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Mit dem Herannahen der Bundestagswahlen wird sich die geistige Auseinandersetzung der Wähler mit den verschiedenen wirtschaftspolitischen Konzeptionen der Parteien verstärken. Wir nehmen deshalb an, dass unsere Leser es begrüßen werden, wenn wir in den nächsten Heften in zwangloser Folge jeweils eine Abhandlung bringen werden, die den theoretischen Ausgangspunkt und den logischen Aufbau einer bestimmten wirtschaftspolitischen Konzeption aufzeigt. Es ist natürlich nicht unsere Absicht, in diesen Beiträgen Parteiprogramme zum Abdruck zu bringen oder die „Generallinie“ einer bestimmten Partei aufzuzeigen. Es ist der Vorzug des demokratischen Systems, dass auch die großen in sich geschlossenen Parteien eine geistige Beweglichkeit aufweisen, die es ihnen verbietet, ausschließlich einer Generallinie verhaftet zu sein. Die Autoren werden deshalb in eigener Verantwortung ein lebendiges Bild der wirtschaftspolitischen Konzeption derjenigen Partei entwerfen, der sie nahestehen.

Das Programm und die Lage

Das Aktionsprogramm der SPD vom Dortmunder Parteitag 1952 setzt als ein Ziel der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik die Erhöhung und Sicherung des Lebensstandards des Volkes. Diese dynamische Aufgabenstellung, die man volkswirtschaftlich auch als „Sicherung der wirtschaftlichen Expansion“ oder als „Politik einer möglichst starken Steigerung des Sozialprodukts“ umschreiben kann, ergibt sich ganz selbstverständlich aus der Lage der westdeutschen Volkswirtschaft, ihrem noch weiterhin ungedeckten Wiederaufbaubedarf und neuerdings — immer stärker — aus den Anforderungen, die unter dem vielseitigen Thema „Sicherung der freien Welt“ auf uns zukommen. Dass alles das nur unter kräftigster Vergrößerung des volkswirtschaftlichen Ertrages zu schaffen ist, das sollte von allen demokratischen Parteien anerkannt werden. Die Auseinandersetzungen beginnen aber hinter dem Wörtchen „durch“: Das Aktionsprogramm der Sozialdemokratie will jenes Ziel „durch Produktivitätssteigerung und Vollbeschäftigung“ erreichen. Und diese beiden Wege zur Hebung des Lebensstandards sollen beschrieben werden mit Hilfe einer bestimmten Kombination von wirtschaftspolitischen Maßnahmen, nämlich, wie es in dem Programm heißt, „durch eine Verbindung von volkswirtschaftlicher Planung und einzelwirtschaftlichem Wettbewerb“. Die Verbindung von Beschäftigungspolitik und Produktivitätssteigerung

In diesen beiden lapidaren Programmsätzen sind zwei Worte enthalten, nämlich „Vollbeschäftigung“ und „Planung“, die in der derzeitigen wirtschaftspolitischen Diskussion in Deutschland von vielen in kurzsichtiger Weise als nicht aktuell angesehen werden. Schon 1950, im Aufschwung des Korea-Booms, konnte ich bemerken, dass manche Wirtschaftler anscheinend nach der Devise lebten: „Die Vollbeschäftigungspolitik ist tot! Es lebe die Vollbeschäftigung!“ — und doch musste sich die Bundesregierung bald Gedanken machen über durchgreifende Investitionsmaßnahmen. Und die neue Luft des „free enterprise“, des „freien Unternehmertums“, die heute nach dem Regierungswechsel in den USA über den Atlantik zu uns herüberweht, lässt manche hier zu der Darstellung kommen, als ob nun schlechterdings alles ohne Planung vonstatten gehen würde — wenngleich man doch nicht übersehen sollte, dass darüber verschiedene Planungen und Kontrollen gar nicht völlig liquidiert, sondern nur in Reserve, als „fleet in being“ (als „Flotte in Bereitschaft“) gehalten werden. — Aber wie dem auch sei: Schon das erste Begriffspaar im SPD-Aktionsprogramm „Produktivitätssteigerung und Vollbeschäftigung“ stellt in der Gleichsetzung beider Aufgaben nicht ein einseitiges, stures, monotonen Ziel, sondern ein elastisches Programm dar; das Heil wird nicht allein gesucht und gesehen in der reinen quantitativen Vollbeschäftigung, der scharfe Maßstab der maximalen Produktivität wird vielmehr zugleich daran gelegt. Diese programmatische Reichweite kann nicht genug unterstrichen werden. Von dem Berliner Institut für Wirtschaftsforschung ist vor kurzem sehr schön dargelegt worden, dass die Wirtschaftspolitik in der westlichen Welt in den Jahrzehnten seit der großen Krise in ganz eigentümlicher Weise dazu neigte, jeweils einseitig auf eine bestimmte als akut angesehene Konjunkturphase abgestellt zu sein, und dabei oft gerade in dieser Einseitigkeit mit einem bestimmten „lag“, in einem gefährlichen Hinterherhinken, zu spät kam. Um das näher zu veranschaulichen: Nach dem Zweiten Weltkrieg war man aus den Erfahrungen nach 1918 auf die Bekämpfung einer Wirtschaftsdepression eingestellt. Man richtete also beschäftigungspolitische Apparate ein, die Zeiger der Wirtschaftspolitik standen auf Anti-Deflationsmaßnahmen. Jedoch, das Nicht-Nachlassen der Weltspannen und Weltrestriktionen, ja ihre Verstärkung im Laufe der Jahre und die riesigen Aufbaubedürfnisse in den zerstörten Volkswirtschaften, sorgten für eine konjunkturelle Drift nach oben, eine Tendenz, die mit inflatorischen Begleiterscheinungen verbunden war, sodass die beschäftigungspolitischen Maßnahmen jenen Trend in manchem Lande nur verstärkten. Umgekehrt heute: Nach dem Sicht-Überschlagen des Korea-Booms ist im Allgemeinen im Westen nicht so sehr die Vollbeschäftigung das wirtschaftspolitische Ziel, sondern vielmehr die „finanzielle Stabilität“. Sie ist das große Zauberwort, das heute durch die Wirtschaftsprogramme des Westens hindurchwandert. Dabei — und das ist das Entscheidende — kann es aber tatsächlich in manchen Ländern nun sehr wohl so sein, dass eine forcierte Anwendung der orthodoxen Methoden jetzt Abschwungstendenzen begünstigt, denen gegenüber gerade in nächster Zeit eine stärkere Betonung beschäftigungspolitischer Maßnahmen angebracht wäre. Sie mögen hieran sehen, weshalb ich sage, dass die Verbindung von „Produktivitätssteigerung und Vollbeschäftigung“ ein flexibles Programm darstellt. Es ist nicht nur auf eine solche Konjunkturphase abgestellt, in der tatsächlich vorwiegend beschäftigungspolitische Maßnahmen am Platze sind, sondern auch auf andere Wechselwirkungen, in denen Maßnahmen der Produktivitätssteigerung Bedeutung haben. Das Programm spricht die Aufforderung aus, in beiden möglichen Situationen mit den entsprechenden Mitteln zu handeln.

