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Negative Preise stellen in einer ersten Sicht ein Kuriosum dar, trotzdem existieren sie (temporär) auf Strommärkten. An der European-Power-Exchange-Strombörse wurde erstmals 20071 zu nominellen Negativpreisen gehandelt und seither lassen sich mehrere Fälle solcher Preiskonstellationen finden. 2016 traten sie im Laufe von 97 Stunden bzw. an 19 Tagen auf. Insofern stellt sich die Frage nach der Ursache, Häufigkeit und Wirkung solcher (Strom-)Preise. Wieso sollte ein physisches Gut oder eine Dienstleistung von einem (Strom-)Anbieter zu negativen Preisen angeboten werden, der für Produktion und Bereitstellung (Produktions-)Kosten zu tragen hat, gemäß dem ökonomischen Prinzip agiert und somit in aller Regel ein Gewinn-, Rendite- oder Wert(-steigerungs-)ziel verfolgt?

Ein negativer Preis würde bedeuten, dass nicht der Konsument an den Anbieter den Verkaufspreis entrichtet, sondern umgekehrt, der Anbieter an den Konsumenten, und damit zusätzlich zum Tauschgegenstand bzw. einer Dienstleistung eine Prämie an den Abnehmer transferiert. Obwohl sehr ungewöhnlich, lassen sich theoretische und praktische Situationen finden, in denen es sogar ökonomisch vernünftig ist, eine derartige Tauschvereinbarung abzuschließen. Bedeutend sind dabei subjektive (veränderliche) Einschätzungen, eine Zeitkomponente sowie Lager- bzw. Opportunitätskosten, insbesondere in Form von Abfall- bzw. Entsorgungskosten,2 die in einer Gesamtsicht zu betrachten sind. So ist es möglich, dass die Lagerung einer Entität dem Grunde nach nicht möglich ist bzw. (hohe) Kosten verursacht3 oder aber die (kurzfristige) Einstellung der Produktion höhere Kosten als die Weiterführung verursachen würde.4 Ein daraus mögliches Überangebot einer Entität (in Verbindung mit einer Nicht-Speicherbarkeit) kann dann zu Negativpreisen führen. Allerdings könnte die Abnahme in so einem Fall auch als „Service“ interpretiert werden, der entsprechend entlohnt wird. Je nach Einschätzung wird die Entität selbst als insgesamt nutzbringend erachtet oder nicht. In bestimmten Fällen mag es möglich sein, sich der Entität ohne zusätzliche Kosten zu entledigen;5 in anderen verursacht dies (aufgrund gesetzlicher Vorgaben)6 zusätzliche Kosten. Die Zeitkomponente kann beispielsweise für technische Geräte wichtig sein, die nach einer gewissen Zeit nicht mehr als nutzenstiftend eingestuft werden, da nun verbesserte Technologien existieren. Weiterhin können verderbliche Waren nur für einen begrenzten Zeitraum nutzbringend sein.7 In der Literatur lässt sich hierzu eine dreiteilige Objektkategorisierung in ein nutzenstiftendes Gut, ein unbeachtetes Beiprodukt (Neutrum) und ein unerwünschtes Übelprodukt (Abfall) finden, wobei auch hier auf die relative Einschätzung der Zuordnung hingewiesen wird.8 Daneben sind zusätzlich Konstellationen denkbar, bei denen ein Anbieter Produkte oder Dienstleistungen zumindest unter Herstellungskosten anbietet, um damit strategische Zielsetzungen, wie etwa Marktmacht, Eliminierung der Konkurrenz oder Quersubventionierung (z.B. Verkauf von Druckern unter Selbstkostenpreisen, um aus der anschließenden Veräußerung von Druckpatronen einen (Gesamt-)Gewinn zu erzielen)9 sowie Minimierung von Verlusten (verglichen mit sonstigem Totalausfall) anzutreiben. Darüber hinaus könnten regulatorische Vorgaben wie Maximalpreisfestsetzungen in diesem Zusammenhang für das Auftreten negativer Preise verantwortlich sein.

Im Zuge der in den 1990er Jahren beginnenden Liberalisierung des europäischen Energiemarktes entwickelte sich der börsliche und außerbörsliche Stromhandel10 als neuer Intermediär zwischen (Energie-)Produktion und Vertrieb. Die EU-Kommission hat die Wettbewerbsintensität innerhalb der nationalen Strommärkte erhöht, sodass sich eine Vielzahl von Erzeugern und Versorgern gegenübersteht. Die bei der Suche neuer Kontraktpartner auftretenden Informationsasymmetrien begründen seitdem den intermediären Einsatz von Strombörsen zum Abbau von Transaktionskosten.11 Die für Deutschland, Frankreich und Österreich zentrale Strombörse ist die European Energy Exchange (EEX), deren kurzfristige Strombeschaffung über die European Power Exchange (EPEX Spot) anhand von Day-Ahead- und Intraday-Kontrakten abgewickelt wird.

