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Der Überseetag ist nicht nur ein Tag der Feier und Kundgebung, er ist auch ein Tag der Besinnung auf all die Kräfte und Faktoren, die Deutschland im Wettbewerb der freien Weltwirtschaft einzusetzen vermag. Zu diesen Kräften und Faktoren zählen wir auch den Platz Hamburg. Und es scheint mir heute angebracht, Ihre Gedanken einige Augenblicke an die besondere politische und ökonomische Position des Standortes Hamburg heranzuführen.

Verlust des Hinterlandes

Sie alle kennen wohl das Schlagwort „Hamburgs Hinterlandsverlust.“ Was heißt das? Durch den Eisernen Vorhang hat Hamburg 50 % seines natürlichen europäischen Hinterlandes eingebüßt. Der Hafen Hamburg atmet seitdem nur auf einem Lungenflügel. Das wird durch die Umschlagsergebnisse bestätigt: Im Jahre 1951 haben wir mit einem Verkehrsaufkommen von 14,2 Millionen Tonnen nur 60 % des Standes von 1936 erreicht, während alle unsere Konkurrenten an der kontinentalen Nordseeküste den Vorkriegsumschlag bereits erheblich überschreiten konnten. Lässt man die lohnintensiven Massengüter Kohle, Getreide, Öle und Erze außer Acht, so ergibt sich für Hamburg auf der Basis von 1936 ein Index von knapp 50 %, für Bremen ein Index von 95 %, für Rotterdam von 111 % und für Antwerpen von 125%.

Neben den starken Verkehrsrückgängen von und nach der heutigen Sowjetzone und der Tschechoslowakei sind die Totalverluste in der Durchfuhr von und nach Ungarn, Rumänien und Polen besonders einschneidend. Auch dem deutschen Schiffsverkehr über See hat die Zonengrenze Schranken gesetzt. 1951 wurde von Hamburg aus nur ein Siebentel der früheren Reisen nach ostdeutschen Seehäfen gefahren. Aber besonders schwere Einbußen hat die Binnenschifffahrt zu verzeichnen. Von der ehemals stattlichen Flotte auf der Elbe mit fast 1,5 Millionen Tonnen ist uns nur die Hälfte verblieben. Die verhängnisvolle Zerreißung des Fluss- und Kanalnetzes durch Blockierung der Kanalverbindungen Hamburgs mit dem mittel- und westdeutschen Raum hat bewirkt, dass die heimische Binnenschifffahrt nicht mehr ausgelastet ist und ihre Existenz durch Abwanderungen vornehmlich zum Rhein zu retten sucht. Nicht weniger als 250.000 Tonnen sind so bereits aus dem Hamburger Raum abgewandert; Neubauten werden größtenteils gar nicht mehr hier, sondern gleich auf dem Rhein eingesetzt. Ganz speziellen Schwierigkeiten steht die Fischwirtschaft gegenüber. Während 1938 rund 38.000 Tonnen Fisch in die mittel- und ostdeutschen Gebiete geliefert wurden, sind 1951 nur knapp 7.000 Tonnen in die Sowjetzone und etwa 10.000 Tonnen nach West-Berlin verschickt worden. Auch der Straßengüterverkehr meldet bekanntlich fortlaufend neue Behinderungen: Verweigerung der Abstempelung von Warenbegleitscheinen, Beschlagnahmen, Einstellung von Lieferungen nach Berlin, Straßenbenutzungsgebühren u. a. m.

An der Hamburger Industrie als Produktionszentrum für die angrenzenden Agrarländer sind ebenfalls die Behinderungen keineswegs spurlos vorübergegangen. Die großen Gruppen der Nahrungs- und Genussmittel-, der Verbrauchsgüter- und der chemischen Industrie haben wesentliche Teile ihrer Absatzmärkte verloren. In der chemisch-pharmazeutischen Industrie schwanken die Absatzverluste zwischen 20 und 50 %, beim landwirtschaftlichen Maschinenbau zwischen 10 und 50 %, bei der Margarineindustrie zwischen 30 und 80 %. So ist es kein Wunder, dass in Hamburg eine Arbeitslosigkeit herrscht, die strukturell weitestgehend durch den Hinterlandsverlust bedingt ist und die mit ihrer Quote von 15,3 % der Erwerbstätigen Hamburg unmittelbar auf das Flüchtlingsland Schleswig-Holstein folgen lässt. Diese hamburgische Arbeitslosigkeitsquote ist in den letzten Jahren konstant gestiegen, als zwangsläufige Folge davon, dass sich die Grenzsituation dieses Wirtschaftskörpers im Gegensatz zu der industriellen Erholung im Westen immer krasser herausstellte.

