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Die Energiekrise zwingt Deutschland und die EU-Staaten energiepolitische Entscheidungen neu zu bewerten und gegebenenfalls anzupassen. Zunächst rückt die Notwendigkeit, die erneuerbaren Energien schnell und ambitioniert auszubauen noch stärker in den Fokus. Zudem gibt es einerseits Überlegungen, Kohlekraftwerke aus der Reserve oder der Betriebsbereitschaft zu reaktivieren. Andererseits werden Entscheidungen hinterfragt, Kohle- und Kernkraftwerke in den kommenden Jahren stillzulegen. Diese Kurzstudie analysiert die Auswirkungen dieser Handlungsoptionen in verschiedenen Szenarien für die Jahre 2024 und 2027, um die kurzfristigen Herausforderungen sowie die mittelfristigen Perspektiven zu beleuchten.

Kurzfristig ist die Situation am deutschen Strommarkt durch die Energiepolitik der vergangenen Jahre geprägt. Selbst bei einem jährlichen Zubau an Windkraft und Photovoltaik entlang der ambitionierten Ausbaupfade, die mit dem Osterpaket der Bundesregierung angekündigt wurden, wird es 2024 noch nicht möglich sein, mehr als 55% bis 60% der Stromnachfrage aus erneuerbaren Energien zu bedienen. Gleichzeitig dürften die Gaspreise zumindest bis ins Frühjahr 2024 auf hohem Niveau bleiben. In dieser Situation könnte eine zeitlich befristete Verlängerung des Regelbetriebs von Kohle- und Kernkraftwerken zur Entspannung der Situation am Strommarkt beitragen. Bis 2027 kann bei Erreichen der ambitionierten Ausbauziele für die erneuerbaren Energien bis zu 75% der Stromnachfrage abgedeckt werden. Die Gaspreise dürften sich auf moderaten, wenngleich nicht auf dem historisch niedrigen Niveau eingependelt haben. Bei einem ambitionierten Kohleausstieg ist es denkbar, dass bis 2027 bereits Gaskraftwerke zugebaut werden können, die einen Teil der verbleibenden konventionellen Kraftwerke ersetzen. In dieser Situation dürfte, abhängig von den allgemeinen Rahmenbedingungen, der Nutzen eines Weiterbetriebs von Kohle- und Kernkraftwerken deutlich geringer sein.

Da weiterhin große Unsicherheit besteht, mit welcher Entwicklung kurz- und mittelfristig gerechnet werden kann, analysiert die vorliegende Studie die Aktivierung von kurzfristig verfügbaren Kraftwerkskapazitäten in verschiedenen Szenarien, die optimistisch bzw. pessimistisch hinsichtlich verschiedener externer Faktoren sind. Dies betrifft den Preis für Erdgas, die aktuell auf europäischer Ebene anvisierte Reduzierung der Stromnachfrage sowie Annahmen zur Verfügbarkeit von erneuerbaren Anlagen in Hinblick auf jährlich wetterbedingt schwankende Erzeugungspotenziale. Diese Effekte betreffen das Gesamtsystem und somit auch Entwicklungen in den Nachbarländern. Zudem fließen unterschiedlich optimistische Annahmen bezüglich der Ausbaupfade für erneuerbare Energien in den Nachbarländern und bezüglich der zukünftigen Verfügbarkeit des alternden französischen Kernkraftwerkparks ein. Im Detail werden, ausgehend von einem Benchmark, in dem der Ausbau der Erneuerbaren in den kommenden Jahren nur langsam beschleunigt wird und konventionelle Kraftwerke, wie geplant, stillgelegt werden, die folgenden Handlungsoptionen analysiert:

Erneuerbare ambitionierter ausbauen: Für den Zubau bei der erneuerbaren Stromerzeugung wurden durch verschiedene Maßnahmen bereits die Anreize erhöht und Hürden reduziert, um eine Steigerung des jährlichen Zubaus zu realisieren. Für den ambitionierten Zubau an Erneuerbaren wird angenommen, dass zusätzliche politische Unterstützung, insbesondere auf regionaler Ebene, dazu führt, dass sich die Ziele des Osterpakets durch eine zeitnahe starke Steigerung des Zubaus bis 2030 erreichen lassen.

Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke: Eine zeitlich befristete Verschiebung des Atomausstiegs würde bedeuten, die Kernkraftwerke Isar 2 (1.410 MWel), Neckarwestheim 2 (1.310 MWel) und Emsland (1.335 MWel) mit neuen Kernbrennstäben für mehrere Jahre weiterzubetreiben. Aktuell gibt es in Deutschland keine Grundlage für einen Regelbetrieb der drei verbleibenden Kernkraftwerke nach dem 31.12.2022. Hier wird angenommen, dass eine Verlängerung der Laufzeiten, mit einer umfassenden Sicherheitsüberprüfung inklusive der erforderlichen Ertüchtigungen und der Beschaffung neuer Brennstäbe, bis Anfang 2024 realisierbar ist. Eine Entscheidung über die Verschiebung des Atomausstiegs, also die temporär weitere Nutzung von Kernkraftwerken, muss zwischen Nutzen, Kosten und Risiken abwägen. Im Rahmen dieser Strommarktmodellierung können die Effekte auf Strompreise, Erzeugungsmengen und Emissionen, nicht aber die Kosten und Risiken bewertet werden.