Zur Erklärung der Existenz negativer Preise erscheint es sinnvoll, die charakteristischen Merkmale des Gutes Strom im Vergleich zu anderen Gütern näher zu beleuchten. Elektrische Energie unterliegt aufgrund des zeitlichen Auseinanderfallens zwischen Erzeugung und Verbrauch der ständigen Leitungsgebundenheit und weist gleichzeitig eine momentan fehlende Wirtschaftlichkeit bei der Speicherung12 großer Kapazitäten auf. Mit ersterem geht die unbedingte Einhaltung der Netzstabilität einher, da (Strom-)Netzausfälle vermieden werden sollen. Hinzu kommt als Einflussfaktor für den Stromgroßhandel die zumeist unregelmäßige Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern, die in Deutschland insbesondere durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert wird. Dies begünstigt die Produktion regenerativen Stroms, da er priorisiert von Produzenten eingespeist werden darf, die (bisher) dafür mit einem fixen Vergütungssatz je eingespeister Einheit entlohnt werden.13 Durch unerwartet hohe Produktionsmengen mit regenerativem Strom zu bestimmten Zeitpunkten kann sich eine übermäßig hohe Netzeinspeisung auf der Angebotsseite ergeben. Während konventionelle Anlagen in der Regel – so dies möglich – heruntergefahren oder abgeschaltet werden, ist dies bei Erneuerbare-Energien-Anlagen nicht unbedingt der Fall. Etwaige Überkapazitäten müssen jedoch kurzfristig bei konstantem Verbrauchsverhalten aufgrund der technisch-ökonomischen Eigenschaften von Strom kurzfristig nachfrageseitig harmonisiert werden, was letztlich in negativen Preisen resultiert.

Nachdem die EEX am 26.10.2001 gegründet14 wurde und ab dem 4.9.2008 negative Preise auch vom Handelssystem für Day-Ahead-Transaktionen15 zugelassen wurden, traten am 5.10.200816 erstmalig negative Strompreise an der EPEX Spot im deutschen Marktgebiet auf. Seitdem scheint sich ein Trend abzuzeichnen. Sowohl gemessen an der Zahl des Auftretens in Tagen als auch in Stunden sowie auf Basis der Wertigkeit von negativen Strompreisen sind diese zunehmend vorzufinden. Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Entwicklung von Negativstrompreiszeiten in Stunden sowie den relativen Anteil an erneuerbaren Energiequellen. Das in der Tendenz und besonders im Zeitraum 2010 bis 2015 sukzessiv steigende Aufkommen negativer Preise veranschaulicht einen ähnlichen Verlauf wie der Anteil regenerativer Energien bei der Brutto-Stromerzeugung. Eine positive Korrelation zwischen beiden Größen lässt sich hierbei erkennen. 2015 traten bisher am häufigsten negative Preise auf.

Abbildung 1
Negative Strompreiszeiten des Day-Ahead-Handels
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Quelle: EPEX Spot; AG Energiebilanzen; eigene Darstellung.

Neben der bloßen Häufigkeit derartiger Preisphänomene sind die damit verbundenen Marktwerte von Relevanz. Zur Berechnung werden die Marktpreise für die Day-Ahead-Geschäfte auf Stundenbasis mit den jeweiligen Handelsmengen multipliziert. Abbildung 2 zeigt die entsprechenden Marktwerte der Negativstrompreisvolumina im Zeitablauf. Im Gegensatz zur Abbildung 1 zeigen sich hier differenzierte Resultate. Während negative Preise 2015 am häufigsten auftraten, wird bei der wertbezogenen Darstellung (vgl. Abbildung 2) 2012 die größte Bedeutung17 beigemessen. Zudem ist hier kein einwandfreier Zusammenhang zwischen ansteigendem Anteil erneuerbarer Energien und Marktwert erkennbar.

Abbildung 2
Marktwert der Negativpreiszeiten des Day-Ahead-Handels
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Quelle: EPEX SPOT und AG Energiebilanzen, eigene Darstellung.