Noch deutlicher wird dies vielleicht angesichts der westdeutschen Situation. In der Bundesrepublik ist bislang im Großen und Ganzen beschäftigungspolitische Neutralität geübt worden. Die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des Jahres 1950 kamen zu spät und wurden dann durch die Impulse des Korea-Booms überlagert. Soweit im Übrigen dann auf den Beschäftigungsstand Einfluss genommen wurde, geschah das von Seiten der Notenbank mit dem Ziele, die inneren Expansionsvorgänge in Übereinstimmung zu bringen mit der Zahlungsbilanzentwicklung. Diese oft restriktiven Maßnahmen waren vielfach notwendig, da die Notenbankpolitik hierauf in ihrer Weise solche Aufgaben wahrnehmen musste, die die Bundeswirtschaftspolitik selbst nicht anpackte. Dennoch: Die gewaltigen Nachfragesteigerungen im Ausland, die durch Wiederaufbau und Rüstung verstärkt wurden, die Investitionsimpulse, die die zerstörte deutsche Volkswirtschaft selbst aufnahm, die Auslandshilfen, der Arbeitswille aller am Arbeitsprozess beteiligten Deutschen, sie brachten zusammen in den letzten Jahren eine solche Steigerung der deutschen Produktion und Beschäftigung zustande, dass Aufforderungen an den Staat, Beschäftigungspolitik zu treiben, in vielen Wirtschaftskreisen verstummten. Aber die zunehmende Beengung der Konkurrenzen auf den ursprünglich noch leeren Weltmärkten hat die Forderung nach Produktivitätssteigerung in der deutschen Volkswirtschaft in den Hintergrund geschoben. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft erscheint nunmehr vielen als das Problem Nummer Eins. Und in der Tat tun sich hier Versäumnisse auf: Unser industrieller Produktionsindex steht auf über 150 (Basis 1936 = 100), der Index unserer Produktivität dagegen nur auf 110 (Produktionsergebenis je Arbeitsstunde, 1936 = 100). In England, Frankreich, Schweden, Italien wird die industrielle Produktivität mit etwa 120—130 gegenüber dem Vorkriegsstand angegeben.1 Dies sollte uns für unsere Bemühungen eine Richtschnur sein. Wir müssen in den kommenden Jahren eine jährliche Steigerung der Produktivität von 4—6 % durchhalten. Aber die heutige Situation in Westdeutschland sollte bei aller Bedeutung dieser Produktivitäts- und Wettbewerbsaspekte uns nicht die Augen davor verschließen lassen, dass wir immer noch erhebliche beschäftigungspolitische Aufgaben zu erfüllen haben:

  1. Die Steigerung der Arbeitslosigkeit in diesem Winter auf über 1,9 Millionen geht ohne Zweifel über das saisonübliche Maß hinaus. Der überraschend steile Anstieg ist zudem auch Ausdruck der inneren Labilität unserer Arbeitsmarktverhältnisse!
  2. Weiter stellt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium in seiner Äußerung vom Januar 1953 fest, dass die Zuwachsraten von Sozialprodukt und Produktion abnähmen und dass krisenpolitische Wachsamkeit angebracht sei.
  3. Jedoch schlagender als solche Äußerungen ist wohl die einfache empirische Tatsache, dass wir innerhalb der westdeutschen Volkswirtschaft ein ganz erhebliches regionales Beschäftigungs- oder umgekehrt Arbeitslosigkeitsgefälle besitzen. Neben den Bundesländern, die die Arbeitslosigkeitsquote einer Vollbeschäftigungswirtschaft von 4 % unterschritten haben, stehen solche, die das 4- bis 5-fache dieser Rate aufweisen. Gewiss spielt in diesen Gebieten die sogenannte strukturelle Arbeitslosigkeit eine erhebliche Rolle. Aber der beschäftigungspolitische Tatbestand wird mit dieser Feststellung nicht vom Tisch gefegt. Wir stehen zumindest vor einem sehr akuten Regionalproblem der westdeutschen Arbeitslosigkeit. Ich darf darauf hinweisen, dass dieses Regionalproblem der westdeutschen Arbeitslosigkeit seit Jahren existiert und dass auf die Notwendigkeit seiner zentralen Lösung von uns seit Jahren hingewiesen wurde.
  4. Wollen wir das beschäftigungspolitische Soll der Bundesrepublik grob ansehen, so müssen wir nach den Feststellungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften die Zahl der Erwerbspersonen insgesamt für die nächsten Jahre bis 1960 mit 23,4 Millionen angeben (heute etwa 22,5 Millionen), die Zahl der abhängig Erwerbstätigen mit 16,5 Millionen (heute tätig rd. 15 Millionen).2 In diesem Rahmen hat sich eine aktive Wirtschaftspolitik zu bewegen.

Mit diesen Feststellungen ist also wohl die Spannweite des Programmpunktes „Produktivitätssteigerung und Vollbeschäftigung“ genügend angedeutet.

Die Verbindung von Planung und Wettbewerb

Nun zum zweiten Programsatz, der „Verbindung von Planung und Wettbewerb“. Man muss sich immer wieder fragen, warum eigentlich diese Verbindung von vielen Kritikern als so problematisch angesehen wird. Der Grund ist wohl darin zu suchen, dass die in Deutschland hat seit 1948 eine zentral betriebene neoliberale Wirtschaftspolitik auf dem Hintergrund einer Grundsatz-Diskussion verfolgt, die zeitweilig zu einer völligen Erstarrung der Fronten führte. Diese Frontenbildung wurde in erster Linie hervorgerufen durch jene sogenannte Unvereinbarkeitslehre, die eine Verbindung der Marktwirtschaft mit Planung seitens jener Seite als unmöglich ansah; es gäbe ja auch nur eine oder keine Sdwangerswirtschaft, es gäbe aber nicht „etwas Sdwangerswirtschaft“. Noch heute wird versucht, diese Unvereinbarkeitslehre mit typischen deutschen Konsequenzen durchzusetzen. Ein Blick auf die westliche Welt zeigt jedoch, dass diese Unvereinbarkeitslehre unrealistisch ist. Wir leben tatsächlich in der freien Welt in einer gemischten Wirtschaftsordnung. Man mag die Verbindungen von volkswirtschaftlicher Planung und einzelwirtschaftlicher Konkurrenz, die in den verschiedenen Ländern heute praktiziert werden, in ihrer Art nicht gutheißen; sie sind aber ein Faktum.

Ich fürchte, dass unsere deutschen Unvereinbarkeits-Theoretiker auf wirtschaftspolitischem Gebiet gerade die Denkweise anwenden, die in einer Demokratie überwunden werden sollte, nämlich die Methode des Denkens im Extrem. Außerdem sind beide, Planung und Wettbewerb, nur wirtschaftspolitische Instrumente, nur Lenkungsmittel, und nicht Ziele. Das Ziel ist die Steigerung des Wohlstandes in einer freien Gesellschaft. Von den Unvereinbarkeitsfanatikern wird das Lenkungsinstrument „Wettbewerb“ zum Ziel verabsolutiert, was falsch ist. Beide Lenkungsinstrumente haben in den entsprechenden Situationen in einer freien Gesellschaft ihren Platz und ihre Berechtigung.

In welcher Art und Weise die deutsche Sozialdemokratie die Verbindung von Planung und Wettbewerb vorstellt, ist im Aktionsprogramm ausgeführt und soll hier im Folgenden kurz skizziert werden. Die dortige Synthese ist das Ergebnis von langjährigen Diskussionen über das Wirtschaftsordnungproblem, von Erörterungen, die sich von den Unvereinbarkeitslehren ferngehalten haben. Im Programm heißt es eindeutig, dass die SPD „die wirtschaftliche Befreiung der Persönlichkeit erstrebt, dass sie die ‚Zwangswirtschaft‘ ablehnt“ und „die freie Konsumwahl bejaht“. Sie wird den „ersten Leistungswettbewerb in allen dafür geeigneten Wirtschaftszeugen fördern“. Und in welchem Ausmaß geplant werden soll, können wir wie folgt ausdrücken: Wettbewerb soweit wie möglich, Planung soweit wie nötig!

Planung und Wettbewerb sollen zusammen der Produktivitätssteigerung und der Vergrößerung des Beschäftigungsvolumens dienen. Die westdeutsche Situation erfordert, wie gezeigt, beide Zielsetzungen, wobei die Hebung der Wettbewerbsfähigkeit unzweifelhaft im Augenblick besonderes Augenmerk erfordert. Hierbei möchte ich von vornherein mit allem Nachdruck betonen: Die von mir hier darzulegenden Maßnahmen zur Steigerung unserer Leistungsfähigkeit in Produktion und Verteilung müssen begleitet werden von einer bestimmten Einkommens- und überhaupt Sozialpolitik. Die heutigen Zustände in der Einkommensverteilung und Einkommensverwendung entsprechen vielfach weder den Anforderungen höherer volkswirtschaftlicher Produktivität noch den Maßstäben sozialer Gerechtigkeit. Auf diese Notwendigkeit der Parallelität von wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Maßnahmen im sozialdemokratischen Konzept möchte ich hier nur hinweisen; ich komme darauf später noch zurück.

Die Produktivitätssteigerung

Eine Erhöhung der Produktivität in einer Wirtschaft lässt sich in unserem Stadium der industriellen Entwicklung durch eine bessere Kombination der Produktionsfaktoren erreichen. Die Koordination der Produktionsfaktoren vollzieht sich innerhalb der Unternehmung, zwischen den einzelnen Unternehmen innerhalb der Volkswirtschaft und zwischen den Volkswirtschaften. An dieser Stelle darf ich einen gemeinsamen Platz anmerken: Vom freiheitlichen Sozialismus wird eine arbeitsteilige, mit Geld alle Art arbeitende sogenannte Verkehrs- oder Tauschwirtschaft auch für die Zukunft vorausgesetzt.

