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Aktuellen Schätzungen zufolge stehen etwa 1 Mio. Mietwohnungen in Ostdeutschland leer, ohne dass die ostdeutschen Wohnungsmieten sinken würden. Vielmehr stagnieren die Mieten weiterhin knapp unterhalb des westdeutschen Niveaus. Nur wenige Märkte dürften auf ein Überschussangebot so unelastisch reagieren wie die ostdeutschen Wohnungsmärkte. Warum hat der enorme Überhang an leerstehenden Wohnungen nicht längst zu einem dramatischen Verfall der Mieten geführt?

Angesichts der gewaltigen Dimension des Wohnungsleerstands in Ostdeutschland ist eine Erklärung gefragt. Gerade weil das scheinbare Versagen des Preismechanismus das Instrument des Abrisses einer halben Million Wohnungen ausgerechnet zu einem Zeitpunkt hoffähig macht, zu dem im Zuge des Bevölkerungsrückgangs temporäre Wohnungsleerstände in ganz Deutschland denkbar werden. Als Erklärungsansatz für die hohen ostdeutschen Mieten dient in diesem Beitrag die ostdeutsche Wohneigentumsquote. Eine einfache politikökonomische Diskussion dieser Quote soll dazu beitragen, dieses Phänomen aus einer einzigen Ursache heraus zu erklären.

In Ostdeutschland stehen gut 1 Mio. Wohnungen leer.1 Tabelle 1 weist die Leerstandsquoten für West- und Ostdeutschland auf der Basis der Mikrozensus-Zusatzerhebung zur Wohnsituation in Deutschland aus. Der Tabelle 1 zufolge erreicht die ostdeutsche Leerstandsquote im Jahr 2006 einen Wert von 12,3%. Dass diese Leerstandsquote etwas geringer ausfällt als die für 2002, ist dabei allerdings kein Zeichen für Entwarnung. Im Rückgang der Leerstandsquote spiegeln sich eben keine Neuvermietungen, sondern vielmehr die Abgänge vorher leerstehender Wohnungen, die im Zuge des als „Stadtumbau Ost“ bezeichneten Programms seit 2002 abgerissen wurden.

Tabelle 1
Leerstandsquoten
in %
  2002 2006
Westdeutschland 6,6 6,7
Ostdeutschland 14,4 12,3

Quelle: U. Timm: Wohnsituation in Deutschland 2006, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 4, 2008, S. 313.

Dass parallel zu den ostdeutschen Leerständen auch Ostdeutschlands Mieten hoch sein sollen, stößt immer wieder auf Unglauben. Als bisher in diesem Kontext nicht genutzte Quelle wird in Tabelle 2 wiederum die Zusatzerhebung des Mikrozensus zum Wohnungsbestand herangezogen.2 Ihr zufolge betrug 2002 die Differenz zwischen den durchschnittlichen Bruttokaltmieten in West- und Ostdeutschland 76 Cent. Vier Jahre später, im Jahr 2006, hatte sich diese Differenz sogar auf nur noch 45 Cent verkürzt.3 Damit dokumentiert Tabelle 2 sicher kein besonders niedriges Mietniveau für Ostdeutschland, selbst wenn berücksichtigt wird, dass die hier als Benchmark dienenden westdeutschen Mieten aus internationaler Perspektive niedrig sind.4 Und sicher dokumentiert Tabelle 2 auch nicht die Mietdynamik für Ostdeutschland, die angesichts des dortigen Mietniveaus eigentlich zu erwarten wäre.

Tabelle 2
Bruttokaltmiete je Quadratmeter
in Euro
  2002 2006
Westdeutschland 5,93 6,05
Ostdeutschland 5,17 5,60

Quelle: U. Timm: Wohnsituation in Deutschland 2006, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 4, 2008, S. 317.

