht einsehen, daß sie mit dieser Preispolitik ihren Umsatz weiter verringern. Ein Bankdiskontsatz von 10 Prozent ist schon an sich bedenklich hoch; ich wage zu sagen, daß bei Verschärfung der Wertbeständigkeitsbedingungen und der Kreditprüfung ein Zins von 8 Prozent die gleichen Dienste leisten würde. Phantastisch wird aber jener Satz erst durch die Aufschläge von 50 Prozent und mehr, die für die Gewährung der „dritten Unterschrift“ von den Privatbanken gefordert werden und die bei kreditwürdigen Unternehmungen nichts anderes darstellen als eine Art von Wege- und Brückenzoll. Wenn unsere Banken unter den Folgen einer problematischen Geschäftsführung während der Inflationsjahre leiden, so ist nicht abzusehen, warum die Volkswirtschaft ihnen deshalb eine Privatsteuer leisten oder Produktionseinschränkung und Arbeitslosigkeit auf sich nehmen soll. Beides kann nicht im Plane Schachts liegen. Vielleicht hält er es auch für geraten, die Banken endlich an die Erfüllung ihrer Publizitätspflichten zu erinnern: die Veröffentlichung von ausführlichen monatlichen Bilanzen, mindestens der Großbanken, nach dem Beispiel der englischen und amerikanischen Bankinstitute, damit der Umfang und die Art ihrer Kreditgewährung deutlich erkennbar werden.

Mein Votum lautet also: der Landgraf bleibe hart; er prüfe aber, ob einige seiner Waffen nicht überscharf, zweischneidig und ergänzungsbedürftig sind.

Beitrag als PDF

Unter der Rubrik "Historischer Beitrag" dokumentieren wir Beiträge aus den ersten Jahrzehnten des Wirtschafts­dienst seit dem Gründungs­jahr 1916. Das Archiv befindet sich im Aufbau und wird sukzessive mit Beiträgen gefüllt. Die Inhalte sind selbst­verständlich im historischen Kontext zu betrachten und spiegeln nicht heutige Auswahl­entscheidungen der Redaktion wider.

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.