Steigerung der betrieblichen Produktivität

Mehr denn je muss gefordert werden, dass die Unternehmensführungen sich alle Ergebnisse der betriebswirtschaftlichen und arbeitswissenschaftlichen Forschung zu eigen machen, um eine von menschlichen Beziehungen erfüllte und mit höchster Leistung arbeitende Betriebsgemeinschaft hervorzubringen. Zu den Mitteln einer solchen betrieblichen Produktivitätspolitik (Koordination innerhalb der Unternehmung) gehören: die Erhöhung der persönlichen Leistungsanreize für den schaffenden Menschen, die Betonung des Leistungsprinzips in der Entlohnung, die Gewährleistung von Ausbildungs- und Aufstiegschancen, die Sicherung der demokratischen Ordnung auch innerhalb der Betriebe und eine konsequente innerbetriebliche Unternehmensplanung. Alle Bestrebungen auf straffere Typisierung sind nachhaltig zu unterstützen.

Aber noch wesentlicher für eine gründliche Verbesserung unserer betrieblichen Produktivität ist die Reform des Steuerwesens. Im Einzelnen soll hierauf an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Die bisherige verfemte Steuerpolitik hat bekanntlich seit Jahren zu einer großartigen Spesen- oder überhaupt Unkostenwirtschaft in den Betrieben Anlass gegeben. Sie hat nicht zur Beschränkung auf die unbedingt notwendigen Ausgaben geführt, sondern einer echten Kostensenkung und Rationalisierung geradezu entgegengewirkt. Dabei wurden auch Ausgaben veranlasst, die den Betrieb auf Dauer belasten, da es schwierig sein wird, den einmal steuerlich bedingten Aufwand in der Folge wieder abzubauen. Hier muss ein tiefgreifender Wandel geschaffen werden.

Koordination der Betriebe in der Volkswirtschaft

Wichtiger noch als diese Forderungen zur Hebung der betrieblichen Produktivität ist die Aufgabe der richtigen Koordination der einzelnen Unternehmen und Betriebe in der gesamten Volkswirtschaft. Hier stellt sich die bekannte Fragestellung, ob eine marktwirtschaftliche oder eine zentralverwaltete wirtschaftliche Ordnung angestrebt wird. Man formuliert dieses Problem auch, indem man die „innere Koordination der Wirtschaftseinheiten“ (Betriebe, Unternehmen) – also die Koordination „über den Markt“ – von der „äußeren Koordination über den Plan“ unterscheidet. Detaillierte Erörterungen des Wirtschaftsordnungsproblems haben gezeigt, dass keiner dieser Wege allein beschritten werden kann. Der freiheitliche Sozialismus versucht vielmehr, beide Wege – den marktwirtschaftlichen und den zentralverwaltungswirtschaftlichen – nicht bis zum bitteren Ende zu verfolgen, sondern eine Lösung eines „dritten Weges“ zu finden. Das Ergebnis lautet:

Überall dort, wo der Wettbewerb als Wirtschaftsform möglich ist, bleibt die „Koordination über den Markt“ das wirksamste und für den Steuerzahler billigste Mittel, um die Betriebe zu gemeinsamen Leistungen zusammenzuführen und zur Höchstleistung zu bringen. Der echte Leistungswettbewerb der Betriebe mobilisiert die unternehmerischen Kräfte und steigert somit die Produktivität. Der durch den Wettbewerb in Gang gesetzte Preismechanismus ist gleichzeitig das Lenkungsinstrument, um die Produktions- und Absatzentscheidungen der Unternehmen mit den Verbraucherwünschen in Einklang zu bringen.

Die überkommene Diskussion, die sich in den erstarrten Fronten der Modelle „Freie Wirtschaft“ und „Zwangswirtschaft“ bewegt, macht es leider notwendig, auf solche Selbstverständlichkeiten hinzuweisen. Kein freiheitlicher Sozialist ist der Auffassung, dass es notwendig sei, um beispielsweise Kartoffeln aus der Lüneburger Heide nach Hamburg zu bringen, diesen Absatzweg durch Bezugs- oder Warenbegleitscheine und mit Hilfe der Polizei zu kontrollieren. Vielmehr vertraut der freiheitliche Sozialist dem Marktmechanismus, dass er von sich aus diesen Transport bewältigt. Daher ist dem vom echten Leistungswettbewerb getragenen Preismechanismus in allen dafür geeigneten Wirtschaftsbereichen Raum zu geben.

Wir wissen jedoch, dass der Wettbewerb gerade in Deutschland keine Pflanze ist, die von sich aus ein kräftigeres Wachstum zeigt; im Gegenteil, es sind viele Erschöpfungserscheinungen zu verzeichnen. Deshalb bedarf es einer „staatlichen Wettbewerbspolitik“, wie es das Aktionsprogramm der SPD ausdrücklich sagt. Hierdurch wird die Konkurrenz vielfach durch eine „staatliche Veranlagung“ unterstützt. Es werden Institutionen geschaffen oder gefördert, um den Wettbewerb in den Bereichen, wo er angebracht ist, zu beleben und zu schützen. Zu den Wegen dieser staatlichen Wettbewerbspolitik gehören:

  1. Die Sicherung der Gewerbefreiheit, die naturgemäß nicht in allen Branchen „passt“ und deshalb als Prinzip nicht totgeritten werden darf.
  2. Eine Antimonopol- oder Kartellpolitik mit gewissen Ausnahmen für Rationalisierungs-, Krisen- und Exportkartelle. Ein solches Kartellgesetz muss, da es nur negativ wirkt, in positiver Hinsicht durch Bestimmungen zum Schutz des Leistungswettbewerbs ergänzt werden, die dem Außenseiter, demjenigen, der es unternimmt, Rechte gewähren gegenüber dem Missbrauch wirtschaftlicher Macht von anderer Seite.
  3. Eine Umgestaltung des Gesellschaftsrechts, die unter anderem durch erweiterte Bilanzierungs- und Publizitätsvorschriften die Möglichkeit einer besseren Kontrolle durch die Fachpresse und die Öffentlichkeit eröffnet. Es sei hier an die unzureichenden Vorschriften des Aktiengesetzes erinnert. Die Bewertungsregeln und Normen für die Gewinn- und Verlustrechnung geben nach dem heutigen Stand der Dinge den Unternehmen so weite Manipulationsmöglichkeiten gegenüber der Öffentlichkeit, dass von einer wahren Rechnungslegung nicht gesprochen werden kann. Der handelsrechtlich ausgewiesene Gewinn ist oft nur ein Bruchteil des effektiven Profits.
  4. Eine entsprechende Beratung und Aufklärung der Konsumenten, eine Erhöhung der Marktübersicht für den Verbraucher durch Kennzeichnungen von Menge, Art und Qualität, durch Sicherung der Qualität, durch Möglichkeiten des besseren Preisvergleichs (Auszeichnungspflicht usw.); also bessere Markttransparenz.
  5. Eine Ordnung des Wettbewerbswesens. Einige Erscheinungen in der heutigen Reklamewirtschaft sind unzweifelhaft Ergebnis und zum Teil auch Ursache oligopolistischer Verhältnisse. Oft wird die Steigerung der Produktivität in der Erzeugungssphäre von übermäßigen Reklameaufwendungen begleitet und damit aufgezehrt. Hier muss ein Wandel geschaffen werden, besonders auf steuerrechtlichem Gebiet, ein Wandel, der der einzelnen Unternehmung die freie Werbemöglichkeit belässt, jedoch übertriebene Aufwendungen beschneidet und die übermäßige Schaffung oder Ausnutzung von Monopolen begrenzt.
  6. Eine wirtschaftsrechtliche und wirtschaftspolitische Förderung von solchen, auch neuen Unternehmensformen, die den Wettbewerb verstärken. Hier ist vor allem an die Selbsthilfeorganisation der Verbraucher in Form der Konsumgenossenschaften zu denken. Ebenso sind alle Bestrebungen zur Rationalisierung der Verteilungskanäle zu fördern wie diejenigen zur Hebung der Produktion.