Die Ursachen des Anstiegs ostdeutscher Mieten auf annähernd westdeutsches Niveau liegen nicht auf der Hand. Zwar erwartete die Expertenkommission Wohnungspolitik kurz nach der Wiedervereinigung schon, dass „ostdeutsche Gleichgewichtsmieten auf absehbare Zeit den westdeutschen Mieten ähneln“ würden.5 Aber die Expertenkommission hätte wohl kaum diese Konvergenz der Mieten prognostiziert, wenn ihr ein gleichzeitig eintretender Leerstand von 1 Mio. Wohnungen wahrscheinlich erschienen wäre. Und auch der Hinweis auf die Konvergenz der nominalen Einkommen zwischen Ost und West taugt angesichts des hohen ostdeutschen Leerstands nicht als Erklärung. Es bleibt festzuhalten, dass das aktuelle ostdeutsche Mietniveau schlicht erklärungsbedürftig ist.

Entwicklung der ostdeutschen Mieten

Die existierende Literatur zur Entwicklung der ostdeutschen Mieten ist überschaubar. Aber immerhin lassen sich ihr drei sehr unterschiedliche stilisierte Argumentationsstränge entnehmen, die der Prägnanz halber hier kurz als „Schrotthypothese“, „Kostendeckungshypothese“ und „Wettbewerbshypothese“ bezeichnet werden.

  • Der erste Argumentationsstrang sieht in den leerstehenden Wohnungen Ostdeutschlands keine echte Konkurrenz zum bewohnten Bestand. Dieser Argumentation zufolge sind die leerstehenden Wohnungen gemessen an den Präferenzen ostdeutscher Haushalte schlicht unattraktiv („Schrotthypothese“)6, und deshalb geht von ihnen auch kein Preisdruck aus.
  • Der zweite, von kommunalen Wohnungsunternehmen und ihrem Dachverband (GdW), aber auch von der Bundesregierung favorisierte Argumentationsstrang verweist auf die hohen Modernisierungsinvestitionen, die ostdeutsche Anbieter von Mietwohnungen während der neunziger Jahre mit starker Unterstützung der Kreditanstalt für Wiederaufbau tatsächlich leisteten („Kostendeckungshypothese“).7 Die zu beobachtenden Mietsteigerungen reflektieren dieser zweiten Argumentation zufolge einfach die hohen Modernisierungsinvestitionen, die im Zuge des Aufholprozesses der letzten zwanzig Jahre in ostdeutsche Wohnungen flossen.
  • Der dritte Argumentationsstrang besagt, dass ostdeutsche Mietwohnungsmärkte keine echten Wettbewerbsmärkte sind („Wettbewerbshypothese“). Denn schließlich verwalten kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsunternehmen knapp die Hälfte der ostdeutschen Mietwohnungsbestände.8 In manchen Städten Ostdeutschlands beispielsweise findet sich über die Hälfte des Mietwohnungsbestands in den Händen von nur zwei oder drei großen kommunalen Wohnungsunternehmen. Großen Bürokratien gleich versuchen die kommunalen Anbieter der dritten Argumentation zufolge, ihre Einnahmen und damit ihre Bedeutung auch über möglichst hohe Mieten zu steigern.9

In der hier gewählten Verkürzung jedenfalls kann keine der drei Hypothesen letztlich überzeugen. Die „Schrotthypothese“ blendet aus, dass ein nicht geringer Teil der leerstehenden Wohnungen erst in den letzten Jahren aufwendig saniert wurde. Gerade im Plattenbau findet sich eine Vielzahl sanierter und dennoch leerstehender Wohnungen, ein Umstand, der typischerweise erst dann publik wird, wenn solche Wohnungen abgerissen werden. Selbst wenn viele Wohnungen in der Tat „Schrott“ wären, müsste der verbleibende, also beste, Teil des Leerstands nichtsdestotrotz doch Druck auf die Mieten ausüben (bis auch er vermietet ist). Dass ein Rückgang ostdeutscher Mieten nicht einmal in Ansätzen sichtbar ist, scheint kaum konsistent mit der „Schrotthypothese“.

Aber auch die „Kostendeckungshypothese“ kann keine adäquate Erklärung der mangelnden Abwärtsdynamik der Mieten bieten. Denn es bleibt unberücksichtigt, dass einmal getätigte Modernisierungskosten versunken sind. Investoren werden selbstverständlich immer kostendeckende Mieten anstreben. Aber das heißt nicht zwingend, dass die maximale Zahlungsbereitschaft zukünftiger Wohnungsnachfrager kostendeckende Mieten grundsätzlich auch alimentiert.

