Unter den Gesetzen zur Durchführung des Londoner Pakts, die der Reichstag am 29. August 1924 billigte, befindet sich das „Gesetz über die Liquidierung des Umlaufs an Rentenbankscheinen.“ Des Wortlauts des Titels ungeachtet behandelt das Gesetz die Liquidation der Rentenbank selbst. Spätestens nach zehn Jahren hat diese Liquidation auch formell zu erfolgen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat sich die geschäftliche Tätigkeit der Bank auf die Abwickelung der von ihr gegebenen Kredite zu beschränken.
Die Gründe, welche die Aufhebung der Rentenbank in ihrer bisherigen Form veranlaßt haben, sind bekannt. Es handelt sich einesteils darum, die deutsche Währung zu vereinheitlichen: die Rentenmark soll verschwinden und mit ihr das besondere System der „Deckung“ durch eine hypothekarische Belastung, deren Überflüssigsein für den Bestand der Währung jetzt allgemein zugegeben wird. Andernteils sollte die Industrie, nach ihrer Entlassung aus der Hypothekarhaftung für die Rentenbank, für die Zwecke der Reparationsbelastung herangezogen werden.
Das Liquidationsgesetz bestimmte also, daß Industrie, Gewerbe, Handel und Banken aus der Haftung entlassen werden sollten (wobei die beiden letztgenannten Gruppen ganz frei werden). Die Belastung der allein noch haftenden Landwirtschaft wurde auf zwei Milliarden Goldmark festgesetzt, - gegenüber einer bisherigen Gesamtbelastung von ursprünglich 3,2 Milliarden, die nach einer im Juli erfolgten Revision auf 3068,4 Mill. herabgesetzt wurde.
Die Aktiva der Rentenbank, auch außer der nunmehr zwei Milliarden betragenden Hypothek, welche zu 5 v. H. (bisher 6 v. H.) seitens der Belasteten verzinst werden soll, tragen nun einen ganz besonderen Charakter. Sie bestehen nämlich, nach dem letztveröffentlichten Ausweis vom 30. September 1924, aus folgenden wichtigsten Posten (in Mill. RM):
Angesichts der Tatsache nun, daß die „an die Wirtschaft“ gegebenen Kredite1 in der Hauptsache an die Landwirtschaft gelangt sind, welche eine Rückzahlung in den meisten Fällen nur unter den allergrößten Schwierigkeiten durchführen könnte, ergibt sich eine erhebliche Illiquidität der Rentenbank - denn die 1200 Mill. M Kredite an das Reich sind ja auch nicht als liquider Posten zu bezeichnen.
Es lag also bei der Durchführung des Londoner Pakts die Aufgabe vor, die an Reich und Wirtschaft gegebenen Kredite in Höhe von 2 076 Milliarden RM langsam zur Tilgung zu bringen, und zugleich den Notenumlauf (im gleichen Betrage) einzuziehen. Letzteres sollte möglichst rasch geschehen, - im Interesse der Einheitlichkeit der Währung. Bei der Schuldentilgung aber mußte berücksichtigt werden, daß von der schutzbedürftigen Landwirtschaft nichts weiter als die Zinsen der hypothekarischen Belastung gefordert werden konnten - und daß, darüber hinaus, diese „Belastung“ möglichst bald annulliert werden sollte.
Endlich aber muß Vorsorge dafür getroffen werden, daß die Landwirtschaft einen gewissen Ersatz für die zurückzuzahlenden 870 Mill. M Kredite aus anderen Kreditquellen erhält. Die Reichsbank kommt dafür nicht in Frage, weil sie auf reine Wechselkredite beschränkt ist. Der Gedanke, die in der Rentenbank gegebene Gesamtbelastung der deutschen Landwirtschaft für die Erlangung von Krediten für diese dienstbar zu machen, lag dabei nahe.
