Ob Weltwirtschaft eine Wirklichkeit oder ein Gedankengespinst sei – hierüber haben die Forscher sich noch nicht vereinigt. Dies aber ist sicher: wenn wirklich in irgendeinem strengen Sinn von einer den Bezirk der einzelnen Volkswirtschaften übergreifenden, ihr Wirtschaftsleben durchwaltenden Einheit gesprochen werden kann, so besteht diese Verbundenheit heute nicht aus zusammenordnender Kraft, sondern stellt sich dar als ein gemeinsames Erleiden, Hineingerissen-Werden, Verstrickt-Sein. Hierfür gibt es viele Belege und Anzeichen, unter anderen wichtigeren auch dieses: im Beginn der Neuzeit entsteht in den führenden Stadtstaaten Norditaliens mit dem Begriff des modernen Staates auch die Statistik, als Rechenschaft über die Kräfte und den Stand des Staats-, Heeres- und Wirtschaftskörpers; die Weltwirtschaftsstatistik aber, deren nachhaltigste Förderung wir der Wirtschafts- und Finanzsektion des Völkerbundes verdanken, ist von Anfang an nicht auf Zählung von Stärken und Beständen gerichtet, sondern von Krisensymptomen, Fieberzeichen, Notständen.
Der letzte jener Hauptberichte, die seit der Genfer Konferenz von 1927 in Jahresabständen von der sorgsamen Hand Alexander Lovedays vorbereitet werden, gibt eine Übersicht über die Entfaltung von Bevölkerung, Produktion und Außenhandel der Welt in den Jahren 1923 bis 1928/29. Die Arbeit schließt also unmittelbar vor dem allgemeinen Wegsacken der Rohstoffpreise ab, jener Manifestationskrisis, in der alle ungelösten Probleme der Nachkriegsjahre, den Trug des „Wiederaufbaues“ auf durchaus illusionärer Grundlage zerreißend, mit einem Schlag ihr drohendes Gesicht auch denen enthüllten, die lange nicht sehen wollten. Dennoch ist es heute und gerade heute an der Zeit, sich die Ergebnisse jener Arbeit zu vergegenwärtigen. Je größer die Verwirrung, desto nötiger die Bestimmung fester Richtpunkte. Man sagt uns, daß Weltproduktion und Welthandel sich seit Mitte 1929 um rund ein Viertel vermindert haben. Diese Zahlen können nur dann in rechter Perspektive gesehen werden, wenn man die Bewegung dieser Größen in den vorangegangenen Wechselstufen (Konjunkturphasen) kennt.
Die wichtigsten Ergebnisse sind aus der folgenden Tabelle abzulesen, wobei nur im Sinn zu behalten ist, daß die Bevölkerungszahlen für die nichteuropäische Welt zum Teil bloß Merkzahlen von technischem Belang, zum Teil Dokumente eines unerschütterlichen Optimismus darstellen; und daß bei der Berechnung der Nahrungsmittelerzeugung die chinesischen Nahrungsstoffe aus Mangel an verfügbaren Zahlen ausgeschlossen sind. Der Welthandel ist, unter Ausschaltung von Änderungen des Preisspiegels auf reine Mengen umgerechnet, mit dem Ziel einer ersten Annäherung zu gewinnen. Der Produktionsindex ist mit den Preisen der Waren gewogen und enthält zu 60 % Nahrungsmittel, zu 40 % Rohstoffe. Rußland umfaßt stets europäisches und asiatisches Gebiet in einer Zahl. Holland ist aus der Buchung des Welthandels ausgeschaltet, da seine Vorkriegsstatistik mit der späteren unvergleichbar ist. Die Schweiz und Italien sind zu Westeuropa geschlagen, Mexiko zu Mittelamerika, die Länder südlich des Panamakanals zu Südamerika. Alle Zahlen sind Relativzahlen und beziehen sich auf das Jahr 1913 – 100 als Basis.
