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Die Energiewende bedeutet eine Systemtransformation des gesamten Energiebereichs hin zu erneuerbaren Energien. Der Transformationsprozess ist dabei einerseits von hohen technologischen Herausforderungen begleitet. Andererseits zeigen sich aber auch zunehmend Akzeptanzprobleme in der Bevölkerung, wenn etwa die Strompreise als zu hoch empfunden werden und dies ausschließlich der Förderung der Erneuerbaren zugeschrieben wird. Die Autoren zeigen die vielen Hindernisse auf, die den Fahrplan der Energiewende ins Wanken bringen können.

Projekt „Energiewende“: Schneckentempo und Zickzackkurs statt klarer Konzepte für die Systemtransformation?

In Sachen Energiewende sieht sich die Bundesregierung „auf Zielkurs“1. Sie stützt sich dabei auf den ersten Monitoring-Bericht der dazu eingesetzten Expertenkommission von Ende 2012,2 die aber Zielerfüllung wohlweislich nur für den Ausbau der erneuerbaren Energien bescheinigt. Bei nüchterner Betrachtung zeigen sich bei vielen wichtigen Elementen des Transformationsprozesses offene Baustellen: ob beim Stromnetzausbau, der Offshore-Windenergie, der Steigerung der Energieeffizienz, der Gebäude­sanierung und Kraft-Wärme-Kopplung, der Energiewende im Verkehr oder der Dekarbonisierung. Der Monitoring-Bericht 2012 zeigt für zahlreiche Bereiche, dass die bisherige Entwicklung noch weit von den gesteckten Zielen, selbst für die mittlere Frist (2020), entfernt ist.3 Und die einzige unzweifelhafte Erfolgsgeschichte der Energiewende, die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energieträger am Bruttostromverbrauch auf über 20% 2011 (Zielmarke 2020: 35%), wird durch zweifelhafte Debatten um Kosten und Strompreise entwertet und über Grundsatzdiskussionen um das Förderregime zugunsten der Erneuerbaren zudem noch zur Disposition gestellt. Dabei ist auch bei der Substitution der Energieträger von fossil-nuklear auf erneuerbar – trotz der Erfolge der Vergangenheit – immer noch nahezu eine Umkehrung der aktuellen Verhältnisse auf 80% Erneuerbare bis 2050 zur Erreichung der Zielmarke erforderlich.

Zweifellos ist die umfassende Systemtransformation bei Strom, Wärme und Verkehr eine Herkulesaufgabe, bei der man seit der Neuaufstellung der Energiepolitik 2010/2011 noch keine Wunder erwarten darf. Es fragt sich allerdings, ob die politischen Weichen richtig gestellt sind, um widerspruchsfreie und koordinierte Entwicklungen, welche die Zielerfüllung insgesamt aussichtsreich machen, anzustoßen. Hieran bestehen aber erhebliche Zweifel. An energiepolitischen Maßnahmen mangelt es dabei nicht: In verschiedenen Wellen wurden, zunächst unter dem Rubrum der Klimapolitik (z.B. Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2000, EU-Emissionshandel 2005, Integriertes Energie- und Klimaschutzprogramm 2007), nunmehr als „Energiewende“ (insbesondere über das umfangreiche „Energiepaket“ 2011), Maßnahmenpakete in allen Bereichen der Energieversorgung angestoßen.4 Probleme bereiten hier eher die mangelnde systemische Abstimmung der einzelnen Maßnahmen und die fehlende Koordination der öffentlichen Handlungsträger untereinander (Bund, Länder, regionale Planungsbehörden und Kommunen), aber auch die mitunter erratisch anmutende politische Willensbildung bei der Implementation: Aktionismus bei Korrektureingriffen in die politische Rahmensetzung (EEG) steht hier neben verblüffendem Langmut gegenüber offensichtlichem Handlungsbedarf (Emissionshandel, EU-Effizienzrichtlinie).

Scheinproblem Strompreise

Die politische Aufmerksamkeit bleibt dabei zu stark auf den Stromsektor und hier wiederum auf die Energieträgerwahl fokussiert. Dies zeigt auch die in den letzten Monaten dominierende Kostendebatte: Obwohl die Strompreise für Verbraucher weniger stark gestiegen sind als jene für Heizöl, Gas oder Fernwärme5, obwohl der Anteil der Stromausgaben am verfügbaren Einkommen für die Verbraucher seit langem mit durchschnittlich 2,5%6 unverändert geringfügig ist und zudem hinter dem Ausgabenanteil für Kraftstoffe oder Heizung weit zurückbleibt, obwohl Stromausgaben auch durch Effizienz bei der Stromnutzung gemindert werden können, ja sollen, und obwohl schließlich preistreibende Effekte im Endkundensegment keineswegs allein der EEG-Förderung zugeschrieben werden können, ist gerade um die Kostentreiber-Rolle des EEG ein erstaunlicher politischer Alarmierungswettbewerb zu beobachten, an dem sich sowohl die Ökonomen-Zunft als auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) beteiligen („Kosten-Tsunami“7, Konzepte zur „Strompreisbremse“8, „Billionen-Rechnung“ des BMU9). Darüber geraten nicht nur die Nutzen der Energiewende als öffentliches Gut aus dem Blickfeld, sondern auch die eigentlichen Herausforderungen eines Pfadwechsels der Systemtransformation sowie die gesellschaftliche Verständigung über eine insgesamt gerechte Lastverteilung dieses Vorhabens.10 Mit Blick auf die Unternehmen schließlich sind bei der Belastungsdebatte die flächendeckenden Ausnahme- und Sonderregelungen bei der Stromsteuer, bei den Netzentgelten, bei KWK- und EEG-Umlage zu berücksichtigen. Zum Teil profitieren ausgerechnet energieintensive Unternehmen über die Senkung der Großhandelspreise mehr vom EEG, als sie selbst zu seiner Finanzierung beitragen.

Die Politik präsentiert sich hier als ein aus der polit-ökonomischen Regulierungstheorie11 bekannter, gegendruckempfindlicher „Lastenmakler“, der in erster Linie bestrebt ist, gut organisierten Widerstand gegen die Energiewende zu minimieren und die Zustimmung auf Stimmenmärkten nicht zu gefährden. Dass aber ausgerechnet die zur vorrangigen Lasttragung ausersehenen, eher schwach organisierten Privathaushalte durch die anhaltende und politisch geschürte Strompreisdebatte nachhaltig irritiert und sensibilisiert wurden, gehört zu den Ironien der Energiewendepolitik.

Herausforderung Systemkonzept

Das Hauptproblem dürfte aber kaum die „bremsende“ Bewältigung drohender Strompreisexzesse wegen steigender EEG-Umlagen sein. In erster Linie stellt sich die – durchaus ebenfalls kostenrelevante – Herausforderung einer Harmonisierung und Koordinierung der einzelnen Systemkomponenten beim Wendeprozess: Nachdem ein gutes Jahrzehnt lang erfolgreich Erneuerbare im Energieträgermix unter bewusster Hintanstellung betriebswirtschaftlicher Gestehungskosten etabliert wurden, stellt sich nun die Frage, wie auch Erneuerbare mittel- bis langfristig Marktsignalen unterworfen werden können, wie insbesondere auch die volatilen Einspeisungen (Sonnen-, Windenergie) in die Verantwortung zur Netzstabilität eingebunden werden können, und wie sich die zunehmenden raum-zeitlichen Disparitäten aus Erzeugung und Verbrauch durch Netze und Speicher kostengünstig sowie ökologie- und sozialverträglich überbrücken lassen. Auch muss die Versorgungssicherheit künftig durch einen ausreichenden „Schatten-Kraftwerkspark“ gesichert werden, der zuverlässig und flexibel Energie liefert, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.

Zugleich bieten Effizienzstrategien und intelligente Netze die Möglichkeit, die genannten Probleme auf der Angebotsseite dadurch zu entschärfen, dass der Energiebedarf insgesamt abgesenkt oder zeitlich flexibilisiert wird. Für die notwendige Abstimmung dieser Systemelemente untereinander und einen angemessenen zeitlichen Transformationspfad ist bisher kein klares Konzept erkennbar. Fairerweise muss man wohl hinzufügen, dass auch die Wissenschaft nicht über eine unstrittige Blaupause für diesen Wendeprozess verfügt, und dass Interessendivergenzen im politischen Bereich bestehen, die dieses Unterfangen erheblich erschweren.

Dessen ungeachtet bleiben politisch insbesondere die beachtlichen Potenziale einer Energieeffizienzpolitik bisher weitgehend ungehoben.12 Auch der Netzausbau wird gegenwärtig eher hektisch nachholend beschleunigt, als konzeptionell gesichert implementiert. So ringen unverändert widersprüchliche Vorstellungen von Großlösungen („Übertragungsnetz-Autobahnen“) einerseits und versorgungsnahe Konzepte einer „Energiewende von unten“ andererseits miteinander. Zudem erscheint fraglich, inwiefern die im Zuge der Liberalisierung eingeführte Anreizregulierung wirklich kompatibel ist mit den künftigen Anforderungen an Netzinvestitionen und Netzbetrieb infolge der veränderten Erzeugerstruktur.13 Über die bisher lediglich geschaffenen Grundlagen für eine koordinierte Netzplanung und eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren (Energieleitungsausbaugesetz, Netzausbaubeschleunigungsgesetz) hinaus könnte daher auch im Netzbereich noch eine grundlegende Neuordnung erforderlich werden.

Einstige energiepolitische Vorzeigeprojekte wie die Elektro-Mobilität, ja selbst der europäische Emissionshandel (und mit ihm der 2011 aufgelegte Energie- und Klimafonds) sind sogar zwischenzeitlich notleidend geworden. Beim Emissionshandel ist kein politischer Wille erkennbar, die ganz offensichtliche Überallokation von Emissionsrechten auch nur im Ansatz zu korrigieren, wie das Scheitern der entsprechenden EU-Kommissions-Initiative im Europaparlament belegt.14 Und während die Energie- und Klimaressorts das Gaspedal betätigen, stehen Natur-, Arten-, Gewässer- und Wohnumfeldschutz auf dem Bremshebel, solange deren Anliegen zwischen globalsteuernden Treiberinstrumenten (EEG) und einer planungsrechtlich noch ungefestigten Landnutzungssteuerung aufgerieben zu werden drohen. Auch die bislang zu stark vernachlässigten externen Kosten der Erneuerbaren müssen – gerade bei einem Skalenwechsel auf 80% der Versorgung – künftig angemessen in die Ausbauentscheidungen einfließen.

Friktionen durch Länderwettbewerb

Die Fragmentierung des Wendegeschehens wird auch durch den Umstand befördert, dass die Bundesländer die Energiewende, insbesondere den Markt für (jeweils regional verschiedene15) Erneuerbare, längst als regionalen Wirtschaftsfaktor betrachten und die hier zur Verteilung anstehenden Mittel in ihre Region zu lenken bestrebt sind. Ehrgeizige Ausbauziele der Länder übertreffen dabei in ihrer Gesamtheit mit geschätzten über 50% am Bruttostromverbrauch ab 2020 bei weitem das Energiekonzept des Bundes (2020: mindestens 35%),16 und zwar bislang ohne jede Koordination.17 An die Stelle eines abgestimmten Ausbaus, der möglichst kostengünstig den gewünschten Gesamt-Zielkorridor beschreibt und System­interdependenzen (z.B. beim Netzausbau) angemessen mitberücksichtigt, tritt so ein ineffizienter und zielverfehlender Standortwettlauf. Und da die finanziellen Mittel über den Refinanzierungsmechanismus der EEG-Umlage bislang nicht gedeckelt sind, entwickelt sich hier eine zunehmend problematische Pull-Dynamik eines möglichst raschen, möglichst weitgehenden regionalen Ausbaus. Günstiger lässt sich aus Ländersicht regionale Wirtschaftsförderung auch kaum betreiben; das Nachsehen hat das Projekt Energiewende als Ganzes. Schnecke und Hase sind auf dem Energiewende-Parcours offensichtlich gleichzeitig unterwegs, zum Teil sogar in unterschiedliche Richtungen, und sie erhalten von außen verwirrende Hinweise, wo ihre jeweilige Bahn eigentlich verläuft. Ungelöste System- und Zielkonflikte bremsen so insgesamt den Energiewende-Prozess aus und erhöhen unnötig die Kosten.

Beim Versuch des Gegensteuerns aber gerät die Energiewende bei der Bund-Länder-Koordination in ein Kartellspiel: Die internen „Produktions-Quoten“ der einzelnen Länder müssen gegen deren Eigeninteressen auf das übergeordnete Gesamtziel ausgerichtet werden. Mangels Kompetenzdurchgriff des Bundes bleiben nur freiwillige Beschränkungen – mit den aus der Spieltheorie bekannten Outsider-Vorteilen bei der kollektiven Erstellung des öffentlichen Gutes „koordinierter Ausbau“. Die Praxis bestätigt diesen Befund bisher eindrucksvoll: Auf dem „Energiegipfel“ im März 201318 zeigte sich im Wesentlichen ein Bild politischer Handlungsunfähigkeit: Jede denkbare Reform-Maßnahme bleibt im komplexen Interessengeflecht ohne Mehrheit, obwohl doch der Reformbedarf und die Koordinationsnotwendigkeit einhellig bejaht werden. Anhaltende Ressortdifferenzen auf Bundesebene (Wirtschaft versus Umwelt) und politische Rahmenbedingungen (vier Minister in beiden Ressorts allein in dieser Legislaturperiode) tun ihr Übriges.

Energiepolitische Rahmensetzung: klar, konsistent und stabil?

Die Energiewende ist ein gesellschaftliches Großvorhaben, bei dem vor allem private Investitionen in Milliardenhöhe erforderlich sind: Diese müssen privatwirtschaftlich gewagt werden, und sie müssen gesamtwirtschaftlich in die richtige Richtung weisen. Hierfür tragen politische Rahmenbedingungen die Verantwortung – für klare und konsistente Anreize einerseits sowie für stabile Rahmenbedingungen andererseits. An beidem mangelt es freilich.

Als „Energiekonzept“ genügt es daher wohl nicht, immer neue Zielformulierungen und Maßnahmenpakete für diverse Energie-Bereiche auf den Weg zu bringen. Systemzusammenhänge, Zeitpfade und Handlungsebenen müssen zielgerichtet miteinander verzahnt werden. Dabei müssen auch Ziel- und Interessenkonflikte adressiert und politisch aufgelöst werden. Dies ist verbunden mit der Einsicht, dass ein solch komplexer Pfadwechsel allein über marktgetriebene Marginalentscheidungen kaum gelingen dürfte,19 umgekehrt aber das Risiko des Staatsversagens dementsprechend erhöht.

Aber auch an der Stabilität der Rahmenbedingungen mangelt es. Walter Eucken20 sah als eines von sieben konstituierenden Prinzipien der Wettbewerbsordnung die „Konstanz der Wirtschaftspolitik“ als unabdingbar an: „Eine gewisse Konstanz der Wirtschaftspolitik ist nötig, damit eine ausreichende Investitionstätigkeit in Gang kommt. […] Die nervöse Unrast der Wirtschaftspolitik, die oft heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes Maß von Unsicherheit und verhindert – zusammen mit den verzerrten Preisrelationen – viele Investitionen. Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens.“ Treffender lässt sich eines der Hauptprobleme gegenwärtiger Rahmensetzung kaum beschreiben: Die Energie-, Klima- und Umweltpolitik ist in Sachen Energiewende von riskanter Unstetigkeit gekennzeichnet. Dabei bildet die weltweit beachtete „doppelte Atomwende“ 2010/2011 (erst Verlängerung von Laufzeiten, dann Ausstieg) nur die Spitze des regulatorischen Eisberges: Die faktische Eliminierung der Reinbiokraftstoffbranche anlässlich der Umstellung von Energiesteuerbefreiung auf ein Kraftstoffquotensystem ab 2006, die in immer kürzerer Folge unternommenen EEG-Novellierungen (allein seit 2008 zehn Gesetzesänderungen), der Zickzackkurs bei der Photovoltaik-Förderung im ersten Halbjahr 2012 und das Hin und Her beim „Marktanreizprogramm“ als einzigem bundeseinheitlichen Förderprogramm für erneuerbare Wärme im Altbaubereich (im Mai 2010 überraschend gestoppt, im Juli desselben Jahres unter veränderten Bedingungen wieder aufgenommen) sind nur einige Beispiele. Aktuell bietet die zunächst als umfassend angekündigte, sodann als „Strompreisbremse“ fokussierte EEG-Reform mit (innerhalb von wenigen Monaten) insgesamt drei verschiedenen, letztlich aber doch folgenlosen Konzeptpapieren von BMU und BMWi21 neues, irritierendes Anschauungsmaterial. Vor allem die angekündigte intransparente Kürzung der EEG-Vergütung für Neu- und erstmals sogar für Bestandanlagen haben erheblichen Vertrauensverlust erzeugt: Eine nachträgliche Kürzung fest zugesagter Vergütungen und ein ins Ungewisse gestellter künftiger Laufzeitbeginn der Vergütung für Neuanlagen sind Gift für die private Investitionsbereitschaft. Anstelle einer planvollen Ausbausteuerung produziert die Politik auf diese Weise in immer schnellerer Folge erratische Signale über die Profitabilität privater Investitionen. Aktionistische Eingriffe in das Förderregime ohne klaren Reformkurs können so schnell aus einem „Preis-Bremsmanöver“ eine „Umkehrschub-Zündung“ machen. Umgekehrt hat das Gezerre um die in kurzer Folge zur Senkung anstehende Solarförderung 2012 über Vorzieheffekte im Wesentlichen einen Rekord-Solarboom ausgelöst!

