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Das japanische Kabinett hat in der letzten Novemberwoche den Voranschlag für das Rechnungsjahr 1933/34 gebilligt, der Ausgaben in Höhe von 2239,3 Mill. Yen vorsieht, während die Einnahmen aus Steuern, Gebühren, staatlichen Betrieben auf 1342,9 Mill. Yen geschätzt werden: es müssen daher 896,4 Mill. Yen, gleich 40 % der Ausgaben, durch Schuldaufnahmen bestritten werden. Ein solches Budget erscheint, an den Maßstäben klassischer Finanz gemessen, durchaus ungeheuerlich. Der greise Finanzminister Takahashi aber, sicherlich einer der erfahrensten und während seiner früheren Amtszeiten erfolgreichsten unter seinen Amtsgenossen, hat im Kabinettsrat versichert, daß diese Finanzpolitik den Bestand der japanischen Staats- und Volkswirtschaft nicht gefährden werde. Er ist zufrieden, die außerordentlich hohen Mehrforderungen von Heer und Flotte durch seinen Einspruch halbiert, die Krisenüberwindungs-Ausgaben auf ein einigermaßen vertretbares Maß zurückgeführt zu haben. Im übrigen vertraut er darauf, daß ein beginnender Aufschwung steigende Einnahmen, die fortschreitende Befriedung der Mandschurei sinkende Ausgaben bringen werde. Demgemäß hat er sich der Forderung widersetzt, auch nur die Zinsen für die neuen 896 Mill. Yen Obligationen durch regelmäßige Einnahmen zu decken. In drei Jahren, versichert er, werde der Haushalt wieder zur Normalität zurückgekehrt sein.

Die Führer des Wirtschaftslebens, soweit sie nicht dezidierte Inflationisten sind, stehen besorgt und ratlos vor einem Finanzminister, der weder bereit ist, ihnen irgendwelche neuen Steuern aufzuerlegen, noch gesonnen scheint, die neuen Obligationen zur Zeichnung aufzulegen: sie sollen vielmehr insgesamt von der Notenbank übernommen werden, obgleich die Flüssigkeit der Kapitalmärkte nichts zu wünschen übrig läßt. Der leitende Gedanke scheint zu sein, den in Gang befindlichen Aufschwung weder durch steuerliche Beschneidung der Unternehmungsgewinne zu hemmen noch durch eine Beanspruchung des Kapitalmarktes, die den künftigen Emissionen der Industrie im Wege steht und den Zinsfuß in die Höhe treibt.

Die Finanzbelastung ist in der Tat hoch genug. Wenn 1 1/3 Milliarden Yen ordentlicher Einnahmen im Staatshaushalt nach europäischen Begriffen als geringfügig erscheinen, so darf nicht vergessen werden, daß der Steuerdruck der übrigen öffentlichen Verbände noch beträchtlich ist (mehr als zwei Drittel Milliarde Yen) und daß das japanische Volkseinkommen noch im Jahre 1925 auf nur 13 Milliarden Yen geschätzt wurde, bei Kleinhandelspreisen, die rund 50 % über dem heutigen Stande liegen: es wird heute kaum 9 Milliarden Yen erreichen. Der Notenumlauf der Bank von Japan ist seit jener Zeit ebenfalls um rund 50 % zurückgegangen; er beträgt heute wenig mehr als eine Milliarde Yen. Diese Noten sind das vorherrschende Zahlungsmittel. Metallmünzen (unterwertig) laufen nur zu einer Geltung von weniger als ein Yen um. Der Gebrauch von Schecks ist auf Großhandel und Industrie beschränkt; der Bestand scheckfähiger Depositen erreicht bei den Clearinghouse-Banken in Tokio, dem weitaus wichtigsten Vorort des giralen Zahlungsverkehrs, rund eine Viertel Milliarde Yen. Dementsprechend hält sich der Durchschnitt der Einkommen und der Zinssätze, an europäisch-amerikanischen Vorstellungen gemessen, in sehr geringen Größenordnungen: um so riesenhafter sind die politischen Ziele und die Opfer, die sie verlangen.

Die Tragweite des neuen Budgets kann nur abgeschätzt werden, wenn man es im Zusammenhang mit der Entwicklung der japanischen Staatsausgaben und -einnahmen in der jüngsten Vergangenheit betrachtet. Über diese Dinge unterrichtet mit vielen Tabellen eine lehrreiche Schrift von 84 Seiten, die das Finanzministerium in diesen Wochen (in japanischer Sprache) veröffentlicht hat. Dieser Schrift sind die Zahlenangaben der folgenden Abschnitte zum größten Teil entnommen.

