Seit der zweiten Hälfte des vergangenen Monats treten Zeichen auf, die auf eine Änderung der Lage am Geldmarkt und eine Milderung der Kreditpolitik der Reichsbank hindeuten. Am 16. Juli hat die Seehandlung sich bereit erklärt, den Mitgliedern der Berliner Stempelvereinigung 45-Tage-Wechsel im Höchstbetrag von 50 Mill. GM. zu diskontieren zu einem Satz von 13 %, bzw. seit kurzem in Einzelfällen von 11 %. Die Möglichkeit hierzu ist ihr durch die Aufnahme der „täglichen Gelder“ an der Börse gegeben. Ferner stellt sie der Landwirtschaft durch Vermittlung der Preußischen Genossenschaftskasse, der Deutschen Girozentrale Diskont- bzw. Lombardkredit in Höhe von 100 Mill., später etwa 300 Mill., und neuerdings auch dem Getreidehandel einen Diskont in Höhe von 40 bis 50 Mill. GM zur Verfügung. Die Reichsbank hat der Preußischen Staatsbank für diese Kreditgeschäfte eine Rückversicherung in Form eines Rediskonts von 10 %, bzw. Lombards von 12 % zugesichert. Die Reichsbank selbst scheint einen Teil der von den ehemaligen Darlehnskassen betriebenen Kredittätigkeit aufnehmen zu wollen in der Lombardierung wertbeständiger Anleihen, zu dem günstigen Satz von 12 % p. a., eine Maßnahme, die gleichfalls entlastend auf den Geldmarkt wirkte.
Die vorhergehende Zeit – vom Kreditrestriktionsbeschluss der Reichsbank vom 7. April an – ist gekennzeichnet durch die ständig steigende Kreditnot und das wachsende Misstrauen im Kreditverkehr, das schließlich zu einer Überfülle von Angeboten für „tägliches Geld“ auf der einen Seite und schärfster Abneigung gegen Langfristige Geldausleihungen auf der anderen Seite führten. Während die Folgen des Kredit-Sperrbeschlusses am Devisenmarkt sich in dem langsamen Rückgang der Nachfrage nach Devisen und der Besserung der Wechselkurse zeigten, spitzte sich die Lage am Geldmarkt bedenklich zu. „Tägliches Geld“ war binnen kurzem kaum mehr erhältlich und erreichte seine höchsten Sätze in Berlin in der Woche vom 21. 4. bis 26. 4. mit 1,42 ‰ je Tag oder 51,2 % p. a.; in Frankfurt schnellten die Sätze aber Ultimo April noch höher, auf 2,16 ‰, also beinahe ¼ % je Tag, oder 77,8 % p. a. hinauf. Für Monatsgeld wurden in der gleichen Zeit in Berlin 4,66 %, also fast 56 % p. a., und in Hamburg 6,37 %, also rund 76 % p. a., gefordert – Sätze, die indessen nur für den Verkehr der Banken untereinander galten und im Verkehr mit der Kundschaft sich bedeutend erhöhten.
Eine der wichtigsten Veranlassungen zu dieser scharfen Zinssteigerung lag in den großen Anforderungen, die die Ultimoglattschriften der Börsenverbindlichkeiten an den Markt stellten. Für Leihdevisen gingen die Sätze daher von 11–11 ½ % p. a. am Anfang April auf 15–16 % Ultimo April in die Höhe, Hamburger Girogoldmarkt bedang 27–30 %. Im Mai setzte dann die große Reinigungs-krise in der Finanzwelt ein, der in schneller Folge neben anderen kleineren Banken in Hamburg, Schwab, Noelle & Co., die Hamburger Privatbank von 1860, Elbebank, Hansabank und – gerade zum Ultimo Mai – die Hamburger Handelsbank, im Rheinland die dem Stahlwerk Becker nahestehende Industriebank, in Frankfurt eines der ältesten Häuser: D. & J. de Neufville & Co. zum Opfer fielen. Es waren dies einerseits die Auswirkungen der verfehlten Frankenspekulation, die von den Banken teils für eigene Reklame, teils vonseiten der Kundschaft getrieben worden waren; andererseits schon die Folgen der bequemen und leicht zu bewerkstelligenden Flucht unter das die Schuldner schützende Dach der Geschäftsaufsicht. Eine große