Insbesondere im Dezember 2012 ergab sich ein zahlen- und wertmäßig hohes Aufkommen. In Abbildung 3 wird ein beispielhafter, täglicher Spotpreisverlauf in Abhängigkeit von Energieproduktion und Verbrauch sowie von den relativen Anteilen erneuerbarer Energien aufgezeigt. Negative Strompreise treten überwiegend an Feiertagen sowie in den Nachtstunden auf, wenn bei etwa gleichbleibendem Energieangebot inklusive erneuerbarer Energien die Residuallast niedrig und gleichzeitig der Einspeisungsanteil regenerativer Energien wie Wind- oder auch Solarkraft hoch ist.18 Last­unflexible, konventionelle Kraftwerke können nicht ad hoc heruntergefahren werden, bzw. es ist ökonomisch sinnvoller die Anlage auf Minimallast19 weiterzufahren. Da Börsenteilnehmer relevante Informationen nicht unverzüglich erhalten, ergeben sich zeitlich versetzte Reaktionen, sodass auch nur bedingt Intraday-Transaktionen zum Ausgleich verhelfen. In der Regel produziert Deutschland zu jeder Zeit mehr elektrische Energie als verbraucht wird und exportiert aufgrund der Vorgabe zur Einhaltung der Netzfrequenz diese Überschüsse20 hauptsächlich in die Nachbarstaaten. Daher dürfen die (Preis-)Phänomene nicht unmittelbar als Zeichen von Markt­insuffizienz interpretiert werden, wenn die Börse (extreme) Schwankungen zwischen Angebot und Nachfrage austariert.

Abbildung 3
Strompreisentwicklung am 25.12.2012
36503.png

Quelle: Agora Energiewende, eigene Darstellung.

Neben Händlern mit Spekulationsmotiven im Binnenlandbereich nutzen z.B. Marktakteure aus Österreich Negativ- (oder Niedrig-)strompreise, indem sie den preisgünstig erworbenen Strom zum Betreiben von Pumpen der Pumpspeicherkraftwerke beziehen und ihn in Hochpreiszeiten gewinnbringend veräußern. Ferner etabliert sich ein Nutzungskonzept, bei dem (überschüssige) elektrische Energie gezielt zur Wärmeerzeugung (Power to Heat, PTH)21 eingesetzt wird. Strom kann so von Energiehändlern nicht nur für elektrische Anwendungen, sondern auch zum Betreiben von Heizanlagen verwendet werden. Jedoch wird dies unter anderem wegen seines geringen energetischen Wirkungsgrades oft kritisch betrachtet. Für Stromproduzenten stellen negative Preise zusätzliche Kosten dar, die letztlich ihr operatives Ergebnis gefährden können, wenn sie nicht durch Gegengeschäfte (Hedging) finanziell abgesichert oder an den Endkonsumenten transferiert werden.

Negative Strompreise sind nach wie vor eine ungewöhnliche Markterscheinung, jedoch steigt ihre Häufigkeit. Als Abwehrmaßnahmen vor Negativpreisphänomenen für die (Energie-)Anbieterseite sind neben technischen Lösungen auch regulatorische Maßnahmen denkbar. Erste Eingriffe in Form einer festgesetzten Preisuntergrenze von -500 Euro/MWh22 wurden von der EEX bereits implementiert, um preisliche Extremverluste von am Börsenhandel partizipierenden Stromerzeugern zu limitieren. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, wie andere exponierte europäische Strombörsen und deren Marktteilnehmer mit diesem Phänomen (künftig) umgehen, der Netzausbau in Deutschland und Europa voranschreitet und innovative Unternehmen derartige Preiskonstellationen ausnutzen und sich zusätzlich etablieren.