Reaktivierung von Kohlekraftwerken: Das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz (KVBG) setzt die Rahmenbedingungen für den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038 in Deutschland. Dafür werden von der Bundesnetzagentur, neben den vorgeschriebenen Stilllegungszeitpunkten von großen Braunkohleanlagen, sieben Ausschreibungsrunden für die Stilllegung von Steinkohle- und Braunkohle-Kleinanlagen durchgeführt. Durch die aktuell angespannte Situation im Energiesystem wurde mit dem Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz der notwendige Rahmen dafür geschaffen, Kraftwerke aus der dritten und vierten Ausschreibungsrunde in die Netzreserve zu überführen. Demnach stehen im Falle des Ausrufens der Frühwarnstufe, Alarmstufe oder Notfallstufe des Notfallplans Gas etwa 2,7 GW an Kohlekapazitäten zusätzlich für eine befristete Teilnahme am Strommarkt bis zum 31.3.2024 zur Verfügung (Bundesnetzagentur, 2022; KVBG, 2020). In dieser Kurzstudie wird als eine mögliche Maßnahme eine Reaktivierung dieser Kohlekraftwerke für eine Marktteilnahme über dieses Enddatum hinaus angenommen.

Beschreibung der Modellannahmen und Szenarien

Für diese Kurzstudie werden für Deutschland und seine Nachbarländer in einem Strommarktmodell, das im Einklang mit dem aktuellen Strommarktdesign von nationalen Gebotszonen ausgeht, Handelsergebnisse und Investitionsentscheidungen berechnet. Für die Berechnungen wird ein Modell in Anlehnung an Grimm et al. (2016, 2020) und Egerer et al. (2021, 2022) mit Daten für Deutschland und seine Nachbarländer kalibriert. Die Studie betrachtet aktuell diskutierte Maßnahmen, die zu einer Erhöhung des Strom­angebots in Deutschland beitragen können. Dabei werden für mehrere Szenarien bezüglich der exogenen Rahmenbedingungen 2024 und 2027 drei Maßnahmen untersucht. Die Handlungsdimensionen für Deutschland sind in Tabelle 1 dargestellt und umfassen die Geschwindigkeit beim Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung, einen zeitlich begrenzten Wiedereinstieg in die Stromerzeugung aus drei Kernkraftwerken und einen befristeten regulären Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken aus der Netzreserve.

Tabelle 1
Maßnahmen zur Erhöhung der Erzeugungskapazität
    Zusätzliche Kapazität
Erneuerbare Energien 2022 - 2024 Ausbau verzögert 38,2 GW +7,0
Ausbau ambitioniert 45,2 GW
2022 - 2027 Ausbau verzögert 95,2 GW +43,5
Ausbau ambitioniert 138,7 GW
Kernkraftwerke Weiterbetrieb von 3 Kraftwerken 4,1 GW  
Kohlekraftwerke Kraftwerke aus 3./4. Ausschreibung 2,7 GW  

Quelle: eigene Annahmen basierend auf Deutscher Bundestag (2022) und Bundesnetzagentur (2022).

Bei konventionellen Kraftwerken beinhalten die möglichen Maßnahmen für Kohlekraftwerke zusätzliche 2,7 GW, sowie mit den drei Kernkraftwerken zusätzliche 4,1 GW. Ein ambitionierter Zubau von erneuerbaren Anlagen kann zudem bereits im Zeitraum 2022 bis 2024 mit zusätzlichen 45,2 GW um 7,0 GW mehr beitragen als bei einem verzögerten Ausbau. Dieser Wert steigt bis 2027 auf 138,7 GW mit 43,5 GW mehr als bei einem verzögerten Ausbau.1 Bei einem angenommenen CO2-Preis von 80 Euro/t im Jahr 2024, sowie 100 Euro/t im Jahr 2027 sind sowohl Kernkraftwerke als auch Kohlekraftwerke günstiger als Gaskraftwerke. Während für Kernkraftwerke generell eine hohe Auslastung zu erwarten ist, hängt dies bei Kohlekraftwerken davon ab, in welchem Umfang Stromerzeugung aus Gaskraftwerken im jeweiligen Szenario benötigt wird, und durch Kohle ersetzt werden kann.

Abbildung 1 zeigt für 2024 und 2027 welcher Teil der jährlichen Stromnachfrage durch Erneuerbare und den Weiterbetrieb der Kohle- und Kernkraftwerke gedeckt werden könnte. Um den unterjährigen Einfluss des hohen jährlichen Zubaus an Erneuerbaren in der Untersuchung zu berücksichtigen, wird für die Energiemengen von Investitionen, die im betrachteten Jahr erfolgen, vereinfachend ganzjährig nur die halbe Verfügbarkeit angenommen. Es zeigt sich, dass durch den Weiterbetrieb von Kohle- und Kernkraftwerken knapp 10% der Nachfrage bedient werden könnte. Dies entspricht in etwa der Menge, um die eine Reduktion der Stromnachfrage angestrebt wird, entsprechend der Zielmarke der EU. Mittelfristig leistet jedoch der Ausbau der Erneuerbaren den größten zusätzlichen Beitrag zur Versorgung, wobei ein ambitionierter Ausbaupfad mit einem schnellen Hochlauf der jährlichen Zubauten sich speziell 2027 bemerkbar macht.