Anzahl weiterer Banken konnte nur durch die von den Großbanken des jeweiligen Plahes gegründeten Stützungskonsortien mühsam vor dem Zusammenbruch bewahrt werden. Kurzfristige Börsenkredite waren infolgedessen besonders in der ersten Hälfte des Mai nur äußerst schwer erhältlich; gegen Ende Mai zeigten sich Erleichterungen, die auf die infolge des Ruhrstreiks herabgeminderten Ansprüche des Ruhrgebiets für Lohnzahlungen und vor allem mit dem Rückgang der Devisenforderungen auf das Freiwerden der bis dahin für die Devisenanmeldungen gesparten Summen zurückzuführen sind; auch die Herabsetzung des Mindestsaldos auf Reichsbankgirokonten trug zur Entspannung der Lage bei, sowie die mit kurzen Erholungspausen einsetzenden Effektenexekutionen an den Börsen, die den Wert der Aktien binnen kurzem auf einen anormal tiefen Stand herabdrückten. (Börsenindex der „Frankfurter Zeitung“ am 4. 4. 1924 (Januar 1923 = 1): 1824,5 Mill.; am 9. 5. 1260,2 Mill.). Das Zurückziehen der Staatsgelder von der Reichsbank und von der Seehandlung infolge der erhöhten Auszahlungen an Beamtengehältern verengte den Geldmarkt weiterhin, erhöhte die Sätze (2. 6. bis 7. 6. 0,88 ‰ in Berlin für Tagesgeld) und löste an der Börse, wo die „Stimmenkäufe“ für die Generalversammlungen eine vorübergehende Steigerung hervorgerufen hatten, einen weiteren Rückgang der Aktien (Index der „Frankfurter Zeitung“ vom 30. 5.: 1429,4 Mill., vom 13. 6.: 1152,8 Mill.) Aus. Verstärkt wurde die Geldknappheit noch durch die Kündigungen, die die Seehandlung Anfang Juni aussprach; da es sich nur um die kleineren Beträge bis herab zu 1000 und 500 GM handelt und sich die Gesamtsumme vermutlich nur auf einige Millionen belief,1 so wäre der durch diese Maßnahme entstandene Druck nicht so stark gewesen, wenn nicht gleichzeitig alle anderen Geldgeber dadurch zu erneuter Vorsicht und Zurückhaltung sich veranlasst gesehen hätten; so lehnte der Berliner Kassenverein die Erteilung neuer Kredite mit dem Hinweis auf die Minderung seiner Kreditoren völlig ab. Diese erneute Verengung am Geldmarkt bedeutete für einen großen Teil der Unternehmungen, die sich zu Preissenkungen noch nicht entschließen konnten, den Zwang, sich die erforderlichen Betriebsmittel durch Effekten- bzw. Devisenverkäufe zu verschaffen; Mitte Juni war daher ein merkliches Nachlassen der Nachfrage am Geldmarkt bemerkbar; der Geldmarkt wurde flüssig, die Sätze gingen auf 0,38 ‰ (Berlin) bzw. 0,39 ‰ (Frankfurt) für Tagesgeld und 26,3 % p. a. (Berlin) bzw. 30,9 % p. a. (Hamburg) für Monatsgeld zurück. Stellenweise war das Angebot kaum anzubringen, allerdings nicht mangels einer Nachfrage überhaupt, sondern mangels Nachfrage von Seiten durchaus kreditwürdiger Unternehmungen. Die Krise hatte sich zu einer Vertrauenskrise größten Stils ausgewachsen, bei der nur noch „erste Adressen“ berücksichtigt wurden.
Welche Gefahren die Kreditgewährung mit sich brachte, bzw. welche Folgen die Krediteinschränkung gezeitigt hat, zeigt die Konkursstatistik der letzten Monate:
April: Konkurse 133, Geschäftsaufsicht -
Mai: Konkurse 322, Geschäftsaufsicht 623
Juni: Konkurse 579, Geschäftsaufsicht 833
Juli: Konkurse 1173, Geschäftsaufsicht 501
Die starke Erhöhung der Konkursziffer im Juli ist vermutlich zu einem großen Teil auf die durch die Verordnung vom 16. 6. erfolgte Beschränkung der Geschäftsaufsichtsdauer auf ein Vierteljahr zurückzuführen, da von den 412 im Juli aufgehobenen Geschäftsaufsichtsanträgen der größte Teil zum Konkurs geführt haben wird.