Der in der Ausführung begriffene Haushaltsplan, einschließlich der in der außerordentlichen Sommersession des Reichstags beschlossenen Nachträge, sieht Ausgaben in Höhe von 1943,8 Mill. Yen vor. Dies ist nur 295 Mill. Yen weniger als der Voranschlag für das nächste Jahr vorsieht, dagegen 445,9 Mill. Yen mehr als im Vorjahr 1931/32, während die ordentlichen Einnahmen gegen dieses Jahr um rund 25 Mill. Yen gefallen sind. Da die laufenden Einnahmen nur 1338 Mill. Yen bringen sollen, erscheint das diesjährige Budget weit gefährlicher als das nächstjährige, vorausgesetzt, daß es gelingt, die künftigen Ausgaben in der jetzt für 1933/34 vorgesehenen Höhe zu halten. Dennoch wird von fast allen Beurteilern die Finanzlage für 1932/33 für nicht annähernd so kritisch gehalten wie die des kommenden Rechnungsjahres. Ich möchte aber annehmen, daß eine Obligationsausgabe von rund 900 Mill. Yen im nächsten Jahr gelingen muß, wenn in diesem Jahr die vorgesehene Ausgabe von 616 Mill. Yen (gegen 30 bis 60 Mill. Yen in den Jahren 1926 bis 1931, nur das eine Jahr 1928 zeigte eine Obligationsausgabe von 157 Mill. Yen) ohne größere Schwierigkeiten durchgeführt werden kann.

Im Jahre 1928 erreichten die laufenden Staatseinnahmen ihren Höchststand: 1552 Mill. Yen, rund 200 Mill. Yen mehr als im gegenwärtigen Haushalt. Inzwischen muß sich der Wirtschaftskörper beträchtlich ausgedehnt haben. Die Hoffnung des Finanzministers, daß ihm ein Aufschwung eine Viertelmilliarde Yen in den Schoß werfen würde, ist also durchaus nicht unverständlich. Zwei Drittel des Rückgangs entfallen auf die besonders konjunkturempfindlichen Einnahmen aus der Einkommensteuer (1928: 206,7; 1932: 131,1 Mill. Yen) und der Sakesteuer (235,7; 176,5 Mill. Yen). Tabakmonopol, Kapitalzinssteuer, Erbschaftssteuer und Grundsteuer haben sich als sehr widerstandsfähig erwiesen.

Der Haushalt für 1931/32 war bis auf 1 Mill. Yen im Gleichgewicht. Das in Ausführung begriffene Budget sieht einen Rückgang von 25,0 Mill. Yen ordentlichen und 24,6 Mill. Yen außerordentlichen Einnahmen vor, während die ordentlichen Ausgaben um 24,9 Mill. Yen, die außerordentlichen um 445,9 Mill. Yen anstiegen. Diese aber sind es, die das eigentliche Problem aufgeben, und zwar erhält das Innenministerium im Extraordinarium 173,4 Mill. Yen (1931: 92,9 Mill.), das Kriegsministerium 195,3 Mill. Yen (i. V. 63,8 Mill.), das Marineministerium 156,8 Mill. Yen (i. V. 88,2 Mill.), das Landwirtschaftsministerium 70 Mill. Yen (26,9 Mill.). Unter den Mehrausgaben sind weitaus die wichtigsten durch den mandschurischen „Zwischenfall“ bedingt: insgesamt 249 Mill. Yen (gegen 75 Mill. Yen i. V.), eine beträchtliche Summe für einen Defizithaushalt, aber angesichts der politischen Bedeutung des Anlasses nicht übermäßig hoch; der russisch-japanische Krieg hatte 1730 Mill. Yen erfordert, der chinesisch-japanische 200,5 Mill. Yen, bei sehr viel niedrigerem Preisstand. Gelingt die japanische Politik auch nur im wesentlichen, so ist selten mit größerer Ökonomie verfahren worden.