Steuerungsanreize bei der Förderung der erneuerbaren Energien richtig gesetzt?

Ob die Anreize bei der für die Energiewende zentralen Förderung der Erneuerbaren gegenwärtig grundsätzlich richtig gesetzt sind, ist durchaus umstritten.22 Bei der hier verbreiteten, bisweilen schrillen Kritik23 wird jedoch zumeist übersehen, dass aktuelle Marktpreise kaum zur Anleitung langfristig wirksamer Technologiepfadentscheidungen taugen: Weder enthalten diese die vollständigen externen Kosten der Energieversorgung noch berücksichtigen sie die dynamische Preisentwicklung im Zeitablauf, die für Erneuerbare nach unten, für konventionelle Energieträger aber nach oben weist. Das EEG schafft hier einen angemessenen Marktausnahmebereich zur Markteinführung. Vielfach favorisierte Quotenmodelle sorgen gerade nicht für stabile Erwartungen privater Investoren. Die Debatte hat sich im Grunde aber längst den künftigen Herausforderungen um ein „EEG 2.0“ zugewandt: Wie gelingt eine Markt- und Systemintegration der Erneuerbaren, wie muss das künftige Strommarktdesign aussehen, und kann unter diesen Bedingungen Versorgungssicherheit gewahrt bleiben? Vor diesem Hintergrund wird kontrovers diskutiert, ob sich volatile Einspeisungen überhaupt über das gegenwärtige Strommarktdesign aus eigener Kraft refinanzieren können und ob nicht ergänzende Kapazitätsmechanismen für die notwendigen Investments in (Reserve-)Kraftwerkskapazität sorgen müssen.24

Fazit

Die Energiewende ist ein Nachhaltigkeitsprojekt par excellence, bei dem die heutige Generation zur dauerhaften Entlastung künftiger Generationen investiert. Dieser langfristigen, dynamischen Nachhaltigkeitsperspektive wird eine allein auf aktuelle betriebswirtschaftliche Gestehungskosten und Strompreise verengte Debatte nicht gerecht. Auch bedeutet diese Wende einen komplexen Systemwechsel, der aufgrund der vielfältigen Beharrungsmomente und Pfadabhängigkeiten staatliche Anreiz-, Leitplanken- und Rahmensetzungen in einem Umfange erfordert, die ordnungspolitisch möglicherweise irritieren mögen. Die Folge ist ein schwieriges Navigieren zwischen Markt- und Regulierungsversagen, bei dem man nach zwei Jahren nicht die Geduld verlieren sollte, aber auch einen klaren Kompass benötigt. Vordringlich sind hier eine Koordinierung der öffentlichen Handlungsträger und Zielgeber, eine aufeinander abgestimmte Entwicklung der Systemkomponenten Erzeugungs- und Reservekapazität, Netze und Speicher, auch durch innovatives Strommarktdesign sowie markt- bzw. systemintegrierende Förderpolitiken, eine aktive Effizienzpolitik, die Revitalisierung des Emissionshandels und die Berücksichtigung ökologischer und raumbezogener Kosten der Erneuerbaren. Auch institutionelle Reformen – ob Bundes-Energieministerium25 wie jüngst auf Landesebene in Schleswig-Holstein etabliert oder eine politisch unabhängige Bundeseffizienzagentur26 – mögen dazu beitragen. Schließlich müssen Verteilungsfragen transparent geklärt werden. Dies trägt nicht nur zur Akzeptanzsicherung der Energiewende bei, sondern entlastet die Politik auch von permanenten Korrektureingriffen in den Regulierungsrahmen aus Gründen des tagespolitischen „Belastungsmanagements“.

Wir brauchen mithin ein Gesamtkonzept, das Energieeffizienz, Erzeugungs-Mix, Reservekapazität und Netzausbau nach klarer politischer Prioritätensetzung aufeinander abstimmt. Wir brauchen einen Fahrplan für die System- und Marktintegration der volatilen Erneuerbaren. Und wir brauchen mehr Wettbewerb der Erzeuger: Eine stärker dezentralisierte Versorgung mit Erneuerbaren und starken Stadtwerken kann dazu ebenso beitragen wie mündige Verbraucher, die öfter mal ihren Versorger wechseln. All dies wirkt im Übrigen zuverlässig kostenbegrenzend. Ganz nebenbei würde ein revitalisierter Emissionshandel zwar nicht den Strompreis, aber die mit so viel Besorgnis betrachtete EEG-Umlage (als Differenz aus Garantievergütung und Börsenpreis) verringern können. Ein klarer und stetiger Reformkurs wäre hier weitaus besser als immer neue hektische Reparatureingriffe.

Mehr als eine kurzfristige Diskussion von Strompreisen und EEG-Umlage

Im vergangenen Jahr lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Bruttostromverbrauch in Deutschland bei 22,9%. Dies ist gegenüber 2011 ein Anstieg von fast 2,5 Prozentpunkten. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen betrug 2012 gut 136 Mrd. kWh und lag damit 10% über dem Niveau des Vorjahres. Zu diesem sich stetig fortsetzenden Ausbau erneuerbarer Energien haben im letzten Jahr vor allem die stark gestiegene Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen, aber auch der Zuwachs bei Biogas und Wasserkraft beigetragen.1 Diese und weitere Erfolge auf dem Weg der Energiewende in Deutschland zeigen, dass durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bislang in vielen Bereichen grundsätzlich richtige Anreize gesetzt wurden. Insgesamt sieht es in Sachen Energiewende in Deutschland also gar nicht schlecht aus. Und doch sieht sich die Energiewende bedeutenden Herausforderungen gegenüber, die bereits kurzfristig einen unmittelbaren Handlungsbedarf erkennen lassen, um das Erreichen ihrer Ziele nicht zu gefährden. Gerade vor diesem Hintergrund ist es umso bedauerlicher, dass es bei der notwendigen Diskussion um die Zukunft der Energiewende derzeit nur noch um aus heutiger Perspektive zwangsläufig hochgradig unsichere Abschätzungen ihrer Gesamtkosten sowie die Strompreise und dabei vor allem die EEG-Umlage zu gehen scheint. Wenden wir uns im Folgenden daher lieber einigen ausgewählten Herausforderungen zu, die exemplarisch verdeutlichen, in welchen vielseitigen Bereichen Handlungsbedarf zum Gelingen der Energiewende besteht.

Finanzierung der deutschen Energie- und Klimapolitik

Dass umfangreiche Investitionen in erneuerbare Energien, Energieeffizienz und weitere Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen nötig sind, um die deutschen Klimaschutzziele zu erreichen, steht außer Frage. Doch können bereits Aussagen getroffen werden, welcher Investitionsbedarf notwendig ist, um die klima- und energiepolitischen Ziele zu erreichen? Und welche gesellschaftlichen Gruppen investieren derzeit wie viel in Klimaschutzmaßnahmen?

Eine Studie der Climate Policy Initiative (CPI) hat einen ersten wichtigen Schritt zur Beantwortung dieser Fragen unternommen.2 Sie legt dar, wer 2010 wie viel in den Klimaschutz investierte. Am Beispiel erneuerbarer Energien und Energieeffizienz zeigt sich ein Investitionsvolumen von insgesamt mindestens 37 Mrd. Euro. Mehr als 95% der Investitionen kamen aus dem Privatsektor, wobei mit rund 22 Mrd. Euro der Großteil auf Unternehmen – insbesondere aus dem Energiesektor – entfiel. Doch auch Privathaushalte leisteten mit rund 14 Mrd. Euro einen erheblichen Beitrag. Dabei konnten beispielsweise mit günstigen Darlehen staatlicher Förderbanken sowie dem EEG private Investitionen in bedeutendem Umfang angereizt werden. Darüber hinaus zeigt die Studie jedoch auch Mängel in der Erfassung und Veröffentlichung dieser Daten. Demnach werden Daten zur Klimafinanzierung in den öffentlichen Haushalten und dem Privatsektor in Deutschland nicht systematisch und umfassend ausgewiesen. Zudem existiert keine allgemeingültige Abgrenzung von klimaschutzspezifischen Finanzströmen, und bis auf einige Ausnahmen besteht für ihre Erfassung, Berichterstattung und Überprüfung kein offizielles Verfahren und kein eindeutiger Rahmen. Ebenfalls zeigt die Studie, dass noch keine systematische und umfassende Einschätzung der Wirksamkeit der öffentlichen Klimafinanzierung zur Erreichung von Treibhausgasreduktionen, Verbesserungen bei der Energieeffizienz und der Verbreitung erneuerbarer Energien verfügbar ist.

Somit ist auch der Investitionsbedarf zum Erreichen der deutschen klima- und energiepolitischen Ziele bisher unbekannt und es ist zwangsläufig immer noch unklar, ob das bisherige Investitionsniveau ausreichend ist. Hier offenbart sich elementarer Handlungsbedarf, der bislang einer Optimierung und Weiterentwicklung effektiver politischer Rahmenbedingungen zur notwendigen Mobilisierung von Finanzmitteln im Wege zu stehen scheint.

Anreize zur Entwicklung und Nutzung von Stromspeichern

Der zur Erreichung der Energiewende notwendige Netzausbau ist mittlerweile in der breiten öffentlichen Diskussion angekommen.3 Neben dem Netzausbau ist jedoch zwingend auch die Entwicklung und Nutzbarmachung von Stromspeichern notwendig.4 Grundsätzlich besteht die Möglichkeit unterschiedlichste Speichertechnologien zu nutzen, wie beispielsweise Pumpspeicherkraftwerke, Druckluftspeicherkraftwerke, Schwungmassespeicher, Kondensatoren, supraleitende Spulen, Blei-Säure- und Lithium-Ionen-Akkumulatoren sowie weiteren Formen von Batterien und Wasserstoffspeichern.5 Insgesamt reichen die Förderanreize beispielsweise im Rahmen des EEG jedoch noch nicht aus, damit sich Stromspeicher rechnen. Neue zusätzliche Förderinstrumente – mindestens zur Kompensation der Speicherverluste – sind notwendig.6

Die besten technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten bieten derzeit Pumpspeicher. Sie sind jedoch nur für den Ausgleich von Tageslasten einzusetzen. Zudem könnten Pumpspeicherkraftwerke aufgrund der spezifischen geographischen Bedingungen in Deutschland sehr wahrscheinlich nur regional begrenzt zum Einsatz kommen und ihr Neubau ist in der Regel mit erheblichen Eingriffen in die Umwelt verbunden. Ein großes Potenzial ist beispielsweise auch bei Druckluftspeicherkraftwerken zu konstatieren. Die hierfür notwendigen unterirdischen Kavernen stehen jedoch insbesondere nur im Norden und Nordwesten Deutschlands zur Verfügung.7 Zur Deckung der Sekundenreserve sowie für eine unterbrechungsfreie Stromversorgung hingegen müsste auf Akkumulatoren, supraleitende magnetische Energiespeicher, elektrochemische Kondensatoren oder Schwungräder zurückgegriffen werden.8

Eine Förderung von Stromspeichern sollte somit differenzierte ökonomische Anreize setzen, um eine intelligente und wirtschaftliche Kombination zentraler und dezentraler Speicher – konzeptionell abgestimmt mit dem Ausbau der Netzinfrastruktur – zu erreichen. Zudem werden verstärkt auch kleinere Speicher wie Batteriespeicher in Elektroautos notwendig. Ebenso sollten neue Wege beschritten und bislang vielleicht noch exotisch anmutende Ideen, wie die Nutzung der Bundeswasserstraßen als dezentrale Pumpspeicher im Rahmen regionaler virtueller Kraftwerke, weiter erprobt werden. Zudem könnte das Gasnetz als Speicher erschlossen werden.9 Um frühzeitig eine verbindliche Planungsgrundlage zu schaffen, wäre es sehr zu begrüßen, wenn zeitnah ein Entwurf für ein „Stromspeicherausbaugesetz“ vorgelegt würde.10 Ein erster Schritt zur Markt- und Technologieentwicklung von Batteriespeichersystemen ist das KfW-Programm „Erneuerbare Energien – Speicher“. Seit dem 1. Mai 2013 wird damit durch zinsgünstige Darlehen der KfW und durch Tilgungszuschüsse, die vom Umweltministerium finanziert werden, die Nutzung von stationären Batteriespeichersystemen in Verbindung mit einer an das Netz angeschlossenen Photovoltaikanlage unterstützt.11

Auswirkungen des Klimawandels auf den Energiesektor

Bei der Anreizsetzung zum notwendigen Infrastrukturausbau sollten auch Aspekte der zukünftigen Verletzlichkeit des Energiesystems gegenüber dem Klimawandel berücksichtigt werden, denn der fortschreitende Klimawandel könnte hier in den kommenden Jahrzehnten große und mitunter neue Anforderungen mit sich bringen. Da sich Infrastrukturen im Energiesektor durch teilweise sehr lange Lebensdauern auszeichnen, haben einmal getätigte Investitionen oft einen Generationen übergreifenden Bestand, so dass eine Veränderung des Klimas auf ähnlich langen Zeitskalen die künftige Betriebsfähigkeit von heute und in den nächsten Jahren errichteten Infrastrukturen gefährden kann. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Anpassung an die Folgen des Klimawandels zunehmend an Bedeutung. Dabei sind Anpassungsmaßnahmen vor allem regional bzw. anlagen- und standortspezifisch vorzunehmen. Das führt dazu, dass sie deutlich komplexer sind als Aktivitäten zur CO2-Vermeidung, was ihre passgenaue Ausgestaltung und Umsetzung ebenfalls erschwert.12

Mögliche Auswirkungen für den Energiesektor in Deutschland werden hier kurz skizziert, wobei die größte Anpassungsherausforderung grundsätzlich in der trotz Klimaveränderungen zu gewährleistenden Versorgungssicherheit besteht.13 Im Zuge eines häufigeren Auftretens von starken Niederschlägen, Stürmen und Gewittern sowie Hitze- und Trockenperioden oder auch zunehmenden Schnee- und Eislasten können insbesondere Anlagen und Einrichtungen zur Umwandlung von Energie sowie zum Energietransport und zur Energieversorgung betroffen werden. Als Folge kann es zu einer Verknappung des Energieangebots, Preissteigerungen und Versorgungsstörungen kommen. Ebenfalls sind für Kraftwerke, die von Wetterextremen bedroht sind, steigende Versicherungskosten zu erwarten. Sofern Kraftwerke bei ihrer Versorgung mit Rohstoffen auf die Nutzung von Wasserwegen angewiesen sind, kann es bei einem länger anhaltenden Hoch- oder Niedrigwasser zu Beeinträchtigungen des Schiffsverkehrs und in Folge dessen zu Versorgungsengpässen kommen. Ein weiterer wichtiger Einfluss kann sich in den Sommermonaten durch niedrigere Pegelstände oder höhere Wassertemperaturen für Kraftwerke ergeben, die auf die Nutzung von Flusswasser als Kühlwasser angewiesen sind, da dies sowohl zu Effizienzverlusten als auch – bei der Rückführung des zur Kühlung genutzten Wassers – Konflikten mit dem Wasserrecht führen kann. Im Hinblick auf die Biomassenutzung ist zu erwarten, dass ihr Ertrag von den Folgen des Klimawandels beeinflusst wird, da die Bodenbeschaffenheit kaum geschützt werden kann. Für Wasserkraftanlagen sind veränderte Niederschlagsmengen relevant, während extremere Wettereigenschaften neue Anforderungen an die Sicherheit und Standfestigkeit von Solar- und Windenergieanlagen mit sich bringen können. Auf einer marktlichen Ebene der Betroffenheit wiederum ist zu erwarten, dass es infolge eines allgemeinen Anstiegs der Lufttemperatur zu einem Nachfragerückgang nach Heizenergie kommt, während der Bedarf nach Kühlenergie in Form von Klimaanlagen steigen wird.