Eine Erleichterung der umständlichen, technisch schwer zu bewältigenden Depotvorschriften – es wird immer noch Doppel- bzw. von der Seehandlung dreifache Deckung gefordert – wurde zwar angestrebt, aber angesichts der immer erneuten Kursstürze an der kaum mehr aufnahmefähigen Börse nicht ernsthaft verfolgt. Die vorhandenen flüssigen Mittel, die man weder dem Effektenmarkt zuzuführen, noch der Produktion in langfristigen Krediten zukommen zu lassen wagte, flossen in Berlin alle der Preußischen Staatsbank zu, der eine kurzfristige Anlage ebenfalls nicht möglich war, so dass sie wegen übermäßigen Geldangebots die Zinsen für tägliches Geld von 8 auf 5 % p. a. herabsetzte.
Erst zur Ultimoabwicklung zeigte sich wieder die übliche Versteifung des Geldmarktes, Erhöhung des Notenumlaufs um 206 Mill. und Minderung der Depositen bei der Reichsbank um 298 Mill., während die unmittelbaren Kreditansprüche an die Reichsbank nur geringfügig, um 38 Mill., zunahmen. Die Zinssätze für „tägliches Geld“ erholten sich etwas (auf 0,54 °/oo im Wochendurchschnitt 30. 6. bis 5. 7. in Berlin, auf 0,75 °/oo im Wochendurchschnitt 23. 6. bis 28. 6. in Frankfurt); fängiges Geld war um Ultimo und in der ersten Juliwoche kaum erhältlich. Die Darlegungen des Reichsfinanzministers trugen dazu bei, die pessimistische Grundstimmung zu verstärken, die Zurückziehung bzw. Nichterneuerung holländischer Kredite steigerte die Nachfrage am heimischen Geldmarkt weiterhin.
Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Schwankungen am Geldmarkt und an der Effektenbörse:


Vom 7. 7. an ist wieder eine Erleichterung am Geldmarkt zu verzeichnen; bei weichenden Zinssätzen war weder das volle Angebot an „täglichem Geld“ noch an Monatsgeld unterzubringen. Valorisierte Monatsgelder sanken in Frankfurt in der Zeit vom 1. 7. bis zum 11. 7. von 2-2¼ % p. a. auf 1,5 - 1,625 %. Da das überflüssige Geld den Banken als tägliche Einlage zufloss, senkten diese erst in Berlin, etwas später in Frankfurt, die Habenzinsen von 8 auf 6 %. Da wenige Tage danach auch eine Herabsetzung der Habenzinsen für langfristige Einlagen erfolgte, war damit leider wieder der Anreiz zur Kapitalbildung vermindert. Doch kommt das erhöhte Geldangebot praktisch für die Wirtschaft noch nicht sehr in Frage, da einerseits die Kredite überhaupt nur für erste Firmen zur Verfügung gestellt wurden und andererseits auch ihnen eine Unterbringung ihrer Wechsel bei den Banken nicht möglich war; denn für diese, deren Kredit bei der Reichsbank meist voll ausgenutzt war, bedeutet ein großer Wechselbestand im Gegensatz zu Vorkriegszeiten bei der Unmöglichkeit weiterer Rediskontierung eine illiquide Kapitalsanlage, die in Anbetracht der weiter anhaltenden Zahlungsstockungen eine zu große Gefahr mit sich bringt. So bleibt das Missverhältnis des Kreditmangels bei flüssigstem Gefüge weitestgehend bestehen. Am 20. 7. erfolgte die eingangs bereits erwähnte Diskontzusage der Seehandlung an die Berliner Stempelvereinigung. Damit scheint die scharfe Kreditsperre der Reichsbank durchbrochen, zudem auch von anderer Seite auf eine Milderung des bestehenden Systems hingedeutet zu werden. Wie weit sich diese Maßnahmen in der Wirtschaft auswirken werden, muss die nächste Zeit noch erweisen; jedenfalls tritt die preußische Staatsbank seit einigen Wochen wieder als Geldnehmerin für tägliches Geld auf. Andererseits bleibt die leichte Verkrampfung des Geldmarktes, von der kleinen Juli-Ultimo-Anspannung abgesehen, weiterhin bestehen.
