Ein Service der

Werner Bosch

Nationalökonom im Dienst der „Kriegsverwaltung“

von Claudia Thorn

Die Umbrüche im Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA) und in der Redaktion des „Wirtschaftsdienst“ brachten 1933 erhebliche personelle und damit einhergehende strukturelle Veränderungen mit sich. Nachdem der Leiter des Wirtschaftsarchivs Prof. Fritz Terhalle im Frühjahr 1933 seines Amtes enthoben worden war, wurde am 13. April 1933 Dr. Bernhard Stichel zum neuen Chef des HWWA ernannt. Er sah seine Aufgabe in der Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie durch die „Neutralisierung“ der Bestände des HWWA, d.h. der Entfernung von Sammlungen und Material, die nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie in Einklang standen.1 Als Leiter des HWWA nahm Stichel in Vertretung den Sitz Terhalles im Verwaltungsrat des „Wirtschaftsdienst“ ein. Von hier aus leitete er bis zur Neubesetzung des Verwaltungsrats im Oktober 1933 nach außen die Geschicke des „Wirtschaftsdienst“. Dazu gehört auch die Besetzung der nach der Entlassung von Eduard Rosenbaum vakanten Chefredakteursstelle.

Um das regelmäßige Erscheinen des „Wirtschaftsdienst“ zu sichern, wurde während der Suche nach einer geeigneten Person mit wirtschaftlicher Expertise zunächst der seit langen Jahren in der Redaktion tätige Dr. John Brech zum Hauptschriftleiter in Vertretung bestimmt.

Die Wahl des neuen Chefredakteurs fiel schließlich auf Dr. Werner Bosch.

Werner Bosch stammte aus Ellwangen in Württemberg, wo er am 26.4.1901 geboren wurde. Nach dem Abitur in Stuttgart, einer Lehre zum Bankkaufmann und einer kurzen Beschäftigung im Bankengewerbe absolvierte er ein Studium der Nationalökonomie in Hamburg und wurde mit einer Arbeit über die „Kreditrestriktionspolitik der Deutschen Reichsbank“ promoviert.2

Mit Werner Bosch übernahm erstmals ein Journalist das Amt des Chefredakteurs, der bisher nicht in enger Bindung zum HWWA oder zum „Wirtschaftsdienst“ gestanden hatte. Weder gehörte er der Redaktion an, noch hatte er als Fachautor im Aufsatzteil für den „Wirtschaftsdienst“ geschrieben. Allerdings konnte sich Werner Bosch seit 1928 als Wirtschaftsredakteur bei den „Hamburger Nachrichten“ einen Namen machen. Die ehemals national-konservative Zeitung stand der Weimarer Republik und dem Parlamentarismus ablehnend gegenüber und hatte bereits in den Jahren vor der Machtübergabe im Januar 1933 viele nationalsozialistische Kernpositionen übernommen.

Die Berufung eines neuen Chefredakteurs für den „Wirtschaftsdienst“ war Aufgabe des Verwaltungsrates in Abstimmung mit der Gesellschafterversammlung. Besonderen Einfluss nahm jetzt jedoch der neue Regierungsdirektor der Deputation für Handel, Schifffahrt und Gewerbe (Behörde für Wirtschaft) Dr. Gustav Schlotterer. Schlotterer, der seit 1923 der NSDAP angehörte, war 1931 Schriftleiter des Wirtschaftsteils der NS-Zeitung „Hamburger Tageblatt“ geworden. Obwohl er erst im Juni 1933 zum Staatskommissar für den „Wirtschaftsdienst“ ernannt wurde und ein offizielles Mitspracherecht bekam, betrieb er offenbar schon Monate zuvor maßgeblich die Entlassung Eduard Rosenbaums. Auch die Anwerbung Werner Boschs, den er aus Journalistenkreisen kannte, nahm Schlotterer selbst vor.3