Mögliche Auswirkungen des Klimawandels sollten also jetzt schon bei den anstehenden Infrastrukturmaßnahmen im Zuge der Energiewende berücksichtigt und auch zum Beseitigen entsprechender Schwachstellen genutzt werden. Dabei ist gerade der Energiesektor prädestiniert dafür, Synergien zwischen Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel zu nutzen. Es sollten demzufolge zunächst Maßnahmen identifiziert werden, bei denen die Anpassung mit anderen Nutzen kombiniert werden kann und die somit auch dann – beispielsweise durch die Vermeidung von CO2-Emissionen – sinnvoll sind, wenn der Klimawandel nicht in der ursprünglich erwarteten Ausprägung eintreten sollte.14

Die möglichen Folgen des Klimawandels mögen in Deutschland derzeit noch etwas abstrakt und unkonkret erscheinen, doch es ist zu erwarten, dass ihre Auswirkungen auf die Energieversorgung zunehmen werden und der Anpassungsbedarf sehr wahrscheinlich deutlich steigt.15 Welche Konsequenzen ein umfassender Blackout in einem Industrieland grundsätzlich haben kann, hatte sich am 14. August 2003 gezeigt, als es in großen Teilen des Mittleren Westens und Nordostens der USA sowie in der kanadischen Provinz Ontario zu einem Stromausfall gekommen war, der schätzungsweise 50 Mio. Menschen betroffen hatte und in einigen Regionen vier Tage andauerte. Der Blackout hatte zum Ausfall von rund 100 Kraftwerken mit einer Gesamtleistung von knapp 62 000 MW Strom geführt. Die Kosten des Stromausfalls betrugen rund 6 Mrd. US-$.16 Dieser Stromausfall war natürlich nicht auf den Klimawandel zurückzuführen, sondern hatte seine Ursache in einer anfangs unentdeckten Störung in einem Generator in Ohio, die dann im Zusammenspiel von technischem und menschlichem Versagen eine verheerende Kettenreaktion angestoßen hat. Trotzdem zeigt dieses Beispiel, wie wichtig und gleichsam verletzlich eine kritische Infrastruktur ist. Daher sollte auch in Deutschland im Zuge des in den nächsten Jahrzehnten notwendigen Infrastrukturausbaus darüber beraten werden, unternehmerische Berichtspflichten zum Stand der Anpassungsplanungen für kritische Infrastrukturen17 einzuführen. In Großbritannien wurde dies beispielsweise im Rahmen des Climate Change Act 2008 bereits festgeschrieben, wobei entsprechende Berichte im Abstand von fünf Jahren zu erstellen sind.18

Einfluss des europäischen Emissionshandels

Ein nicht zu unterschätzender negativer Einfluss auf die Energiewende geht auch von den geringen Zertifikatepreisen des europäischen Emissionshandels aus, die an der European Energy Exchange (EEX) schon seit über einem Jahr im einstelligen Bereich liegen – am 22. April 2013 beispielsweise bei 2,77 Euro.19 Dass von diesem Preisniveau nicht die notwendigen Anreize für klimafreundliche Investitionen ausgehen, überrascht nicht. Zudem werden weitaus geringere Finanzierungsbeiträge für andere Klimaschutzmaßnahmen – wie beispielsweise die Finanzierung von Projekten der Energiewende aus Mitteln des Energie- und Klimafonds wie die Gebäudesanierung, der Ausbau der Elektromobilität oder die Entwicklung neuer Speichertechnologien – generiert.20

Auch aktuelle Daten des Umweltbundesamtes verdeutlichen ein wesentliches Problem. Demnach lagen die CO2-Emissionen der 1627 emissionshandelspflichtigen Energie- und Industrieanlagen in Deutschland 2012 mit 452,4 Mio. t knapp über dem Niveau des Vorjahres. Interessant ist dabei vor allem eine unterschiedliche Entwicklung in der Kohle- und Erdgasverarbeitung. Während die Emissionen aus der Verbrennung von Braun- und Steinkohle jeweils um rund 4% angestiegen sind, gingen die Emissionen aus Erdgas um ungefähr 8% zurück. Insgesamt liegen die CO2-Emissionen auf Höhe der jährlichen deutschen Emissionsobergrenze der zweiten Handelsperiode (451,8 Mio. t).21

Das heißt zum einen, dass diese Obergrenze eingehalten wird, zeigt aber auch, dass der Emissionshandel aus Sicht der Energiewende in Deutschland gestärkt werden muss, um dem aktuellen ökonomischen Vorteil älterer Braunkohlekraftwerke entgegenzuwirken. Denn derzeit ist auch die Braunkohle ein Gewinner der Energiewende und Anlagen werden mit sehr hoher Auslastung genutzt. Dies liegt daran, dass bei dem aktuellen Preisniveau der CO2-Zertifikate Braunkohle der Energieträger ist, der mit sehr niedrigen kurzfristigen Grenzkosten Strom erzeugen kann. Im Zuge dessen kommt es durch die steigende Nutzung erneuerbarer Energien in Kombination mit dem derzeit sehr günstigen Kohlestrom selbst für neue und hocheffiziente Gaskraftwerke zu Wettbewerbsnachteilen. Doch gerade von diesen sich durch relativ geringe spezifische Treibhausgasemissionen, eine gute Regelbarkeit und damit Eignung als Komplementärtechnologie zu der unstetigen Einspeisung der erneuerbaren Energien auszeichnenden Kraftwerken ist eine wichtige Rolle bei der Energiewende zu erwarten.

Um auf offensichtlich mangelnde Anreize des Emissionshandels zu reagieren, hatte die EU-Kommission bereits Ende Juli 2012 den Vorschlag gemacht, rund ein Viertel der bis 2015 geplanten CO2-Zertifikate – dies entspricht 900 Mio. t CO2 – zurückzuhalten. Sie würden dann 2019 und 2020 wieder in vollem Umfang in den Markt gelangen.22 Am 19. Februar 2013 hatte sich auch der Umweltausschuss dafür ausgesprochen. Am 16. April 2013 haben die Abgeordneten des Europaparlamentes jedoch gegen das Vorhaben gestimmt und es zunächst einmal an den Umweltausschuss zurückverwiesen. Wenn sich die CO2-Zertifikatepreise nicht erholen, sind die Konsequenzen für die Energiewende in Deutschland neben fehlenden Anreizen für klimafreundliche Investitionen und fehlenden Finanzierungsbeiträgen für den Energie- und Klimafonds auch ein möglicher Anstieg der EEG-Umlage, was den Besonderheiten ihrer Berechnungsgrundlage geschuldet ist.

Grundsätzlich wäre es ein richtiger Weg gewesen, das Überangebot an Emissionsrechten zu reduzieren. Die Frage ist jedoch, welche dauerhaften Effekte durch das temporäre Zurückhalten von Zertifikaten überhaupt zu erwarten gewesen wären. Wirkungsvoller scheint es zu sein, die notwendige Menge an Emissionszertifikaten für einen längeren Zeitraum einzubehalten oder gegebenenfalls gänzlich stillzulegen. Doch auch dann ist es fraglich, ob ein solches Vorgehen alleine ausreichend ist. Der nun abgelehnte Reformvorschlag wäre also ohnehin nur ein erster kleiner Schritt gewesen. Diskutiert werden sollte nun erst recht eine Verschärfung des europäischen Klimaschutzziels auf eine Reduktion der Treibhausgasemissionen im Umfang von 25% oder 30% bis 2020.

Übertragen auf den Emissionszertifikatehandel würde dies auch eine Verschärfung der jährlichen Verknappung der gesamten Zertifikatemenge notwendig machen.23 Ergänzend muss nun wohl auch verstärkt über nationale Wege nachgedacht werden, wie die Kosten des CO2-Ausstoßes erhöht werden können. Zudem wird noch deutlicher, dass der Emissionshandel alleine nicht ausreichend ist, um die notwendigen Anreize zur Förderung erneuerbarer Energien zu setzen. Ergänzende Instrumente wie derzeit das EEG sind weiterhin notwendig, wobei die Wechselwirkungen der Instrumente und Möglichkeiten ihrer Kombination berücksichtigt werden müssen.24

Schrittweise Weiterentwicklung des EEG

Nachdem das EEG gezeigt hat, dass es ein wirkungsvolles und erfolgreiches Instrument zur Förderung erneuerbarer Energien ist – und zu Recht als Vorbild für andere Länder dient – werden im Hinblick auf die Anforderungen der Marktintegration erneuerbarer Energien zunehmend instrumentelle Weiterentwicklungen gefordert. Im Vorfeld der Novellierung des EEG im letzten Jahr wurden bereits mehrere Anreizinstrumente vorgeschlagen. Diese sind insbesondere das Marktprämienmodell, der Stetigkeitsbonus und der Kapazitätsmarkt für erneuerbare Energien. Einzig das Marktprämienmodell hat bereits den Weg in die Praxis gefunden, um Anreize für eine bedarfsgerechtere Stromproduktion zu setzen und somit Anlagenbetreiber stärker an den Markt heranzuführen.25 Mittlerweile zeigt sich hier jedoch ein erster Anpassungsbedarf insbesondere der Managementprämie, um die Mehrkosten des Marktprämienmodells zu reduzieren. Dies ist der Fall, da die Profilservicekosten der Übertragungsnetzbetreiber für die Einbindung der erneuerbaren Energien – als Grundlage für die Ausgestaltung der Marktprämie – niedriger sind, als zunächst angenommen wurde.26 Zudem werden mangelnde Anreize für eine nennenswerte Flexibilisierung der Einspeisung kritisiert.27

Wie die ersten Erfahrungen mit dem Marktprämienmodell zeigen, kommt es hier bereits zu Problemen. Nicht nur daher scheint insgesamt mehr Vorsicht geboten, wenn es darum geht das EEG weiterzuentwickeln. Dabei sollte vor allem ein behutsames und schrittweises Vorgehen gewählt werden, denn das EEG hat über viele Jahre hinweg eine hohe Stabilität beim Ausbau der erneuerbaren Energien sichergestellt und dafür gesorgt, dass sich beispielsweise auch kleinere Marktteilnehmer oder Bürgerparks etablieren konnten. Diese Stabilität sollte mit entsprechendem Investitionsschutz für bestehende Projekte aufrechterhalten werden, so dass weiterhin notwendige Voraussetzungen für eine langfristige Planbarkeit, Finanzierbarkeit und Investitionssicherheit gegeben sind. Zunächst sollten also im Rahmen eines dem Grunde nach weiterhin bestehenden – und zur Realisierung der Energiewende in den nächsten Jahren weiterhin benötigten – EEG die Art und Höhe der Förderung regelmäßig überprüft und angepasst werden. Dabei muss es das Ziel sein, mittelfristig ohne Förderungen auszukommen. Allerdings gilt dies nicht nur für erneuerbare Energien, sondern für alle Energieträger.

Fazit

Trotz der bis heute grundsätzlich positiven Bilanz der Energiewende – der Ausbau und die Nutzung erneuerbarer Energien schreitet stetig voran, auch im zweiten Winter nach der endgültigen Abschaltung von acht Kernkraftwerken ist es zu keinen Blackouts gekommen, Deutschland ist Stromexportland geblieben und der Ausfuhrüberschuss erreichte mit 23 Mrd. kWh sogar einen neuen Rekordwert – haben die in diesem Beitrag erläuterten Handlungsfelder anhand von einigen wenigen Beispielen gezeigt, welche vielfältigen Herausforderungen auf dem Weg zum Gelingen der Energiewende noch zu bewältigen sind. Zumindest das endgültige Scheitern der geplanten Strompreisbremse lässt hoffen, dass die notwendige Diskussion um die zukünftigen Schritte beim Zusammenfügen der vielfältigen Puzzleteile auf dem Weg zu einem im besten Sinne des Wortes nachhaltigen Energiesystem in Deutschland nicht noch mehr zu einer rein kurzfristig ausgelegten Kosten- und Strompreisdebatte mutiert. Gerade auch, weil zunehmend deutlich wird, dass das Thema der Strompreise politisch größer gemacht wurde als es eigentlich ist und gleichsam politische Handlungsspielräume suggeriert werden, die sich bei genauer Betrachtung jedoch als nur sehr gering herausstellen.28 Die wirklich bedeutenden Herausforderungen zum Gelingen der Energiewende liegen in anderen Bereichen.

  • 1 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Erneuerbare Energien 2012. Daten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2012 auf der Grundlage der Angaben der Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat). Vorläufige Angaben. Stand 28.2.2013, Berlin. Obwohl die installierte Leistung zugenommen hat, ist es bei der Stromerzeugung aus Windkraft 2012 verglichen mit 2011 zu einem Rückgang gekommen, was insbesondere mit schlechteren Windverhältnissen zu erklären ist.
  • 2 I. Jürgens et al.: The Landscape of Climate Finance in Germany. A CPI-Report, Berlin 2012.
  • 3 Da Fragen des Netzausbaus derzeit im Rahmen der Bundesfachplanung erörtert werden und vor dem Sommer dieses Jahres keine Konkretisierungen zu erwarten sind, wird hier lediglich auf den zweiten wichtigen Infrastrukturbereich eingegangen, der jedoch sowohl im politischen Prozess als auch in der öffentlichen Diskussion noch unterrepräsentiert ist. Umfassende Informationen und Dokumente zum Netzausbau finden sich auf der Homepage der Bundesnetzagentur: www.netzausbau.de.
  • 4 U. Leprich et al.: Kompassstudie Marktdesign. Leitideen für ein Design eines Stromsystems mit hohem Anteil fluktuierender Erneuerbarer Energien, Bochum 2012.
  • 5 R. Hollinger et al.: Speicherstudie 2013, Kurzgutachten zur Abschätzung und Einordnung energiewirtschaftlicher, ökonomischer und anderer Effekte bei Förderung von objektgebunden elektrochemischen Speichern, Freiburg 2013; G. Fuchs et al.: Technologischer Überblick zur Speicherung von Elektrizität. Überblick zum Potenzial und zu Perspektiven des Einsatzes elektrischer Speichertechnologien, Stuttgart 2012. Weitere umfangreiche Informationen zur Energiespeicherung stellt beispielsweise auch der ForschungsVerbund Erneuerbare Energien (FVEE) auf seiner Homepage bereit: http://www.fvee.de.
  • 6 M. Groth: Speichertechnologie und weitere Ausblicke auf die Zukunft des EEG – Kommentar zum Beitrag von Thomas Schomerus, in: F. Ekardt, B. Hennig, H. Unnerstall (Hrsg.): Erneuerbare Energien – Ambivalenzen, Governance, Rechtsfragen, Marburg 2012, S. 253-256.
  • 7 M. Pehnt, U. Höpfner: Wasserstoff- und Stromspeicher in einem Energiesystem mit hohen Anteilen erneuerbarer Energien: Analyse der kurz- und mittelfristigen Perspektive, Heidelberg 2009.
  • 8 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung. Sondergutachten, Berlin 2011.
  • 9 M. Groth, a.a.O.
  • 10 M. Groth: Stromspeicherung: gesetzliche Regelungen notwendig, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 4, S. 216-217.
  • 11 KfW Bankengruppe: Merkblatt Erneuerbare Energien – Programmnummer 275: Finanzierung von stationären Batteriespeichersystemen in Verbindung mit einer Photovoltaikanlage, Frankfurt 2013.
  • 12 IPCC: Summary for Policymakers. Climate Change 2007: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, Cambridge, New York 2007; C. Heuson et al.: Ökonomische Grundfragen der Klimaanpassung – Umrisse eines neuen Forschungsprogramms, UFZ-Bericht 02/2012, Leipzig 2012.
  • 13 Für Aussagen zu möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf den Energiesektor siehe exemplarisch die folgenden Publikationen: W. Kuckshinrichs et al.: Thesenpapier für das DAS Symposium – Betrachtungsfeld: Energie, Leipzig 2008; Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung: Deutsche Anpassungsstrategie (DAS) an den Klimawandel – Bericht zum Nationalen Symposium zur Identifizierung des Forschungsbedarfs, Leipzig 2008; Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel, Berlin 2008; KOM: Weißbuch – Anpassung an den Klimawandel: Ein europäischer Aktionsrahmen, Brüssel 2009; E. Hoffman et al.: Stakeholder-Dialoge: Chancen und Risiken des Klimawandels, Dessau-Roßlau 2011; A. Pechan, M. Rotter, K. Eisenack: Eingestellt auf Klimafolgen? Ergebnisse einer Unternehmensbefragung zur Anpassung in der Energie- und Verkehrswirtschaft, Schriftenreihe des IÖW 200/11, Berlin 2011; R. Stecker et al.: Anpassung an den Klimawandel in der Energiewirtschaft – eine Aufgabe für die Politik? Dokumentation des Branchenworkshops vom 5.4.2011, Oldenburg, Berlin 2011; KOM: Adapting infrastructure to climate change – Commission staff working document, Brüssel 2013.
  • 14 S. C. Moser: Adaptation, mitigation, and their disharmonious discontents: an essay, in: Climatic Change, 111 (2012), S. 165-175; A. Leidreiter, D. Moss, M. Groth: From vision to action - a workshop report on 100% Renewable Energies in European Regions, 2013, http://www.climate-service-center.de/imperia/md/content/csc/workshopdokumente/csc_workshop-report_from-vision-to-action_a-workshop-report-on-100_-renewable-energies-in-european-regions.pdf.
  • 15 S. Gößling-Reisemann at al.: Klimawandel: Regionale Verwundbarkeit der Energieversorgung in Deutschland, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 62. Jg. (2012), H. 4, S. 60-63.
  • 16 U.S.-Canada Power System Outage Task Force: Final Report on the August 14, 2003 Blackout in the United States and Canada: Causes and Recommendations, Washington, Ottawa 2004.
  • 17 Europäische Kommission: Council Directive 2008/114/EC of 8 December 2008 on the Identification and Designation of European Critical Infrastructures and the Assessment of the Need to Improve their Protection, Brüssel 2008.
  • 18 A. Leidreiter, D. Moss, M. Groth, a.a.O.
  • 19 European Energy Exchange (EEX): EU Emission Allowances. Preise und Handelsvolumen, 2013, http://www.eex.com/de/Marktdaten/Handelsdaten/Emissionsrechte/EU%20Emission%20Allowances%20|%20Spotmarkt.
  • 20 M. Groth: Emissionshandel: Rettung in Sicht?, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 8, S. 505-506.
  • 21 Umweltbundesamt: Emissionshandel: CO2-Emissionen 2012 knapp über dem Niveau von 2011, Presse-Information 15/2013.
  • 22 Europäisches Parlament: Umweltausschuss stimmt für verzögerten Verkauf von Emissionsrechten, Brüssel 2013.
  • 23 H. Hermann, F. C. Matthes: Strengthening the European Union emissons trading scheme and raising climate ambition, Berlin 2012.
  • 24 M. Groth, H. Kosinowski: Integration der erneuerbaren Energien in den Emissionshandel – Stand und Perspektiven, in: F. Ekardt, B. Hennig, H. Unnerstall (Hrsg.), a.a.O., S. 93-116; H. Kosinowski, M. Groth: Die deutsche Förderung erneuerbarer Energien – Bestandsaufnahme und Perspektiven vor dem Hintergrund des europäischen Emissionszertifikatehandels, Marburg 2011.
  • 25 F. Sensfuß, M. Ragwitz: Weiterentwickeltes Fördersystem für die Vermarktung von erneuerbarer Stromerzeugung, Gutachten des Fraunhofer ISI im Auftrag des BMU, Karlsruhe 2011.
  • 26 A. Rostankowski et al.: Anpassungsbedarf bei den Parametern des gleitenden Marktprämienmodells im Hinblick auf aktuelle energiewirtschaftliche Entwicklungen, Kurzgutachten im Rahmen des Projektes „Laufende Evaluierung der Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Energien“, Greifswald 2012.
  • 27 E. Gawel, A. Purkus: Die Marktprämie im EEG 2012: Ein sinnvoller Beitrag zur Markt- und Systemintegration erneuerbarer Energien?, Diskussionspapier des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung – UFZ, Leipzig 2012.
  • 28 Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion von Strompreisen und EEG-Umlage sei an dieser Stelle abschließend auf eine online frei verfügbare Software verwiesen, die vom Öko-Institut im Auftrag von Agora Energiewende entwickelt wurde. Mit dem Programm kann nicht nur die Höhe der EEG-Umlage bis 2017 berechnet werden, sondern es veranschaulicht zudem die Verteilung der Zahlungsströme und die Zusammensetzung der Vergütungssummen. Auch hier zeigt sich beispielhaft, wie gering teilweise die potenziellen Auswirkungen einiger immer wieder diskutierten politischen Handlungsoptionen auf die EEG-Umlage – und damit letztlich erst recht auf den Strompreis – sind. Zur Bewertung möglicher Maßnahmen und einer Versachlichung der Diskussion können hier wichtige Einsichten gewonnen werden. Öko-Institut: EEG-Calculator. Berechnungs- und Szenarienmodell zur Ermittlung der EEG-Umlage. Modellversion 1.0, Datenversion 1.0, Berlin, 18.3.2013: http://www.agora-energiewende.de/themen/die-energiewende/detailansicht/article/kuenftige-eeg-umlage-selbst-ausrechnen.