Die Leichtigkeit des Geldmarktes hatte indessen zunächst nicht, wie man vermuten könnte, eine Zunahme der Tätigkeit an der Effektenbörse zur Folge. Die Tendenz war hier – besonders an der Aktienbörse – fast ununterbrochen nach unten gerichtet. Der Aktienmarkt, übernervös auf jedes Gerücht sowohl politischer als auch wirtschaftlicher Art, insbesondere auf angebliche Zusammenlegungsabsichten der Aktiengesellschaften reagierend, erwies sich schließlich als kaum mehr fähig, die Aktienpakete aufzunehmen. Das am 16. Juni gegründete Stärkungskonsortium der Berliner Großbanken hatte eine zu geringe Aktionsmöglichkeit durch die Begrenzung seiner Mittel auf 4 Mill. GM, um dauernde Besserung ergeben zu können, wenn auch die psychologischen Wirkungen nicht zu unterschätzen sind. Selbst kleinere Verkäufe übten schon einen scharfen Druck aus, sodass man fast von einer Stagnation an der Effektenbörse sprechen konnte. Der Aktienkurs erreichte – nach den Berechnungen der Frankf. Ztg. (s. o.) – am 11. 7. seinen tiefsten Stand (146,8 Mill.) bei einem Minimum von Umsätzen; an der Berliner Börse wurden am 7. 7. in einzelnen Papieren 10 Stück und weniger umgesetzt. Die letzte Zeit brachte eine leichte Erholung am Effektenmarkt, bei steigenden Kursen wachsende Nachfrage, vor allem aus dem Ausland. Das Charakteristikum dieser letzten Juli- und ersten Augustwochen an der Effektenbörse dagegen war die wilde Spekulation am Markt der heimischen Anleihen, die angeregt wurde durch die sich allen Widerrufen zum Trotz hartnäckig erhaltenden Aufwertungsgerüchte. An den stürmischsten Haussetagen für dieses meist „kistenweise“, d. h. zu je 1 Mill. Al nominell, gehandelte Papier kam es daher zu Umsätzen, die in keinerlei Verhältnis zum verfügbaren Material mehr standen, sodass es bei den Lieferungen zu erheblichen Schwierigkeiten kam; ohne dass andererseits bei der wertmäßig nur geringen Bedeutung dieser Geschäfte eine stärkere Inanspruchnahme des Geldmarktes vonnöten gewesen wäre.
In den letzten Tagen erst scheint sich endgültig eine Ablenkung des Interesses vom Anleihe- zum Aktienmarkt vollzogen zu haben, an dem vor allem – neben den Großbankkreisen – das Ausland vermutlich stark beteiligt ist.
Die Devisenkredite, eine Zeit lang mehr vernachlässigt, gewannen erneute Bedeutung durch das Fälligwerden der ersten Kredite der Golddiskontbank, die – ausgezahlt in Devisen und zu einem geringen Teil in Markbeträgen – voll in Devisen zu decken sind. Diese Devisen wurden nun nicht so sehr am Kassamarkt gekauft, als durch Übernahme von Devisenkrediten verschafft, da die Zinssätze hier niedriger als auf dem Geldmarkt sind (8–9 % p. a. gegenüber ca. 22 % p. a. für Monatsgeld).
Von dieser Seite her ist der deutschen Wirtschaft eine allerdings eher vorsichtig gehandhabte Erleichterung gekommen, durch die am 12. 6. erweiterten Rediskontkredite der Bank in Amerika, wo das von der International Acceptance Bank geführte Konsortium eine Erhöhung des Rediskonts von 5 auf 25 Mill. $ beschlossen hat, während gleichzeitig die englische Rediskontmöglichkeit auf 5 Mill. £ festgesetzt wurde, sodass damit eine Ausweitung des Kredits um rund 200 Mill. GM erreicht worden ist. Die Rediskonte – angeführt unter dem Posten Giroverbindlichkeiten – belaufen sich nach dem letzten Ausweis vom 15. 8. 1924 auf 7,5 Mill. £, als Wechselbestand auf 6,2 Mill. £, sodass die gesamte Kreditgewährung zurzeit etwa 270 Mill. GM beträgt. Eine weitere Ausdehnung der Auslandskredite bedeutet der Beschluss der Bundesreservebanken der Vereinigten Staaten vom Anfang August, erstklassige deutsche Handelswechsel, die auf Dollarwährung lauten, zum Diskont anzunehmen.
- 1 Frankfurter Zeitung Nr. 410 vom 3. Juni 1924.