Und schließlich leidet die obige „Wettbewerbshypothese“ an einem Nicht-Benennen-Können eines hinreichend starken Instruments des kommunalen Wohnungsunternehmens. Selbst große monolithische kommunale Anbieter müssen letztlich Abwanderungen ihrer Mieter in nahegelegene Nachbarstädte fürchten, wenn sie sich mit ihrer Miete zu weit nach vorne wagen. Nur ostdeutschlandweit koordinierte Mietsteigerungen könnten diese Abwanderung unterdrücken. Aber wer würde schon solche Mietsteigerungen koordinieren?

Darüber hinaus drängt sich der folgende weitere Einwand gegenüber der Wettbewerbshypothese auf: Kommunale Wohnungsunternehmen sind keine eigenständigen Akteure. Sie unterliegen – zumindest langfristig – der Kontrolle der Rathäuser und damit letztlich der lokalen Wählerschaften. Beispielhaft illustrieren dies die bekannten zurückliegenden Kontroversen um die Privatisierungen der städtischen Wohnungsgesellschaften in Dresden und Freiburg. Jegliches Verständnis ostdeutscher Mieten muss daher auf einem Verständnis der politischen Mehrheitsverhältnisse in Ostdeutschlands Kommunen aufbauen. Nutzt womöglich eine Mehrheit ostdeutscher Wähler die über den kommunalen Wohnungsbestand bestehenden Einflussmöglichkeiten? Falls ja, aus wem setzt sich diese Mehrheit zusammen?

Zur Bedeutung des Wohneigentums für die Mieten

Eine schon seit 2004 bekannte Statistik, die Informationen aus einem zusätzlichen Erhebungsbogen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nutzt, informiert über die Wohneigentumsquoten in Ost- und Westdeutschland für die Jahre 1993 und 2003 (vgl. Tabelle 3).10 Der zweiten Zeile dieser Tabelle 3 zufolge ist der Anteil ostdeutscher Wohneigentümerhaushalte sprunghaft von knapp 28% kurz nach der Wiedervereinigung auf über 39% im Jahr 2003 gestiegen. Dies entspricht einem Anstieg von mehr als 11 Prozentpunkten binnen eines Jahrzehnts.

Tabelle 3
Haus- und Grundbesitz privater Haushalte

in %

  1993 1998 2003 2008
Westdeutschland 50,5 47,8 51,1 50,1
Ostdeutschland 27,7 33,3 39,1 39,0

Anmerkung: Das hier erfasste Haus- und Grundeigentum erstreckt sich auf Wohnungen in folgenden Immobilienarten: Einfamilienhäuser (einschließlich Einliegerwohnungen), Zweifamilienhäuser, Wohngebäude mit drei und mehr Wohnungen, Eigentumswohnungen, sonstige Gebäude (z.B. Wochenend- und Ferienhäuser, etc.) sowie unbebaute Grundstücke (ohne landwirtschaftliche Nutzfläche).

Quelle: Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1993, 1998, 2003 und 2008.

Diese Kennzahlen sprechen eine klare Sprache, wenn sie mit dem Umstand kombiniert werden, dass Wohneigentümer eher wählen gehen als Mieter. Dieser Umstand hat zwei empirisch gut belegte Ursachen. Zuerst engagieren sich Wohneigentümer stärker in lokalen Belangen, weil sie antizipieren dürften, dass sich dieses Engagement langfristig in Zuwanderung und damit einer stärkeren Wertentwicklung niederschlägt. In Einklang mit dieser Überlegung finden Glaeser/DiPasquale in ihrer Untersuchung des Wahlverhaltens amerikanischer Haushalte, dass bereits dieser Effekt des Wohneigentums die Wahlbeteiligung von Wohneigentümern um etwa 15 Prozentpunkte höher ausfallen lässt als die von Mietern.11

Wohneigentümer gehen also schon deswegen eher wählen als Mieter, weil sie sich von ihnen nicht nur im Attribut des Wohneigentums, sondern systematisch auch in einer Vielzahl von Charakteristika unterscheiden, deren jedes für sich genommen eine höhere Wahlbeteiligung erwarten lässt. Beispielsweise haben Wohneigentümer im Schnitt höhere Einkommen, und höhere Einkommen korrelieren ihrerseits positiv mit der Wahlbeteiligung. Möglicherweise liegt die Wahlbeteiligung unter Wohneigentümern in Deutschland also um deutlich mehr als nur um 15 zusätzliche Prozentpunkte höher als bei Mietern.