Dieser Katalog der wettbewerbspolitischen Mittel zur Verbesserung der Koordination der Betriebe „über den Markt“ und damit zur Erhöhung der volkswirtschaftlichen Produktivität ist mit dieser Aufzählung nicht abgeschlossen. Er ist unaufhörlich in Ausdehnung begriffen. Bei diesem reichhaltigen Arsenal, das der freiheitliche Sozialismus anerkennt, besteht nun der fundamentale Unterschied zur neoliberalen Politik darin, dass diese verzweifelt versucht, sich auf sogenannte „marktkonforme“ Mittel zu beschränken und die daran stehenden Mittel der „äußeren Koordination“ als verderblich, als „Tabu“ ansieht, während der freiheitliche Sozialismus dagegen auch diese bejaht, weil nur dadurch das Maximum an volkswirtschaftlicher Produktivität erreicht wird. Wie zum rechten Schuh ein linker gehört, so passen nach dieser Auffassung zu den sogenannten „marktkonformen“ Maßnahmen auch solche der „äußeren Koordination“. Die neoliberale Politik versucht dagegen, in einem Schuh zu stehen.

Zu den Mitteln der „äußeren Koordination“ gehören alle wirtschaftlichen Instrumente von den „Marktbeeinflussungen“ über die „Marktintervention“ bis hin zu den „Marktregulierungen“. Sie dürfen jedoch nur unter exakter Beachtung ihrer jeweiligen Funktionsbedingungen verwendet werden.

Werden sie planlos und ohne Hinblick auf voraussehbare Rückwirkungen im volkswirtschaftlichen Zusammenspiel ergriffen, dann können Tendenzen zur veraltungswirtschaftlichen Totalregulierung (Zwangswirtschaft) entfacht werden. Ihre Auswirkungen müssen daher mit Hilfe des Nationalbudgets, worauf ich noch zu sprechen komme, und anderer Instrumente der zentralen Wirtschaftsbeobachtung so angepeilt werden, dass entsprechende Ausgleichsmaßnahmen gleich von vornherein einbezogen werden können. Der gedankliche und technische Aufwand für diese Rahmenplanung ist naturgemäß umso kleiner, je weniger man zu intensiven Mitteln des Eingriffs schreitet. Die freiheitlich-sozialistische Wirtschaftspolitik ist daher grundsätzlich — neben der Aufrechterhaltung und Vervollkommnung der Konkurrenz — an den minimalen Mitteln des Eingriffs zuerst interessiert. Das bedeutet also nicht nur Rahmenplanung, sondern auch Minimalplanung. Derartige Maßnahmen sind in folgenden Fällen notwendig:

  1. In den Wirtschaftsbereichen, in denen das Modell der vollständigen Konkurrenz schon aus strukturellem Grunde versagt, so in der Grundstoffindustrie und in der Energiewirtschaft. Noch besonders zu nennen ist das weite Gebiet des Verkehrs. Das Problem Schiene—Straße kann nicht dadurch gelöst werden, dass es dem vollständigen Wettbewerb ausgeliefert wird. Eine äußere Koordination ist hier unvermeidlich. Ich darf darauf hinweisen, dass die Bundesverkehrspolitik dieses Gleichgewicht bisher nicht erreicht hat. Wir stehen hier einmal vor riesigen schleichenden Substanzverlusten der Bundesbahn, die letztlich der Steuerzahler zu tragen hat, auf der anderen Seite fehlen in unserem Straßennetz, besonders bei den Autobahnen, ganz wichtige Teile, nach deren Fertigstellung auch hier erst eine optimale Leistung erbracht werden könnte.
  2. Damit kommen wir zum Problem der Beseitigung volkswirtschaftlicher Engpässe. Immer wieder haben wir im Laufe der letzten Jahre festgestellt, dass die Zunahme der volkswirtschaftlichen Produktivität dadurch gehemmt wurde, dass an entscheidenden Stellen sogenannte Flaschenhälse auftraten. Solche Engpassprobleme können wahrlich nicht immer dadurch gelöst werden, dass man die Dinge sich selbst überlässt, also die Preise freigibt und sich dann eigenartigerweise hinterher über den „konzentrierten Egoismus“ der Engpassproduzenten beschwert, wie das erst vor wenigen Tagen der Bundesverkehrsminister gegenüber der eisen- und stahlschaffenden Industrie tat. Es muss vielmehr im Rahmen des Nationalbudgets ein Investitionsprogramm aufgestellt werden, das die vorhandenen Strukturschäden, die immer noch aus dem Zweiten Weltkrieg in unserer Volkswirtschaft vorhanden sind und auch durch das Flüchtlingsproblem immer neu verursacht werden, im Sinne einer „gezielten Strukturpolitik“ anpackt. Ein solches Investitionsprogramm muss zentral und umfassend sein. Es darf nicht, wie derzeit der Fall, in eine „Töpfchenwirtschaft“ ausarten, indem eine Vielzahl von Fonds für verschiedene und gleiche Zwecke regel- und zusammenhanglos nebeneinander zur Verfügung steht. Umgekehrt ist ein solches Investitionsprogramm auf die Engpassbereiche zu beschränken. Die wichtigsten sind der Wohnungsbau und der Verkehr einschließlich Schiffbau. Also keine totale Investitionslenkung, aber staatliche Investitionspolitik an den Schadstellen unserer wirtschaftlichen Struktur! Als ganz besonders notwendiges Objekt der staatlichen Investitionspolitik ist noch die Ausfuhrwirtschaft zu nennen. Hier bietet sich ein weiterer Schwerpunkt der öffentlichen Produktivitätspolitik an.

Prinzipiell ist zu diesen Mitteln der planerischen Koordination noch zu sagen, dass die mit ihnen verbundenen indirekten Kontrollen nicht im Zwangswirtschaftlichen Stil gehandhabt werden dürfen, sondern im Gegenteil möglichst marktnah. Wir erleben es heute immer wieder, dass bestehende Kontrollapparate, z.B. in der deutschen Ernährungswirtschaft, nicht marktnah, sondern marktkonträr geführt werden. Ich will die Politik der Einfuhr- und Vorratsstellen nicht im Einzelnen kritisieren, obgleich hierzu erheblicher Anlass bestünde. Auf jeden Fall ist zu sagen, dass solche Instrumente nicht dazu verwendet werden sollten, die Märkte völlig aus ihren natürlichen Preiszusammenhängen herauszubrechen, sondern umgekehrt die Märkte nach Überwindung der Ausgangsschwierigkeiten an den Wettbewerb wieder heranzubringen sollten. Für die staatlichen Regulierungsapparate sollte die Richtschnur der Als-Ob-Konkurrenz gelten, d.h. ihre Politik sollte möglichst den betreffenden Markt so dirigieren, als ob Wettbewerb bestünde.

Die zwischenstaatliche Koordination

Das Prinzip der internationalen Arbeitsteilung, entsprechend dem die Güter in den einzelnen Volkswirtschaften an den relativ billigsten Standorten produziert werden, ist bekanntlich der entscheidende Faktor für die riesenhafte Produktivitätssteigerung der modernen industriellen Gesellschaft gewesen. Diesem Grundsatz sollte auch in Zukunft soweit irgend möglich Raum gegeben werden. Jede Autarkie bedeutet Verringerung der Produktivität. Deswegen hat auch der Wettbewerb als Lenkungsinstrument in der Außenwirtschaft seinen besonderen Platz. Eine nationalistische Wirtschaftspolitik, die durch vorsätzliche Einfuhrrestriktionen die „Nachbarn zum Bettler“ macht, d.h. ihm die Last der Arbeitslosigkeit aufbürdet, ist mit den Grundsätzen eines international gesinnten Sozialismus unvereinbar. Jeder modernen Außenwirtschaftspolitik sollte zudem von vornherein darauf gestellt sein, in eine echte europäische Wirtschaftspolitik einzumünden. Daher sind die Bewegungen zur Liberalisierung des Außenhandels und zur Erreichung der Konvertibilität der Währungen unter zwei Bedingungen zu bejahen:

Die erste Bedingung lautet: Es muss die Gegenseitigkeit der Maßnahmen beachtet werden; unter dem durchaus wettbewerbswirtschaftlichen Gesichtspunkt ist die Gleichheit der Marktschancen zu fordern. Zwar ist in der Theorie nachgewiesen, dass ein sogenannter einseitiger Freihandel für die betreffende Volkswirtschaft in einer protektionistischen Umwelt auch profitabel sein kann. Aber dies ist wirklich blasse Theorie; ein solcher einseitiger Freihandel würde derartige Übergangsschwierigkeiten hervorrufen, dass dieser Weg praktisch nicht gangbar ist. Ein sehr bedeutender ausländischer Reeder hat in diesen Tagen angedroht, dass er seine sämtlichen Schiffbauaufträge bei deutschen Werften storniere, weil diese durch die deutsche Eisenpreissteigerung zu teuer würden, während in sehr vielen westeuropäischen Ländern die Werftbezüge an Schiffsbauplatten von den dortigen Regierungen bis zu 30 % subventioniert würden. An diesem Fall zeigt sich die Gefährlichkeit der einseitigen Freihandelspolitik in Deutschland. Auch hier, in der für die Ausfuhr bedeutenden Preispolitik, muss die Gegenseitigkeit im Verhältnis des konkurrierenden Auslandes beachtet werden.