Ist der Fahrplan für die Energiewende noch zu halten?

In der aktuellen öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte entsteht der irreführende Eindruck, die Energiewende befinde sich in einer tiefen Krise. In mehr oder minder dramatischen Tönen wird eine grundlegende Reform des Fördersystems angemahnt. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) begünstige eine marktferne „Rundherum-Sorglos-Mentalität“ und führe damit zu dramatischen Fehlentwicklungen, insbesondere zu einem Wettlauf der Bundesländer um möglichst hohe Ausbauraten. Das Gesamtenergiesystem sei durch die Geschwindigkeit des Wachstums der Erneuerbaren in seiner Anpassungsfähigkeit überfordert. Insbesondere müsse der Ausbau der erneuerbaren Energien stark gebremst werden, weil der Netzausbau nicht schnell genug erfolge. In letzter Konsequenz laufen viele Reformpläne auf eine deutliche Verlangsamung des Ausbautempos der erneuerbaren Energien hinaus. Überlagert wird diese Allokationsdebatte durch eine Verteilungsdebatte zwischen den Gewinnern und Verlierern um die Verteilung der Ausbaukosten der erneuerbaren Energien. Diese Debatten werfen in der Tat die Frage auf, ob der Fahrplan der Energiewende noch zu halten ist.

Die aktuelle Situation kann allerdings auch als eine Übergangskrise der konventionellen Energien interpretiert werden. Es sind nicht die erneuerbaren Energien, die sich unzureichend in den Energiemarkt integrieren, sondern umgekehrt hat der alte fossil-nukleare Kraftwerkspark ein Problem, sich der neuen Aufgabe zu stellen, im Übergang als sehr flexible Residuallast zu funktionieren. In dieser Sichtweise muss sich die Energiepolitik insbesondere darauf konzentrieren, die Anpassungsfähigkeit des konventionellen Energiesystems substanziell zu erhöhen und vorhandene Überkapazitäten abzubauen, um damit im Markt überhaupt Raum für den Bedarf der erneuerbaren Energien zu schaffen. Der Reformbedarf ist dann gerade dort am größten wo er am wenigsten thematisiert wird. Darauf hat der Umweltrat bereits in seinem Sondergutachten zur 100% erneuerbaren Stromversorgung hingewiesen.1 Erst wenn diese Barrieren des konventionellen Systems abgebaut werden, kann ernsthaft bestimmt werden, ob und wo der Energiemarkt noch ergänzt werden muss oder ob die Netzengpässe tatsächlich eine Drosselung des Ausbautempos der Erneuerbaren nahelegen.

Im folgenden Beitrag setzen wir uns daher zunächst mit drei wichtigen Thesen in der Debatte – den überzogenen Kosten, der drohenden Stromlücke und den überforderten Stromnetzen – auseinander und zeigen die aktuellen Handlungsprioritäten aus unserer Sicht auf.

Überzogene Kosten oder falsche Indikatoren?

In der aktuellen Kostendebatte wird vieles durcheinandergebracht. Zum einen wird der Strompreisanstieg der letzten Jahre einseitig mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien erklärt. Zum anderen konzentriert sich die Debatte auf einen Indikator, der zur Ermittlung der tatsächlichen Förderkosten der erneuerbaren Energien ungeeignet ist.

Wie aktuelle Analysen zeigen, haben sich zwar die Haushaltspreise für Strom seit dem Jahre 2000 auf 28,5 ct/kWh mehr als verdoppelt.2 Dieser Anstieg ist aber nur zu ca. einem Drittel auf die erneuerbaren Energien zurückzuführen.3 Neben Steuern und Abgaben, die kontinuierlich angestiegen sind, sind es gerade die fossilen Energieträger, die den Hauptanteil des Kostenanstiegs der Vergangenheit verursacht haben. Von 2005 bis 2012 haben sich sowohl die Preise für Gas als auch für Steinkohle, die die Strompreisbildung prägen, ungefähr verdoppelt.4 Nach den optimistischen Prognosen der IEA5 wird sich der Preisanstieg für fossile Energieträger in den nächsten Jahrzehnten, trotz der oftmals angeführten sogenannten „Schiefergasrevolution“ in den USA weiter fortsetzen. Die kritischen Analysen der Energy Watch Group6 legen sogar einen stärkeren weiteren Preisanstieg für alle fossilen Energieträger nahe. Auffällig ist, dass der Kostenanstieg für die privaten Haushalte dort am stärksten war, wo es keinen so signifikanten Ausbau der erneuerbaren Energien gab – im Wärme- und Mobilitätsbereich.7

In der Debatte über die Kosten der Energiewende wird zumeist die Höhe der EEG-Umlage angeführt. Diese ist in der Tat 2013 von 3,59 auf 5,3 ct/kWh gestiegen und könnte in den nächsten Jahren auf über 7 ct/kWh steigen.8 Im Trend wird ein weiterer Anstieg der Haushaltsstrompreise um 35% bis 2020 befürchtet. In anderen Untersuchungen wird eher eine Stabilisierung der EEG-Umlage erwartet.9 In der Vergangenheit war ein Kostenanstieg der durchschnittlichen Vergütung für erneuerbare Energien von 9,29 ct/kWh im Jahre 2004 auf 17,94 ct/kWh 2011 zu beobachten.10 Eine der Ursachen des Kostenanstiegs liegt in dem ungeplant starken Ausbau der Photovoltaik in der Größenordnung von über 20 GW zwischen 2009 und 2012.11 Folge war, dass über die Hälfte der EEG-Förderung für ein Viertel der erzeugten Strommenge ausgegeben wurde.12 In Zukunft ist aber ein Abflachen der Photovoltaik-Kosten wegen der erheblichen Kostendegression und der Beendigung der Förderung jenseits einer Kapazität von 52 GW zu erwarten.13

Insgesamt ist aber die EEG-Umlage aus verschiedenen Gründen ein ungeeigneter Indikator für die Bestimmung der Kosten, weil in ihre Berechnung zahlreiche andere Faktoren miteinfließen, so insbesondere:

  • Die Quersubventionierung der von der Umlage befreiten Industrie durch die Privathaushalte,
  • der Merit-Order-Effekt (Einsatzreihenfolge der Kraftwerke), der zu einer Erhöhung der Umlage führt, wenn sich der Strombörsenpreis als Folge der Marktdurchdringung durch die erneuerbaren Energien und der aktuellen Kraftwerksüberkapazitäten vermindert,
  • eine unzureichende Internalisierung der externen Kosten der fossil-nuklearen Stromversorgung, die ebenfalls den Börsenpreis senkt. Dies gilt vor allem für den sehr niedrigen Preis für CO2-Zertifikate, der eine signifikante Wirkung auf die Höhe der EEG-Umlage hat,
  • Rückstellungen und zeitliche Ausgleichsmaßnahmen für Kostenüberziehungen in vergangenen Jahren, die die Umlage für 2013 außerordentlich ansteigen ließen.

Die systemischen Kosten der Förderung erneuerbarer Energien sind nach verschiedenen Schätzungen deutlich niedriger, wenn sie um diese Verzerrungen, die mit den tatsächlichen Kosten der Förderung der erneuerbaren Energien nichts zu tun haben, korrigiert werden könnten.14 Andere Indikatoren legen eher eine Entspannung der Debatte nahe. So kommt der Monitoring-Bericht für die Bundesregierung insgesamt zu dem Ergebnis, dass der Anteil der Ausgaben für Elektrizität am Bruttoinlandsprodukt sich noch am oberen Rand des historischen Korridors der Schwankungen zwischen 2,6% (1991) und 1,7% (2000) befindet.15 Der Anteil der Elektrizitätskosten an den Konsumausgaben ist entsprechend seit 1986 nicht gestiegen.16

Nicht sachgerecht sind auch Kostenabschätzungen für die Zukunft, die den gesamten Investitionsbedarf für die erneuerbaren Energien kumulieren, ohne eine systemische Gesamtkostenbetrachtung vorzunehmen.17 Seriöser sind Differenzkostenabschätzungen, die sowohl Investitions- als auch laufende Kosten betrachten und ein Ausbauszenario für Erneuerbare mit einem fossilen Referenzszenario vergleichen. Die für das BMU erstellte sogenannte Leitstudie verwendet seit Jahren eine solche Differenzkostenabschätzung, allerdings nur für den Ausbau der erneuerbaren Energien ohne Betrachtung der Netzkosten. Dieser zufolge liegen die kumulierten Differenzkosten für den in den Energiewendebeschlüssen vorgesehenen Ausbau der erneuerbaren Energien zwischen 2011 und 2030 bei 137 Mrd. Euro. In der darauffolgenden Dekade wird dieser Betrag vollständig dadurch kompensiert, dass die Stromversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien wegen der geringeren laufenden Kosten günstiger wird als ein konventionelles System.18 Bei Berücksichtigung externer Kosten der Stromerzeugung auf der Basis fossiler Ressourcen wären die kumulierten Differenzkosten bereits 2030 negativ.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Untersuchung des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln (EWI) für den Bundesverband der Deutschen Industrie. Das EWI schätzt, dass man mit einem Verzicht auf Wind- und Photovoltaik-Zubau zwischen 2013 und 2022 nur 58 Mrd. Euro Systemkosten einsparen könnte bei kumulierten Gesamtkosten von über 556 Mrd. Euro.19 Boston Consult kalkuliert mit einem Gesamtinvestitionsbedarf von 372 Mrd. Euro von 2011 bis 2030 für den Ausbau der erneuerbaren Energien nach den Szenarien für den Bundesnetzplan, in einem fossilen Alternativszenario wären aber ca. 150 Mrd. Euro an Investitionen erforderlich.20 Dabei identifizieren beide Studien erhebliche Effizienzpotenziale ohne die Ausbauziele zu gefährden. Insgesamt liegt der erwartbare, vorübergehende Kosten- und Preisanstieg des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien aber weit unter den Entwicklungen der vergangenen Dekade und kann daher als volkswirtschaftlich und sozial verkraftbar charakterisiert werden.

Stromlücke oder unflexible Überkapazitäten?

Gerade beim Einsatz wetterabhängig stark schwankender erneuerbarer Energien ist die Verfügbarkeit von regelbarer Leistung mittels fossiler Kraftwerke, durch regelbare erneuerbare Energien (z.B. Biogas) und später durch Speicher bzw. die Flexibilisierung der Nachfrage durch abschaltbare Lasten von zentraler Bedeutung für die Versorgungssicherheit. Auch bei plötzlichen hohen Einspeisungen ist ein schnelles Herunterfahren steuerbarer Kapazitäten und später sogar ein Aufnehmen von Überschussstrom notwendig. Flexibilität wird somit zum zentralen Kriterium für die Weiterentwicklung der steuerbaren Kapazitäten (Kraftwerke, abschaltbare Lasten, Speicher) und den Strukturwandel des Energiesystems generell.21

Allerdings ist die Struktur des bestehenden Kraftwerks­parks für die Erfordernisse der Energiewende ungeeignet, da sie noch durch hohe inflexible und emissionsintensive Kohlekapazitäten und einige Atomkraftwerke geprägt ist, die 2012 zusammen noch rund ein Drittel der Kapazität und in etwa 60% der Bruttostromerzeugung ausmachten.22 Aufgrund ihrer niedrigen variablen Kosten (für Brennstoffe und Emissionszertifikate) werden diese zuerst eingesetzt (Merit Order) und erleben einen Boom, während Gaskraftwerke von Stilllegungen bedroht sind – was unter anderen auch dem sehr niedrigen Preis für Emissionshandelsrechte geschuldet ist.23 Im Strommengenmarkt (Energy-Only-Markt) besteht somit die Herausforderung, die Finanzierungssituation flexibler Kapazitäten sowohl im Bestand zu verbessern als auch Anreize für neue flexible Kapazitäten (Kraftwerke, abschaltbare Lasten, Speicher etc.) unter Berücksichtigung weiterer Rahmenbedingungen – wie der Klimaschutzziele – zu setzen, womit zunächst vor allem der vermehrte Einsatz vorhandener und die Schaffung neuer Gaskraftwerkskapazitäten einhergeht.