Und nicht nur die Wahlbeteiligung dürfte in Wohneigentümerhaushalten höher ausfallen. Auch die Zahl der Wähler je Wohneigentümerhaushalt dürfte höher sein, weil Wohneigentümerhaushalte nicht nur größer sind, sondern auch mehr wahlberechtigte Personen einschließen. Vor diesem Hintergrund legt der in Tabelle 3 ausgewiesene fast 40%ige Anteil von Wohneigentümerhaushalten die Vermutung nahe, dass ostdeutsche Wähler mit Wohneigentum spätestens seit dem Jahr 2003 eine – wenn auch knappe – Mehrheit innerhalb der ostdeutschen Wählerschaft stellen.12 Diese Vermutung wird im Weiteren zugrunde gelegt.

Ein einfaches wohnungsökonomisches Filtering-Modell kann dann erklären, warum eine solche knappe, aber entscheidende Mehrheit ostdeutscher Wohneigentümer/Wähler nicht an einem Rückgang ostdeutscher Mieten interessiert ist. Würden Mieten im kommunalen Bestand fallen, müssten private ostdeutsche Vermieter/Selbstnutzer mit einer Abwanderung ihrer Mieter/potentieller zukünftiger Mieter in Richtung dieses Bestands rechnen. Ihre zukünftig möglichen Mieteinnahmen – und damit unmittelbar auch schon der heutige Wert ihrer Immobilien – würden im Zuge dieses Filtering-Prozesses nachgeben. Dieser Wertverlust bietet ein erstes, indirektes Motiv, das den Widerwillen ostdeutscher Immobilienbesitzer gegen einen Rückgang der kommunalen Mieten erklärt.

Fallen daneben die Mieten in den kommunalen Beständen, rutschen ostdeutsche Wohnungsunternehmen angesichts ihrer hohen Modernisierungsinvestitionen in die roten Zahlen. Einen Teil der resultierenden Defizite mögen ostdeutsche Städte auf den gesamtdeutschen Steuerzahler abwälzen. Aber den verbleibenden Teil antizipieren ostdeutsche Immobilienbesitzer schon heute und rechnen mit zukünftig höheren (Grund-)Steuern. Auch aus diesem zweiten Grund wird ein Wertverfall bei ostdeutschen Immobilien befürchtet. Kurz: Einen Rückgang ostdeutscher Mieten schätzen ostdeutsche Eigentümer ostdeutscher Wohnimmobilien nicht. Und daher blockieren sie ihn.

Politik für hohe Mieten

Zugegeben: Unmittelbar beobachtbar ist die Organisation von Wohneigentümern und Mietern in entgegengesetzte politische Lager mit jeweils eigenen expliziten Forderungen nicht (mit Ausnahme der erwähnten Diskussionen in Freiburg und Dresden sowie kleinerer lokaler Bürgerinitiativen in anderen Städten Ostdeutschland).13 Aber warum auch? Alle etablierten Parteien sprechen sich ohnehin schon einhellig für den fortgesetzten Wohnungsabriss in Ostdeutschland – und damit für die Fortdauer des hohen ostdeutschen Mietniveaus – aus.14 Bezeichnenderweise unterstützt selbst „Die Linke“ – deren Klientel doch besonders häufig noch im vom Abriss weit überproportional betroffenen Plattenbau wohnt – die konsequente Fortsetzung der Wohnungsabrisse.15 Die Zustimmung selbst der Linken signalisiert indirekt den drastisch gefallenen Einfluss der Mieter quer über alle Segmente der ostdeutschen Parteienlandschaft hinweg.

Eine eigenständige überregionale Mieterpartei dürfte im Übrigen an den bekannten Organisationsproblemen großer disperser Gruppen scheitern. Und eine eigenständige überregionale Wohneigentümerpartei könnte nur wenig mehr tun als das, was die etablierten Parteien sowie der Dachverband der kommunalen Wohnungsunternehmen GdW – mit seinen wiederholten Forderungen nach immer neuen Abrissen – schon leisten. Mittelbar lässt sich der beschriebene Antagonismus zwischen Wohneigentümern und Mietern aber prinzipiell testen. Denn hinter den Durchschnittswerten der Tabelle 3 steht voraussichtlich eine ausgeprägte interregionale Variation. Die Hypothese würde lauten: Ostdeutsche Gemeinden mit geringerer Wohneigentumsquote weisen ceteris paribus ein geringeres Mietniveau auf als ostdeutsche Gemeinden mit höherer Wohneigentumsquote.