Vorposten der freien Welt

Aber diese Grenzlage Hamburgs hat der Hansestadt eine gewaltige, gar nicht zu unterschätzende positive Aufgabe zugewiesen: Als traditionelles „Tor zur Welt“ ist es nun als Welthafen, unmittelbar vor den Mauern der Unfreiheit gelegen, Vorposten der freien Welt geworden. Als letztes Glied der Kette der kontinentalen Häfen von Brest bis zur Elbmündung ist es zwar am meisten in den Schatten gestellt, aber zugleich nun Sprachrohr der Freiheit für alle, die unter bedrückendem Zwang und der Einengung ihrer Willens- und Handlungsfreiheit zu leiden haben.

Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, welche politische Funktion die arbeitswillige und nach voller Beschäftigung drängende Hamburger Hafenarbeiterschaft angesichts dieser Lage hat, eine Arbeiterschaft, die in ihrer Arbeitswilligkeit und Diszipliniertheit — wenn wir auf die Jahre bis 1945 zurückblicken — sich wahrlich mit ihrer Kollegenschaft in den westlich und günstiger gelegenen Wettbewerbshäfen messen kann. Vergleichen Sie nur die Zahl der Streiks dort mit dem einen des letzten Jahres hier in Hamburg! Alle Mitglieder dieser stadtstaatlichen Gemeinschaft sind von der Bedeutung der aktuellen politisch-ökonomischen Funktion dieses Welthafens erfüllt. Sie haben alle daran mitgewirkt, durch raschen Wiederaufbau der wichtigsten Schuppen- und Umschlagsanlagen und durch betont schnellen und sicheren Verkehr darzutun, welche Energien, welche schöpferischen Kräfte in Freiheit und Demokratie mobilisiert werden können. An dieser Haltung wird auch in Zukunft kein Zweifel bestehen. Wir wissen, dass dies alles von der übrigen freien Welt anerkannt wird. Aber diese Anerkennung bedarf doch auch noch ihrer Realisierung in einzelnen wirtschafts- und verkehrspolitischen und verwaltungsmäßigen Maßnahmen.

Diskriminierung im Ost-Westhandel muss fallen!

Uns wurde kürzlich auf der Tagung des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“ die Haltung der deutschen Industriellen zur Embargo-Politik des Westens dargelegt, und wir können die dortigen Forderungen von unserer hafen- und handelspolitischen Seite aus nur unterstützen.

Um Ihnen nur einige Beispiele zu vermitteln: Die von der westlichen Welt eingerichteten Kontrollen hinsichtlich des Ost-West-Handels werden leider, nach unseren Beobachtungen, unter sehr verschiedenen Maßstäben angewandt, obgleich Deutschland als gleichberechtigter Partner im COCOM mitarbeitet und die Kontrolle des östlichen Warenverkehrs in Zusammenarbeit aller nach international festgelegten Listen erfolgt. Aber bei der Ausführung dieser Regulative werden erhebliche Differenzierungen erzwungen. Die Auswirkungen dieser Politik spiegeln sich wider in den deutschen Außenhandelszahlen mit den Ostblockstaaten. Deren Anteile an der gesamten deutschen Ausfuhr sanken von 4,3 % im Jahre 1950 auf 2,0 % im Jahre 1951. Im Gegensatz dazu weitete sich beispielsweise der britische Außenhandel mit den Staaten des Ostblocks von 1950 auf 1951 um rund 50 % aus. Die absurde Situation im China-Handel wird treffend beleuchtet durch den Umstand, dass China ausweislich der Handelsstatistik als Einkaufsland für Deutschland nicht in Erscheinung trat, über Dritte — überwiegend westliche — Länder aber für 205 Millionen DM Waren aus China bezogen wurden. Und das merkwürdige Schauspiel der zwielichtigen Offerten auf der Moskauer Weltwirtschaftskonferenz hat jetzt vor aller Augen das aufgedeckt, was wir in Hamburg nun schon seit Jahr und Tag beobachten konnten.

Beachten Sie dabei vor allem: Neben einem verstärkten Eindringen anderer Liefer- und Bezugsländer in die traditionellen deutschen Handelsgebiete im Osten ist die verkehrsmäßige Seite dieser Diskriminierungen für Deutschland und besonders für Hamburg schmerzvoll. Alle diese Differenzierungen haben zu Umdispositionen und zur Meidung des Hamburger Hafens geführt. Wir können diese Verluste sehr deutlich am Verkehr durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal beobachten, dessen Verkehr sich in beiden Richtungen im ersten Quartal 1952 sprunghaft auf 340 % des Vorjahrsverkehrs gesteigert hat! Diese Verluste sind als Gewinne zum großen Teil den Rheinmündungs- und britischen Häfen zugutegekommen. Es wäre vielleicht noch tragbar, wenn es sich dabei nur um temporäre Verluste Hamburgs handeln würde, die eines Tages durch den Sieg wirtschaftlicher Vernunft bei allen Beteiligten endgültig behoben sein würden. Leider sind es nicht reine short-run-Vorkommnisse, sondern es bahnen sich Verschiebungen an, die auch und gerade im long run gegen uns wirken. Denn ausländische Wettbewerbshäfen arbeiten unablässig an einer Ausweitung ihrer Umschlagskapazität, und es ist daher zu erwarten, dass aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen bei einer eintretenden Normalisierung des seewärtigen Güterverkehrs Gebührenunterbietungen größeren Umfangs auftreten und somit eine organische Verteilung des Verkehrs, die doch nach den ökonomischen Gesichtspunkten der internationalen Arbeitsteilung erfolgen sollte, verhindert wird.

