Die meisten amerikanischen Politiker und Geschäftsleute – jedoch nicht alle – behaupten uns gegenüber, daß sie diese Schulden irgendwelchen Handelsverpflichtungen aus verkauften und gelieferten Waren gleichsetzen. Wir in Großbritannien richten uns nach diesem Grundsatz. Die Vereinigten Staaten haben uns zur Zahlung aufgefordert, und wir bezahlen auch. Nichtsdestoweniger gibt es drei ausreichende Gründe dafür, Frankreich und Italien nicht in gleicher Weise zu behandeln – nämlich den Ursprung der Schulden, die Nachteile, die ein Versuch, sie einzutreiben, hervorrufen würde, und die tatsächliche Unmöglichkeit ihrer Aufbringung. Ich sympathisiere daher mit der Unterscheidung, die der französische Finanzminister Clementel kürzlich gemacht hat, indem er diese Schulden als „politische“ Schulden, die andern Verbindlichkeiten der französischen Regierung als „kommerzielle Verpflichtungen“ bezeichnete. Die interalliierten Schulden sind eine politische, keine juristische oder vertragliche Angelegenheit. Es ist ebenso verkehrt, sie als eine Sache des Schuldrechts anzusehen, wie es falsch war, die theoretischen Verpflichtungen Deutschlands aus dem Versailler Vertrag als Sache des Schuldrechts zu betrachten.
Wenn wir für einen Augenblick den Ursprung dieser Schulden betrachten, so wird es klar, daß sie nicht andern Schuldverpflichtungen gleichzusetzen sind. Ich möchte die Dinge so darstellen, wie sie vernünftigerweise einem Franzosen erscheinen. Jeder der Verbündeten setzte in diesem Ringen alle seine Kräfte ein, – es war, wie die Amerikaner sagen, ein 100 %iger Krieg. Es war jedoch klug und zweckmäßig, daß sie nicht alle ihre Kräfte in der gleichen Weise brauchten. So waren beispielsweise Frankreichs Anstrengungen hauptsächlich militärischer Art. Wegen der Zahl der Mannschaften, die es im Verhältnis zu seiner Bevölkerungsstärke ins Feld schickte, und weil ein Teil Frankreichs vom Feind besetzt war, reichten nach Ablauf des ersten Kriegsjahrs Frankreichs wirtschaftliche Kräfte nicht mehr dazu aus, die Armee so auszurüsten und die Bevölkerung so zu ernähren, wie es seiner militärischen Kampffähigkeit entsprach. Unser militärischer Kraftaufwand, wenn auch beträchtlich, war nicht so groß wie derjenige Frankreichs; aber unser maritimer Einsatz war größer als der französische, ebenso war unsere finanzielle Anspannung weitaus beträchtlicher, zumal es unsere Aufgabe war, jedenfalls bis zum Eintritt Amerikas in den Krieg, unsere Reichtümer und unsere Produktionskraft zur Ausrüstung und Ernährung der anderen Verbündeten zu nutzen. Amerikas Anstrengung jedoch war hauptsächlich finanzieller Natur. Sowohl absolut wie auch im Verhältnis zu seiner Bevölkerung war seine militärische Beteiligung, gemessen an der Zahl der ins Feld gesandten Mannschaften und der Verluste, so wichtig sie auch für das Endergebnis war, durchaus von geringerem Ausmaß. Andererseits war der amerikanische Anteil an der Ausrüstung und Ernährung der Alliierten überaus groß, und wir hätten ohne diese Hilfe den Krieg nicht gewinnen können. So hat jeder der Verbündeten Wesentliches zum Ergebnis beigetragen. Aber sie taten es nicht alle auf dem gleichen Wege.