Die hier vorgestellte Erklärung mangelnder Mietanpassung speist sich aus einer Synthese aus „Kostendeckungshypothese“ und „Wettbewerbshypothese“. Eine Mehrheit ostdeutscher Wähler will kommunale Mieten hochhalten, damit jene die aufgelaufenen Modernisierungskosten decken (und nicht etwa später auf diese Mehrheit zurückfallen). Und sie kann kommunale Mieten hochhalten, weil sie unmittelbaren Zugriff auf die Mieten im nach wie vor bedeutenden städtischen Mietwohnungsbestand hat. Der politikökonomische Fokus auf die ostdeutschen Immobilienbesitzer gibt der „Wettbewerbshypothese“ so das noch fehlende plausible Ziel (Kostendeckung) bzw. der „Kostendeckungshypothese“ das noch fehlende plausible Instrument (die starke Wettbewerbsposition).

Aus dieser Perspektive scheint die gegenwärtige Konstellation aus jeweils hälftigem privaten und öffentlichen Immobilienbesitz bemerkenswert. Wäre der ostdeutsche kommunale Wohnungsbestand vollständig privatisiert – oder sogar verschenkt, wie von einer Minderheit der Expertenkommission Wohnungspolitik (1993) erwogen – worden, hätten heutige Wohneigentümer die Mehrheit gegenüber den Mietern, aber kein Instrument (die großen kommunalen Wohnungsunternehmen) gewonnen. Wäre es zu einer nur geringen Wohneigentumsneubildung gekommen, hätten die heutigen Wohneigentümer ein Instrument, aber nicht die Mehrheit. Erst die jetzige Konstellation einer knappen politischen Mehrheit, so will es scheinen, führt Ziel und Instrument auf eine Weise zusammen, die ein Hochhalten ostdeutscher Mieten auf dem gegenwärtigen Niveau ermöglicht.

Insgesamt erklärt ein Einbinden der Politik in das Wohnungsmarktmodell nicht nur den Status quo auf neue Weise. Auch kann es sowohl die aktuellen Politikvorschläge als auch deren zeitgleiche Rezeption in der Öffentlichkeit sinnvoll beleuchten. Im Folgenden soll die geringe Resonanz des Vorschlags auch nur minimaler Mietsenkungen im kommunalen Bestand in der Öffentlichkeit betrachtet werden. Ein geringfügiges Absenken der ostdeutschen Mieten würde eine – und sei es noch so geringe – Zuwanderung von Mieterhaushalten aus Berlin oder Westdeutschland in ostdeutsche Städte provozieren. Die laut Tabelle 3 äußerst knappen gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse würden in der Folge sofort zugunsten der ostdeutschen Mieter kippen. Eine kleine Mietsenkung mutierte über die gleichzeitig mitinduzierte Änderung der Mehrheitsverhältnisse schnell in eine große Mietsenkung. In Erwartung eines in letzter Konsequenz erdrutschartigen Rückgangs der Mieten wird sich die gegenwärtige Mehrheit ostdeutscher Wohneigentümer folgerichtig schon gegen auch nur kleinste Mietreduktionen im kommunalen Bestand stemmen.

Entsprechend hatten weder der breit annoncierte Vorschlag, ostdeutsche Mieten zu halbieren, noch der Vorschlag, ostdeutsche Mieten um gerade einmal 10% zu reduzieren,16 irgendwelche Resonanz – kurioserweise nicht einmal unter den Mieterverbänden. Dieser Mangel an Resonanz ließe sich – sehr unökonomisch – als Ausdruck einer tief sitzenden Skepsis der Mieter und ihrer Verbände gegenüber den möglichen Vorteilen einer Mietsenkung deuten. Eine solche öffentliche Skepsis wäre allerdings ungewöhnlich: Was hätten die Mieter schon zu verlieren? Entsprechend drängt sich geradezu die in diesem Beitrag vorgetragene politikökonomische Interpretation auf. Ihr zufolge ist die mangelnde Resonanz des Vorschlags fallender Mieten Ausdruck der Resignation der Mieter und ihrer Interessenverbände angesichts zementierter Mehrheitsverhältnisse in ostdeutschen Rathäusern.