Hamburg ist selbstverständlich bereit und hat das durch verschiedene eigene scharfe Kontrollfälle bewiesen, seinen opfervollen Beitrag zur ökonomischen Sicherheit der freien Welt zu leisten, aber doch eben auf gleicher Basis und gemessen mit gleichem Maß. Daher muss nunmehr mit allem Nachdruck darauf gedrungen werden, dass die internationale Koordinierung in dieser Frage nicht nur auf dem Papier steht. Für Hamburg muss dabei beachtet werden, dass sein Hafen und seine Schifffahrt keine zusätzlichen Belastungen durch solche Exportkontrollen vertragen, die wesentlich schärferer Art sind und nach anderen Maßstäben exekutiert werden als in anderen Häfen.

Die politische Bedeutung des Hamburger Welthafens

Gerade wenn die ökonomischen Restriktionen verschärft werden sollen, dann müssen diese eben dargelegten Probleme berücksichtigt werden, dann muss aber umso mehr auch der politischen Bedeutung des Welthafens Hamburg gegenüber dem Osten gedacht werden. Hamburg muss dann für diesen Kampf als westlicher Freihafen gestärkt werden, indem es mehr als in der Vergangenheit an die industriellen Zentren des Westens herangebracht wird. Es darf sich hier nicht das Gefühl vertiefen, dass Hamburg als ostwärtiger Vorposten des Westens verkehrsmäßig vom Revier abgehängt wird. Eine ganze Reihe von konstruktiven Maßnahmen haben wir zu diesem Zwecke seit langem angemeldet:

Als Schlüssel sehen wir eine deutsche Seehafentarifpolitik an, die sich die Frachtgleichstellung aller deutschen Seehäfen zur Grundlage nimmt. Wir sehen zusammen mit manchen unserer ausländischen Freunde diese tarifliche Gleichheit der Konkurrenzchancen als die Grundlage für eine europäische Union auf dem Gebiete des Hafenverkehrs an. Ein Schritt auf diesem Wege ist durch die Entscheidung des Herrn Bundesverkehrsministers vom 16. Mai vorigen Jahres getan worden. Was uns daran befriedigt, ist die de-facto-Abkehr vom alten System; was uns nicht befriedigen kann, ist das Fehlen ausreichender praktischer Ergebnisse aus dieser Entscheidung trotz nunmehr einjähriger Verhandlungen. An die Adresse der Bundesregierung gerichtet ist auch unsere weitere Forderung auf Unterstützung bei der Beseitigung der „Verkehrsöde“ im nordwestdeutschen Raum. Daher unsere Vorschläge und Pläne:

  • Zum Ausbau der Autobahn Hamburg-Hannover
  • Zur Elektrifizierung der Bundesbahn nach Süden und Westen, deren Durchführung gleichermaßen dem Hamburger Raum wie auch der Bundesbahn selbst zugutekäme, und
  • Zum Bau eines Nord-Süd-Kanals, der uns wieder mit Mitteldeutschland verbindet und darüber hinaus auch dem 1000-t-Schiff einen Wasserweg dorthin eröffnet.

Ein einheitliches Deutschland in freier Weltwirtschaft

Sie sehen, unsere beiden Anliegen — Gleichstellung in der internationalen Hafenkontrolle und stärkere verkehrsmäßige Verknüpfung Hamburgs mit dem Westen — bilden ein Ganzes. Sie stellen mit ihren beiden Polen zusammen das hafen- und verkehrspolitische Konzept Hamburgs dar. Dieses Konzept fügt sich meines Erachtens in die größere Konzeption des Westens und der Bundesrepublik harmonisch ein.

Hier richtet sich der Blick auf unsere Beziehungen zu den fernen überseeischen jungfräulichen Gebieten, bei denen ein Großteil unserer weltwirtschaftlichen Zukunft liegt. Hierauf sind gerade in Hamburg alle unsere Anstrengungen gerichtet. Aber gleichzeitig stehen wir hier mit dem „Rücken gegen die Wand des Ostens“. Und bei einer Schau nach Übersee sollte in dieser Situation auch nicht ein Blick nach innen und hinter die Mauer unterbleiben. Nur, wenn wir auch diese Schattenseiten ins Auge fassen, gelangen wir zu einer sicheren und klaren Übersicht aller der Kräfte und Konstellationen, die die Stellung Deutschlands im weltwirtschaftlichen Kräftespiel beeinflussen. Und auch nur so werden wir unser aller Ziel erreichen: ein einheitliches Deutschland in einer freien Weltwirtschaft.

  • Auszüge aus der Ansprache vor den auswärtigen Gästen des Überseetages am 7. Mai 1952.

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