Das Gesetz vom 30. August hat die Aufgaben nun in folgender Weise gelöst:
1. Privatkredite (870 Mill. bzw. einschließlich der 6 Mill. Meliorationskredite): die Abwicklung hat innerhalb von drei Jahren, vom 1. Dezember 1924 ab gerechnet, in Höhe von je einem Drittel jährlich, zu erfolgen, - mit „tunlichster Beschleunigung“, jedoch „unter angemessener Rücksichtnahme auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners“. Die Rentenbank gibt aus ihren Zinseneinnahmen einen Anteil in Höhe von 7/10 des Reichsbankdiskonts auf die betreffenden Beträge, im Höchstfall aber 7 % derselben, an die Reichsbank ab.
2. Reichskredite (1200 Mill.): die Tilgung der Schuld geschieht aus einem Tilgungsfonds. In diesen fließen hinein:
a) die Zinszahlungen aus der Hypothekenbelastung - ab 1. Oktober 1924 - das wären jährlich 5 v. H. von 2000 Mill. RM, gleich 100 Mill. RM im Höchstfalle, 60 Mill. im Mindestfalle (s. u. 3).
b) Zahlungen des Reichs in Höhe von 60 Mill. RM jährlich, c) der Gewinnanteil des Reichs aus den Erträgnissen der Reichsbank - in unbestimmter Höhe. Im ungünstigsten Fall kommen also jährlich 120 Mill. M ein, so daß - ohne Berücksichtigung von Zinszuwachs und Reichsbanküberschüssen - in zehn Jahren die Schuldentilgung sicher durchgeführt sein kann.
3. Ersatz der landwirtschaftlichen Kredite: die Rentenbank erhält die Berechtigung, mit Zustimmung der Reichsregierung, ihre für die Liquidierung des Notenumlaufs nicht beanspruchten Mittel einer zubegründenden landwirtschaftlichen Kreditanstalt „oder ähnlichen Zwecken“ zuzuführen. Für das neue Kreditinstitut wird ferner der Teil der Zinszahlungen (für die hypothekarische Belastung), welcher 60 Mill. RM überschreitet, bis zum Höchstbetrag von 25 Mill. aus dem Tilgungsfonds abgezweigt.
Es ist nun wichtig, zu wissen, daß die für die Liquidierung der Rentenbankscheine nicht unmittelbar beanspruchten Mittel der Rentenbank rd. 150 Mill. RM betragen. In dieser Summe stecken die bisherigen Gewinne aus der Notenausgabe, sowie die Erträge der ersten Zinszahlung des „Belasteten“, welche am 1. April 1924 durchgeführt wurde. (Die zweite Halbjahrszahlung, am 1. Oktober fällig, ist gestundet und bis jetzt noch nicht eingezogen worden. Sie wird aber von den ursprünglich Belasteten [also auch der Industrie usw.] eingezogen, ohne daß eine Dividendenausschüttung stattfinden soll.)
Diejenigen Kreise, welche nach dem Ausscheiden von Industrie, Gewerbe, Handel und Banken allein in der Rentenbank zurückgeblieben sind (nämlich die Landwirtschaft in ihren Organisationen: Landwirtschaftsrat mit 3/11, der Aufsichtsrat stimmen - Reichslandbund, Vereinigung der deutschen Bauernvereine, Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften, Generalverband der deutschen Raiffeisengenossenschaften, mit je 2/11 der Stimmen) versuchten nun sofort, die Liquidation der Rentenbank in ihrem Sinne durchzusetzen. Das Machtinstrument der Rentenbank, mit der Gesamtbelastung der Landwirtschaft, mit beträchtlichen flüssigen Mitteln, mit einem so wichtigen Aktivum, wie es die 870-Mill.-Kredite an die Landwirtschaft darstellen, forderte geradezu zu einem Zugriff heraus.
Sofort aber traten eine Reihe von Gegensätzlichkeiten in Erscheinung. Infolge dieser auf allen Seiten emporwachsenden Widerstände hat sich eine Entscheidung über die weiteren Schicksale der Rentenbank oder ihrer Nachfolgerin, der Agrarbank, bis heute verzögert – und wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach, weiter bis zum Zusammentritt der neuen Regierungen in Reich und Preußen verzögern.