Abbildung 1
Jährliche Stromnachfrage und verfügbare jährliche Erzeugungsmengen in Deutschland
Jährliche Stromnachfrage und verfügbare jährliche Erzeugungsmengen in Deutschland

Jährliche Stromnachfrage (ohne Speicherverluste und Elektrolyseure) und verfügbare jährliche Erzeugungsmengen abhängig von Annahmen in Deutschland.

Quelle: eigene Annahmen.

Neben diesen Handlungsoptionen, die Deutschland direkt beeinflussen kann, bestehen des Weiteren mögliche Entwicklungen für externe Rahmenbedingungen, denen das deutsche Stromsystem ausgesetzt sein wird. Einen Überblick über die möglichen Ausprägungen dieser Rahmenbedingungen, die im Modell berücksichtigt werden, zeigt Tabelle 2.

Tabelle 2
Ausprägung exogener Rahmenbedingungen
  Optimistisch Pessimistisch
Ziel Stromnachfrage senken -10% Nachfrage bisherige Prognose
Großhandelspreis für Erdgas 120 Euro/MWh 180 Euro/MWh
Französische Kernkraftwerke 370 TWh 330 TWh
Ausbaupfad EE Nachbarländer ambitioniert verzögert
Verfügbarkeit EE Wetterjahr 2020 Wetterjahr 2020 -10%

Quelle: eigene Annahmen.

Externe Faktoren, die das deutsche Stromsystem beeinflussen, sind zum einen der Großhandelspreis für Erdgas, die erreichte Effizienzsteigerung und die daraus resultierende Nachfragereduktion sowie die Verfügbarkeit von Erneuerbaren-Anlagen in Abhängigkeit von Wetterbedingungen. Diese Effekte (und weitere) sind auch für die Nachbarländer zu berücksichtigen, z. B. kann der Ausbau an erneuerbaren Energien auch in den Nachbarländern ambitioniert oder verzögert erfolgen. Die Annahmen zu den Zielwerten bezüglich Erzeugungskapazitäten in den Nachbarländern bis 2030 orientieren sich dabei am Szenario „Distributed Energy“ des TYNDP 2022. Eine weitere Unsicherheit ist die zukünftige Verfügbarkeit des alternden französischen Kernkraftwerks­parks, die 2022 durch Hitzewellen, technische Probleme und Revisionen einen historischen Tiefstwert erreicht hat.

Die Angebotsfunktion (Merit-Order) der verfügbaren Erzeugungskapazitäten in Deutschland kann, wie in Abbildung 2 dargestellt, durch einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke und der Kohlekraftwerke aus der Netzreserve nach rechts verschoben werden. Ein Gaspreis von 120 Euro/MWh bewirkt, dass trotz eines hohen CO2-Preises die Verstromung von Kohle und auch von Erdöl günstigere Grenzkosten aufweist als Gaskraftwerke. Für einen noch höheren Großhandelspreis für Erdgas im pessimistischen Szenario findet keine Verschiebung innerhalb der Merit-Order mehr statt; es erhöht sich lediglich der Preisunterschied zwischen den Grenzkosten von Gaskraftwerken und den anderen Technologien.

Abbildung 2
Merit-Order für Deutschland 2024 für einen Gaspreis von 120 Euro/MWh und 180 Euro/MWh (schraffiert) sowie Auswirkungen von zusätzlich drei Kernkraftwerken und einer Reservekapazität aus Kohlekraftwerken
Merit-Order für Deutschland 2024 für einen Gaspreis von 120 Euro/MWh und 180 Euro/MWh (schraffiert) sowie Auswirkungen von zusätzlich drei Kernkraftwerken und einer Reservekapazität aus Kohlekraftwerken

Quelle: eigene Darstellung.

Das preissetzende Kraftwerk wird durch die Residualnachfrage, d. h. die verbleibende Nachfrage nach Abzug der erneuerbaren Erzeugung, zum jeweiligen Zeitpunkt im Jahr bestimmt. Eine hohe Residuallast stellt sich somit in Stunden mit hoher Stromnachfrage und wenig erneuerbarer Erzeugung ein. Zu diesen Stunden müssen gegebenenfalls teure Gaskapazitäten genutzt werden, um die Stromnachfrage zu decken. Eine zunehmende Zahl an Stunden mit sehr niedriger oder sogar negativer residualer Nachfrage verdeutlichen die wachsende Bedeutung von räumlichen und zeitlichen Flexibilitäten, wie interzonalem Stromhandel, Stromspeicher, Nachfragemanagement oder Sektorenkopplung. Im Modell wird unter diesen Rahmenbedingungen der stündliche Betrieb von Kraftwerken, Speichern und Elektrolyseuren am Strommarkt ermittelt. Für 2027 wird außerdem endogen über den Weiterbetrieb und den Neubau von konventionellen Kraftwerken entschieden.