Neben ihrem politischen Hauptzweck üben die Rüstungsaufträge nach dem Tiefpunkt der Stockung auch konjunkturpolitische Funktionen aus. Die direkten Ausgaben für Krisenbekämpfung halten sich in diesem Jahr in mäßigen Beträgen: das Innenministerium erhielt 80,5 Mill., das Landwirtschaftsministerium 43,1 Mill. Yen für öffentliche Bauten und verwandte Zwecke, während die lokalen Körperschaften die Finanzierung von weiteren 54 Mill. Yen übernehmen sollen. Hierzu kommt aber eine Fülle von anderen „Hilfsmaßnahmen“, so daß der allgemeine Etat mit 163,4 Mill., die Spezialetats (Eisenbahn, Kolonien) mit 13 Mill., die Gemeindeetats mit 87,5 Mill. Yen belastet werden, insgesamt 263,9 Mill. Yen. Insgesamt sollen in drei Jahren 800 Mill. Yen bereitgestellt werden. Neben dieser Summe sollen weitere 800 Mill. Yen verbilligte Kredite (im laufenden Jahre) zur Flüssigmachung von Banken und Genossenschaften gegeben werden, deren Kreditgewährung durch Immobilisierung von Agrar- und Grundstückskrediten ins Stocken geraten ist. Diese Kredite erscheinen nicht im Staatshaushalt; sie sollen zum Teil durch Spezialbanken, zum Teil vermutlich durch das Depositen-Büro, die Finanzverwaltung der Postsparkassen gewährt werden.

Da man gleichzeitig den Zins für Postsparkassendepositen empfindlich herabgesetzt hat, nehmen diese Depositen einstweilen allerdings fortgesetzt ab. Doch scheint auch die Nachfrage nach jenen Mobilisierungskrediten nicht sehr dringlich zu sein: die besagten Institute schätzen, wie es scheint, die Gefahr ihrer Diskreditierung größer ein als die Gewinnchancen aus verstärkter Ausleihetätigkeit. Die Einlagen des Depositenbüros pflegten in den Vorjahren um durchschnittlich 300 Mill. Yen zu wachsen. Sie halten sich auch jetzt mit 2855 Mill. Yen noch um rund 250 Mill. Yen über dem Stand von Ende 1931. Insgesamt verfügt das Büro über 3688 Mill. Yen (Ende 1931: 3422 Mill.), während die sämtlichen Depositen der dem Clearinghaus in Tokio angeschlossenen Banken im August nur 2264 Mill. Yen (einschl. Überziehungen) aufwiesen. In den 7 Milliarden Depositen, die sämtliche kommerziellen Banken aufwiesen, sind erhebliche Doppelzählungen enthalten. Spezialbanken verfügten über 1,3 Milliarden, Sparbanken über 1,9 Milliarden Yen Einlagen. Es wird aus diesen Zahlen ersichtlich, wie groß die Möglichkeiten einer kreditpolitischen Konjunkturentwicklung in diesem Lande sind. Dagegen hat die Notenbank fast keinen Einfluß auf den Geldmarkt. Die Großbanken halten weder erhebliche Guthaben bei ihr, noch sind sie, außer in Ausnahmefällen, ihr verschuldet. Die gesamte Kreditgewährung der Zentralbank beträgt gegenwärtig fast 700 Mill. Yen; hiervon ist nur ein kleiner Teil am Markt rediskontierbar. Geldmarktpolitik im engeren Sinn kann höchstens von der Yokohama Specie Bank ausgeübt werden, indem sie bei der Notenbank Auslandswechsel beleiht und die Mittel dem Markt zur Verfügung stellt.

Der Notenumlauf der Zentralbank, der im Laufe dieses Jahres unter eine Milliarde Yen gesunken war, hat sich am 1. Dezember auf 1146 Mill. Yen erhöht. Diese Zahl liegt noch immer beträchtlich unter dem Stand von Ende 1931: 1312,1 Mill. Yen; doch ist zu bedenken, daß im letzten Jahresviertel der Notenumlauf um durchschnittlich 300 Mill. Yen zuzunehmen pflegt. Eine Vermehrung um ein paar 100 Mill. Yen (vorausgesetzt, daß es dabei bleibt) würde die wirtschaftlichen Probleme des Landes im ganzen eher vermindern als vergrößern, denn der bereits 1932 herrschende Tiefstand von Preisniveau und Unternehmungsbereitschaft hatte die Landwirtschaft in eine durchaus unhaltbare Lage gebracht. Gegenwärtig sind die Industrien im allgemeinen in befriedigender, zum Teil in sehr guter Lage; die Steigerung des Rohseidenpreises um 39 % (Oktober 1932 gegen Oktober 1931) hat die Notlage des bedrängtesten Teils der Bauern beseitigt; und auch der Reispreis hat sich um 8 % gegen das Vorjahr gehoben.