| Welterzeugung (1913 = 100) | |||
|---|---|---|---|
| an: | 1923 | 1926 | 1928 |
| Weizen | 101 | 114 | 120 |
| Mais | 109 | 106 | 102 |
| Reis | 103 | 110 | 113 |
| Rübenzucker | 76 | 99 | 120 |
| Rohrzucker | 154 | 169 | 190 |
| Rind- u. Kalbfleisch | 107 | 118 | 133 |
| Schweinefleisch | 107 | 111 | 133 |
| Kaffee | 129 | 120 | 137 |
| Kopra | 171 | 205 | 235 |
| Sojabohnen | 208 | 254 | 294 |
| Baumwolle | 88 | 127 | 117 |
| Kunstseide | 305 | 623 | 1036 |
| Kautschuk | 426 | 579 | 602 |
| Zement | 111 | 145 | 166 |
| Steinkohle | 99 | 98 | 102 |
| Braunkohle | 125 | 144 | 168 |
| Petroleum | 263 | 283 | 341 |
| Roheisen | 88 | 100 | 112 |
| Stahl | 103 | 122 | 144 |
| Kupfer | 122 | 144 | 170 |
| Blei | 102 | 135 | 144 |
| Zink | 97 | 127 | 144 |
| Zinn | 106 | 112 | 139 |
| Aluminium | 2227 | 310 | 349 |
| Nickel | 101 | 109 | 158 |
| Natürl. Phosphat | 98 | 134 | 139 |
| Kali | 101 | 114 | 147 |
| Natürl. Guano | 242 | 203 | 274 |
| Kalkstickstoff | 223 | 521 | 818 |
| Klaziumzyanamid | 284 | 534 | 575 |
| Schwefels. Ammon. | 174 | 228 | 281 |
Die gesamte Bevölkerung der Welt, soweit gezählt oder abgeschätzt, hat sich demnach in 15 Jahren (darunter 4½ Kriegsjahre) um 10 % vermehrt; davon entfallen 1,9 % auf die beiden letzten Jahre. Die durchschnittliche Bevölkerungszunahme der Welt erreicht also auch in diesen beiden verhältnismäßig günstigen Jahren nicht die Vermehrungsgröße der deutschen Bevölkerung vor dem Kriege. Da die Gesamtbevölkerung der Welt im Jahre 1926 auf 1926,5 Mill. Menschen geschätzt wurde, bedeutet das ein jährliches Wachstum um rund 18 Mill. Menschen. Weitaus am stärksten, verglichen mit 1913, war die Zunahme in Südamerika: 43 %; es folgen Nordamerika mit 20 % und Ozeanien mit 25 %, in weiterem Abstand Afrika und, unter dem Weltdurchschnitt liegend, Europa einschließlich Rußland, Zentralamerika und Asien – falls man die chinesischen Bevölkerungszahlen, die mit rund 500 Mill. Menschen die Hälfte der Gesamtzahl für Asien ausmachen, statistisch ernst nehmen will. Am schwächsten ist die Zunahme in Mittel- und Osteuropa ohne Rußland: 5 %; immerhin auch hier keine Abnahme, trotz Krieg, Seuche und vielfachem Elend.
Lassen wir Ozeanien beiseite, das mit 0,5 % der Weltbevölkerung zahlenmäßig unbeträchtlich bleibt, so ist die Vermehrung in den Gebieten des außereuropäischen Kolonialkapitalismus der gleichen Stufen am stärksten. Immerhin, auch die Vereinigten Staaten beherbergen 1928 erst 6,7 %, Südamerika erst 4,1 % der Weltbevölkerung, der ganze amerikanische Kontinent 12,4 %, der afrikanische 7,3 %, während Europa ohne Rußland 19 %, mit Rußland 26,8 %, Asien aber 53 % der lebenden Menschheit trägt. Das raschere Wachstum der von Europa besiedelten Räume fällt also auch jetzt zahlenmäßig noch nicht stark ins Gewicht. Die Dichtenanordnung auf der Erdoberfläche bleibt im Wesentlichen dieselbe. In den beiden letzten Jahren (1926 bis 1928) hat Europa seinen Anteil an der Gesamtbevölkerung sogar gewahrt; die übrigen Änderungen sind unbeträchtlich, nur das Wachstum Südamerikas mit jährlich 2,5 % übersteigt den Weltdurchschnitt von 1 % außerordentlich – ein schwaches Vorzeichen für die Verlegung der wirtschaftlichen Schwerpunkte, die nach der Erschließung vor allem Brasiliens eintreten müßte, das Wachstum der südlichen Völker auf Kosten derer begünstigend, die bisher die beherrschenden Träger der neueren Wirtschaftsordnung waren.