Es ist weder uns noch Amerika jemals eingefallen, Frankreich und Italien mit den britischen oder amerikanischen Geschossen zu belasten, die von britischen oder amerikanischen Kanonen verfeuert wurden. Wenn aber britische oder amerikanische Geschosse von italienischen oder französischen Geschützen abgefeuert wurden, so waren die tatsächlichen Kosten für uns oder Amerika bedeutend geringer, da ja Frankreich und Italien die Kanoniere stellten, die Verluste trugen und die Pensionen bezahlen müssen. Dennoch beabsichtigen wir für diesen Fall, Frankreich und Italien für die Geschosse zahlen zu lassen. In der Tat, als die amerikanischen Mannschaften, Geschütze und Geschosse Zeit hatten, die Front zu erreichen, so daß Frankreich innerhalb des übernommenen Frontabschnitts völlig entlastet wurde, kam niemand auf den Gedanken, daß Frankreich für die Hilfe, die Amerika ihm so leistete, Geld zu zahlen hätte. Als Großbritannien Mannschaften und Kriegsmaterial an die italienische Front sandte, war keine Rede davon, Italien irgendetwas in Rechnung zu stellen. Als jedoch noch keine amerikanischen Soldaten und Kanonen an die Front kamen und nur amerikanische Munition, amerikanisches Getreide und Petroleum zum französischen Heere stießen, und Frankreich die Aufgabe hatte, Menschen für die Nutzung dieser Ausrüstung und zum Tragen der Verluste zu finden, für diese Zeit soll Frankreich Munition, Weizen und Petroleum bezahlen. Das ist ebenso ungereimt wie unvernünftig, ohne Gerechtigkeit und ohne Gemeinsinn.
Warum hat man aber dann diese Summen geliehen, anstatt sie von Anfang an vorbehaltlos hinzugeben, wodurch diese ganze Verwirrung vermieden worden wäre? Hiergegen gab es damals einen stichhaltigen Grund, nämlich den, daß es im Falle vorbehaltloser Hingabe sicherlich Verschwendung und Mangel an Verantwortung bei seiner Verwendung hervorgerufen hätte. Ein wesentlicher Teil der finanziellen Kriegsführung bestand in der Errichtung einer Finanzkontrolle, die verhinderte, daß eine Behörde oder ein Verbündeter Summen aus den beschränkt zur Verfügung stehenden Gesamtmitteln ausgab, die vorteilhafter von einer anderen Behörde oder einem Verbündeten hätten verwandt werden können. Es war schwierig genug für das britische Schatzamt, eine Kontrolle über die Ausgaben der eigenen Behörden zu üben, und es war nur indirekt möglich, die Ausgaben unserer Alliierten zu kontrollieren. Wenn jeder Beamte der verbündeten Regierungen, bis herunter zu denen mit dem geringsten Gefühl für Verantwortung und dem geringsten Vorstellungsvermögen, gewußt hätte, daß er fremdes Geld ausgäbe, würde der Anreiz zur Sparsamkeit noch geringer gewesen sein, als er ohnehin schon war.
Ich habe seit mehreren Jahren in keinerlei Verbindung mit dem britischen Schatzamt gestanden. Aber ich bin sicher, daß seine Verhandlungen mit unseren Verbündeten während des Krieges nur darauf gerichtet waren, die erforderliche Sparsamkeit durchzusetzen und darauf zu achten, daß unsere beschränkten Hilfsmittel so vorteilhaft wie möglich verwendet wurden. Diese Maßnahmen wurden seinerzeit nicht unter dem Gesichtspunkt einer Kapitalanlage oder eines Handelskredits betrachtet. Und ich bin sicher, daß dasselbe für das amerikanische Schatzamt zutrifft. Wenn die amerikanische Öffentlichkeit jetzt glaubt, daß sie 1917 und 1918 nicht mit einem Krieg, sondern mit einer Kapitalanlage beschäftigt war, so hat sie ein sehr kurzes Gedächtnis.
Jedoch, ganz abgesehen von der Entstehungsgeschichte der Schulden, würde der Versuch, sie jetzt einzutreiben, kein anderes Resultat haben als die Erregung einer internationalen Verstimmung. Wir würden nur eine Wiederholung des deutschen Reparationsproblems zwischen den einzelnen Alliierten erleben. Haß und Entrüstung und, meines Erachtens, nicht einmal Geld, würde das Ergebnis des Versuches sein, eine Generation hindurch Jahr für Jahr diese Summe einzutreiben.