Die zweite Bedingung ist einfach eine Angelegenheit des Rechenstifts. Es muss nämlich bei der Frage der Konvertibilität der Währungen sehr sorgfältig geprüft werden, ob die notwendigen Transferverpflichtungen aus der deutschen Auslandsschuldenregelung für uns in absehbarer Zeit solche kühnen Schritte überhaupt zu lassen. Hier kann Kühnheit in Leichtsinn umschlagen.

Schon wegen dieses Themas und überhaupt wegen des Zustandes der internationalen Kapital- und Währungsverhältnisse sind alle Einrichtungen, die zu einer zwischenstaatlichen Koordination der nationalen Wirtschaftspolitik führen, zu begrüßen, also die OEEC (Organisation für Europäische Wirtschaftliche Zusammenarbeit), die Europäische Zahlungsverbindung u. a. Hier ist die Sachlage ganz ähnlich wie in der Binnenwirtschaft. Dem Wettbewerb der einzelnen Marktpartner soll so weit wie möglich Raum gegeben werden. Er ist aber nicht überall und auch nicht sofort vollziehbar. Planungsapparate sind notwendig und existieren. So wenig die deutsche Volkswirtschaft sich gegenüber Weltmarktpreisbewegungen absperren kann, genau so wenig kann sie an der Tatsache vorbeigehen, dass internationale oder supranationale Lenkungseinrichtungen bestehen oder entstehen, auf die die eigene Binnen- und Außenwirtschaftspolitik sich einstellen muss. Allerdings ist die Lage heute so, dass angesichts der Vielzahl der zwischen- und überstaatlichen Apparaturen man nun erst einmal von der Notwendigkeit der Koordination dieser Einrichtungen selbst sprechen müsste. Auch von dieser Seite ergibt sich übrigens der Schluss, dass funktionale Integration, d. h. Fusion von Wirtschaftsbranchen (siehe Montan-Union), auf die Dauer globale Vereinigungen nicht ersetzen kann.3 Im Gegenteil, globale Integration etwa in Richtung einer Weiterbildung der Union auf dem Gebiet des Währungswesens ist vorzuziehen.

Wenn wir die verschiedenen Wege zur Hebung der innerbetrieblichen und zwischenstaatlichen Wirtschaftlichkeit zusammenfassend überblicken, so stellen wir fest, dass das Prinzip des Wettbewerbs hier eine beachtliche Rolle spielen muss, dass aber auch andere Formen der Zusammenarbeit unerlässlich sind. Diese anderen Mittel dürfen nicht rein zufällig oder von Fall zu Fall eingesetzt werden, sonst erreichen wir nur die hinkende Wettbewerbswirtschaft, in der wir heute leben. Sie stellt noch eine unorganische Vermischung von marktwirtschaftlichen und zentralverwaltungswirtschaftlichen Elementen dar. Dieses Nebeneinander als solches ist nicht immer zu vermeiden. Es müssen aber diese Elemente zu einem Ganzen gefügt werden durch eine systematische Wirtschaftspolitik, die aus ihrer Konzeption das Zusammenspiel der verschiedenen wirtschaftspolitischen Instrumente beherrscht. Das ist bei der Forderung nach Beschäftigungspolitik umso notwendiger.

Die Steigerung des Beschäftigungsvolumens

Selbst die grimmigsten Feinde einer Vollbeschäftigungspolitik sollten heute zugeben, dass diese für den Fall einer normalen konjunkturellen Depression nicht nur notwendig, sondern auch ungefährlich ist. Die gesamte Volkswirtschaft weist dann ziemlich gleichmäßig gestreute Kapazitätsreserven auf. Die Reserven an Arbeitskräften, Rohstoffen und Produktionsmitteln werden bei gefasstem Entschluss zur staatlichen Konjunkturpolitik durch eine finanzielle oder kreditäre Erhöhung der „wirksamen Gesamtnachfrage nach Gütern und Leistungen“ zusammengebracht. In einem solchen Fall steigt der Beschäftigungsgrad und in gleicher Weise oder sogar mehr das Sozialprodukt und das Realeinkommen. Unter diesen skizzierten Bedingungen erhöht sich gleichzeitig die betriebliche und volkswirtschaftliche Produktivität, weil die vorhandenen Produktionsanlagen besser ausgenutzt werden, die Erzeugungskosten also sinken. In einem solchen Fall kann von einer Verzerrung des Marktes gemäß oder einer inflationistischen Bewegung durch eine Beschäftigungspolitik keine Rede sein.

Hindernisse und Schwierigkeiten entstehen erst von dem Moment, da sich zeigt, dass wichtige Kapazitäten nicht in den notwendigen Proportionen vorhanden sind, also Engpässe oder Strukturschäden vorliegen. Bei den Engpassprodukten können dann die Preise steil nach oben gehen. Gleichzeitig kann in einem solchen Fall durch die Kaufkraftsteigerung im Zuge der Beschäftigungspolitik ein solcher Importsoffekt ausgelöst werden, dass die Zahlungsbilanz in Gefahr gerät. Zwingt man in einem solchen Fall das Beschäftigungsvolumen rücksichtslos an diesen Hindernissen vorbei, so sind Zwangswirtschaftliche Maßnahmen unausweichlich. Das ist der Weg der Kommandowirtschaft nach der Art von Schacht; auf diesem Terrain geht die wirtschaftliche Freiheit verloren. Das volkswirtschaftliche Marktsystem gerät aus den Fugen. Hier scheiden sich in der Tat die Geister. Vom Standpunkt einer freiheitlich-sozialistischen Wirtschaftspolitik muss von dem Augenblick ab, da die Beschäftigungspolitik das strategische Niveau der Engpässe erreicht hat, erst einmal eine gezielte Strukturpolitik einsetzen, d. h. ein Investitionsprogramm mit Nationalbudget usw. Erst Zug um Zug mit der Auflösung der Engpässe durch diese Strukturpolitik kann dann die Beschäftigungspolitik fortgesetzt werden. In einem solchen Fall, in einer solchen, wie ich sie nennen möchte, qualifizierten Beschäftigungspolitik wird die inflationistische Preissteigerung der Engpaßerzeugnisse vermieden. Eine Verzerrung des Marktes tritt überhaupt nicht ein. Ein sehr bescheidener Ansatz für eine solche gezielte Strukturpolitik in Deutschland war das Investitionshilfegesetz für die Grundstoffindustrie, das jedoch tatsächlich zu spät und verwaschen zur Wirkung kam. Hätten wir früher eine solche Politik betrieben, so wäre das Beschäftigungsvolumen schneller zu steigen gewesen. Auch heute noch ist eine solche qualifizierte Beschäftigungspolitik am Platze, vor allem, wie schon einmal betont, in regionaler Hinsicht.

Wir leben in der Phase einer Konjunktur, in der „depressed areas", also „Notstandsgebiete", eine besondere Rolle spielen. Ich fasse diese „qualifizierte Beschäftigungspolitik" zusammen: Durch die Steigerung der „wirksamen Gesamtnachfrage" wird das Beschäftigungsvolumen ständig an das „Niveau der Engpässe" herangepresst. Durch die gleichzeitige Strukturpolitik wird das Niveau dieser Engpässe dauernd angehoben, indem „Flaschenhals" nach „Flaschenhals" aufgebrochen wird. Damit kann sich Schritt für Schritt der Beschäftigungsgrad vergrößern. Diese so nach zwei Richtungen gleichzeitig arbeitende Wirtschaftspolitik nenne ich systematische Wirtschaftspolitik; das ist Wirtschaftsstrategie!