Die Weltproduktion ist heute überhaupt nicht statistisch zu fassen; nur für Rohstoffe und Nahrungsmittel, und auch für diese nicht durchweg, stehen Zahlen zur Verfügung, die mit gutem Willen und einiger Übung verglichen werden können. Ein Teilproduktionsindex aus diesen Zahlen kann als Mindestgrenze für den entbehrten Gesamtproduktionsindex sämtlicher Waren gelten; denn es steht die Tendenz in Kraft, und ist in den letzten Jahren eher stärker als schwächer geworden, das gleiche Produkt mit einem immer geringeren Aufwand an Roh- und Hilfsstoffen herzustellen. Hinzu kommt, daß die Produktion nach dem Kriege in höherem Maße als früher persönliche Leistungen umfaßt und daß neue Massen-Bedürfnisse geweckt worden sind, in deren Preis eine schmälere Stoffquote eingeht als bei den bevorzugten Waren der früheren Friedenszeit. Dennoch ist die Steigerung der Rohstofferzeugung von erstaunlicher Größe gewesen; im Jahre 1928 steht sie 40 % über dem nicht eben knappen Maß von 1913, bei einer nur um 10 % gestiegenen Bevölkerung. Bedenkt man, daß die Zahlen für Fertigwaren zum Teil erheblich höher stehen müßten, so ist eine Versorgung mit Industrie-Erzeugnissen, auf den Kopf der Bevölkerung gerechnet, von mindestens einem Drittel mehr als vor dem Kriege anzunehmen.
Die Produktion von Nahrungsmitteln ist dagegen nur um 16 % gestiegen, wenig mehr als die Bevölkerung, immerhin auf den Kopf der Bevölkerung fast 6 % mehr. Das bedeutet bei Waren mit teilweise niedriger Nachfrageelastizität einen erheblichen Zuwachs, zumal wenn man bedenkt, daß fast die Hälfte dieses Zuwachses auf die letzten beiden Jahre (1927 und 1928) entfällt (8 % bei einem Bevölkerungswachstum von 2 %), während sich vorher 9 % auf 13 Jahre verteilten. Die Rohstoffe dagegen zeigen in jenem Zeitraum (1913 bis 1926) eine Zunahme von 28 %. Ihr Wachstum ist demnach dreimal so stark wie bei den Nahrungsmitteln; in den beiden letzten Jahren aber hat sich die Zunahme (9 %) fast ganz der der Nahrungsmittel angeglichen. Weder diese noch jene 4 bis 4,5 % (jährliche Zunahme) haben ohne riesige Vorratsbildungen und Preisstürze abgesetzt werden können.
Vergleiche mit Vorkriegszahlen wären erwünscht, sind aber kaum durchführbar, da die statistischen Vorarbeiten nicht genügen. Die Bevölkerung Europas hat von 1900 bis 1910 um rund 1 % jährlich zugenommen, in den kolonialkapitalistischen Ländern ist das Bevölkerungswachstum um ½ bis 1 % stärker gewesen. Diese Zahlen weichen also nicht sehr erheblich von den gegenwärtig gültigen ab. Das durchschnittliche „wirtschaftliche Wachstum“, das heißt der mengenmäßige Absatzzuwachs, wird von Gustav Cassel im letzten halben Jahrhundert vor dem Kriege auf jährlich 3 % geschätzt. Für die Gegenstände des Unternehmungsverbrauchs aber gelten höhere Zuwachssätze; für die Weltproduktion von Roheisen von 1865 bis 1900 durchschnittlich 4,5 %. Selbst in den Vereinigten Staaten mit ihrer stark wachsenden und reicherwerdenden Bevölkerung ist die Roheisenproduktion 1900 bis 1910 nur anfangs um 6 %, dann 5 % gestiegen, die Stahlproduktion allerdings um 10 und 7 %, die Baumwollproduktion aber nur um 3 %.