Auswirkungen der Entscheidungsoptionen 2024

Preiseffekte verschiedener Maßnahmen für Deutschland

Bei der Betrachtung der angebotsseitigen Maßnahmen in Deutschland ist zunächst auf die große Spannbreite der äußeren Rahmenbedingungen hinzuweisen. Die durchschnittlichen nachfragegewichteten Strompreise in Deutschland in Tabelle 3 bewegen sich zwischen 120,3 Euro/MWh im optimistischen Szenario, im Vergleich zu einem mehr als doppelt so hohen Preis von 243,7 Euro/MWh im pessimistischen Szenario. Dies zeigt, dass die Kombination mehrerer Dimensionen auf europäischer Ebene einen sehr großen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der deutschen Strompreise haben kann. Trotzdem könnte durch eine kurzfristige Bereitstellung von mehr Erzeugungskapazität in Deutschland ein zusätzlicher Preiseffekt erzielt werden.

Tabelle 3
Durchschnittliche nachfragegewichtete Preise (Euro/MWh) für einzelne bzw. kombinierte Maßnahmen in Deutschland im Falle des optimistischen und pessimistischen Szenarios 2024

Maßnahmen Deutschland EE ambitioniert        
Kernkraftwerke        
Kohlekraftwerke        
  Optimistisch 120,3 117,3-2,5% 105,7-12,1% 118,6-1,4% 103,4-14,1% 115,9-3,7% 104,6-13,0% 102,4-14,8%
Sensitivitäten Gesamtsystem + Nachfrage normal 154,1 152,5 -1,1% 146,6 -4,9% 152,2 -1,2% 143,2 -7,1% 150,6 -2,3% 144,7 -6,1% 143,2 -7,1%
+ EE verzögert 130,8 128,6 -1,7% 118,6 -9,4% 128,3 -1,9% 115,6 -11,7% 126,2 -3,5% 116,9 -10,7% 114,0 -12,8%
+ schlechtes EE-Jahr 140,6 139,5 -0,8% 133,0 -5,4% 139,2 -1,1% 131,2 -6,7% 138,1 -1,8% 130,9 -7,0% 129,3 -8,0%
+ hoher Gaspreis 124,8 121,9 -2,3% 108,0 -13,5% 121,1 -3,0% 105,5 -15,5% 118,4 -5,2% 106,6 -14,7% 104,4 -16,4%
+ wenig KKW in FR 126,9 124,3 -2,0% 115,5 -9,0% 125,1 -1,4% 113,5 -10,5% 122,7 -3,3% 113,9 -10,3% 112,1 -11,7%
  Pessimistisch 243,7 239,8-1,6% 222,9-8,5% 231,4-5,0% 219,3-10,0% 228,2-6,4% 211,0-13,4% 207,5-14,8%
Sensitivitäten Gesamtsystem + Nachfrage geringer 173,3 171,8 -0,9% 161,8 -6,6% 168,6 -2,7% 160,1 -7,7% 167,6 -3,3% 156,5 -9,7% 154,4 -10,9%
+ EE ambitioniert 222,0 218,9 -1,4% 203,6 -8,3% 212,3 -4,4% 200,7 -9,6% 210,2 -5,3% 195,6 -11,9% 193,6 -12,8%
+ normales EE-Jahr 199,4 196,6 -1,4% 184,8 -7,3% 191,3 -4,1% 182,6 -8,4% 189,4 -5,0% 179,8 -9,8% 178,0 -10,8%
+ moderater Gaspreis 194,2 192,1 -1,1% 184,7 -4,9% 188,7 -2,9% 183,0 -5,8% 187,2 -3,6% 179,5 -7,6% 177,1 -8,8%
+ normal KKW in FR 219,1 216,3 -1,2% 202,0 -7,8% 209,2 -4,5% 200,0 -8,7% 207,1 -5,5% 195,3 -10,9% 193,2 -11,8%

Quelle: eigene Berechnungen.

Im optimistischen Szenario sind Preiseffekte dadurch zu erklären, dass infolge einer Verschiebung des Kernkraftausstiegs die Nachfrage in einer größeren Zahl an Stunden bereits 2024 ohne fossile Kraftwerke gedeckt werden kann und sich infolge sehr niedrige stündliche Preise einstellen. Dies wird insbesondere daraus ersichtlich, dass dieser Effekt deutlich geringer ausfällt, falls sich eine höhere Nachfrage einstellt, bzw. von einem Jahr mit geringerer Verfügbarkeit der Erneuerbaren ausgegangen wird. Zusätzliche Kohlekraftwerke wirken kaum preissenkend, da Gaskraftwerke in nur wenigen Stunden laufen und ersetzt werden können. Im pessimistischen Szenario liegt eine angespannte Versorgungsituation mit hohen Strompreisen vor. Daher sind Preiseffekte stärker durch die Substitution von Gaskraftwerken begründet und zusätzliche Kohlekraftwerke können unter diesen Bedingungen einen Preiseffekt erzielen. Ein ambitionierter Ausbau der Erneuerbaren hat noch keinen großen Preiseffekt, da sich stark steigende jährliche Investitionen im Vergleich zum verzögerten Zubau erst über mehrere Jahre akkumulieren müssen.

Preiseffekte verschiedener Maßnahmen auf Nachbarländer

Der europäische Binnenmarkt für Strom ermöglicht im Rahmen der verfügbaren Handelskapazitäten einen Stromhandel über die Grenzen der heute meist nationalen Gebotszonen. Die Maßnahmen zur Angebotssteigerung in Deutschland wirken sich dadurch auch auf Strompreise in den Nachbarländern aus, wobei je nach Szenario die Wirkung auf verschiedene Nachbarländer unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Abbildung 3 zeigt für alle Länder die durchschnittlichen jährlichen Strompreise und die Preiseffekte bei Umsetzung aller Maßnahmen zur Steigerung des Angebots in Deutschland.