Bereits kurz vor Abschluss der Einstellungsverhandlungen befasste Werner Bosch sich im Mai 1933 mit internen Angelegenheiten der Wirtschaftsdienst GmbH. Gemeinsam mit Regierungsdirektor Dr. Köhn, dem Leiter der staatlichen Pressestelle, wies Bosch Direktor Bernhard Stichel auf Gerüchte hin, wonach die sich in finanziellen Schwierigkeiten befindende GmbH der Bank M. M. Warburg & Co. gegenüber Verpflichtungen hätte, die in der Bilanz nicht aufgeführt seien. Max Warburg dementierte diese Behauptungen, da die Gesellschafter zur Sicherstellung der Finanzierungsgrundlage der Wirtschaftsdienst GmbH auf ihre Forderungen verzichtet hätten, darunter auch die Warburg Bank. Der Disput konnte beigelegt werden, aber Warburg, der seit 1911 dem kaufmännischen Beirat des HWWA vorsaß und zu den Gründervätern des „Wirtschaftsdienst“ zählte, hatte einen unmissverständlichen Hinweis erhalten, dass sein Mitwirken im Rahmen seines Verwaltungsratssitzes der Wirtschaftsdienst GmbH nicht mehr erwünscht war.4

Wie Eduard Rosenbaum übte auch Werner Bosch die Leitung der „Wirtschaftsdienst“-Redaktion nebenberuflich aus. Seine bisherige Stellung bei den „Hamburger Nachrichten“ behielt er bei. Doch nur wenige Monate nach Übernahme der redaktionellen Leitung des „Wirtschaftsdienst“ gab Werner Bosch im September 1933 seine journalistische Tätigkeit ganz auf und schied als Chefredakteur aus. Er hatte das Angebot der Hamburger Handelskammer angenommen, den Aufbau der Abteilung für Industrieangelegenheiten zu übernehmen.5 Den Kontakt zum „Wirtschaftsdienst“ behielt Bosch bei und publizierte dort in den kommenden Jahren einige Beiträge.

Boschs Einfluss auf die Gestaltung des „Wirtschaftsdienst“ blieb aufgrund der sehr kurzen Dauer seines Engagements gering. Die personellen Verhältnisse sowohl in der Redaktion als auch im Verwaltungsrat waren während seiner Amtszeit ebensowenig abschließend geklärt wie die zukünftige Verteilung von Zuständigkeiten zwischen staatlichen Stellen, Einzelunternehmen und Interessenvertretungen der Wirtschaft innerhalb der Wirtschaftsdienst GmbH.

Die redaktionelle Planung der einzelnen Ausgaben hingegen hatte einen langen Vorlauf. Die Konzeption der während der kurzen Ägide Bosch erschienenen Hefte ist – zumindest zu einem nicht unwesentlichen Teil – vermutlich auf die Vorarbeiten der verbliebenen erfahrenen Redaktionsmitglieder wie John Brech zurückzuführen, der hierzu inhaltliche ‚Anregungen‘ von Bernhard Stichel erhielt, vielleicht sogar noch auf Planungen von Eduard Rosenbaum. Direktor Stichels Anteilnahme an der Gestaltung des „Wirtschaftsdienst“ war groß. Regelmäßig übermittelte er auch Werner Bosch Wünsche für die inhaltliche Ausrichtung zukünftiger Hefte. Im Juli 1933 veranlasste er ihn, die Planung einer Ausgabe über den italienischen Faschismus aufzunehmen, eine Konzeption zur Kürzung der Länderberichte und deren Veröffentlichung in kürzeren Intervallen zu erarbeiten und künftig in jeder vierten Ausgabe mindestens eine Seite für ein koloniales Thema bereitzuhalten.6

Im August 1933 wurde der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates und Leiter der Hamburgischen Niederlassung der Deutsch-Südamerikanischen Bank Hans Wedekind von Bürgermeister Carl Vincent Krogmann mit der Reorganisation der Wirtschaftsdienst GmbH beauftragt.7 Diese Umstrukturierung würde sich auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrates auswirken und auf die Aufgabenstellung der Zeitschrift. Mit der Umsetzung der neuen redaktionellen Ausrichtung war jedoch nicht mehr Werner Bosch befasst, sondern sein Nachfolger John Brech.