Im Jahrzehnt 1913 bis 1923 war die Stahlproduktion der Welt um 3 % gewachsen, die Roheisenproduktion um 12 % zurückgeblieben; seitdem hat sich die erste auf 44 %, die zweite auf 12 % über den Friedensstand erhoben; im Durchschnitt der fünf Jahre aber um jährlich 5 % bzw. 8 %; in den beiden letzten Jahren des Aufschwungs um 6 bis 9 %. Die Zahlen stellen auch nach Vorkriegsanschauungen typische Aufschwungssätze dar. Selbst in dem Zeitraum von 1865 bis 1910 wurden in der Roheisenproduktion (die damals repräsentativer für den gesamten Verbrauch an Stahl und Eisen war als heute) 30 bis 40 % Vermehrung in der Aufschwungsphase gezählt – im Zeitalter der blühendsten Eisenbahnbauten über See, ungestörter Kapitalausfuhr und größerer Friedlichkeit als je in der uns bekannten Geschichte. Diese Zuwachsquote wurde in der Stahlproduktion der Jahre 1923 bis 1928 wieder erreicht, bei Kupfer, Aluminium, Nickel und Zement bei weitem übertroffen; von Kautschuk, Petroleum, Kunstseide zu schweigen.
| Die deutsche Zuckererzeugung | ||||||||||
|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
| Zahl d. Fabriken | Aufbaufläche d. verarbeit. Rüben (1000ha) | Hektar-ertrag (dz) | Verarbeitete Rübenmenge (1000t) | Rohrzucker-erzeugung (1000t)1 | Zucker vom ha (dz) | Einfuhr (1000t)1 | Ausfuhr (1000t)1 | Jahresverbrauch: Insgesamt | Jahresverbrauch: pro Kopf | |
| 1913/14: Altes Gebiet | 341 | 532,8 | 318 | 16940 | 2716 | 49,13 | 2 | 1105 | 1430 | 21,10 |
| 1913/14: Neues Gebiet | 309 | 435,9 | 318 | 13842 | 2259 | . | . | . | . | . |
| 1920/21 | 263 | 272,8 | 240 | 655 | 1084 | 39,55 | 56 | . | 1147 | 18,63 |
| 1921/22 | 263 | 332,4 | 226 | 7527 | 1301 | 38,63 | 158 | 15 | 1433 | 23,04 |
| 1922/23 | 263 | 356,5 | 261 | 9306 | 1455 | 40,60 | 60 | 17 | 1333 | 21,62 |
| 1923/24 | 264 | 332,2 | 218 | 7235 | 1146 | 33,96 | 6 | 262 | 918 | 14,80 |
| 1924/25 | 261 | 354,5 | 276 | 9766 | 1564 | 43,79 | 100 | 335 | 1402 | 22,46 |
| 1925/26 | 261 | 370,1 | 275 | 10167 | 1599 | 42,82 | 80 | 128 | 1432 | 22,79 |
| 1926/27 | 252 | 369,7 | 288 | 10657 | 1664 | 44,56 | 142 | 206 | 1521 | 24,11 |
| 1927/28 | 250 | 406,4 | 262 | 10656 | 1675 | 40,73 | 84 | 154 | 1623 | 25,57 |
| 1928/29 | 248 | 428,9 | 268 | 11488 | 1864 | 42,94 | 77 | 219 | 1693 | 26,50 |
| 1929/302 | 238 | 431,8 | 276 | 11937 | 1985 | 45,29 | 28 | 260 | 1654 | 26,50 |
| 1930/313 | 233 | . | . | 15540 | 2500 | . | . | . | . | . |
1) Ohne Melasse; Rohzuckerwert, 2) Vorläufige Ergebnisse, 3) Schätzungen
Bei solchen Größenordnungen ist es nicht verwunderlich, daß der an sich vernünftige und technisch durchführbare Gedanke einer wohltemperierten Konjunktur nicht durchgehalten werden konnte: es war unmöglich, die Vorteile eines Hausstetempo ohne die Nachteile eines folgenden „Slumps“ in Kauf zu nehmen; es war unsinnig, die Andauer auch nur inselhafter Prosperität in einem Weltzustand für möglich zu halten, der mit dem Begriff „durchaus ungeordnet“ noch zu wohlwollend charakterisiert wäre.