Abbildung 3
Jährliche Durchschnittspreise (Einfärbung) 2024 für beide Extremszenarien und Preissenkungen (Zahlenwerte) bei Umsetzung aller angebotssteigernden Maßnahmen in Deutschland
Jährliche Durchschnittspreise (Einfärbung) 2024 für beide Extremszenarien und Preissenkungen (Zahlenwerte) bei Umsetzung aller angebotssteigernden Maßnahmen in Deutschland

Quelle: eigene Berechnungen.

Im optimistischen Fall sind insbesondere die Strompreise in Skandinavien durch ausreichende Erzeugung aus Wasserkraft und die Annahme geringerer Stromnachfrage deutlich günstiger. Außerdem wirkt in Frankreich die angenommene Normalisierung bei der Verfügbarkeit der Kernkraftwerke preissenkend. In den anderen Ländern sind vor allem Kohlekraftwerke preissetzend. In einem solchen Szenario hat ein zusätzliches Angebot einen größeren Preiseffekt für Stunden, in denen Kernkraft und Erneuerbare dann preissetzend werden. Dies passiert neben Deutschland insbesondere in den Niederlanden, Belgien, der Schweiz und Österreich, die in diesen Stunden selbst eine geringe verbleibende residuale Last für fossile Kraftwerke zu ersetzen haben.

Im pessimistischen Szenario drückt sich die angespannte Versorgungssituation in hohen Strompreisen aus, die in vielen Stunden auf den Grenzkosten von Erdgas basieren. Einzig Polen und Tschechien haben in diesem Szenario geringere Strompreise, da der größte Teil der Nachfrage über Kohlekraftwerke gedeckt werden kann. Die angebotssteigernden Maßnahmen in Deutschland haben in diesem Szenario das Potenzial die Strompreise, im Vergleich zum optimistischen Szenario, um einen doppelt so hohen absoluten Betrag zu senken. Dabei werden vor allem Kohlekraftwerke in einer zunehmenden Zahl an Stunden preissetzend, indem sie Gaskraftwerke aus dem Markt drängen.

Insgesamt zeigen Preisunterschiede zwischen den Ländern in allen Szenarien ein Potenzial auf, durch eine stärkere physische Integration zwischen den Gebotszonen zusätzliche Handelskapazitäten zu schaffen. Dadurch können bestehende Erzeugungskapazitäten besser genutzt und die regionale Verfügbarkeit von Erneuerbaren weiträumiger ausgeglichen werden.

Szenario mit positiver Entwicklung der Rahmenbedingungen

Die zusätzliche Erzeugungskapazität in Deutschland hat eine Auswirkung auf die erzeugten Strommengen aus verschiedenen Energieträgern sowohl für inländische Erzeugung als auch für Erzeugung in den Nachbarländern. Im optimistischen Szenario für 2024 wird durch ein hohes Angebot und eine geringe Nachfrage, ohne dass in Deutschland dafür zusätzliche Erzeugung bereitgestellt werden müsste, kaum Erdgas verstromt (außer in der Kraft-Wärme-Kopplung). Abbildung 4 verdeutlicht, dass ein ambitionierterer Ausbaupfad für Erneuerbare für 2024 noch keinen großen Unterschied macht. Die zusätzliche Erzeugung von 6 TWh ersetzt in gleichen Maßen inländische Braunkohleverstromung wie Importe aus dem Ausland. Dabei reduziert sich die Stromerzeugung aus Kernenergie und Erneuerbaren im Ausland um insgesamt 1 TWh.

Abbildung 4
Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im optimistischen Szenario 2024

Basis ist ein verzögerter Ausbau von Erneuerbaren und das geplante Abschalten von Kraftwerken

Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im optimistischen Szenario 2024

DE: Deutschland, NB: Nachbarländer.

Quelle: eigene Berechnungen.

Ein ähnlicher Zusammenhang, um einen Faktor von fünf größer, ist für eine zusätzliche Kapazität an Kernenergie zu beobachten. Neben einer Substitution von Kohleverstromung wird auch hier teilweise weniger Strom aus Kernenergie und Erneuerbaren im Ausland produziert und importiert. Dieser Effekt ist bei einer Kombination aller Maßnahmen besonders deutlich. Die gesteigerte Erzeugung von knapp 40 TWh aus Kernenergie und Erneuerbaren in Deutschland ersetzt nur knapp zur Hälfte inländische Stromerzeugung aus fossilen Energieträgern. Der größere Teil verringert den Umfang an Stromimporten, wodurch Kernkraftwerke und Erneuerbare im Ausland infolge etwa 5 TWh weniger produzieren.

In Deutschland wird im optimistischen Szenario speziell Braunkohle aus dem Markt gedrängt. Dies ermöglicht für jede zusätzliche Erzeugungseinheit aus Erneuerbaren und Kernenergie einen stärkeren Effekt auf CO2-Emissionen zu erreichen als in anderen Szenarien. Es zeigt auch, dass die Stromerzeugung aus Kohle (im In- und Ausland) eine Verstromung von Erdgas übergangsweise substituieren kann, allerdings auf Kosten höherer CO2-Emissionen.