Rückkopplung der Mieten zum Wohneigentum

Die Wohneigentumsquote spielt eine wichtige Rolle in der Erklärung (des Beharrens) ostdeutscher Mieten. Dieser Kausalzusammenhang fehlt in der gegenwärtigen Diskussion komplett. Aber ebenso wenig spiegelt sich in dieser Diskussion der sogar schon sehr viel länger wirksame und entgegengesetzt wirkende Kausalzusammenhang: Ostdeutsche Mieten leisten – neben dem natürlich vorhandenen Nachholbedarf oder dem Anstieg der Vermögen nach der Wiedervereinigung – einen Beitrag zur Erklärung (des Hochschießens) der ostdeutschen Wohneigentumsquote. Denn die im ostdeutschen Mietrecht verankerten Mietzuwächse der neunziger Jahre verteuerten kontinuierlich das Wohnen zur Miete;17 sie stimulierten so die Abwanderung aus dem kommunalen Mietwohnungsbestand.

Diese Überlegung ist selbst dann überzeugend, wenn fairer Weise das mit den Mieterhöhungen verknüpfte Modernisierungsziel berücksichtigt wird. Der Literatur zum öffentlichen Wohnungsbau zufolge sind erzwungene Modernisierungen Mietern grundsätzlich nicht so viel wert, wie sie kosten.18 Von oben herab verordnete, auch noch so wohlwollende Modernisierungen werden, wenn sie von Modernisierungszuschlägen begleitet werden, umso weniger honoriert, je weniger sie den Präferenzen der Mieter gerecht werden und je mobiler diese Mieter sind. Mobile Mieter werden im Gefolge einer Modernisierung mit Modernisierungszuschlag in eine ostdeutsche Eigentumswohnung abwandern. Und das funktioniert folgendermaßen:19

Die verordnete massive Modernisierung des kommunalen Mietwohnungsbestands in Ostdeutschland führte qua Mietrecht über entsprechend hohe Modernisierungszuschläge zu steigenden Mieten. Steigende Mieten führten zur Abwanderung aus dem Mietwohnungsbestand. Die Abwanderung aus dem Mietwohnungsbestand führte zu einer wachsenden Bedeutung der Wohneigentümer in der lokalen Politik. Und die wachsende Bedeutung dieser Wohneigentümer schließlich blockiert einen angesichts der wachsenden Wohnungsleerstände längst angezeigten Rückgang der Wohnungsmieten.

Schluss

Dieser kurze Beitrag diskutiert die angesichts hoher Leerstände überraschende Persistenz ostdeutscher Wohnungsmieten auf hohem Niveau. Der Beitrag argumentiert, dass Wohneigentümer die politische Mehrheit in ostdeutschen Kommunen besitzen und dass sie über ihren Einfluss auf das Mietniveau in kommunalen Beständen das Mietniveau in Ostdeutschland stützen. Diese Überlegungen gelten noch verstärkt, wenn berücksichtigt wird, dass hohe Mieten umgekehrt die Flucht in das Wohneigentum begünstigen. In der Summe stützen sich die ostdeutsche Wohneigentumsquote sowie das ostdeutsche Mietniveau so wechselseitig ab.