In welchem Maß die Folgen dieses ungesunden Tempos im ganzen durch Unverhältnismäßigkeiten des Wachstums einzelner Teile verstärkt wurden, ist aus den von uns herangezogenen Statistiken nur wie durch einen dichten Schleier zu erkennen. Das wichtigste, was hier sichtbar wird, ist das lang dauernde Zurückbleiben des Wachstums des Welthandelsvolumens hinter dem der Nahrungsmittel- und Rohstofferzeugung. Erst in den Jahren 1927 und 1928 ist in beiden der gleiche Stand, verglichen mit 1913, erreicht: ein Fünftel bis ein Viertel über dem Friedensstand. Bis dahin war die Ausfuhrquote der Nahrungs- und Rohstofferzeugung geringer als vor dem Weltkrieg; damit war angezeigt, daß die Tendenz zur Loslösung der Volkswirtschaften aus dem weltwirtschaftlichen Geflecht an Stärke erheblich gewonnen hatte – besonders kräftig in dem sich industrialisierenden Südamerika, das im Jahre 1926 in der Produktion (worunter hier immer Nahrungsmittel und Rohstoffe zu verstehen sind, als Mindestwerte der Produktion überhaupt) um 33 % über 1913 lag, im Außenhandel nur um 7 %; in Afrika, wobei man in der Hauptsache an Südafrika zu denken hat, um 40 % gegen 10 %, selbst Zentralamerika um 53 % gegen 36 %. Europa ohne Rußland steht damals in Produktion und Außenhandel gleichmäßig auf 4 % unter dem letzten Vorkriegsjahr, während Mittel- und Osteuropa ohne Rußland ein Verhältnis von -8 % (Produktion) und -14 % (Außenhandel) aufweisen – bei unsinnig vergrößerten Grenzen ein besonders sprechendes Anzeichen.
Bei Einbeziehung des autarkisierten Rußland stellt sich das Verhältnis auf +0 : -24 %. Trauen wir den russischen Produktionsstatistikern hinreichende Belastungsfähigkeit in ökonomischen Untersuchungen zu, so hätte damals Europa einschließlich Rußland fast den Vorkriegsstand in der Produktion erreicht; im Außenhandel aber wäre es um 8 % hinter jenem zurückgeblieben. Eine Umkehrung des Verhältnisses zeigen Nordamerika (+28 % : +52 %) und Asien, ohne Rußland (+18 % : +54 %), in schwächerem Grade Ozeanien (+28 % : +36 %). Sie können aber den Weltdurchschnitt nicht wenden: er steht 1926 in der Produktion um 16 %, im Außenhandel nur um 12 % über den Zahlen für 1913.
In den beiden letzten Jahren hat sich das Verhältnis beider Größen etwas im Sinn der Vorkriegsproportionen zurechtgerückt, so daß der Weltdurchschnitt jetzt auf +25 % : +24 % über 1913 steht. Europa ohne Rußland hat zwar immer noch die Produktion stärker als den Außenhandel ausgedehnt, wenn man das Jahr 1926 als Basis nimmt. Mittel- und Osteuropa aber, sowohl ohne wie mit Einschluß Rußlands, zeigen eine stark abweichende Tendenz (20 % : 30 %, bzw. 11 % : 29 %), ähnlich wie Nordamerika (4 % : 7 %) und jetzt auch Afrika (7 % : 22 %), während die Richtung zur wachsenden Selbstgenügsamkeit in Asien auftritt (5 % : -2 %), in geringerem Grad in Ozeanien (4 % : 1 %) und in Zentralamerika (2 % : -4 %), in Südamerika aber geschwächt scheint (21 % : 19 %).
Vergleicht man mit dem Jahr 1913, so ist die Steigerung der Produktion weitaus am stärksten in Süd- und Mittelamerika, in Afrika, bei Bevölkerungszahlen, die nur im Fall Südamerika ein annähernd ähnliches Wachstum zeigen. Der Außenhandel ist am mächtigsten in Nordamerika gewachsen, mehr als doppelt so stark wie die Bevölkerung; es folgen Ozeanien, Asien und Afrika. In Europa beträgt der Zuwachs, fast gleich für Produktion und Außenhandel, nur um wenige Prozente mehr als der Bevölkerungszuwachs; jener bleibt um die Hälfte hinter dem Weltdurchschnitt zurück, dieser um zwei Fünftel bei schon an sich geringerer Wachstumsstärke.