Szenario mit negativer Entwicklung der Rahmenbedingungen

Im pessimistischen Szenario wird von einem höheren Gaspreis, einer höheren Stromnachfrage, weniger Zubau und Verfügbarkeit für Erneuerbare und von weiterhin reduzierten Strommengen aus französischen Kernkraftwerken ausgegangen. In diesem Szenario ist das Angebot für Importe aus den Nachbarländern begrenzt und damit sehr teuer. Dies führt zu mehr Stromerzeugung in Deutschland, die trotz der hohen Rohstoffpreise in größerem Umfang über die Verstromung von Erdgas und Erdöl erfolgen müsste.

Damit ergibt sich für das pessimistische Szenario 2024 ein größerer Nutzen aus einem zusätzlichen Angebot in Deutschland. Alle Maßnahmen führen über weniger Strom­importe zu einer Reduktion der Verstromung von Erdgas, Erdöl und Kohle in den Nachbarländern. Außerdem tragen zusätzliche Kohlekraftwerke in Deutschland mit einer relevanten Auslastung dazu bei, die inländische Erzeugung aus Gaskraftwerken deutlich zu senken. Mit einer Kombination aller Maßnahmen würde Deutschland in diesem Szenario einen fast ausgeglichenen Handelssaldo erreichen und könnte damit die angespannte Stromversorgung in den Nachbarländern entlasten.

Abbildung 5
Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im pessimistischen Szenario 2024

Basis ist ein verzögerter Ausbau von Erneuerbaren und das geplante Abschalten von Kraftwerken

Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im pessimistischen Szenario 2024

Quelle: eigene Berechnungen.

Falls sich in den kommenden Monaten eine Entwicklung in Richtung der pessimistischen Annahmen abzeichnet und sich die Wiederaufnahme des Betriebs der deutschen Kernkraftwerke bis zum Winter 2024 nicht realisieren lässt, könnte in diesem Szenario eine zusätzliche temporäre Reaktivierung von Kohlekraftwerken eine sinnvolle Option sein, um Importe aus den Nachbarländern durch mehr inländische Kohleverstromung zu begrenzen und gleichzeitig den Einsatz von Gaskraftwerken zu reduzieren. Grundsätzlich zeigen aber die angenommenen Rahmenbedingungen, dass es viele Stellschrauben, insbesondere bei koordiniertem Handeln mit den Nachbarländern, zur Vermeidung des pessimistischen Szenarios gibt.

Perspektive auf das Jahr 2027

Preiseffekte verschiedener Maßnahmen für Deutschland

Die aktuelle Herausforderung hoher fossiler Energiepreise in Europa und die global stark ansteigende Ausbaumengen und Ausbauziele für Photovoltaik und Windkraft können zu einer gesteigerten Dynamik in der Transformation des europäischen Stromsystems führen. Im optimistischen Szenario wird auch 2027 eine Nachfrageentwicklung angenommen, die 10% unter bisherigen Prognosen liegt. Außerdem unterscheiden sich die beiden Szenarien in Tabelle 4 bezüglich ihrer Annahme bei der Verfügbarkeit der erneuerbaren Energien. Weiter gehen wir 2027 davon aus, dass sich ein Preis von 60 Euro/MWh für Erdgas einstellt und sich die Verfügbarkeit der französischen Kernkraftwerke stabilisiert.

Tabelle 4
Ausprägung exogener Rahmenbedingungen
  Optimistisch Pessimistisch
Ziel Stromnachfrage senken -10% Nachfrage bisherige Prognose
Ausbaupfad EE Nachbarländer ambitioniert verzögert
Verfügbarkeit EE Wetterjahr 2020 Wetterjahr 2020 -10%

Quelle: eigene Annahmen.

Im optimistischen Szenario gibt es ein stark ausgeweitetes Angebot an Erzeugung und eine geringere Nachfrage. Die im Vergleich zu 2024 stark gesunkenen Preise für Erdgas und der Ausbau der erneuerbaren Energien in den Nachbarländern führen allgemein zu niedrigeren Strompreisen, selbst bei einem verzögerten Ausbaupfad der Erneuerbaren in Deutschland. Ein ambitionierter Ausbau der erneuerbaren Energien und zusätzliche Kernkraftwerke in Deutschland führen in dieser Situation zu starken Preiseffekten, da diese beiden Technologien in einer steigenden Zahl an Stunden um die verbleibende Stromnachfrage konkurrieren und damit preissetzend werden. Infolge ist wegen sehr beschränkter und mit entsprechenden Kosten verbundener Flexibilität von Kernkraftwerken in diesem Szenario von vielen Stunden mit negativen Preisen auszugehen. Zudem würde Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien in dieser Situation teilweise vor Kernkraftwerken abgeregelt werden. Im pessimistischen Szenario mit weniger erneuerbarer Stromerzeugung und höherer Nachfrage bleibt der Strompreis vergleichsweise hoch. Im Vergleich zu 2024 hat die Option zusätzlicher Kernkraftwerke aufgrund der geringen Kapazität kaum Potenzial den durchschnittlichen Strompreis zu senken, da mit dem geringeren Preis für fossiles Gas der Spread zwischen Kohle- und Gaskraftwerken viel geringer ist als 2024. Zwischen dem ambitionierten und verzögerten Ausbau für erneuerbare Energien 2027 ist der Unterschied sowohl für die Kapazität als auch für die zusätzlichen Erzeugungsmengen deutlich größer als für die Option drei Kernkraftwerke weiterhin zu nutzen. Zusätzliche Kohlekraftwerke führen in beiden Szenarien zu keinen Preiseffekten.