Aktuell findet eine Grundsatzdebatte darüber statt, ob der Energy-Only-Markt überhaupt in der Lage ist, ausreichende Beiträge zur Kostendeckung zu erwirtschaften oder durch weitere sogenannte Kapazitätsmechanismen ergänzt werden muss.24 Diese ausdifferenzierte Grundsatzdebatte kann an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden, wichtig ist aber das Grundsatzargument, dass vor dem Einsatz neuer Fördermechanismen für neue konventionelle Erzeugungskapazitäten, eine entschiedene Politik der Gesamtflexibilisierung des Energiesystems erfolgen muss, die die konventionelle Erzeugung, den Handel und die Nachfrage erfassen muss.25

Die zentrale Säule einer solchen Gesamtflexibilisierung sollte die Wiederherstellung einer konsequenten CO2-Bepreisung werden, die die emissionsintensivere und weniger flexible Kohleverstromung stärker belastet als Gas. Durch eine hinreichend hohe CO2-Bepreisung könnte sich die Einsatzreihenfolge von Kohle und Gas ändern und sich dadurch die Einsatzhäufigkeit von Gas erhöhen und deren Kostendeckungssituation verbessern.

Weitere wichtige Gestaltungsoptionen zur Systemflexibilisierung sind:

  • Marktflexibilisierung durch Kurzfristorientierung (Verkürzung der Zeitpanne zwischen Börsenschluss und Lieferzeitpunkt, liquider untertägiger Handel sowie Handel in kleineren Blöcken am Regelenergiemarkt)26 fördert die Anpassung der Nachfrage an die Möglichkeiten von Windenergie und Photovoltaik.
  • Lastverschiebung erleichtert die Anpassung an Windenergie und Photovoltaik und ersetzt tendenziell zusätzliche Kraftwerkskapazitäten. Längerfristig können der Wärmesektor (power-to-heat) sowie die Methanisierung (power-to-gas) hinzukommen.27
  • Netzausbau (national und europäisch) führt zu teilweisem Ausgleich regional unterschiedlicher Angebotsprofile von Windenergie und Photovoltaik sowie unterschiedlicher Nachfrage (national unterschiedliche Lastprofile); erweitert Zugriff auf Flexibilitätsoptionen (Kraftwerke, abschaltbare Lasten, Speicher).
  • Absenkung der Mindestleistung von Kraftwerken („Must-Run-Leistung“).

Maßnahmen zur Marktflexibilisierung und zur Lastverschiebung wären vergleichsweise schnell umsetzbar.

Netzengpässe als Ausbaubremse?

Skeptiker eines schnellen Wachstums der erneuerbaren Energien führen an, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien gebremst werden müsse, weil der Netzausbau nicht schnell genug erfolge. Die vielerorts verzögerte Netzentwicklung führe in zunehmendem Maße zu Netz­engpässen, erneuerbare Kapazitäten müssten deshalb immer öfter abgeregelt werden. Dabei wird kritisiert, dass die Betreiber dafür aufgrund des EEG in Höhe der entgangenen Einspeisevergütungen eine Entschädigung erhalten.28 Damit werde für Strom gezahlt, der nicht produziert werde und das CO2-Vermeidungspotenzial der Anlagen durch das Herunterregeln ungenutzt gelassen. Diesen Missstand gelte es zu beheben, indem der Ausbau der erneuerbaren Energien nur in dem Maße erfolgt, in dem die Stromnetze ausgebaut werden. Das Tempo des Netzausbaus solle somit den Ausbau der erneuerbaren Energien bestimmen.29

Diese Argumentation unterstellt, dass die zu erwartenden Probleme eines schnellen Ausbaus der erneuerbaren Energien im Falle eines verzögerten Netzausbaus unüberwindbar seien. Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn Netzüberlastungen z.B. wie bisher schon durch Abregelungen vermieden werden. Im Hinblick auf die gegenwärtige Situation wird darauf hingewiesen, dass entgegen der oben angeführten Darstellung die Anpassungsmaßnahmen wegen Netzengpässen von 2007 bis 2010 vernachlässigbar waren und auch im Winter 2010/2011 dank vorausschauender Planung die Netzsituation beherrschbar war.30

Eine Studie für die Agora Energiewende zeigt zudem, dass Verzögerungen beim Netzausbau verkraftbar sind und nicht einmal große Auswirkungen auf die Kosten des Stromsystems haben werden. Den Ergebnissen der Studie zufolge führt ein verzögerter Netzausbau zwar zu höheren Abregelungen und damit auch Kosten, diese werden aber durch vermiedene Investitionskosten in Netze bis 2023 in etwa aufgewogen. Die in der Studie angenommene Umsetzung der Energieleitungsausbaugesetz-Projekte bis 2023 in Kombination mit dem in ganz Deutschland verteilten Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen reichen aus, um größere Mengen an Abregelung zu vermeiden, während demgegenüber geringere Kosten für den Netzausbau anfallen.31

Zudem wird in Frage gestellt, ob die Netzausbauvorhaben, die in dem kurz vor der offiziellen Verabschiedung stehenden Bundesbedarfsplan vorgesehen sind, alle in vollem Umfang für die Energiewende erforderlich sind. Befürchtet wird vielmehr, dass ein überdimensioniertes Netz geplant wird, dem Annahmen zugrundeliegen, die hinsichtlich der Entwicklung des Kraftwerksparks sogar von dem Neubau von Braunkohlekraftwerken ausgehen. Mögliche technische Alternativen wie Engpassmanagement, Variationen in der Höchstlast, Abregelungen von Erneuerbaren seien nicht einbezogen worden, der Netzausbaubedarf erscheine mithin größer als er sei.32

Insgesamt gibt es also noch Flexibilitäts- und Anpassungsreserven der bestehenden Infrastrukturen – die Verzögerung des zweifelsohne notwendigen Netzausbaus eignet sich nicht dazu, eine Verlangsamung des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu rechtfertigen.

Fazit

Die Energiewende befindet sich zurzeit in einer kritischen Übergangsphase. Der Abbau unflexibler fossil-nuklearer Überkapazitäten hält nicht mit dem Wachstum der erneuerbaren Energien Schritt. Der resultierende Preisverfall auf dem Strommarkt gefährdet die Rentabilität von flexiblen Kraftwerken. Paradoxerweise erhöht er die fälschlicherweise als Indikator für die Kosten der Energiewende herangezogene Umlage für die Förderung der erneuerbaren Energien. Zudem tragen unflexible Überkapazitäten zur Netzüberlastung bei. Vorschläge zur Verlangsamung des Ausbaus der erneuerbaren Energien führen damit am eigentlichen Problem vorbei.

Der Fahrplan für den Ausbau der erneuerbaren Energien ist dann zu halten, wenn die Politik vor allem an diesem Problem ansetzt und nicht nur auf eine Reform des EEG fokussiert. Es besteht zwar durchaus auch Reformbedarf im EEG, um im Portfolio der erneuerbaren Energien die kostengünstigeren Leistungsträger zu stärken, aber kein grundsätzlicher kurzfristiger Revisionsbedarf der Förderung. Priorität sollte weiterhin der Netzausbau genießen.

Insgesamt muss die Flexibilisierung des noch dominanten fossil-nuklearen Energiesystems in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden. Oberste Priorität sollte hierbei ein angemessener CO2-Preis erhalten. Dies würde die Wettbewerbsfähigkeit CO2-armer und flexibler Gaskraftwerke gegenüber der Kohleverstromung stärken. Kurzfristige Flexibilisierungspotenziale bestehen auch auf der Nachfrageseite, insbesondere durch Maßnahmen zur Lastverschiebung oder durch ein kurzfristigeres Marktgeschehen.

Der eigentliche Konflikt betrifft nicht die genaue Instrumentenwahl, sondern die viel weitergehende Frage eines Strukturwandels hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung. Dieser Strukturwandel muss auch den Ausstieg aus der nuklear-fossilen Energieerzeugung beinhalten. Konkret: Eine Energiewende, die den Energieträger Kohle verschont, wird scheitern müssen. Der Umweltrat wird die hier vorgestellten Ideen in einer Stellungnahme zum Marktdesign für erneuerbare Energien im Herbst 2013 weiter konkretisieren.

Die verantwortlichen Autoren danken Dr. Patrick Matschoss, Miriam Dross, Dr. Christian Hey und Dr. Sibyl Steuwer für ihre Beiträge zu diesem Aufsatz.

  • 1 Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU): Wege zur 100% erneuerbaren Stromversorgung, Sondergutachten, Berlin 2011, S. 171 ff.
  • 2 Bundesverband der Deutschen Energiewirtschaft (BDEW): Erneuerbare Energien und das EEG: Zahlen, Fakten, Grafiken, Berlin 2013.
  • 3 M. Weber, C. Hey: Energiewende: Kosten wirklich zu hoch?, in: Wirtschaftsdienst, 92. Jg. (2012), H. 6, S. 360; M. Weber, C. Hey, M. Faulstich: Energiewende – A Pricey Challenge, CESifo DICE Report, 10. Jg. (2012), Nr. 3, S. 1-8; C. Loreck et al.: Kurzanalyse des Anstiegs der EEG-Umlage 2013, Öko-Institut, Berlin 2012.
  • 4 M. Weber, C. Hey, M. Faulstich, a.a.O; Statistisches Bundesamt: Preise, Daten zur Energiepreisentwicklung, Lange Reihen von Januar 2000 bis Februar 2013, Wiesbaden 2013.
  • 5 International Energy Agency (IEA): World Energy Outlook 2012, Paris 2012.
  • 6 W. Zittel et al.: Fossile und Nukleare Brennstoffe – die künftige Versorgungssituation, Energy Watch Group, Ludwig Boelkow Stiftung, Reiner-Lemoine-Stiftung, Neuss, Ottobrunn 2013; siehe auch: P. Gerbert et al.: Trendstudie 2030+, Kompetenzinitiative Energie des BDI, Berlin 2013, The Boston Consulting Group.
  • 7 K. Neuhoff et al.: Steigende EEG-Umlage: Unerwünsche Verteilungseffekte können vermindert werden, in: DIW Wochenbericht, Nr. 41, Berlin 2012, S. 3-12.
  • 8 P. Gerbert et al., a.a.O., S. 18.
  • 9 S. Nagl, S. Paulus, D. Lindenberger: Mögliche Entwicklung der Umlage zur Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz bis 2018 – Im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Energiewirtschaftliches Institut an der Universität zu Köln (EWI ), Köln 2012.
  • 10 Bundesministerium für Umwelt Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): Erneuerbare Energien in Zahlen, Nationale und internationale Entwicklung Berlin 2012, S. 45.
  • 11 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): Entwicklung der erneuerbaren Energien in Deutschland im Jahr 2012, Grafiken und Tabellen, Berlin 2013, S. 13.
  • 12 U. Nestle, L. Reuster: Ausweisung der EEG-Umlage: eine kritische Analyse, Argumente zur Bewertung der Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, Studien 11/12, Berlin 2012.
  • 13 A. Löschel et al.: Stellungnahme zum ersten Monitoring-Bericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2011, Berlin u.a.O. 2012, S. 50.
  • 14 U. Nestle, L. Reuster: a.a.O.; C. Loreck et al., a.a.O.; S. Küchler, B. Meyer: Was Strom wirklich kostet, Vergleich der staatlichen Förderungen und gesamtgesellschaftlichen Kosten konventioneller und erneuerbarer Energien, Langfassung, überarbeitet und aktualisierte Aufl., Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft, Studien 9/12, Berlin 2012; M. Weber, C. Hey, M. E. Faulstich, a.a.O.; H. Hermann et al.: Strompreisentwicklungen im Spannungsfeld von Energiewende, Energiemärkten und Industriepolitik der Energiewende-Kosten-Index, Öko-Institut, Kurzstudie, Berlin 2012.
  • 15 A. Löschel et al., a.a.O., S. 101.
  • 16 K. Neuhoff et al., a.a.O.
  • 17 Vgl. den Review in: Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, (Acatech): Die Energiewende finanzierbar gestalten. Effiziente Ordnungspolitik für das Energiesystem der Zukunft, Acatech Position, München 2012, S. 15 f.
  • 18 J. Nitsch at al.: Langfristszenarien und Strategien für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland bei Berücksichtigung der Entwicklung in Europa und global, DLR, Fraunhofer IWES, IFNE, Stuttgart 2012, S. 227 ff.
  • 19 J. Bertsch et al.: Trendstudie Strom 2022. Belastungstest für die Energiewende, Energiewirtschaftliches Institut an der Universtität zu Köln (EWI), Institut für Energiesysteme, Energieeffizienz und Energiewirtschaft (ie), Köln 2013, S. 8.
  • 20 P. Gerbert at al., a.a.O., S. 37.
  • 21 M. Gottstein, S. Skillings: Über Kapazitätsmärkte hinaus denken: Flexibilität als Kernelement, in: Agora Energiewende: Kapazitätsmarkt oder strategische Reserve: Was ist der nächste Schritt?, Berlin 2013, S. 15-26; M. Hogan, M. Gottstein: What Lies „Beyond Capacity Markets“?, The regulatory assistance project, Berlin 2012, www.raponline.org (8.5.2013).
  • 22 Bundesnetzagentur: Kraftwerksliste Bundesnetzagentur, Bonn 2013, Stand: 27.3.2013; AG Energiebilanzen: Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2012 nach Energieträgern, 2013, Stand: 14.2.2013.
  • 23 J. Flauger: Energiewende absurd, in: Handelsblatt vom 30.11.2012, S. 24.
  • 24 P. Cramton, A. Ockenfels: Ökonomik und Design von Kapazitätsmärkten im Stromsektor, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 61. Jg. (2011), H. 9, S. 14-15; Consentec: Praktikabel umsetzbare Ausgestaltung einer Strategischen Reserve, Gutachten im Auftrag des BDEW, Aachen 2012; U. Leprich et al.: Kompassstudie Marktdesign, IZES gGmbH, Saarbrücken 2012; F. Matthes et al.: Fokussierte Kapazitätsmärkte. Ein neues Marktdesign für den Übergang zu einem neuen Energiesystem, Studie für die Umweltstiftung WWF Deutschland, Öko-Institut, LBD-Beratungsgesellschaft, Raue LLP, Berlin 2012; M. Nicolosi: Notwendigkeit von Kapazitätsmechanismen, Endbericht, beauftragt durch BDEW, Ecofys, Berlin 2012; O. Tietjen: Kapazitätsmärkte. Hintergründe und Varianten mit Fokus auf einen emissionsarmen deutschen Strommarkt, Germanwatch, Bonn 2012; Agora Energiewende, a.a.O.
  • 25 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU): Bericht der AG 3 Interaktion an den Steuerungskreis der Plattform Erneuerbare Energien, die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder, Berlin 2012, Stand 15.10.2012; N. Krzikalla, S. Achner, S. Brühl: Möglichkeiten zum Ausgleich fluktuierender Einspeisungen aus Erneuerbaren Energien, Studie im Auftrag des Bundesverbandes Erneuerbare Energien, BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH, Aachen 2013.
  • 26 J. Winkler, M. Altmann: Market Designs for a Completely Renewable Power Sector, in: Zeitschrift für Energiewirtschaft, 36. Jg. (2012), H. 2, S. 77-92.
  • 27 S. Egner, W. Krätschmer, M. Faulstich: Perspektiven der Energiewende, in: K. E. Lorber et al. (Hrsg.): Depotech 2012, Montanuniversität Leoben/Österreich 2012, S. 49-56; Agora Energiewende, a.a.O.; Bundesministerium für Umwelt (BMU): Bericht der AG 3 ..., a.a.O.; N. Krzikalla, S. Achner, S. Brühl, a.a.O.
  • 28 Wirtschaftsrat der CDU: Marktintegrationsmodell für erneuerbare Energien, Berlin 2013, S. 5, www.wirtschaftsrat.de (8.5.2013); Bundesverband der deutschen Industrie e.V. (BDI): Energiewende auf Kurs bringen, Handlungsempfehlungen an die Politik für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende, Berlin 2013, S. 15, www.bdi.eu (8.5.2013); Verband kommunaler Unternehmen (VKU): Ein zukunftsfähiges Energiemarktdesign für Deutschland, Kurzfassung, Berlin 2013, S. 12, http://www.vku.de (8.5.2013).
  • 29 Deutsche Energie-Agentur (dena): Trendstudie Strom 2022, Metastudienanalyse und Handlungsempfehlungen, im Auftrag des Bundesverbands der deutschen Industrie, Berlin 2013, S. 76.
  • 30 A. Schröder et al.: In Ruhe planen: Netzausbau in Deutschland und Europa auf dem Prüfstand, DIW Wochenbericht, Nr. 20, 2012, S. 3.
  • 31 Agora Energiewende, Consentec, Fraunhofer IWES: Kostenoptimaler Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland, Zusammenfassung der Zwischenergebnisse einer Studie der Consentec GmbH in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IWES, Berlin 2013, S. 9-10.
  • 32 C. Calliess, M. Dross: Neue Netze braucht das Land: Zur Neukonzeption von Energiewirtschaftsgesetz und Netzausbaubeschleunigungsgesetz (NABEG), in: Juristen Zeitung, 2012, S. 1010 m.w.N.