Wenn unter Beachtung der Hindernisse auf diese Weise schließlich der Zustand der Vollbeschäftigung erreicht ist, d. h. eine Arbeitslosigkeit unter 4%, die nur noch unvermeidliche Umstellungsarbeitslosigkeit darstellt, so kann der Wirtschaftspolitiker nicht die Hände in den Schoß legen, im Gegenteil!

Da in einer vollbeschäftigten Wirtschaft alle Produktionsreserven ökonomisch ausgenutzt sind (technisch sind natürlich noch welche vorhanden), befindet sich diese in einem Zustand der Anspannung aller Kräfte. Wirtschaftliche Fehldispositionen lassen dann sehr leicht Knappheitslagen entstehen, die entsprechende Preisveränderungen zur Folge haben. Reagiert die wirtschaftspolitische Leitung auf diese Preisveränderungen durch Kreditrestriktionen, so sinkt automatisch der Beschäftigungsgrad. So gleicht die Wirtschaftspolitik im Zustande der Vollbeschäftigung in der Tat einer Gratwanderung zwischen Inflation und Deflation. Sie kann gemeistert werden unter zwei Bedingungen:

  1. Der Preismechanismus muß intakt bleiben und die Währungsstabilität gewahrt sein. Sobald etwa der allgemeine Preisbildungsprozeß durch zwangswirtschaftliche Maßnahmen wie Preisstops und ähnliches außer Kraft gesetzt wird, ist der Weg zur Überspannung der Kräfte geöffnet.
  2. Der Wirtschaftspolitiker muß die gesamten Leistungsströme in der betreffenden Volkswirtschaft überschauen, d. h. er muß mit einem Nationalbudget arbeiten.

Unter diesen beiden Bedingungen läßt sich die Vollbeschäftigung sichern. Ein sehr kunstvoller Balanceakt wird hier von der wirtschaftspolitischen Führung verlangt. Gelingt er, so sind allerdings die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile nicht zu übersehen. Nicht nur ist die jährliche Zuwachsrate des Sozialprodukts in einer solchen Volkswirtschaft dann am größten, die Dynamik also am stärksten, sondern auch das soziale und psychische Klima einer solchen Volkswirtschaft ist das des vollen freien Lebens, der überquellenden Aktivität.

Die Menschen sind allzu vergeßlich. In Zeiten, da das Beschäftigungsproblem nicht so akut erscheint, vergißt man sehr leicht die ungeheuren Schädigungen, die die Massenarbeitslosigkeit in einem Volkskörper hervorruft. Ich darf dem gegenüber folgendes Zitat anführen: „Regierungen und sogar Staatsformen, unter denen Massenarbeitslosigkeit entsteht und andauert, haben keinen Bestand. Der „Economist" brachte die Meinung der Masse zum Ausdruck, als er 1942 erklärte: 'Wenn die liberale Demokratie sich mit Vollbeschäftigung nicht verträgt, so muß sie verschwinden.' ... Wenn Millionen unverschuldet arbeitslos sind, so ist das ein deutliches Zeichen dafür, daß der Wirtschaftsprozeß unzureichend gelenkt ist". Dieses ganze Zitat stammt nicht von einem lenkungswütigen Schüler von Keynes oder einem Sozialdemokraten, sondern von dem Begründer der Freiburger Schule der Nationalökonomie, Walter Eucken.4 Wir können das alles nur unterstreichen und zugleich die Selbstverständlichkeit hinzufügen, daß eine um den Preis einer Inflation mit allen ihren unsozialen Enteignungen und Schädigungen erreichte Vollbeschäftigung nicht als ein Beitrag zur Wohlstandssteigerung angesehen werden kann. Diese Form der Vollbeschäftigung ist daher abzulehnen. Das Ziel ist, wie gesagt, nur zu erreichen mit Hilfe einer an der Aufrechterhaltung des Preismechanismus und der Währungsstabilität orientierten Finanz- und Kreditpolitik und unter Anwendung eines Nationalbudgets. Beides muß nun näher untersucht werden.

Die Finanz- und Kreditpolitik, die einen maximalen Beschäftigungsgrad anstrebt und gleichzeitig Preismechanismus und Währungsstabilität intakt lassen soll, wird im allgemeinen mit dem Schlagwort „fiscal policy“, wörtlich: „Fiskalpolitik", bezeichnet. Neuerdings spricht man hier auch von „Ordnungsfinanz". Alle diese Dinge spiegeln den tiefgreifenden Wandel wider, der in der Finanzpolitik der westlichen Länder seit der großen Krise Platz gegriffen hat. Die Revolution in den Hirnen der Finanzminister (Lord Beveridge) wurde aus dem Erlebnis der Weltkrise zuerst unter dem Aspekt der sozusagen unentwegten Vollbeschäftigungspolitik gefordert. Die orthodoxen Grundregeln des Budgetausgleichs sollten über Bord geworfen und die öffentliche Etatwirtschaft dafür in den Dienst der Aufrechterhaltung oder Vergrößerung der „wirksamen Gesamtnachfrage nach Gütern und Leistungen" gestellt werden. Diese gleichsam vormärzlichen finanzpolitischen Revolutionsforderungen sind heute — auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit und der Weiterbildung der Beschäftigungspolitik — sicher nicht ohne Modifikation zu erfüllen. Aber ein Rückfall in orthodoxe Finanzmethoden, wie sie von der Regierung Brüning in Deutschland zum letzten Male in aller Konsequenz vorexerziert wurden, wäre allerdings völlig falsch. Die heute passende Regel ist vielmehr die: Auf Grund einer umfassenden Analyse auf der Basis des Nationalbudgets wird unter Annahme eines maximalen Beschäftigungsgrades ein bestimmtes Staatsbudgetziel gesetzt (Ansteuerung einer bestimmten Investitions- bzw. Konsumrate). Die Finanz- und Kreditpolitik ist damit nicht mehr autonom, sondern über das Nationalbudget hineingestellt in die allgemeine Wirtschaftspolitik. Das bedeutet nicht, daß der Staatshaushalt nur zur Defizitwirtschaft verdammt sei. Zur Beruhigung der Gemüter möge hier folgendes gesagt sein: Die Finanzpolitik ist dadurch, dass sie sich im Rahmen des Nationalbudgets zu bewegen hat, gerade nicht haltlos und also inflationsanfällig geworden; im Gegenteil, die Setzung eines solchen fixen Budgetzieles bei hoher Beschäftigung kann die Grundlage bilden für alle jene schwierigen Verhandlungen mit denjenigen, die zusätzliche Staatsausgaben oder Steuersenkungen verlangen, und kann in dieser Beziehung ähnlichen staatspolitischen Zwecken dienen wie früher die orthodoxen Prinzipien des Budgetausgleichs, mit dem allerdings wesentlichen Unterschied, dass nunmehr eben gleichzeitig Beschäftigungspolitik betrieben werden kann!

Das Nationalbudget

Immer deutlicher wird also die zentrale Stellung unserer Forderung nach einem Nationalbudget, dem volkswirtschaftlichen Gesamthaushalt. Das Nationalbudget entspricht dem doppelten Bedürfnis nach einer Übersicht über die Wirtschaft und einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik. In den letzten 20 Jahren sind in mehr als einem Dutzend Ländern der freien Welt sogenannte Nationalkontierungen (nationale Buchhaltungen) entwickelt worden. In der Bundesrepublik Deutschland wird zwar vom Statistischen Bundesamt und von einigen wirtschaftswissenschaftlichen Instituten eine sogenannte volkswirtschaftliche Gesamtrechnung aufgestellt, sie dient aber nicht als erklärte Grundlage der nationalen Wirtschaftspolitik. Wie weit man sich dennoch intern des Einblicks in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung bedient, vermag ich nicht zu sagen. Nach außen hin wird gerade in Deutschland das Nationalbudget gar zu gern als Generalplan einer Befehlswirtschaft diffamiert.