Szenario mit positiver Entwicklung der Rahmenbedingungen

Auch 2027 haben die verschiedenen Maßnahmen zur Angebotssteigerung in Deutschland Auswirkungen auf den Erzeugungsmix, Stromhandel und Emissionen. Grundsätzliche Unterschiede zum Jahr 2024 sind ein gesteigertes Angebot aus Erneuerbaren und ähnlich hohe variable Erzeugungskosten für Strom aus Braunkohle-, Steinkohle- und mit Erdgas befeuerten Gas-und-Dampfkraftwerken.

Der ambitionierte Ausbau der Erneuerbaren schafft in Deutschland ein zusätzliches Potenzial von 48 TWh. Dieses führt aber, wie in Abbildung 6 zu sehen, nur zu einer Erhöhung der erneuerbaren Erzeugung um 35 TWh, da die restlichen 13 TWh ohne zusätzliche flexible Nachfrage nicht abgerufen werden. Ersetzt werden die inländische Verstromung von Braun- und Steinkohle in Höhe von etwa 12 TWh sowie Importe aus den Nachbarländern. Der ambitionierte Ausbau der erneuerbaren Energien in den Nachbarländern und die Annahme einer reduzierten Nachfrage führen zu weniger Exporten nach Deutschland und infolge insbesondere zu einer Reduktion der Produktion aus Erneuerbaren und Kernkraftwerken von in Summe 15 TWh in den Nachbarländern. Dies passiert in noch größerem Umfang bei der Nutzung aller Maßnahmen zur Angebotssteigerung in Deutschland und in geringerem Umfang auch bei einem verzögerten Ausbau der Erneuerbaren und gleichzeitiger Nutzung der Kernenergie. Die deutlich sinkenden Importe in Deutschland führen in diesem Fall kaum zu Emissionsminderungen in den Nachbarländern.

Abbildung 6
Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im optimistischen Szenario 2027

Basis ist ein verzögerter Ausbau von Erneuerbaren und das geplante Abschalten von Kraftwerken

Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im optimistischen Szenario 2027

Quelle: eigene Berechnungen.

Das optimistische Szenario für 2027 zeigt damit, dass eine mittelfristige Erhöhung des Stromangebots unter diesen Rahmenbedingungen zu vielen Stunden mit einem Überangebot an inflexibler Erzeugung aus Erneuerbaren und Kernkraftwerken führen kann. Dies würde zeitnah zu einem steigenden Flexibilitätsbedarf im Stromsystem mit den damit verbundenen Kosten führen.

Szenario mit negativer Entwicklung der Rahmenbedingungen

Für das pessimistische Szenario 2027, mit einer kaum gesenkten Stromnachfrage, einem verzögerten Ausbau der Erneuerbaren in Europa und negativen Wetterverhältnissen für die Erzeugung aus Erneuerbaren, ist grundsätzlich mit einer stärkeren Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu rechnen.

Zusätzliche Kapazitäten in Deutschland können genutzt werden, um die Gas- und Kohleverstromung im Inland und in den Nachbarländern zu reduzieren (vgl. Abbildung 7). Im Falle einer Ceteris-Paribus-Befolgung des ambitionierten Ausbaupfades für Erneuerbare kann sowohl in Deutschland als auch in den Nachbarländern Gas- und Kohleverstromung deutlich reduziert werden. Ähnliche Auswirkungen sind von einem verlängerten Betrieb von Kernkraftwerken zu erwarten, da auch diese mit niedrigen Grenzkosten in den deutschen Kraftwerkspark eingehen. Ein Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken hat unter diesen Rahmenbedingungen keinen merklichen Effekt auf Erzeugungsmengen und Preise.

Abbildung 7
Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im pessimistischen Szenario 2027

Basis ist ein verzögerter Ausbau von Erneuerbaren und das geplante Abschalten von Kraftwerken

Änderung der Erzeugungsmengen für deutsche Maßnahmen im pessimistischen Szenario 2027

Quelle: eigene Berechnungen.

Durch die verzögerte Transformation des europäischen Stromsystems wäre 2027 noch genügend Raum für die Kombination aus ambitioniertem Ausbau der Erneuerbaren und Weiterbetrieb der Kernenergie in Deutschland. Dies war bisher jedoch kein ausreichendes Argument für die weitere Nutzung der Kernenergie in Deutschland. Für den Transformationspfad zu einem System mit 100% Erneuerbaren benötigt es zudem in den kommenden Jahren Investitionsanreize für eine gewisse Menge an neuen flexiblen Kraftwerken, die temporär mit Erdgas und ab den frühen 2030er Jahren zunehmend mit Wasserstoff befeuert werden können.