Das Leitsystem erneuerbare Energien: Den Markt fordern statt Interessengruppen fördern

Die „Energiewende“ ist eine Generationenaufgabe. Der Begriff „Energiewende“ bedeutet dabei nichts anderes als die Transformation des heutigen Energiesystems hin zu einem „Leitsystem erneuerbare Energien“, in dem erneuerbare Energieträger die Hauptlast der Versorgung übernehmen und fossile Energieträger langfristig höchstens unterstützend eingesetzt werden. Diese Systemtransformation ist nicht kostenlos. Betrachtet man jedoch das Wohl der zukünftigen Generationen, ist sie unverzichtbar, denn langfristig ist es teurer, die Systemtransformation nicht durchzuführen. Dies begründet sich durch die Überlegung, dass im Zeitverlauf die Preise der fossilen Energieträger, auch trotz der Bedeutung unkonventionellen Erdgases, deutlich steigen werden. Auch die Kosten der CO2-Emissionen werden ansteigen. Weiterhin darf nicht vergessen werden, dass der gegenwärtige deutsche Kraftwerkspark im Durchschnitt überaltert ist und in jedem Fall zu hohen Kosten erneuert werden müsste. Parallel sinken die Kosten der erneuerbaren Energien, weshalb im Zeitverlauf ein Leitsystem erneuerbare Energien kostengünstiger als die Fortführung des bestehenden Systems ist.

Allerdings dürfen die Kosten der Systemtransformation nicht zu hoch werden, um die gesellschaftliche Akzeptanz zu gewährleisten. Fraglich ist jedoch, wie hoch die Kostendifferenz sein darf, die die Gesellschaft akzeptiert und wann der Schnittpunkt der Kosten zwischen einem „weiter wie bisher“ und der Systemtransformation erreicht ist. Grundsätzlich ist jedoch eindeutig, dass die Ziele der Systemtransformation mit den geringst möglichen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht werden sollten.

Die gegenwärtige Diskussion zu den Kosten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und dem aktuellen Stand der Systemtransformation spiegelt zwei Punkte wider: Erstens rücken die Kosten der Systemtransformation immer mehr in den Fokus. Zweitens wird lediglich das Wie, aber nicht das Ob diskutiert. Es besteht demnach Konsens, dass von der grundsätzlichen Entscheidung zur Systemtransformation nicht abgerückt wird. Kein Konsens besteht jedoch über die Umsetzungsschritte und die Gewichtung der verschiedenen Handlungsfelder. Auf der einen Seite existieren energiepolitische Ziele sowohl für die mittlere als auch lange Frist, auf der anderen Seite fehlen derzeit klare Leitlinien, wie diese zu erreichen sind. Insbesondere mangelt es an einer Abstimmung der Ziele sowie der notwendigen Prozesse und vor allem auch des Zielmodells für ein langfristig tragfähiges Marktdesign, mit dem diese Ziele umgesetzt werden können.

Dabei muss die Weiterentwicklung des Ordnungsrahmens schrittweise erfolgen. Schnelle politische Richtungswechsel führen zu Marktverwerfungen und unnötigen Risikoaufschlägen, die letztlich das Erreichen der Zielsetzungen verzögern oder verteuern. Der Energieversorger MVV Energie befürwortet deshalb eine evolutorische Weiterentwicklung des bestehenden Strommarktes, Evolution statt Revolution.

Obwohl die Systemtransformation eine vielschichtige Aufgabe mit vielen Zielen ist und daher viele Bereiche umfasst, konzentriert sich dieser Beitrag auf die Reform der Förderung der erneuerbaren Energien, weil hier sowohl kurz- als auch mittelfristig der größte Handlungsbedarf besteht.

Erfolge und Defizite des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland

Das EEG ist eine Erfolgsgeschichte. Durch die garantierten Einspeisevergütungen ist der Ausbau der erneuerbaren Energien schnell vorangekommen und hat die gesetzten Ziele deutlich übertroffen. Mittlerweile bedarf das EEG jedoch einer Reform, denn der Anteil der erneuerbaren Energien hat eine Höhe erreicht, in der es nicht mehr nur um die Markteinführung von EE-Anlagen geht. Vielmehr geht es nun einerseits um die tatsächliche Integration in die Energiemärkte, um letztlich die fossilen und nuklearen Energieträger zu ersetzten. Hierfür ist das EEG in seiner bisherigen Form nicht geeignet, da es keine ausreichenden Marktsignale aussendet. Andererseits muss beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren die Kosteneffizienz stärker in den Vordergrund rücken. Das EEG hat zu einer massiven Kostenreduktion bei vielen Technologien geführt, jedoch auch durch den zum Teil unerwartet hohen Zubau bestimmter Technologien erhebliche Kosten verursacht. Um langfristig die Akzeptanz für die Systemtransformation zu behalten, ist es notwendig, die gesetzten Ziele mit den geringst möglichen Kosten zu erreichen. Dies kann langfristig nur durch ein wettbewerblich organisiertes Umfeld erreicht werden. Hierzu ist ein Marktdesign notwendig, das durch entsprechende Anreize einerseits die volkswirtschaftlichen Kosten minimiert und andererseits alle für die Systemtransformation notwendigen Prozesse synchronisiert. Dazu zählen nicht nur der Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern auch der Netzausbau, die Energieeffizienz, die Minderung der CO2-Emissionen sowie die weiteren Handlungsfelder, die sich aus den energiepolitischen Zielen ergeben.

Ein neues Marktdesign für erneuerbare Energien

Bei der aktuellen Diskussion zur Reform des EEG ist zwischen kurz- und langfristigen Maßnahmen zu unterscheiden. In der kurzen Frist liegt das Hauptaugenmerk auf der Stabilisierung der EEG-Umlage. Abzugrenzen davon ist die schrittweise Entwicklung eines langfristig tragfähigen Marktdesigns als wettbewerbliches Anreizsystem für erneuerbare Energien, dass auch die konventionellen Kapazitäten einschließt und damit letztlich ein umfassendes Marktdesign für den gesamten Strommarkt bedeutet. Dabei ist zu beachten, dass auf absehbare Zeit die erneuerbaren Energien – in der langen Frist auch die konventionellen Kraftwerke – ihre Vollkosten am Energy-Only-Markt möglicherweise nicht decken können.

Kurzfristige Reform des EEG

Da ein Großteil der EEG-Umlage aus Zahlungsverpflichtungen rührt, die gegenüber existierenden Anlagen bestehen, ist eine tatsächliche Absenkung der EEG-Umlage – jedenfalls im kurzfristigen Zeithorizont – schwer zu realisieren. Eine nachträgliche Kürzung der Einspeisevergütungen ist hinsichtlich der Investitionssicherheit für zukünftige Investitionen extrem kritisch zu beurteilen. Vertrauensschutz ist ein hohes Gut, das bei einem so tiefgreifenden und langfristigen Projekt wie der Systemtransformation essenzielle Bedeutung hat. Eine nachträgliche Kürzung würde zudem sehr grundsätzliche rechtliche Fragen aufwerfen. Hauptansatzpunkt dürfte daher in der Begrenzung weiterer Anstiege liegen. Weiterhin ist zu beachten, dass der Beitrag neuer EE-Anlagen zur Steigerung der EEG-Umlage weniger ausschlaggebend ist als der derzeit sehr niedrige Großhandelspreis für Strom, der unter anderem aus den extrem niedrigen CO2-Preisen herrührt.

Mögliche Ansatzpunkte zur Begrenzung der Kosten bieten sich trotzdem in vielen Bereichen, beispielsweise durch eine stärkere Synchronisierung von Netz- und EE-Ausbau: Erhöht man die Anreize zum Ausbau von Binnenlandstandorten für die gewünschte regionale Diversifizierung der Windenergie, führt dies zur Verringerung des Stromtransportbedarfs. Die Abschaffung einer Entschädigung bei der Abregelung von neuen EE-Anlagen würde ebenfalls den Kostenanstieg begrenzen und zudem wichtige Steuerungssignale senden: Bei der Standortwahl für neue Anlagen würde zunehmend die Netzsituation berücksichtigt werden, der Zubau in derzeit bereits stark erschlossenen Gebieten würde zurückgehen. Als ein weiteres Element wäre zu prüfen, ob die Einführung von „atmenden Deckeln“ ähnlich der Regelung, die für Photovoltaik getroffen wurde, auch für andere EE-Technologien sinnvoll wären. Grundsätzlich bieten atmende Deckel den Vorteil, die Fördersätze schneller an Kostensenkungen bei einzelnen Technologien anpassen zu können, bei gleichzeitig hoher Investitionssicherheit durch die Berechenbarkeit der Degressionsschritte. Die Überprüfung der Ausnahmen von der EEG-Umlagepflicht, dies auch unter Einbeziehung des Eigenverbrauchs, um der Entsolidarisierung bei der Kostenverteilung entgegenzuwirken, sollte ebenso kurzfristig umgesetzt werden und kann somit ein Schritt zur kurzfristigen Senkung der EEG-Umlage sein.

Die Einführung einer verpflichtenden Direktvermarktung für Neuanlagen würde die Markt- und Systemintegration fördern, da ein Wettbewerb um Vermarktungsprozesse ausgelöst und damit ein Beitrag zur Kostenbegrenzung geleistet wird. Gleichzeitig werden im System der gleitenden Marktprämie Anlagenbetreiber angehalten, auf Marktpreissignale zu reagieren, sodass deutlich negative Preise vermieden werden.

Direktvermarktung ist jedoch auch für die Bestandsanlagen ein Thema. Im Sinne des Vertrauensschutzes sollte für diese weiterhin die Wahlmöglichkeit zwischen Direktvermarktung und garantierter Vergütung erhalten bleiben. Allerdings ist es denkbar, langfristig die Rückkehr in die garantierte Vergütung einzuschränken. Auch die Managementprämie kann im Rahmen einer permanenten Prüfung entsprechend der Erfordernisse gesenkt werden.

Wettbewerbliche Auktionen als langfristiges Zielmodell

In der langen Frist muss es das Ziel sein, den Ausbau der erneuerbaren Energien durch eine wettbewerbliche Gestaltung möglichst kosteneffizient zu erreichen. Dabei bestehen drei wesentliche Herausforderungen: Erstens muss ein Übergang des Markt- und Absatzrisikos auf die erneuerbaren Energien erfolgen. Im gegenwärtigen EEG tragen diese Risiken letztlich die Stromkunden. Zweitens muss es einen Wettbewerb um die Finanzierung neuer Anlagen geben und drittens sollte eine kosteneffiziente Koordinierung zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien und den Netzen stattfinden. Hierfür bieten sich insbesondere Ausschreibungsverfahren an.

Mit der Erweiterung des Großhandelsmarkts für Strom um das Instrument der Auktion wird ein kosteneffizienter zweiter Zahlungsstrom generiert, der eine Deckung der Vollkosten von erneuerbaren Energien im Wettbewerb ermöglicht. Den Zuschlag in der Auktion vorausgesetzt, müsste der Betreiber der Anlage diese innerhalb einer bestimmten Frist in Betrieb nehmen, um Missbrauch auszuschließen. Die Vermarktung des Stroms würde dabei weiterhin direkt über den Großhandelsmarkt erfolgen, der einen effizienten Einsatz von Erzeugungsanlagen sicherstellt. Ein Auktionsmodell hätte viele Vorteile: Neben der Kosteneffizienz durch Wettbewerb bleibt eine vergleichsweise hohe Investitionssicherheit für Anlagenbetreiber erhalten, da die im Wettbewerb ermittelte Vergütung über einen längeren Zeitraum festgeschrieben wird. Gleichzeitig bleibt der Ausbau der erneuerbaren Energien steuerbar bei geringer Pfadabhängigkeit. Außerdem werden Effizienzvorteile realisiert, da die Chancen und Risiken vom Stromkunden auf die Anlagenbetreiber übergehen. Dieses Zielmodell hat zudem den Vorteil, dass es schrittweise aus dem bestehenden EEG heraus entwickelt werden kann. Dafür müsste zunächst – wie oben dargestellt – die Direktvermarktung verpflichtend für Neuanlagen eingeführt werden. Weiterhin würde dann die Marktprämie zunächst gleitend und ex post festgelegt, dann aber der ex ante bestimmte Teil sukzessive erhöht, bis schließlich langfristig das gesamte Marktrisiko von den Investoren getragen wird. Durch dieses „Hereinwachsen“ haben alle Marktakteure Zeit, sich auf die neuen Spielregeln einzustellen. Im Sinne eines „lernenden Systems“ können Praxiserfahrungen integriert und Fehlentwicklungen korrigiert werden, was bei einem plötzlich wechselnden Marktdesign nicht möglich wäre.

Eine wichtige Frage bei der Reform des EEG ist, ob die Förderung nach Technologie differenziert werden soll oder nicht. Hier ist festzuhalten, dass im Sinne einer sicheren Energieversorgung ein diversifizierter Energiemix anzustreben ist. Da die verschiedenen erneuerbaren Energien unterschiedliche Eigenschaften haben und sich somit ergänzen, ist eine technologiedifferenzierte Förderung notwendig. Mit dem hier zur Diskussion gestellten Zielmodell einer zweiten Finanzierungsquelle über Auktionen wäre dies problemlos umsetzbar. Denn Auktionen könnten technologiespezifisch und auch regional differenziert ausgestaltet werden. Allerdings sollte auch dies nach dem Grundsatz der Kosteneffizienz erfolgen. Insbesondere bei der Windenergie sind noch große Effizienzpotenziale erschließbar. Während Wind onshore technologieerprobt und kostengünstig ist und viele Standorte noch nicht erschlossen sind, ist die Stromerzeugung offshore mit deutlich höheren Kosten behaftet. Insofern besteht ein erhebliches Kostensenkungspotenzial, wenn beim weiteren Windenergieausbau der Onshore-Technologie insbesondere auch an weniger windhöffigen Standorten (z.B. Süddeutschland) der Vorzug gegeben wird.

Neues Marktdesign auch für die fossile Erzeugung?

Da die erneuerbaren Energien bedeutsame Auswirkungen auf den bestehenden Strommarkt haben, besteht die Herausforderung nicht nur aus einer adäquaten Reform des EEG, sondern in der Entwicklung eines umfassenden Strommarktdesigns, das auch die konventionellen Erzeugungskapazitäten und Abschaltlasten einschließt.

So ist fraglich, inwieweit der bestehende Großhandelsmarkt mittel- bis langfristig noch ausreichende Anreize in den Betrieb und für Investitionen in neue Kraftwerkskapazitäten setzt. Beim derzeitigen Preisniveau und in Anbetracht der rückläufigen Auslastung der Kraftwerke wird es für die Betreiber von konventionellen Erzeugungsanlagen zunehmend schwieriger ihre Vollkosten zu decken. Der zügige Ausbau volatiler erneuerbarer Energien verstärkt diese Problematik, da die Backup-Kapazitäten für die Absicherung der Stromversorgung nur für wenige Stunden im Jahr benötigt werden.

Unter der Annahme, dass langfristig sowohl die erneuerbaren als auch die fossilen Energien ihre Vollkosten am Energy-Only-Markt nicht decken können, ist ein Marktdesign notwendig, dass die Energieversorgung in ihrer Gesamtheit sicherstellt. Eine Lösung könnte in der Ergänzung des Energy-Only-Marktes um einen Kapazitätsmarkt für gesicherte Leistung bestehen. Hierbei würden Erzeuger mit ihren Anlagen in einen Wettbewerb um die Finanzierung ihrer fixen Leistungskosten treten. Dabei würden die im Wettbewerb stehenden Erzeuger genau ihre Deckungslücke, d.h. die Differenz zwischen Vollkosten und Erlösen aus dem Großhandelsmarkt, bieten.

Zu diskutieren ist, inwieweit ein solcher Markt dezentral oder zentral ausgestaltet werden kann. In einem dezentralen Leistungsmarkt prognostizieren die verpflichteten Vertriebe selber ihren Bedarf an gesicherter Leistung und fragen diese bilateral oder über einen zentralen Marktplatz bei den Erzeugern in Form kurzfristiger Terminkontrakte von ein bis zwei Jahren Vorlaufzeit nach. Hierbei bestehen wesentliche Herausforderungen: Erstens kann es bei einer dezentralen Aggregation der Leistungsbedarfe der Vertriebe zu einer Überschätzung des tatsächlichen Leistungsbedarfs kommen, wenn Portfolio- bzw. Durchmischungseffekte nicht adäquat berücksichtigt werden. Eine Annäherung an den tatsächlich notwendigen Kapazitätsbedarf könnte dadurch erreicht werden, indem die Vertriebe verpflichtet würden, ihren Anteil an der Jahreshöchstlast abzusichern. Zweitens besteht die Herausforderung der im Wettbewerb stehenden Vertriebe vorrangig im Wissensaufbau hinsichtlich der Prognose des durch das eigene Portfolio bedingten Kapazitätsbedarfs und dessen Bepreisung. Drittens kann durch das nur kurzfristig angelegte Beschaffungsverhalten der Vertriebe nicht sichergestellt werden, dass hinreichend und rechtzeitig Anreize in neue Erzeugungskapazitäten geschaffen werden. Schweinezyklen bis hin zum Black out könnten die Folge sein.