  • 1 Vgl. auf verschiedenen Strombörsen, z.B. European Power Exchange: Negative Preise – wie sie entstehen, was sie bedeuten, https://www.epexspot.com/de/Unternehmen/grundlagen_des_stromhandels/negative_preise (7.2.2017). Hierbei handelte es sich um Intraday-Strompreise der EPEX Spot.
  • 2 Deren Höhe wiederum von den regulatorischen Vorgaben abhängen, wie z.B. Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG).
  • 3 Vgl. M. Ritzau, L. Schuffelen: Der Markt für Strom, in: I. Zenke, R. Schäfer (Hrsg.): Energiehandel in Europa, Öl, Gas, Strom, Derivate, Zertifikate, 3. Aufl., München 2012, S. 78. Es gibt auch indirekte Möglichkeiten, wie z.B. Pumpspeicherkraftwerke wie eine Art „Batterie“ zu verwenden.
  • 4 Vgl. o.V.: Negative Strompreise: Ursachen und Auswirkungen, in: Strom Magazin, http://www.strom-magazin.de/info/negative-strompreise/ (13.2.2017).
  • 5 Vgl. beispielsweise §§ 928 und 959 BGB; oder Altkleidersammelboxen, öffentliche sowie unentgeltliche Müllabgabestellen etc.
  • 6 Vgl. beispielsweise das KrWG und die entsprechenden weiteren Gesetze und Vorschriften.
  • 7 Hier ist die subjektive Komponente entscheidend, da auch verdorbene Waren (etwa Kompost für Bauern) interessant sein können. Hinzuzufügen wären auch Unternehmen, die Produkte recyceln oder upcyceln.
  • 8 Vgl. H. Dyckhoff: Berücksichtigung des Umweltschutzes in der betriebswirtschaftlichen Produktionstheorie, in: D. Ordelheide et al. (Hrsg.): Betriebswirtschaftliche und Ökonomische Theorie, Stuttgart 1991, S. 288-293; U. Bennauer: Ökologieorientierte Produktentwicklung. Eine strategisch-technologische Betrachtung der betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen, Heidelberg 1994, S. 131-134.
  • 9 Vgl. H. Simon, M. Fassnacht: Preismanagement, Strategie – Analyse – Entscheidung – Umsetzung, 4. Aufl., Wiesbaden 2016, S. 592 f.
  • 10 Vgl. J. Spicker: Formen des OTC-Handels, in: H.-P. Schwintowski (Hrsg.): Handbuch Energiehandel, 3. Aufl., Berlin 2014, S. 12-19.
  • 11 Vgl. A. Horsch: Portfoliokonstruktion und Energiehandel, in: C. Felden (Hrsg.): Energiewirtschaftliche Fragestellungen aus betriebswirtschaftlicher und ingenieurswissenschaftlicher Sicht, Berlin 2009, S. 47-50. Zum Transaktionskostenansatz im Energiehandel vgl. G. Erdmann: Grundlagen des Handels mit leitungsgebundenen Energieträgern – Existenzberechtigung herstellerunabhängiger Energiehändler, in: I. Zenke, R. Schäfer (Hrsg.), a.a.O., S. 11-16.
  • 12 Vgl. W. Schellong: Analyse und Optimierung von Energieverbundsystemen, Berlin, Heidelberg 2016, S. 52.
  • 13 Vgl. T. Pilgram, O. Däuper, C. Fischer: Ein- und Verkauf, in: I. Zenke, S. Wollschläger, J. Eder (Hrsg.): Preise und Preisgestaltung in der Energiewirtschaft, Berlin 2015, S. 77-81. Mit der EEG-Novellierung 2017 ändert sich die finanziellen Förderbarkeit, die hier keine Anwendung findet.
  • 14 Vgl. T. Pilgram: Formen des Handels an der EEX, in: H.-P. Schwintowski (Hrsg.), a.a.O., S. 359.
  • 15 Vgl. M. Andor et al.: Negative Strompreise und der Vorrang Erneuerbarer Energien, in: Zeitschrift für Energiewirtschaft, 34. Jg. (2010), H. 2, S. 91.
  • 16 Vgl. http://www.epexspot.com/de/marktdaten/dayaheadauktion/auction-table/2008-10-05/DE/24 (20.2.2017).
  • 17 Im Betrachtungszeitraum wurde ein stündlicher Minimalwert von -500,02 Euro/MWh (4.10.2009, 2 Uhr) und ein Maximalwert von 494,26 Euro/MWh (25.11.2008, 17 Uhr) ermittelt.
  • 18 Vgl. C. Synwoldt: Dezentrale Energieversorgung mit regenerativen Energien, Wiesbaden 2016, S. 357.
  • 19 Vgl. Agora Energiewende: Negative Strompreise: Ursachen und Wirkungen, Berlin 2014, S. 26.
  • 20 Vgl. für Stromerzeugungskapazitäten und -verbräuche https://www.agora-energiewende.de/de/themen/-agothem-/Produkt/produkt/76/Agorameter/ (21.2.2017). Ein relativ geringer Teil des Überangebots wird mittel- bis langfristig in nationalen Pumpspeicherwerken gespeichert.
  • 21 Vgl. grundlegend zum Funktionsprinzip H.-M. Groscurth, S. Bode: „Power-to-heat“ oder „Power-to-gas“?, Hamburg 2013, S. 6 und 11.
  • 22 Vgl. Energy Brainpool: Zukünftige Auswirkungen der Sechs-Stunden-Regelung gemäß § 24 EEG 2014, Berlin 2014, S. 3.


DOI: 10.1007/s10273-017-2135-0

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