Die wichtigsten Gegensätze in der Frage der Fortführung der Rentenbankkredite liegen zwischen Großgrundbesitz (d. h. praktisch: dem Landbund) und den Kreditgenossenschaften, die sich im wesentlichen aus Kreisen der bäuerlichen Wirtschaft zusammensetzen. Mit den Kreditgenossenschaften zusammen steht die Preußenkasse (Preußische Zentralgenossenschaftskasse) als ihre Spitzenorganisation – mit ihr, dem halbstaatlichen Institut, steht aber auch das Land Preußen.
Die Wünsche des Großgrundbesitzes laufen darauf hinaus, das neue Agrarinstitut als wichtige Machtposition in die eigene Hand zu bekommen, und es sowohl zur Beschaffung von Betriebskrediten (von der Saat bis zur Ernte) als auch zur Vermittlung von Real- krediten (langfristigen Hypothekarkrediten) zu benutzen.
Die Genossenschaften, und mit ihnen die halbstaatliche Zentralorganisation, die Preußenkasse, bekämpfen den Gedanken einer Neugründung vor allen Dingen deshalb, weil sie davon eine Konkurrenz auf ihrem Hauptgebiet, der Vermittlung von Betriebskrediten, fürchten müssen.
Die Länder, und zwar einerseits Preußen, andererseits aber auch die gesamten süddeutschen Länder, stehen in der Opposition, weil Preußen das Institut der Zentralgenossenschaftskasse konkurrenzfrei erhalten möchte, während die anderen Länder sich gegen eine Zentralisierung des Kreditapparates in Berlin sträuben und bei einer „Kontingentierung“ der Hypothekargelder zugunsten der einzelnen Länder das neue Kreditinstitut auf den reinen Betriebskredit beschränken möchten.
Die Industrie endlich steht in der Opposition, weil die von ihr bewirkten Zinszahlungen (auf die bisherige Rentenbankbelastung) nunmehr der Landwirtschaft als Kreditmittel zufließen sollen, anstatt zurückgezahlt oder der „Bank für Industrie-Obligationen“ verfüglich gemacht zu werden.
In diesem Kampf aller gegen alle, der sich um jene beiden Gesetzentwürfe für die Errichtung der neuen Agrarbank entspann, welche die „Rentenbank in Liquidation“ und die Preußische Regierung ausgearbeitet hatten, ist nun ein Kompromiß zustande gekommen. Dies wurde in der ersten Generalversammlung der „neuen“ (das heißt nunmehr rein landwirtschaftlichen) Rentenbank bekanntgegeben. Es enthält als wichtigsten Punkt, daß die allgemeine Grundschuldbelastung der Landwirtschaft aus der Rentenbank nicht dem neuen Agrarbankinstitut übertragen werden soll, sondern mit der Liquidation der Rentenmarkprivatwechsel und Rentenmarkreichsschulden aufgehoben werden soll.
Damit entfällt nun die eigentliche Machtposition des geplanten Instituts. Es ist folgerichtig, daß sich dieses im wesentlichen auf die Verwaltung der flüssigen Mittel der „Rentenbank in Liquidation“, das heißt also auf die Vermittlung von Betriebskrediten, nicht aber von Hypothekarkrediten, beschränken soll.