Um die Versorgungssicherheit über einen solchen dezentralen und wettbewerblichen Leistungsmarkt dennoch sicherzustellen, werden in Theorie und Praxis zusätzliche Instrumente diskutiert. Die Schaffung eines separaten Kapazitätsmechanismus zur langfristigen Finanzierung von Neuanlagen und einer „Notreserve“, bestehend aus Reservekraftwerken, stellen jedoch zentrale Elemente dar und sind ihrerseits wiederum mit Risiken und Ineffizienzen behaftet. Hierbei wäre dann abzuwägen, worin in einem modifizierten dezentralen Ansatz wesentliche Vorteile gegenüber einem umfassenden zentralen Kapazitätsmarkt bestehen. Auch wenn ein dezentraler Leistungsmarkt in der Praxis nicht ohne ergänzende zentrale Instrumente auskommen sollte, bestehen in einem solchen grundsätzlich wettbewerblich angelegten Ansatz Chancen zur Realisierung von Produkt- und Prozessinnovationen und damit auch zur Realisierung von angebots- und nachfrageseitigen Effizienzpotenzialen.

Bei einem zentralen Kapazitätsmarkt bestimmt eine Behörde den volkswirtschaftlich gewünschten Kapazitätsbedarf. Dieser wird dann im Rahmen einer wettbewerblichen Auktion zwischen den Erzeugern ausgeschrieben. Da die Verantwortung für die Bereitstellung ausreichender Erzeugungskapazitäten vorrangig beim Staat und nicht bei den Vertrieben liegt, neigen Strommärkte mit umfassenden Kapazitätsmärkten tendenziell zu Überkapazitäten und zu Überregulierung. Die Versorgungssicherheit kann hierdurch unter Inkaufnahme einer volkswirtschaftlich erwünschten Überversorgung sichergestellt werden. Natürlich sind auch in diesem Ansatz die Flexibilisierungspotenziale auf der Nachfrageseite (Demand Side Management) zu berücksichtigen. Weiterhin können die Vertriebe und Händler an einem zentralen Kapazitätsmarkt durch die Vermarktung von Eigenerzeugung, Drittkapazitäten und Abschaltlasten partizipieren.

Ein umfassender und möglichst wettbewerblicher Ansatz für einen Markt für gesicherte Leistung – unter der Prämisse der Gewährleistung der jederzeitigen Versorgungssicherheit – ist dabei volkswirtschaftlich wie auch aus Sicht der Marktteilnehmer wünschenswert. Nur im Wettbewerb lassen sich angebots- und nachfrageseitige Lösungen effizient realisieren. Hierzu gehört dann auch, dass alle Optionen, die gesicherte Leistung gleichwertig bereitstellen auch gleichberechtigt an einem solchen Kapazitätsmarkt teilnehmen können und nicht aus anderen (klima- und ordnungs-)politischen Erwägungen diskriminiert werden.

Zur Notwendigkeit und konkreten Ausgestaltung von Kapazitätsmechanismen bedarf es in den nächsten Monaten noch einer umfassenden Diskussion. Zahlreiche Fragen, insbesondere zur Vorteilhaftigkeit der verschiedenen Ansätze und deren konkrete Wirkungsweise sind noch offen und müssen weiter untersucht werden. Klar ist, dass die Detail­ausgestaltung für das Funktionieren und die Effizienz der Märkte essenziell ist. Da bis etwa 2020 von keinem akuten Handlungsbedarf ausgegangen werden kann, sollte bei einem solch tiefgreifenden Markteingriff die Devise „Sorgfältigkeit vor Geschwindigkeit“ gelten.

Der Übergang in ein erweitertes und wettbewerbliches Marktdesign müsste – in Übereinstimmung mit der Marktentwicklung – schrittweise erfolgen. Für einen Übergangszeitraum sollte – quasi als Versicherungslösung – auf das Instrument der strategischen Reserve zurückgegriffen werden, um die Stromversorgung auch in extremen Belastungssituationen sicherzustellen. Dies kann ohne Eingriffe in das bestehende Marktdesign und wettbewerblich und transparent umgesetzt werden und ein kosteneffizienter Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung sein.

Fazit

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass es keine Alternative zur Systemtransformation zum Leitsystem erneuerbare Energien gibt. Auch kann zum jetzigen Zeitpunkt geschlussfolgert werden, dass diese Systemtransformation auf gutem Wege ist, auch wenn aktuell einige Verzögerungen und Hindernisse existieren. Der Ausbau der erneuerbaren Energien übertrifft derzeit die Ziele der Bundesregierung. Allerdings werden die Bürger 2013 voraussichtlich 20 Mrd. Euro an EEG-Umlage zahlen müssen. Beim weiteren Umbau der Energieversorgung muss deshalb die Kosteneffizienz einen hohen Stellenwert erhalten. Gleichzeitig ist darauf zu achten, nicht durch abrupte politische Richtungswechsel Marktverwerfungen zu provozieren.

In der Diskussion um die sachgerechte Weiterentwicklung des Strommarktdesigns erscheinen folgende Punkte wesentlich:

  • Zur Transformation des Strommarktes hin zu einem Leitsystem erneuerbare Energien gibt es keine Alternative.
  • Das derzeitige Strommarktmodell ist unter gleichzeitiger Wahrung des Bestands- und Vertrauensschutzes schrittweise weiterzuentwickeln.
  • Bei der Reform des EEG ist zwischen kurz- und langfristigen Maßnahmen zu unterscheiden.
  • Kurzfristig sollte das Hauptaugenmerk auf der Senkung bzw. Begrenzung des Anstiegs der EEG-Umlage liegen. Maßnahmen hierfür sind beispielsweise die verpflichtende Direktvermarktung von Neuanlagen unter Beibehaltung des Marktprämienmodells, Abschaffung der Entschädigungen bei Abregelungen von Neuanlagen, Überprüfung der Ausnahmeregelungen und Befreiungen von der EEG-Umlage, für eine fairere Lastenverteilung.
  • In der langen Frist ist ein wettbewerbliches Auktionsmodell, das in diesem Beitrag vorgeschlagen wurde, diskussionswürdig. Bei einem solchen Modell würden sich die EE-Anlagen marktlich einerseits durch eine ausgeschriebene Grundvergütung und andererseits durch den Energy-Only-Markt finanzieren.
  • In diesem zukünftigem Zielmodell sind jedoch auch die konventionellen Kraftwerke zu integrieren. Zunächst ist zu prüfen, ob ein Kapazitätsmarkt mittel- bis langfristig als Ergänzung zum Energy-Only-Markt erforderlich ist. Sollte dies der Fall sein, so ist ein umfassender und möglichst wettbewerblicher Ansatz für einen Kapazitätsmarkt unter der Prämisse der Gewährleistung der jederzeitigen Versorgungssicherheit zu verfolgen.
  • Als Übergangslösung für die kurze Frist sollte das Instrument der strategischen Reserve als eine „No-Re­gret-Maßnahme“ berücksichtigt werden.

Der Ansatzpunkt für die Systemtransformation im Allgemeinen und die Entwicklung eines langfristig tragfähigen Marktdesigns im Speziellen kann kein Abarbeiten eines starren Fahrplanes, sondern muss eine fortlaufende volkswirtschaftliche Optimierung des Transformationsprozesses sein. Dazu zählt hauptsächlich die Abstimmung aller für die Systemtransformation notwendigen Prozesse. Auch sollte es zu keinen Schnellschüssen kommen, sondern in einer breiten gesellschaftlichen Diskussion der weitere Weg festgelegt werden. Vor dem Hintergrund der hohen Unsicherheit sollte daher ein robustes Marktdesign mit einer hinreichenden Fehlertoleranz angestrebt werden, um gegebenenfalls Maßnahmen revidieren zu können. Die Systemtransformation ist ein tiefgreifender und vielschichtiger Prozess, der nicht als linearer Prozess, sondern als eine sich stetig wandelnde und auf die veränderten Umfeldbedingungen reagierende Generationenaufgabe begriffen werden muss.

Der prekäre Stand der Gewährleistung sicherer Stromversorgung während der Energiewende

Wer auf die eingangs gestellte Frage eine Antwort sucht, muss fragen (a) Was ist „die Energiewende“? und (b) Was war „der Fahrplan“? – und letztlich selbst die Antworten geben:

Die Bundesregierung hat (im Strombereich) kein „Wende-Konzept“ (gehabt). Eine Wende ist etwas Symmetrisches, wo es zu einem Heraus ein Hinein gibt – die Bundesregierung aber besaß bzw. vertrat im Frühsommer 2011 allein ein „Ausstiegs-Konzept“. Vor Fukushima, im September 2010, hatte die Bundesregierung die von ihr veranlasste Verlängerung der eingeräumten maximalen Produktionsmenge für Kernkraftwerke mit dem Argument begründet: Das Zeitalter der erneuerbaren Energien solle „so schnell wie möglich erreicht“ werden; dies sei Konsens. Doch das sei nicht so schnell möglich, wie von der Vorgängerregierung unterstellt, wenn auch die Klimaziele erreicht werden sollen. Zum Ausgleich sei für eine Übergangszeit, als Brücke somit, die Kernkraft als klimaneutrale Erzeugungsart noch erforderlich. Nach Fukushima, kein halbes Jahr später, wurde beschlossen, diese Brücke einzureißen – und die Bundesregierung wollte dafür keinen Ersatz aus der einzig verbliebenen klimaneutralen Erzeugungsoption, den Erneuerbaren, schaffen. Sie blieb im Kabinettsbeschluss vom 6. Juni 2011 bei ihrem Ziel „35% bis 2020“ von September 2010. Das Maß der Ambition der Bundesregierung – relativ zu 2011, wo 20,5% erreicht wurden – ist ein Zuwachs bis 2020 um lediglich noch knapp 15 Prozentpunkte.

Auf der Seite des Hinein (in ambitioniertere Erneuerbaren-Aufwuchsziele) stand eine Ergänzung aus, um zu einem Wendekonzept zu kommen. Die haben die Bundesländer im Mai 2011 gebracht. Es war der Bundestag, der dies in einer Art Formelkompromiss bei seiner Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Sommer 2011 übernommen hat.1 Damit hat er es auch für die verstockte Bundesregierung verbindlich gemacht.2 Öffentlich geworden sind die Länderziele im Rahmen des geplanten Ausbaus des Übertragungsnetzes. Die aufsummierten, also nicht unter den Ländern abgestimmten, Erneuerbaren-Aufwuchsziele lauten:

  • 2022: mehr als 55%. Das ist relativ zu 2011 ein Zuwachs um mehr als 35 Prozentpunkte und damit mehr als doppelt so ambitioniert wie die Bundesregierung es wollte.
  • 2032: >75%. Das ist relativ zu 2022 ein Zuwachs um ca. 20 Prozentpunkte, d.h. eine Abflachung in der Ambition.

Dieser Zwiespalt, so das paradoxe Ergebnis, stellt das Konzept und den Fahrplan der Energiewende (im Strombereich) dar – nicht etwas Eindeutiges, wie man erwarten würde. Fragt man, ob dieser Fahrplan „noch einzuhalten sei“, so lautet die Antwort: Das Problem mit der Energiewende ist nicht eine Verzögerung gegenüber dem Geplanten als vielmehr umgekehrt: Problem ist eine überschießende Dynamik, die über die Intentionen der Bundesregierung weit hinausgeht – vermutlich aber auch über das vernünftige Maß.

Wenn es eines Tages ein ausgearbeitetes Konzept der Energiewende geben wird, so besteht es aus drei miteinander abgestimmten Paketen:

  • dem Masterplan, der die Menge an Erneuerbaren-Erzeugungsanlagen angibt, die zuwachsen soll, und das regionalisiert und auf der Zeitachse bestimmt;
  • dem (reformierten) „EEG 2.0“, das, als Teil eines reformierten Strommarktdesigns, die Anreize für Investoren so setzt, dass auch zu erwarten ist, dass der Aufwuchs von Erneuerbaren- sowie der erforderlichen Ausgleichs-Kapazitäten gemäß den Angaben des Masterplans erfolgt;
  • dem Konzept des Netzausbaus, das auf das Mengengerüst des Masterplans bezogen ist und dafür sorgt, dass der Strom, der aus Erneuerbaren-Kraftwerken kommen soll, zu den Verbrauchern gelangen und also genutzt werden kann.

Von diesen drei Paketen des Konzepts „Energiewende“ werden noch zwei von den Bundesländern beraten – moderiert vom Chef des Bundeskanzleramts. Allein der Netzplan steht zur Verabschiedung im Bundestag an – der Bundesrat hat bereits grünes Licht gegeben. Bei der Anhörung von Sachverständigen3 hat es zum Thema „Sicherheit der Stromversorgung“ keinerlei Einwendungen gegeben. Dabei liegen Gründe für Einwendungen gleichsam auf der Straße.

Der Entwurf des Netzausbaus, den die Übertragungsnetzbetreiber erarbeitet hatten, folgte dem Kriterium der Sicherheit der Stromversorgung gemäß den dafür relevanten gesetzlichen Vorgaben.4 Die Bundesnetzagentur hat den Übertragungsnetzbetreibern attestiert, dem entsprochen zu haben. Um dann deren Plan um etwa ein Drittel zu kürzen und ihn, so gekürzt, zur Bestätigung an die Bundesregierung und an den Gesetzgeber weiterzuleiten. Sicher kann aber nur eines der beiden Netzkonzepte sein. Es sei denn, man akzeptiert einen ambivalenten Sicherheitsbegriff.

Die Bestimmung des Sicherheitsniveaus eines Stromsystems wird bislang deterministisch vorgenommen, geleitet von dem klassischen (n-1)-Kriterium. Das Konzept selbst bedarf eines neuen Ansatzes, (a) in Form eines stochastischen Ansatzes und (b) in der Richtung, dass der enge Sicherheitsbegriff in Vorstellungen von Robustheit bis Vulnerabilität eingebettet wird. Dem würde entsprechen, wenn die Aspekte „kritischen Infrastrukturen“ und „cyber crime“ mit mehr bedacht würden als lediglich mit gesammeltem Schweigen – das auch angesichts von vier, bzw. nach dem Willen der Bundesnetzagentur sogar nur noch drei, HGÜ-Korridoren in Nord-Süd-Richtung.

Sicherheit im Status quo versus Sicherheitsmanagement in der Wende

Die Aufgabe, für die Sicherheit der Stromversorgung in Deutschland zu sorgen, ist rechtlich anscheinend klar delegiert. Sie wurde den vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland unter der Aufsicht der Bundesnetzagentur übertragen. Einschlägig sind die Vorgaben für die „Systemverantwortung“ (in § 13 EnWG) und für die „Sicherheit und Zuverlässigkeit“ (in Teil 6 EnWG). Die Regelungen in § 13 EnWG gelten allerdings nur in sehr kurzer Frist. Sie sind erst dann heranziehbar, wenn „die Sicherheit oder Zuverlässigkeit der Elektrizitätsversorgung ... gefährdet oder gestört ist.“ Das heißt, erst wenn das sprichwörtliche Kind schon drauf und dran ist, in den Brunnen zu fallen, ist es gestattet einzugreifen. Maßgaben vorsorgender Natur, also z.B. einen Deckel auf den Brunnenschacht zu legen, sind eher in Teil 6 mandatiert.

Nun geht es aber in der gegebenen historischen Stunde nicht mehr lediglich darum, die Sicherheit der Stromversorgung in ihrem Normalbetrieb zu gewährleisten. Die Energiewende im Strombereich ist radikal angelegt und pionierhaft zudem und verlangt deshalb mehr.

  • Radikal, weil sie auf ein vollständig aus erneuerbaren Quellen gespeistes System zuläuft. Und zudem unter den Kraftwerkstechnologien, die sich aus erneuerbaren Quellen speisen, die volatilen, nicht willkürlich einsetzbaren Techniken Photovoltaik und Windnutzung dominieren lässt. Deren Flatterhaftigkeit erfordert einen Ausgleich, denn Sicherheit der Stromversorgung heißt Stabilität der Frequenz im Netz, und das auch unter neuen Bedingungen, bei starken und kurzfristig vorgegebenen Schwankungen in der Erzeugung. Diese Balancierung, dieser Ausgleich ist angebotsseitig durch Residuallast-Kraftwerke, Speicherung und Abregelung sowie nachfrageseitig durch vielfältige Demand-Side-Management-Optionen (DSM-Optionen) herzustellen. Und beides in einer Schnelligkeit, die der des Wechsels der Wetterlagen entspricht.
  • Pionierhaft, weil sie darauf angelegt ist, erstmals in der Welt in einer Region ein Stromsystem zu realisieren, das allein aus erneuerbaren Quellen gespeist wird.