Es wird nun nicht nur von Führern der Finanz, sondern auch von dem Innenminister Yamamoto bezweifelt, ob angesichts dieser Lage noch das Krisenprogramm durchgeführt werden muß: nur in den durch Elementarkatastrophen geschädigten Gebieten des Nordens sei Hilfe in dem anfangs geplanten Maßstab nötig. Nur die wahldemagogische Funktion dieser Ausgabe verhindert ihre Einschränkung, solange mit der Möglichkeit von Neuwahlen in naher Zukunft gerechnet werden muß. Es ist daher verständlich, daß der Finanzminister die Sanierung der Staatsfinanzen von der Andauer eines überparteilichen Kabinetts abhängig macht. Inzwischen scheint es seine Absicht zu sein, die preissteigerungslustigen Seiyukai-Inflationisten durch Notendruckhoffnungen hinzuhalten, die Minseito-Kontraktionisten durch Enttäuschung dieser Hoffnungen zu entwaffnen, ein gewagtes Spiel, das von geschickten Händen geraume Zeit gespielt werden kann.

Vielleicht erwartete Takahashi, der der Seiyukai angehört, aber in wichtigen finanzpolitischen Angelegenheiten mit ihrer Mehrheit lange Zeit nicht übereinstimmte, daß die ersten Symptome einer herzhaften Mehrausgabe an Zahlungsmitteln (sie hat bis Ende November nicht begonnen, scheint aber in naher Zukunft bevorzustehen) die öffentliche Meinung gegen die Inflationisten mobilisieren wird; sie wird darin die Unterstützung der Bank von Japan finden, die kein Vergnügen daran haben kann, die Grundlagen der Währung zu untergraben und dafür noch 3 % Steuern zu zahlen: das im Sommer erweiterte steuerfreie Kontingent ist gegenwärtig bis auf 283 Mill. Yen beansprucht. Gewiß ist, daß der für die Krisenunterstützung selber verantwortliche Yamamoto, der der Minseito angehört, einen Druck der öffentlichen Meinung dankbar begrüßen wird. In den allerletzten Wochen sind Anzeichen dafür sichtbar geworden, daß auch in den Kreisen der Seiyukai einige Zweifel an dem Wert einer radikalen Inflationierung rege geworden sind: die Takahashische Anwendung der Montessori-Methode beginnt ihre ersten zarten Früchte zu tragen. Daß aber der im Dezember zusammentretende Reichstag das Budget beschneiden werde, heißt indessen sehr mutig im Hoffen sein.

Unangetastet von solchen Erwägungen bleiben die Ausgaben von Heer und Flotte für die Durchführung der mandschurischen Politik und für die Ergänzung der japanischen Rüstung im allgemeinen. Die ersten sind die Folgen von Entscheidungen, die in der Vergangenheit gefallen sind; sie sind irreduzibel. Die zweiten sind eine Funktion der jeweiligen außenpolitischen Lage. Sie werden wachsen, wenn der ausländische Druck auf die mandschurische Position Japans zunimmt; sie werden der Verminderung nicht unzugänglich sein, wenn die Befriedung des Ostens gemäß den Geschichtseinsichten und Nachbarrechten Japans durchgeführt wird.

Die Zukunft der japanischen Finanzen hängt daher, stetige Verhältnisse der Weltwirtschaft und allmähliche Aufwärtsbewegung der Weltmärkte vorausgesetzt, von zwei Momenten ab. Erstens von der Kraft der Nation, den Parteimechanismus dem Staatsorganismus zu unterwerfen und der absurden Auffassung ein Ende zu machen, daß Minister in ihrem Amt als Beauftragte ihrer Partei zu fungieren haben; zweitens von der Bereitschaft der großen und kleinen Mächte, die Lösung des politisch-wirtschaftlichen Problems China ernsthaft in Angriff zu nehmen, ernsthaft, das heißt unter Verzicht auf Doktrinarismen, hinter denen sich höchst praktische Sonderziele verbergen, aber unter gerechter Abschätzung der lebendigen Kräfte, wozu die erwähnten Einsichten und Rechte Japans gehören. Wer aber annehmen wollte, daß dieses Land durch Schwierigkeiten und Krisen wirtschaftlicher und finanzieller Ordnung von seinem als recht erkannten Wege abgedrängt werden kann, der kennt die japanische Geschichte nicht; oder er muß glauben, daß die Nation in eben dem Augenblick ihre echteste Tradition verleugnen wird, wo sie im Begriff steht, ihr größtes politisches Ziel zu verwirklichen.

Kamakura, 2. Dezember 1932.

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