Fazit

In den Ergebnissen zeigt sich, dass die externen Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene in Summe einen deutlich größeren Einfluss auf die zukünftige Entwicklung der durchschnittlichen Strompreise haben als die untersuchten nationalen Maßnahmen in Deutschland. Trotzdem könnte durch mehr Erzeugungskapazität in Deutschland ein Preiseffekt erzielt werden. Für eine Einschätzung des zusätzlichen Nutzens einer Verlängerung von Kohle- und Kernkraftwerken müssen dabei zwangsläufig mehr Dimensionen betrachten werden als z. B. die Entwicklung des Gaspreises. Dabei können einige Rahmenbedingungen in Kooperation mit den Nachbarländern direkt beeinflusst werden (Entwicklung der Stromnachfrage, Ausbaupfad Erneuerbare), wohingegen andere Faktoren abhängig von Unwägbarkeiten sind (französische Kernkraft, Entwicklung des Gaspreises, zukünftige Wetterjahre).

Für 2024 gibt es im pessimistischen Szenario einen Fall, für den eine temporäre Verlängerung der Kohle- und Kernkraftwerke für einen sehr begrenzten Zeitraum sinnvoll erscheint, um neben den Preiseffekten eine Reduzierung der Stromerzeugung aus Erdgas zu erreichen. Insgesamt bleibt zu sagen, dass eine stärkere Forcierung von Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und Nachfragereduzierung und zum Ausbau von Erneuerbaren in Koordination mit den Nachbarländern erreicht werden sollten. Darin besteht das größte Potenzial sich vom pessimistischen Szenario zu entfernen und das Risiko von regional schlechten Wetterjahren für Erneuerbare durch eine noch stärkere Integration des Stromsystems zu reduzieren.

2027 befindet sich das europäische Stromsystem bei optimistischen Annahmen über Zubau erneuerbarer Energien, Gaspreise und Verfügbarkeiten mitten in der Transformation in ein kohlenstoffarmes Stromsystem. Im Falle des pessimistischen Szenarios folgt es hingegen einem langsameren Transformationspfad, wahrscheinlich mit einem Übergang von Kohle direkt auf Erneuerbare in den Folgejahren. In beiden Fällen gibt es wenig Grund die Laufzeit von bestehenden konventionellen Kohle- und Kernkraftwerken zu verlängern. Im Gegenteil könnten zusätzliche und vergleichsweise inflexible Kraftwerkskapazitäten zu höheren Kosten führen, da diese die Integration der Erneuerbaren behindern und Anreize für Flexibilität und Sektorkopplung reduzieren.

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    * Das hier verwendete Strommarktmodell baut auf Vorarbeiten im Projekt „Energiemarktdesign“ am Energie Campus Nürnberg (EnCN) auf. Wir nutzen zudem Vorarbeiten aus dem Projekt „EOM-Plus“ (Förderung im 7. Energieforschungsprogramm des BMWK), das mit Smart Markets temporäre und regionale Märke für Flexibilität als Ergänzung zum Redispatch 2.0 untersucht. Die Autoren danken außerdem der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für ihre Unterstützung im Rahmen des Projekts B08 im Sonderforschungsbereich/Transregio 154 „Mathematische Modellierung, Simulation und Optimierung am Beispiel von Gasnetzen“.

  • 1 Die ambitionierten Ziele bezüglich erneuerbarer Erzeugungskapazitäten werden für Deutschland am Osterpaket der Bundesregierung ausgerichtet (Deutscher Bundestag, 2022).

Literatur

Bundesnetzagentur (2022), Kohleausstieg, https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Kohleausstieg/start.html (4. Oktober 2022).

Deutscher Bundestag (2022), Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien und weiteren Maßnahmen im Stromsektor, Mai, https://dserver.bundestag.de/btd/20/016/2001630.pdf (25. Oktober 2022).

Egerer, J., V. Grimm, T. Kleinert, M. Schmidt und G. Zöttl (2021), The Impact of Neighboring Markets on Renewable Locations, Transmission Expansion, and Generation Investment, European Journal of Operational Research, 292(2), 696-713.

Egerer, J., V. Grimm, L. M. Lang und U. Pfefferer (2022), Kohleausstieg 2030 unter neuen Vorzeichen, Wirtschaftsdienst, 102(8), 600-608, https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/jahr/2022/heft/8/beitrag/kohleausstieg-2030-unter-neuen-vorzeichen-7155.html (25. Oktober 2022).

Grimm, V., A. Martin, M. Schmidt, M. Weibelzahl und G. Zöttl (2016), Transmission and generation investment in electricity markets: The effects of market splitting and network fee regimes, European Journal of Operational Research, 254(2), 493-509.

Grimm V., B. Rückel, C. Sölch und G. Zöttl (2020), The Impact of Market Design on Transmission and Generation Investment in Electricity Markets, Energy Economics, 93, 104934.

KVBG (2020), Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz – KVBG), https://www.gesetze-im-internet.de/kvbg/KVBG.pdf (25. Oktober 2022).

Title:Title: Mobilisation of Generation Capacity for the German Electricity Market

Abstract:The energy crisis is forcing Germany and other EU countries to reconsider and, if necessary, adjust energy policy decisions. New perspectives envisage a rapid expansion of renewable energies in the next few years. In the short term, Germany is considering reactivating coal-fired power plants from the reserve and revising decisions to decommission coal-fired and nuclear power plants in the coming years. This brief study analyses the price effects for the years 2024 and 2027 to shed light on both the short-term challenges and the medium-term prospects.

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© Der/die Autor:in 2022

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DOI: 10.1007/s10273-022-3310-5