Sicherheitsrelevante Charakteristika genereller Art

Deutschland vollzieht den Übergang zu einem von volatilen Erneuerbaren dominierten Stromsystem, als ob es eine Insel wäre. Deutschlands Stromsystem ist in Wahrheit aber Mittelteil in einem überregionalen Verbundnetz; und deren Träger in der Nachbarschaft haben keine Pläne, die mit denen Deutschlands konform sind. Unter den gegebenen Umständen aber kann die inselartige Entwicklung nicht anders, als mit ihrer Umgebung in Wechselwirkung zu stehen.

Das kann netzseitig kritisch werden. Deutschlands Ansatz gleicht dem, dass ein Partner beim Paar-Trampolin-Springen in einem anderen Rhythmus springen möchte als sein Team-Kollege. In einem schwingenden Gesamtsystem ist das sicherheitsrelevant. Zwar gilt: Asynchrones Paar-Trampolin-Springen ist möglich – es ist nicht zum Scheitern verurteilt. Es erfordert aber eine höhere Professionalität als synchrones Springen.

Dominant unter den bislang entwickelten und konkurrenzfähig gewordenen Technologien, die sich aus erneuerbaren Quellen speisen, sind die Techniken der Photovoltaik und der Windnutzung. Sie weisen gegenüber den Stromerzeugungstechniken, die sie abzulösen angetreten sind, eine Besonderheit auf. Die Pointe ist: Dieser Wechsel in der Technologie der Erzeugungsanlagen tangiert zentral Netzeigenschaften.

Mit Photovoltaik und Windkraftanlagen wird gleichsam die elementarste Form von Kraft (englisch: power = Elektrizität) direkt abgegriffen und zeitgleich in ein Netz eingespeist – die Volatilität von Sonnenschein sowie Wind & Wetter wird mit Nutzung dieser Technologien direkt netzpräsent. Nun ist die Gewährleistung der Stabilität der Netzbedingungen definitorisch identisch mit der Sicherheit der Stromversorgung. Sie war schon immer und ist auch in Zukunft ein gemeinsames Gut. Alle Verbraucher hängen am Netz, und von seinem Funktionieren hängt der Bestand extrem hoher Werte ab, die sich bei ihnen befinden. Die Ineffizienz verlorener Stromsicherheit wird deutlich in Gebieten, wo beinahe jedes Unternehmen sich mit Notstromdieseln selbst schützt, also aus der Produktion gemeinsamer Sicherheit ausschert.

Mit der Energiewende wird die gemeinsame Sicherheit zu einem Gut von gesteigert prekärem Charakter. Die Bedingungen physikalisch-natürlicher Selbststabilität werden abgebaut. Bislang wird Strom weit überwiegend aus Dampfkraftwerken mit Generatoren erzeugt, die eine starke rotierende Masse darstellen. Da wird Wechselstrom mit etlichen komfortablen Nebeneigenschaften explizit produziert, darunter der, die Stabilität eines dynamischen Netzzustands tendenziell selbstregulierend zu halten. Nun geht es hin zu einem Stromsystem, das dominant aus dem lediglich abgeernteten, gleichsam nackten Strom aus Sonne und Wind gespeist wird. Die komfortablen sicherheitsunterstützenden Leistungen gehen verloren.

Wesentlich ist die entfallende Schwungmasse und damit die entfallende Primärregelung der Windkraftanlagen, deren Umrichtertechnik auf dem Vorhandensein eines stabilen Netzes (starres Netz) beruht und die eine Änderung der Netzfrequenz nicht in eine Leistungsabgabeänderung umsetzen. Das gilt für die Onshore-Anlagen und die kommenden Offshore-Anlagen (vor allem bei Gleichstromanbindung) in gleicher Weise. Es handelt sich bei diesem Strom lediglich um künstlich hergestellten Wechselstrom, der über einen Direktkontakt zu Schwungmassen nicht mehr verfügt – er ist von der Qualitätsstufe, die für Strom aus Dampfkraftwerken typisch war und bislang deswegen üblicherweise geliefert wurde, auf eine Qualitätsstufe degradiert worden, den Photovoltaikstrom von sich aus hat. Das bringt eine Einschränkung der natürlichen Netzstabilität und damit der Sicherheit mit sich.5

Die HGÜ-Form der Anbindung selbst ist, über die extreme räumliche Trennung von Erzeugung und Verbrauch hinaus, zusätzlich sicherheitsrelevant. HGÜ-Leitungen sind nicht mehr Teile eines Netzes im ursprünglichen, vertrauten, selbststabilisierenden Sinne. HGÜ-Leitungen sind kein Netzelement, sondern willkürlich einsetzbare, zwischengeschaltete Punkt-zu-Punkt-Verbindungen.

Sicherheitsrelevante Charakteristika kontingenter Art

Historisch kontingent ist, dass das Verteilnetz in Deutschland weitgehend noch in dem Stadium ist, in dem dessen natürliche Ausgleichs-Selbstregularität verlässlich ist. Es besteht keine Notwendigkeit, es zu steuern, und also gibt es auch keinen Grund, es mit Monitoring- und Diagnose-Tools so auszustatten, dass man wissen kann, was da jeweils wo passiert. Es handelt sich also (überwiegend) (noch) um keine Smart Grids. Smart sind zur Zeit lediglich die Übertragungsnetze, die die Übertragungsnetzbetreiber besitzen und beaufsichtigen. Mit dem Konzept der Energiewende verlagert sich nun die Stromerzeugung von Groß-Dampfkraftwerken, die in Übertragungsnetzbetreiber-Netze einspeisen, hin zu kleineren bis Kleinst-Erzeugungseinheiten, die nicht mehr in die Übertragungsnetze der Übertragungsnetzbetreiber einspeisen. Die Übertragungsnetzbetreiber sind aber für die Sicherheit verantwortlich und vermögen ihren Netzteil auch penibel zu überwachen. In den Verteilnetzen hingegen, in die zunehmend eingespeist wird, herrschen gegenwärtig hinsichtlich Steuerbarkeit noch gleichsam Blindflugbedingungen ohne Instrumentierung – und hinsichtlich des Eigentums eine kaum überschaubare Diversität. So ist es – noch.

Historisch kontingent und spezifisch für die besondere Form des Erneuerbaren-Ausbaus in Deutschland ist die Entscheidung, mit erheblichen Kapazitäten in die besonders aufwändige und herausfordernde Windkraft auf See zu gehen, und zwar konzentriert in die Nordsee, in den schmalen „Entenschnabel“, der Deutschlands Hoheitsgebiet dort ausmacht. Dort im Nordwesten Deutschlands, in extremer Randlage, deshalb in extremer räumlicher Konzentration, ist seit langem der Aufbau einer Kapazität in der Größenordnung von über 20 GW vorgesehen. Das entspricht der Kapazität des bis Anfang 2011 in Deutschland verfügbaren Kernkraftwerksparks. Einiges an Erzeugungskapazitäten wird bereits errichtet, die Infrastruktur befindet sich mit einer Auslegung, die für die gesamte vorgesehene Erzeugungskapazität reicht, bereits im Aufbau. Das ist nicht mehr rückgängig zu machen.

Die Entscheidung für diese extreme räumliche Form der (Nicht-)Verteilung der Windkraftanlagen auf Deutschlands Territorium ist weit entfernt vom Optimum, sie ist historisch zufällig. Aber sie ist gefällt. Ihre Kosten sind Sunk Cost – Lamentieren hilft nicht (mehr). Wesentlicher Grund für sie ist ein, stark parteipolitisch motivierter, deswegen lange Jahre ideologisch überhöhter Gegensatz zwischen Süd- und Nordländern. Die (traditionell mit Kernkraftwerken reichlich ausgestatteten und schwarz bzw. schwarz-gelb regierten) Südländer (Bayern; Baden-Württemberg) verharrten lange Jahre auf der Position, auf eigenem Territorium zwar mittels reicher Ausstattung mit Photovoltaik Sonnenenergie ernten zu wollen, sich der Windernte aber zu verweigern. Diese technologisch asymmetrische Positionierung ist inzwischen mit dem Abräumen der Kernenergie überwunden. Aufgrund dieser ursprünglichen Positionen war eine darauf bezogene Gestalt des für Deutschland konzipierten Übertragungsnetzes erforderlich, sie ist nicht mehr rückgängig zu machen – es sei denn, man wollte das gesamte Nordsee-Offshore-Abenteuer abblasen, und wäre bereit, Ruinen stehen zu lassen.

Charakteristisch für die Gestalt des konzipierten Übertragungsnetzes ist die erhebliche Erweiterung der Kapazitäten für den Stromferntransport in Nord-Süd-Richtung. Also haben die Übertragungsnetzbetreiber in der von ihnen verantworteten Netzplanung vier Trassen für „Stromautobahnen“ in Nord-Süd-Richtung vorgesehen. Hinzugekommen ist die Entscheidung der Bundesregierung, als Vorgabe für den Netzplan, sämtliche Stromautobahnen in der technologisch pionierhaften Form von Gleichstromverbindungen (HGÜ) auszuführen. Das sind, wie erwähnt, reine Punkt-zu-Punkt-Ferntransport-Verbindungen – bisherige Kernkraftwerks-Standorte sind Start- und Endpunkte. Aus der Sicht des Netzes im Süden, wo bei Neckarwestheim und Grafenrheinfeld beispielsweise Endpunkte sind, ist das so, als ob der Windkraftanlagenpark in der Nordsee direkt das entfallende Kernkraftwerk ersetzt.

Sicherheitsverantwortung aus Risikomanagement-Perspektive

Sicherheit ist letztlich immer etwas Produziertes, ihr Niveau ist deshalb abhängig von der Organisation von Zuständigkeiten. Das gilt insbesondere, wenn die Produktion stark dezentralisiert ist. Beim Strom waren Erzeugung und Netz bis zum Zeitpunkt der Liberalisierung, wenn auch in vier Teilen (Demarkationsgebieten), in je einer Hand. Mit der Strommarktliberalisierung wurde die Verantwortung für die Erzeugung von Strom von der für den Netzbetrieb organisatorisch getrennt – die Erzeugung ist seitdem wettbewerblich organisiert, das Netz hingegen wird monopolartig geführt. Beides ist im Rahmen einer neu konzipierten Aufsicht unter unterschiedliche Organe (Kartellamt und Bundesnetzagentur) gestellt. Die Verantwortung für die Sicherheit des gesamten Systems war nun neu zu allokieren.

Im Ergebnis ist sie einer Seite, den Netzverantwortlichen, übertragen worden – also Übertragungsnetzbetreibern und Bundesnetzagentur-Aufsicht. Wenn es nun aber so ist, dass

  • der Wandel im Bereich der Erzeugung, hin zu Photovol­taik und Windkraft, strukturell netzdestabilisierend ist bzw. sein kann, und
  • die Netzverantwortlichen zum Ausgleich immer stärker mit Ersatzvornahmen auf Erzeugungsseite eingreifen müssen,

dann ist eine Trennung der Verantwortlichkeiten für das Funktionieren des Systems als Ganzem in dem Maße zunehmend künstlich und riskant, wie der Anteil dieser Erneuerbaren wächst. Die Verantwortung für die Sicherheit der Stromversorgung seitens der Netzverantwortlichen erfordert umfassende Durchgriffsrechte bis weit in den Erzeugungsbereich hinein – wie sie nun schrittweise auch geschaffen werden.6

Eine ernstgenommene Verantwortung für die Sicherheit der Stromversorgung geht bis dahin, dass ihr erlaubt werden muss, Rechte für Entscheidungen, die sich bislang das Parlament zu treffen vorbehält, einzuschränken. Ein Zeichen an der Wand ist die über das letzte Jahrzehnt aufgewachsene 50,2 Hertz-Problematik. Charakteristisch für sie ist, dass nicht Eigenschaften einer (jeden) Einzelanlage die Netzstabilität gefährden, die Gefährdung ist vielmehr Produkt der Photovoltaik-Kleinanlagen in Summe und zudem nur ab einem Schwellenwert, sofern ihr Anteil ein gewisses Maß übersteigt. Bei dieser Charakteristik sah sich keine Institution in der Verantwortung, diese Gefährdung analytisch zu durchdringen und der, eigentlich absehbar, aufwachsenden Problematik antizipativ zu begegnen. Aus ihr wurde bislang nur technologisch durch verordnete Nachrüstung eine Konsequenz gezogen.7 Hinsichtlich des organisatorischen Versagens bleiben die Augen bislang geschlossen.

Die Netzverantwortlichen selbst sind in Deutschland überdies noch in vier Übertragungsnetzbetreiber zerstückelt. Zusammengenommen gilt: Das sind lauter organisatorische Bedingungen, angesichts derer ein im Sicherheitsmanagement erfahrener Profi spontan, auf den ersten Blick sagen würde: Die Voraussetzungen dafür, dass es über kurz oder lang schief geht, könnte man kaum „geeigneter“ zusammenstellen.

  • 1 Mittels eines rein verbalen Hoch-Pushens der quantitativ unveränderten Ziele der Bundesregierung pro Jahrzehnt, durch die Zielformel in § 1 (2) EEG: „mindestens zu erhöhen auf y Prozent spätestens bis zum Jahr 20x0“.
  • 2 Die öffentlichen Äußerungen seitdem zeigen: Das BMU akzeptiert das Gesetz; das BMWi dagegen demonstriert seine Auffassung, über dem Gesetz zu stehen.
  • 3 Zum Entwurf des Bundesbedarfsplans im Deutschen Bundestag (15. April 2013).
  • 4 In § 12b (1) EnWG heißt es „Der [...] Netzentwicklungsplan muss alle [...] Maßnahmen [...] enthalten, die [...] für einen sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb erforderlich sind.“
  • 5 Eine erprobte Lösung für dieses Problem fehlt bislang. In der Fachliteratur findet man hierzu etwas unter den Stichworten ROCOF (Rate of Change of Frequency), d.h. 1. Ableitung der Netzfrequenz nach der Zeit) und „emulated inertia“ (synthetische/simulierte Schwungmasse).
  • 6 Der krönende „Schlussstein“ dieses Prozesses wird die Verordnung sein, mit der das Mandat in § 53 EnWG umgesetzt werden wird. In diesem von der EU vorgegebenen, wenig beachteten Mandat heißt es: „Sofern die Versorgungssicherheit [...] durch vorhandene Erzeugungskapazitäten oder getroffene Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen allein nicht gewährleistet ist, kann die Bundesregierung [...] ein Ausschreibungsverfahren [...] für neue Kapazitäten oder Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen vorsehen“.
  • 7 Neufassung von § 12 Absatz 3a Buchstabe c EnWG. Damit wurde ermöglicht, im „Interesse der technischen Sicherheit und der Gewährleistung der Stabilität des Elektrizitätsversorgungssystems durch Rechtsverordnung technische Anforderungen für Anlagen zur Erzeugung elektrischer Energie festzulegen und entsprechende Nachrüstungen für diejenigen Altanlagen anzuordnen, die den Vorgaben nicht genügen.“

Title:Can Germany Maintain Its Energy Transition?

Abstract:The German energy transition represents a policy-driven, sustainability-oriented restructuring of both supply- and demand-side components of the entire energy system by 2050. Whereas the development of renewable energies in the electricity sector is right on track, due to the feed-in tariffs of the German Renewable Energy Sources Act, many other crucial requirements for a successful transition are not, amongst others the improvement of energy efficiency and the decarbonisation of the transport sector. Contrary to the public discussion, the primary future challenges do not consist in limiting electricity prices or abandoning feed-in support schemes, but rather in coordinating the variety of actors as well as appropriately matching the different system elements (grids, technologies, energy sectors, demand and supply side, etc.). Much remains to be done. By highlighting some examples like the need to take into account future implications of climate change for the energy sector, the consequences of the current crisis in the European Union’s emissions trading scheme and the need for a cautious adjustment of the EEG, the paper argues that the major challenges regarding the German energy transition mainly go beyond the current policy-driven and short-term discussion of energy prices. Germany’s pioneering attempt to integrate steadily increasing share of non-dispatchable electricity from renewable sources is challenging the stability of the system. Several characteristics in the current self-regulating system are identified and analysed, which reveal themselves as potential weaknesses or shortcomings in the upcoming system.


DOI: 10.1007/s10273-013-1525-1