Gegen diese so stark reduzierten Pläne stimmen immer noch die Vertreter der Bauernvereine und der Preußenkasse, welche die Errichtung eines neuen Kreditinstituts überhaupt für unnötig halten. Obwohl in der Generalversammlung der Rentenbank, vom 11. November, berichtet wurde, daß die Verhandlungen über den Gesetzentwurf für die neue Agrarbank noch „im Gange“ seien, ist wenige Tage später, am 20. November, ein höchst eigentümlicher Schritt des Aufsichtsrates der Rentenbank erfolgt. Dieser hat „einmütig“ (d. h. also auch mit den Stimmen der Genossenschaften) festgestellt: die schwere Kreditnot der deutschen Landwirtschaft macht die schleunige Errichtung des geplanten neuen Agrarinstituts (Rentenbank - Kreditanstalt) in enger Anlehnung an die deutsche Rentenbank und unter Wahrung des Charakters als Selbstverwaltungskörper der deutschen Landwirtschaft erforderlich. Sollte die unverzügliche Errichtung, auf Grund der vorhandenen Entwürfe, nicht erfolgen, so fällt die Verantwortung für die Schäden, welche Landwirtschaft und Volksernährung erleiden, auf Reichs- und Landesregierungen.
Dieses „Ultimatum“, das nichts geringeres als die Fortführung der Gesetzgebung auf Grund des Artikels 48 der Reichsverfassung so stürmisch fordert, ist auch insofern bemerkenswert, als damit den Reichs- und Länderregierungen eine Schuld zugeschoben wird, welche zunächst nur die Uneinigkeit und Gegensätzlichkeit der Interessen in den landwirtschaftlichen Organisationen trifft.
Es muß die Frage aufgeworfen werden, welche sachlichen und persönlichen Interessen in der Frage der Nachfolgerschaft der Rentenbank denn jemals noch, nach Abschluß des Kompromisses in der Frage der Grundschuldhaftung, bestehen. Nach dem letzten Entwurf ist das neue Agrarinstitut ja gar nicht mehr die wichtige Machtposition; umso weniger, als der Aufsichtsrat in Zukunft, außer dem Präsidenten, acht Vertreter des Reichsrats, zwei Vertreter der Banken und nur elf Vertreter der Landwirtschaft (nämlich drei Landwirtschaftsrat, je zwei Landbund, Bauernvereine, Landwirtschaftliche Genossenschaften, Raiffeisengenossenschaften) enthält.
Unbedingt geklärt werden muß die Frage, wie die 150 Mill. RM (Kreditgewinne und Zinseinnahmen) der Rentenbank, die bis zur Liquidierung des Rentenmarkumlaufs einen wichtigen Reserveposten darstellen, genutzt und später verwendet werden sollen. Ob zur Verteilung dieser Beträge ein besonderer, zentraler Apparat über die einzelnen Kreditvermittlungsorganisationen aufgebaut werden muß, ist eine kaum zu bejahende Frage.
Berücksichtigt man weiter, daß die Abwicklung der Rentenbankkredite (870 Mill.) ohne weiteres durch den Apparat der Reichsbank geschieht – die Rentenbank verfügt ja gar nicht über die entsprechenden Zweigorganisationen – so bleiben als die spezifischen Aufgaben des neuen Agrarbankinstituts nur noch solche, die in der Zukunft liegen, und die dann im Wettbewerb mit den bestehenden Organisationen, sowie auf Kosten des geplanten Ausbaus der Preußenkasse zu einer Reichsorganisation, durchzuführen sind. Diese Zukunftsaufgaben bestehen einerseits in der Erweiterung der Betriebskreditvermittlung, andererseits im Neuaufbau des Hypothekarkredites, wo zumal zur Hereinnahme ausländischer Mittel die bestehenden landwirtschaftlichen Kreditinstitute in einer Zentralorganisation zusammengefasst werden sollen. Es erscheint aber überflüssig, daß mit diesen gänzlich neuen Aufgaben der Name der Rentenmark (und der restliche Apparat der Rentenbank) ein ewiges Leben zugesichert erhalten.
- 1 Die Kredite machen nur einen Teil der insgesamt gegebenen, auf Rentenmark lautenden Kredite aus. So betrugen z. B. im September die gesamten Kredite der Reichsbank 2024 6 Mill., wovon Rentenmarkwechsel und -schecks 1126 9 Mill. Die derart aus den Beständen der Reichsbank gegebenen „normalen“ Rentenmarkkredite sind scharf von den eigentlichen, oben besprochenen Rentenbankkrediten zu unterscheiden.