Bosch stand der nationalsozialistischen Politik nahe, wurde im Januar 1934 Mitglied der SS, trat aber erst 1937, nach Lockerung der Aufnahmesperre, der NSDAP bei.8 Er wurde wegen seines Sachverstandes und seiner organisatorischen Fähigkeiten geschätzt und konnte durch Kontakte zu Funktionären in Partei und Staat seine Karriere in den folgenden Jahren festigen. Werner Bosch blieb zunächst in Hamburg. Als Leiter der Industrieabteilung, die unter anderem für die Koordination der Rüstungspolitik in Hamburg zuständig war, wurde er im Januar 1938 mit der Geschäftsführung der neu gegründeten Abteilung der Wirtschaftskammer Nordmark, der Bezirksausgleichsstelle Nordmark für öffentliche Aufträge, betraut. Wenige Monate später entsandte ihn die Handelskammer auf Anforderung der Reichsausgleichsstelle im Reichswirtschaftsministerium nach Wien, um nach dem „Anschluss“ Österreichs den Aufbau der dortigen Bezirksausgleichsstelle für öffentliche Aufträge zu übernehmen. Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde er zunächst unabkömmlich gestellt und übernahm ab Juni 1940 als Generalsekretär des Wirtschaftsbeauftragten von Karl Kaufmann, dem Reichsstatthalter in Hamburg, die „Bearbeitung der Vorbereitungen für die Zeit nach dem Kriege“. 1942 wechselte Bosch nach seiner Einberufung im Oktober als Kriegsverwaltungs-Abteilungschef zum „Wirtschaftsstab Ost“, der Wirtschaftsinspektion der Heeresgruppe Mitte in Berlin. Ende 1943 wurde er in das Planungs- und Rohstoffamt von Albert Speer abkommandiert. Als Militärverwaltungsvizechef arbeitete er dort unter anderem an der Organisation von Zwangsarbeiterdeportationen in den besetzten sogenannten Ostgebieten im Baltikum und der Sowjetunion mit sowie bei der Planung des Einsatzes von Kriegsgefangenen.9

Nach seiner von den Militärbehörden 1945 veranlassten Internierung wurde er als Zeuge im sogenannten Wilhelmstraßenprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof gehört. Es folgte im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens zunächst eine Einstufung in Gruppe III (Minderbelastete). Sie wurde nach einem Berufungsverfahren 1949 in Gruppe IV (Mitläufer) heruntergestuft, was Werner Bosch einen beruflichen Neuanfang ermöglichte. Angebote zur Rückkehr zur Handelskammer Hamburg lehnte er allerdings sowohl 1949 wie auch 1956 aus familiären Gründen ab. Er trat in die Großbuchbinderei seines Schwiegervaters ein, die er fortan leitete. 10

1955 habilitierte Bosch sich am Forschungsinstitut für Wirtschaftspolitik in Mainz und nahm eine Tätigkeit als Privatdozent auf. 1962 wurde er zum Professor ernannt und hielt bis Ende der 1960er Jahre Vorlesungen. Seit 1958 gehörte er dem Forschungsbeirat für Fragen der Wiedervereinigung beim Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen an.11 Neben einigen eigenen Abhandlungen zeichnete er für die Schriftenreihe des Forschungsinstituts verantwortlich und veröffentlichte gelegentlich Artikel zu Wirtschaftsfragen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Werner Bosch starb am 23. Mai 1970 in Stuttgart.12