Soweit diese Zahlen überhaupt ein Urteil stützen können, zeigen sie an, daß Europas weltwirtschaftliche Vormachtstellung bedroht, aber nicht gebrochen ist. In den beiden Jahren 1927 und 1928 scheint es sogar kräftigere Fortschritte gemacht zu haben als irgendein anderer Erdteil, freilich mit Unterstützung des amerikanischen Kapitalmarkts (dabei ist aber auch die europäische Kapitalrückwanderung nach den Vereinigten Staaten und das Stehenlassen von Anleiheerlösen in den Vereinigten Staaten mit mächtigen Summen in Rechnung zu ziehen). Im Jahre 1928 hatte Europa, mit Einschluß Rußlands, 52 % des Welthandels inne, 37,4 % der Weltproduktion an Nahrungsmitteln, außer chinesischen, und an Rohstoffen, bei einem Anteil von 27 % an der Weltbevölkerung. Allein der Anteil Mittel- und Osteuropas, einschließlich Rußlands, ist beim Welthandel fast so groß wie der des ganzen nordamerikanischen Kontinents, bei der Erzeugung jener Waren nur um 25 % geringer; ausschließlich Rußlands ist er beim Welthandel größer als der Asiens, mit seiner sechsmal so großen Bevölkerung, und nur um 40 % geringer in der Produktion jener Grundstoffe.
Die Stärke aber, die in diesen Zahlen sichtbar zu werden scheint, besteht heute nur virtuell. Europa ist bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge ein historischer, ein geistiger, ein normativer, aber kein wirtschaftlicher und kein politischer Begriff. Keine Kraft des Gemeinwesens kann mit gesammelter Produktionswucht und der Verbrauchsintensität dieses Dichtezentrums in die Waagschale werfen. So bleibt es statt des Rückgrats der Welt, das zu sein es berufen wäre, eine Kumulation von Schwächen, von Spannungen, von ausgetragenen und unausgetragenen Krankheiten, und das Gesetz des Handelns geht über auf den nicht-europäischen Sieger des Weltkrieges, der im geeinten Wirtschaftsraum von der Welterzeugung an Erdöl und Kautschuk zwei Drittel, an Kupfer und Zinn, Aluminium, Steinkohle und Blei fast die Hälfte, von Baumwolle mehr als ein Viertel verarbeitet; der bei rund 10 Milliarden $ jährlicher Emissionen und über 17 Milliarden $ Bankdarlehen weitaus der stärkste Kreditgeber und Organisator der Weltwirtschaft sein könnte; der aber so wenig seiner Aufgabe gewachsen ist, daß er nicht einmal den Entschluß zur Streichung der Interalliierten Schulden finden kann, die nicht die einzige Ursache der Weltstockung sind, aber ein wirtschaftswidriges Moment der ersten Ordnung und eine Quelle, aus der sich alle politischen Gegnerschaften auf Jahre hin reichlich nähren und damit die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Dauerzustandes von vornherein vernichten müssen.
Lähmung der ordnenden Kraft, im alten wie im neuen Schwerpunkt der Weltwirtschaft, steht über dem Eingang wie über dem Ausgang dieser geschäftig-verworrenen Jahre … wie lange noch?
- 1 Memorandum sur la Production et le Commerce, Genf, Juni 1930, 109 S.
- 2 Vierteljahrshefte zur Konjunkturforschung, Jahrgang 5, Heft 3, Teil A, S. 24 f.
- 3 Carl Snyder, Business Cycles and Business Measurements, 1927, S. 22 ff.
- 4 Bei der Basis 1913 = 100 ergeben sich leicht abweichende Ergebnisse, vermutlich infolge anderer Wägung. Daher geben die beiden Tabellen des Memorandums auf Seite 8 in diesem Punkt abweichende Aufschlüsse.