  • 1 Vgl. U. Timm: Wohnsituation in Deutschland 2006, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 4, 2008, S. 312-321.
  • 2 Ebenda.
  • 3 Weil U. Timm das Bundesland Berlin im Jahr 2006 Ostdeutschland, 2002 dagegen Westdeutschland zuschlägt, ist diese Mietenkonvergenz leicht überzeichnet. Eine weitgehende Ost-West-Mietenangleichung dokumentieren etwa auch Frick/Lahmann auf Basis von SOEP-Daten. Den Autoren zufolge betrug der Abstand in den Durchschnittsmieten schon im Jahr 1999 nur noch 1,20 DM je Quadratmeter. Vgl. J. Frick, H. Lahmann: Weitere Angleichung der Wohnverhältnisse in West- und Ostdeutschland, in: DIW Wochenbericht 51-52, Berlin 2000; D. Weiss zufolge bleibt das Ost-West-Mietdifferential auch nach Berücksichtigung zusätzlicher Erklärungsgrößen, also in einer hedonischen Analyse, erklärungsbedürftig. Vgl. D. Weiss: Mietpreise und Lebensqualität. Ist das Wohnen in Ostdeutschland wirklich günstig?, IWH Diskussionspapier, Nr. 12, 2008.
  • 4 Vgl. K. Kholodilin et al.: What drives housing prices down?, DIW Working Paper, Berlin 2007.
  • 5 Vgl. Expertenkommission Wohnungspolitik: Wohnungspolitik für die neuen Länder, Tübingen 1993, S. 45.
  • 6 Vgl. differenzierter jeweils Kommission Wohnungswirtschaftlicher Strukturwandel in den neuen Bundesländern: Bericht der Kommission 2000; W. Maennig: Mietpreissenkungen lösen das Leerstandsproblem nicht, in: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 226 (2006), H. 4, S. 336-340.
  • 7 Vgl. etwa Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Stadtumbau Ost, Stand und Perspektiven. Erster Statusbericht 2006.
  • 8 Vgl. GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen: Wohnungswirtschaftliche Daten und Trends 2009/10, Analysen aus der Jahresstatistik des GdW, 2009, S. 24.
  • 9 Vgl. K. Dascher: Der Stadtumbau in Ostdeutschland. Ein Abriß in zehn Abschnitten, in: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 55. Jg. (2006), H. 1, S. 3-19; D. Weiss, a.a.O.; G. Hirte: Gettoisierung in Dresden, in: Der Neue Kämmerer, H. 2, 2006, S. 3.
  • 10 K. Kott, T. Krebs: Haus- und Grundbesitz und Immobilienvermögen privater Haushalte, in: Wirtschaft und Statistik, Nr. 7, 2008, S. 770-782; vgl. auch S. Behrends, K. Kott: Haus- und Grundbesitz – im Zeitvergleich und nach Art der Immobilie, in: Wirtschaftsdienst, 90. Jg. (2010), H. 2, S. 132-134.
  • 11 Vgl. E. Glaeser, D. DiPasquale: Incentives and Social Capital: Are Homeowners Better Citizens?, in: Journal of Urban Economics, Nr. 45, 1999, S. 354-384.
  • 12 Beispielsweise würden Wohneigentümer die Mehrheit der Wähler stellen, wenn Wohneigentümer sich ausnahmslos, Mieter dagegen sich höchstens zu 64,2%, an der Wahl beteiligten.
  • 13 Vgl. M. Bernt: Stellungnahme zum Antrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD Programm Stadtumbau Ost, 2009.
  • 14 Vgl. Antrag Programm Stadtumbau Ost. Fortsetzung eines Erfolgsprogramms, Bundestagsdrucksachen 16/12284 sowie 16/13408.
  • 15 Vgl. T. Flierl, W. Wallraf: Bilanz und Perspektive des Förderprogramms Stadtumbau Ost, 2009.
  • 16 Vgl. K. Dascher, H. Ribhegge: Zum Unsinn des Wohnungsabrisses in ostdeutschen Städten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 4. Juni 2005, S. 14; K. Dascher: Abriß erzeugt weiteren Leerstand, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. August 2008, S. 41.
  • 17 Vgl. insbesondere Erste Grundmietenverordnung (1.10.1991), Zweite Grundmietenverordnung (1.1.1993), Erste Stufe des Mietenüberleitungsgesetzes (1.8.1995), Zweite Stufe des Mietenüberleitungsgesetzes (1.1.1997) sowie die im Vergleichsmietensystem angelegte Möglichkeit, Modernisierungsumlagen zu erheben.
  • 18 Vgl. E. Olsen: The Benefits and Costs of Public Housing in New York City, in: Journal of Public Economics, Nr. 20, 1983, S. 299-332.
  • 19 Im Detail vgl. K. Dascher: Homeownership-Made Housing Price Bubbles, Institute for Economic Research, Discussion Paper 11, 2010.


DOI: 10.1007/s10273-010-1102-9