  • 1 Vgl. Helmut Leveknecht, 90 Jahre HWWA. Von der Zentralstelle des Hamburgischen Kolonialinstituts bis zur Stiftung HWWA. Eine Chronik. Mit einem Ausblick von Hans-Eckart Scharrer. Hg. v. Hamburgischen-Welt-Wirtschafts-Archiv (HWWA). Hamburg 1998 (gedr. Manuskript), S. 25.
  • 2 Vgl. Archiv der Handelskammer Hamburg, Personalakte Dr. Werner Bosch; Uwe Bahnsen, Hanseaten unterm Hakenkreuz. Die Handelskammer Hamburg und die Kaufmannschaft im Dritten Reich. Hg. von der Handelskammer Hamburg. Kiel/Hamburg 2015, S. 195; Nachruf auf Werner Bosch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 27./28.5.1970.
  • 3 Vgl. Bericht von Direktor Stichel an Hans Wedekind vom 28. August 1933 „Betrifft die Wirtschaftsdienst G.m.b.H.“ Staatsarchiv Hamburg, 364-8 Weltwirtschaftsarchiv C III 15: Wirtschaftsdienst - Zusammensetzung des Verwaltungsrates 1930-1934.
  • 4 Vgl. Schriftverkehr zwischen Bernhard Stichel, Max Warburg, Senator Dietrich W. Engelken, Präses der Deputation für Handel, Schiffahrt und Gewerbe, u.a. im Mai 1933. Staatsarchiv Hamburg, 364-8 Weltwirtschaftsarchiv C III 14 Band 2: Wirtschaftsdienst, Finanzielle Notlage der Gesellschaft März 1933-1934. Zu dem den Ereignissen vorausgegangen Verzicht auf Forderungen seitens der Gläubiger und den dazu seit 1932 geführten Verhandlungen siehe auch C III 14 Band 1: Wirtschaftsdienst, Finanzielle Notlage der Gesellschaft 1930-Febr. 33.
  • 5 Werner Bosch nahm seine Tätigkeit bei der Handelskammer am 15. September 1933 als stellvertretender Syndikus auf, mit Option auf die Ernennung zum Syndikus, die zum 1. Januar 1935 erfolgte. Vgl. Archiv der Handelskammer Hamburg, Personalakte Dr. Werner Bosch.
  • 6 Vgl. Staatsarchiv Hamburg 364-8 Weltwirtschaftsarchiv, C III 22: Redaktionelle Neugestaltung des „Wirtschaftsdienstes“ 1931-1936.
  • 7 Vgl. Schreiben von Hans Wedekind an Bernhard Stichel vom 26.8.1933, Staatsarchiv Hamburg, 364-8 Weltwirtschaftsarchiv C III 15.
  • 8 Vgl. Bundesarchiv (BArch) (ehem. Berlin Document Center): VBS-286 SSO/SS-Führerpersonalakten, Nr. 6400004399 und Antrag auf Aufnahme in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei vom 31.5.1937 sowie die NSDAP Gaukartei für Bosch, Werner, Dr., geb. 26.04.1901.
  • 9 Vgl. Archiv der Handelskammer Hamburg, Personalakte Dr. Werner Bosch; BArch (ehem. Berlin Document Center): NSDAP Zentral-Kartei, VBS-340 DS/Speer Ministerium, Nr. 8460000011, VBS-341 DS/Speer Listen, Nr. 8461000402, Schreiben von Albert Speer an den Militärverwaltungsvizechef Dr. Werner Bosch vom 1.7.1944 (auch unter: Bundesarchiv, R3, 1573 Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion, 1.7.6.1. Zentralamt – Ministerbüro Speer – allgemeine Korrespondenz, Bd. 3, 1940-1945). Vgl. auch Hans Bielfeldt, Vom Werden Groß-Hamburgs. Citykammer, Gauwirtschaftskammer, Handelskammer. Politik und Personalia im Dritten Reich. Hamburg 1980 (= Staat und Wirtschaft. Beiträge zur Geschichte der Handelskammer Hamburg, Bd. I), S. 64 f., Anm. 2 und Christoph Dieckmann, Wirtschaftsforschung für den Großraum. Zur Theorie und Praxis des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und des Hamburger Welt-Wirtschafts-Archivs im „Dritten Reich“. In: Modell für ein deutsches Europa. Ökonomie und Herrschaft im Großwirtschaftsraum. Berlin 1992 (= Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik, Bd. 10), S. 146-198, hier S. 192 f., Anm. 137.
  • 10 Vgl. Archiv der Handelskammer Hamburg, Personalakte Dr. Werner Bosch, hier: Schreiben Werner Boschs an die Handelskammer vom 28.2.1949 und 28.6.1949 mit anliegendem Spruch der Berufungskammer II Nord-Württemberg vom 17.6.1949; Bielfeldt, S. 164 f., Anm. 2 ; Email-Auskunft des Stadtarchivs Nürnberg vom 28.12.2015. Der Wilhelmstraßenprozess, Fall 11 der Nürnberger Nachfolgeprozesse, befasste sich mit Verantwortlichen während der Zeit des Nationalsozialismus im Auswärtigen Amt und anderen Ministerien.
  • 11 Vgl. Werner Bosch 64 Jahre. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 96, vom 26.4.1966, Blick durch die Wirtschaft; Nachruf auf Werner Bosch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, vom 27./28.5.1970 und Bielfeldt, S. 65, Anm. 2.
  • 12 Vgl. Traueranzeige der Handelskammer Hamburg. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.5.1970.