Nicht einmal Geld; – denn Frankreich ist nicht nur aufrichtig davon überzeugt, daß es rechtlich nicht zur Zahlung verpflichtet ist und daß es auch nicht zu zahlen vermag, vielmehr würde eine restlose Begleichung, im Hinblick auf die Geschichte der deutschen Reparationen, sein innerstes Empfinden so tief verletzen, daß es nicht einmal dann zahlen würde, wenn es in seinem Interesse läge.
Denn betrachten wir einmal die Forderungen in Verbindung mit dem Dawes-Abkommen. Wenn Frankreich Zinsen und Amortisationsquoten, auch zu einem niedrigen Zinsfuß, von seinen Schulden an uns und die Vereinigten Staaten zu zahlen hätte, so würde dies etwa 60 Mill. Pfund im Jahr ausmachen, das heißt ein Betrag, der fast genau dem ganzen Anteil Frankreichs an den deutschen Reparationszahlungen nach dem Dawes-Plan entspricht, unter der Voraussetzung, daß dieses Abkommen sich voll auswirkt. Glaubt irgend jemand, daß Frankreich, unter welchen Umständen und Drohungen auch immer, damit einverstanden sein wird, jeden Pfennig, den es von Deutschland erhält, an Großbritannien und die Vereinigten Staaten abzuliefern oder sogar noch mehr?
Was hat dann aber zu geschehen? Rückblickend scheint es mir, daß es eine Tat staatsmännischer Voraussicht und Weisheit Großbritanniens gewesen wäre, wenn wir am Waffenstillstandstage unseren Verbündeten erklärt hätten, daß von nun an jeder geschuldete Penny gestrichen sei. Jetzt ist es nicht mehr so leicht, diesen Weg zu gehen. Zunächst haben wir uns selbst verpflichtet, 60 Jahre lang jeden Tag der Woche eine halbe Million Dollar an Amerika zu zahlen, und wir tun es Tag für Tag. Diese Summe entspricht etwa zwei Dritteln unseres Flottenbudgets und ist fast gleich unseren gesamten staatlichen Unterrichtsausgaben. Sie ist größer als der gesamte Reinertrag unserer Schiffahrt und unseres Kohlenbergbaus zusammengenommen. Mit einem gleichen Aufwand während desselben Zeitraums wären wir in der Lage, die Elendsviertel zu beseitigen und unserer Bevölkerung behagliche Wohnungen zu bauen. Unsere Stellungnahme wird dadurch beeinflußt, daß wir in solchem Ausmaß zahlen müssen und nicht bezahlt werden. Deshalb ist der Gedanke, daß Amerika durch seine rücksichtslosere Haltung von Frankreich bessere Bedingungen erhalten soll als wir, für die britische Auffassung unerträglich. Jetzt ist es für uns ausgeschlossen, die Schulden Frankreichs und Italiens zu streichen, wenn Amerika nicht ein Gleiches tut. Uns ist schon die Anregung unerträglich, daß Amerika, das von uns Zahlungen erhält, von denjenigen Ländern günstigere Bedingungen bekommen soll, die an uns beide verschuldet sind.
Eine freimütige Aussprache zwischen Großbritannien und Amerika muß den ersten Schritt einer Regelung bilden. Und wenn ich einen Vorschlag über die Richtlinien zu einem solchen Kompromiß machen darf, so ist es dieser: Verwendet von den Summen, die Frankreich und Italien jährlich von Deutschland durch die Dawes-Zahlungen erhalten, einen mäßigen Betrag zur Begleichung der französischen und italienischen Schulden an ihre Verbündeten; teilt diese Summe zwischen Großbritannien und Amerika im Verhältnis ihrer Ansprüche; und laßt dies als endgültige Abrechnung gelten.
Es ist nicht angemessen, Frankreich zu einem Angebot aufzufordern, wie es die amerikanische Schuldentilgungskommission jetzt tut. Denn dieses heißt nur, Frankreich ersuchen, sich selbst einer Demütigung auszusetzen. Wenn dagegen Großbritannien und die Vereinigten Staaten sich dahin verständigen könnten, Frankreich einen Vorschlag in der angegebenen Richtung zu machen – sagen wir, Zahlung eines Drittels dessen, was es von Deutschland jeweils erhalten wird – so würde dies die Möglichkeit einer ehrenvollen Lösung geben.