Das Nationalbudget wird also aus der sogenannten nationalen Buchhaltung heraus aufgebaut. Alle großen, in Geld auszudrückenden Transaktionen des abgelaufenen Jahres, also Produktion, Ein- und Ausfuhr, Kapitalbewegungen über die Grenze, Einkommen, Sparen und Investitionen werden hier zusammengestellt. Der Schritt zum Nationalbudget wird dann getan, wenn auf der Basis der Vergangenheitszahlen nun vorhergesehene Zahlen eingesetzt werden. Man arbeitet dann also mit Schätzungen. Diese Schätzungen sind nicht willkürlich, sondern werden auf Grund der Vergangenheitsresultate und gewisser politischer Arbeitshypothesen angestellt. Die wichtigste Aufgabe des Nationalbudgets im Rahmen einer auf maximale Beschäftigung eingestellten Wirtschaftspolitik ist die Berechnung der sogenannten Inflationslücke oder Deflationslücke der Volkswirtschaft: Aus den Werten des Beschäftigungsgrades, der Produktionsmenge, der damit in bestimmten Relationen verbundenen Einfuhr an Rohstoffen und Halbfabrikaten und dem Preisniveau sowie der Absatzentwicklung der Ausfuhr lässt sich das sogenannte „zulässige Einkommen“ der heimischen Produktionsfaktoren errechnen, und hier tritt nun die inflationäre oder deflationäre Lücke zu Tage. Weicht nämlich im Laufe der Nationalbudgetperiode das tatsächliche Nationaleinkommen der Produktionsfaktoren vom errechneten „zulässigen“ Nominaleinkommen nach oben hin ab, so stehen wir vor einer inflationären Lücke. In der umgekehrten Lage stehen wir vor einer Deflationslücke. Im ersten Fall kann beispielsweise die Steuerschraube angezogen werden, im zweiten Fall können Defizite eingesetzt und öffentliche Investitionen im größeren Umfang vorgenommen werden. Dies alles ist naturgemäß nur eine beispielhafte Andeutung. Aber das Beispiel zeigt wohl schon, dass das Nationalbudget den Kern einer wirklich systematischen und umfassenden Wirtschaftspolitik darstellt, einer Wirtschaftspolitik, in der Finanz- und Kreditpolitik mit der Produktions- und Produktivitätspolitik und der Außenwirtschaftspolitik zusammen ein Ganzes bilden.

Das Nationalbudget, entstanden aus einem reinen Orientierungsbudget, entwickelt zu einem Entschlussbudget oder einem Planungsbudget, ist nicht der Inventarisierungs- und Produktionsplan einer Zentralverwaltungswirtschaft. Es ist nicht vorbelastet nach der zwangswirtschaftlichen Seite hin, sondern im geraden Gegenteil das Mittel, um die Wirtschaftspolitik am Abgleiten in punktuelle, zwangswirtschaftliche Maßnahmen zu hindern. Gerade die deutsche Vergangenheit der letzten Jahre hat gezeigt, dass wirtschaftspolitische Eingriffe, die punktuell aus lokalen oder regionalen oder rein branchenmäßigen Marktlagen heraus allein veranlasst und durchgeführt worden sind, sehr leicht und sehr schnell zu direkten Zwangskontrollen führen. Aus dem Nationalbudget heraus werden nicht solche punktuellen, zusammenhanglosen Zwangskontrollen abgeleitet, sondern allgemeine, mehr oder weniger indirekt wirkende Maßnahmen begründet. Man kann auch sagen: Je umfassender und breiter die nationale Planung durch das nationale Budget, umso geringer die Intensität der einzelnen unmittelbaren Kontrollen. Nun weiß jeder Wirtschaftspraktiker, dass die Zukunft wahrlich nicht vollständig durch Trendberechnungen, durch rechnerische Verlängerung von Indizes, durch Kalkulation der Angebots- und Nachfragekurven vorauszuberechnen ist. Immer wieder treten neue und unerwartete Aufgaben an den Wirtschaftspolitiker heran, so beispielsweise, wenn sich im Zuge des Wachstums des Sozialprodukts der eine oder andere Wirtschaftszweig als zurückgeblieben entpuppt. Dann sind besondere wirtschaftspolitische Aktionen vonnöten. Auch hierfür bietet die moderne Wirtschaftspolitik einen Werkzeugkasten an, und zwar in der sogenannten Input-Output-Analyse (der volkswirtschaftlichen Aufwand-Ertragsrechnung). Durch sie ist es möglich, für den Aufbau eines Industriezweiges nicht nur die Größe der insgesamt aufzuwendenden Mittel, sondern vor allem die herauskommenden Produktionsergebnisse und ihre Rückwirkungen auf die Produktion der übrigen Sparten und die Einkommensbildung und -verteilung zu berechnen. Auch die Analyse mit Hilfe dieses Werkzeugkastens muss in den Dienst der Wirtschaftspolitik gestellt werden.

Diese beiden technischen Hilfsmittel einer modernen Wirtschaftspolitik, die in Deutschland weithin nicht angewendet wurden, mögen von manchem als zu wissenschaftlich oder überhaupt als zu theoretisch angesehen werden. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die ungeheuren Kräftesteigerungen, die im letzten Jahrzehnt in den Vereinigten Staaten von Amerika als dem Mittelpunkt der freien Welt hervorgebracht worden sind, keineswegs allein dem Draufgängertum der Geschäftsleute zu verdanken sind, sondern im entscheidenden Ausmaße auch einer Wirtschaftspolitik, die sich dieser eben beschriebenen beiden Hilfsmittel bedient hat. Gewiß will niemand die dortigen Methoden ohne weiteres auf unsere deutschen Verhältnisse übertragen. Dafür haben wir andere Vorstellungen und andere Sozialverhältnisse. Aber der Hinweis auf das Vorhandensein solcher Methoden in den USA nimmt vielleicht manchem das ihm von der deutschen Gegenpropaganda eingeflößte Mißtrauen.

Die Gesamtaufgabe

Damit hätten wir die technisch-instrumentale Seite unseres Anliegens erledigt. Bei dieser Besprechung der Ziele und Methoden der Wettbewerbspolitik und der Planung im Dienste der Produktivitäts- und Beschäftigungssteigerung ist schon an vielerlei Stellen auf die westdeutsche Situation Bezug genommen worden. Dies muß nun noch einmal und zwar zusammenfassend geschehen. Dabei darf aber nicht die Bedeutung der augenblicklichen Lage übertrieben werden. Es soll hier nicht die Wirtschaftspolitik des Tages dargelegt werden, sondern es sollen vielmehr einige wesentliche Punkte der westdeutschen Wirtschaftspolitik über mehrere künftige Jahre hin skizziert werden. Für diese also etwas größere und in größeren Umrissen zu zeichnende Skizze ist ein kurzer Blick auf die derzeitige sozial-psychologische Situation der westdeutschen Bevölkerung unerläßlich.

Folgende Gegebenheiten muß jeder Wirtschaftspolitiker heute beachten, wenn er eine realistische Konzeption vorlegen will:

  1. Die westdeutsche Bevölkerung hat eine ausgezeichnete Inflations- und Deflationserfahrung. Sie ist geldpolitisch aufgeklärt. Leichtfertige Änderungen der Geldpolitik oder auch nur Äußerungen darüber führen sehr schnell zu entsprechenden Reaktionen der Bevölkerung. Der Faktor Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ist außerordentlich reagibel. Preisbewegungen nach oben führen sehr rasch zu Verkäufermärkten und zum Abzug der Sparkonten. Die wirtschaftspolitische Konsequenz lautet: Weg mit dem Odium irgendeiner Inflationpolitik!
  2. Die westdeutsche Bevölkerung ist aus der Misere der Kriegs- und Kriegsübergangswirtschaft absolut gegen direkte zwangswirtschaftliche Kontrollen voreingenommen und zugleich in der Beachtung oder Reaktion auf diese Kontrollen oder in ihrer Umgehung sehr gut trainiert. Die wirtschaftspolitische Konsequenz lautet: Weg mit dem Odium irgendeiner Zwangswirtschaft!
  3. Diese Haltung der Bevölkerung gegen Wirtschaftskontrollen ist forciert worden durch eine jahrelang von zentraler Seite betriebene Propaganda gegen so ziemlich jede Art von staatlicher Lenkung in der Wirtschaft. Dadurch ist vielfach die irrtümliche Meinung verbreitet, daß jedes wirtschaftspolitische Handeln nur der erste Schritt auf dem „Wege zur Knechtschaft“ sei. Jene Wirtschaftspolitik hat sich damit selbst diskreditiert und oft um ihre eigene Linie gebracht. Dies rächt sich heute; denn jene Vorstellungen hemmen die Herausbildung einer systematischen Wirtschaftspolitik. Zögerndes und schwankendes Verhalten der derzeitigen zentralen wirtschaftspolitischen Instanzen in akuten Krisensituationen wie etwa bei den Außenhandelsproblemen des abgelaufenen Jahres (Brasilien) oder bei der Eisenpreisentwicklung sind die unausbleibliche Folge. „Nutze-die-Zeit-Stimmungen“ vieler Unternehmer sind die weitere Wirkung. Die wirtschaftspolitische Konsequenz lautet: Die Bevölkerung muß wissen, daß die Wirtschaftspolitik eine Linie hat und rasch und sicher reagiert.
  4. Die westdeutsche Bevölkerung ist von einem ungeheuren Arbeitswillen beseelt. Jeder will schaffen und sein Haus bestellen. Weit verbreitet ist die Furcht davor, plötzlich und unerwartet zwangsweise untätig zu werden. Es ist eines der größten Mißverständnisse der Gegner einer Beschäftigungspolitik, daß sie den tiefen und allgemeinen Wunsch nach aktivem Schutz gegen Arbeitslosigkeit einem dumpfen Bedürfnis nach schläfriger Sicherheit zuschreiben. Das gerade Gegenteil ist in Deutschland der Fall; die Forderung nach Vollbeschäftigung entspringt dem Ruf nach Aktivität! Die wirtschaftspolitische Konsequenz lautet: Weg mit der Arbeitslosigkeit!
  5. In der westdeutschen Bevölkerung steckt ein tiefes Unbehagen über die derzeitigen Verhältnisse in der Einkommensverteilung und Einkommensverwendung. Niemand kann abstreiten, daß das Realeinkommen im Durchschnitt stark angewachsen ist, daß die Lebenshaltung sich also verbessert hat. Zwar sind die Differenzierungen in der Lebenshaltung ebenfalls größer geworden. Aber auch das bräuchte noch nicht entscheidend für die kritische Stimmung im Volke zu sein. Wesentlich ist vielmehr das Gefühl, daß vielerlei hohe Einkommen heute nicht allein und ausschließlich der Tüchtigkeit und Arbeitsamkeit der betreffenden Einkommensbezieher zu verdanken sind, sondern daß mancherlei Zufälligkeiten hier eine Rolle gespielt haben. Die Engländer besitzen für derartige Zufallsgewinne den anschaulichen Ausdruck „windfall profits“. Und in der Tat, viele der heutigen hohen Einkommen sind wie vom Winde den glücklichen Empfängern zugeweht worden. Sie stellen ein Ärgernis dar, das niemand abstreiten kann. Die hinkende Wettbewerbswirtschaft sorgt eben nicht nur dafür, daß die besten wirtschaftlichen Chancen dem besten Wirt zufallen; sie schüttet ihre Segnungen auch über Ungerechte aus. Die wirtschaftspolitische Konsequenz lautet: Reform der Einkommenspolitik unter dem Gesichtspunkt der volkswirtschaftlichen Leistung!

Um bei diesem letzten Anliegen einen Augenblick stehen zu bleiben: In einer solchen Situation fällt, das muß ich als Wirtschaftspolitiker zugeben, der Sozialpolitik ein besonderes Gewicht zu. Die hervorragende Bedeutung des von der Sozialdemokratie vorbereiteten Sozialplanes muß auch von der ökonomischen Seite her betont werden. Dabei laufen in der heutigen Situation der deutschen Volkswirtschaft beide Anliegen, das wirtschaftspolitische und das sozialpolitische, parallel. Es gilt nach wie vor, das Sparen für den Kapitalmarkt zu fördern. Das „Sparen aus dem Gewinn“, das in den letzten Jahren zu über 50 % als sogenannte „Selbstfinanzierung“ unsere Investitionen gespeist hat, hat sich bekanntlich in mehrerlei Hinsicht als problematisch herausgestellt. Bei den Verteidigern dieses „Gewinnsparens“ ist dabei ein ganz eigenartiger Bruch in der Argumentation wieder festzustellen. Sie weisen nämlich darauf hin, daß es unmoralisch sei, aus Steuermitteln Kredite an die Wirtschaft für Investitionen zu geben, weil dann ja derjenige, der wirklich gespart habe, nämlich der Steuerzahler, nicht Eigentümer des Kredites an den Investor bleibe, sondern eben der Staat; es werde der eigentliche Sparer also enteignet.

Dasselbe trifft nun aber, und das ist der Bruch in jener Argumentation, beim Gewinnsparen zu. Wir nannten dies früher in der nationalökonomischen Wissenschaft diese Finanzierung der Investition über die Preise; Zwangssparen. Der Konsument wird zwangsweise zum Finanzier des Investors. Durch das Gewinnsparen wird demnach der eigentliche Sparer enteignet. So sind wir uns wohl also einig darüber, dass dem wirklichen Sparer, der sein Eigentum behält und mehrt, geholfen werden muss. Das bedeutet aber einkommenspolitisch, dass diejenigen Einkommen angehoben werden müssen, die in erster Linie in Frage kommen als Massensparquellen für den Kapitalmarkt, für die Sparkassen, für die genossenschaftlichen Sparorganisationen usw. Diese kapital- und einkommenspolitischen Ziele decken sich daher völlig mit dem sozialpolitischen. Diese notwendige Erhöhung der Sparquote bedeutet nicht Steigerung der Investitionsquote, sondern nur Neuverteilung der bisherigen Finanzierung und naturgemäß auch Neuverteilung in den Investitionsobjekten. Die Schwerpunkte der Investitionspolitik müssen sein: Exportwirtschaft, Wohnungsbau und Verkehrswirtschaft. Dabei sind nicht nur Erweiterungsinvestitionen, sondern auch Rationalisierungsinvestitionen zu fördern. Es ist unausbleiblich, dass die Rationalisierung ihrerseits mit Arbeiterfreisetzungen verbunden ist. Nur in einer wachsenden Wirtschaft können diese so freigesetzten Arbeitskräfte wiederum an anderen Stellen des Produktionsprozesses beschäftigt werden. Da dies nicht automatisch erfolgt, sondern nur in einem forcierten Wachstum, so leitet sich auch von dieser Seite die Notwendigkeit der Beschäftigungspolitik ab.

Die Arbeitslosigkeit bietet sich heute in Westdeutschland, wie gesagt, in erster Linie als ein regionales Problem an. Es ist bezeichnend, dass man hier bislang nur mit einigen punktuellen Hilfsmaßnahmen eingesprungen ist. In Wahrheit ist doch die gebietsmäßig unausgeglichene Streuung der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland nur ein Ausdruck dafür, dass unsere gesamte Produktions- und Verkehrsstruktur noch nicht in sich ausgewogen und abgerundet ist. Was wir brauchen, ist eine zentrale Strukturpolitik, die alle Mittel des regionalen Ausgleichs umfasst. Also beispielsweise Wohnungsbau an den Stellen, wo die Arbeitskräfte hinfließen sollen, und nicht da, wo sie zufällig sitzen. Sodann verkehrspolitische Erschließung der heute vernachlässigten peripher gelegenen Gebiete. Also zentrales Arbeitsbeschaffungsprogramm unter eindeutiger Bevorzugung der im Schatten stehenden Regionen! Eine solche regionale Beschäftigungspolitik, die zentral betrieben werden muss, ist beispielsweise dann völlig verfehlt, wenn die Summe der Hilfsmittel, die zentral in diese Gebiete geschleust werden, weit überkompensiert wird durch Zahlungen aus diesem Gebieten an andere Regionen; z.B. wenn diese über Investitionshilfe und Finanzausgleich in höher beschäftigte Gebiete fließen. Die Kernfrage ist: Was haben die einzelnen deutschen Wirtschaftlandschaften an Investitionsmitteln tatsächlich per saldo erhalten oder abgegeben? Was muss hier geändert werden? Niemand hat hierauf bisher eine Antwort gegeben! Alles das wird nur durch ein regional differenziertes Nationalbudget aufzuhellen sein. Bisher tappt man in der Bundesrepublik hier völlig im Dunkeln, da die Dotationen und Subventionen für Notstandsgebiete, Sanierungsgebiete und Grenzlandgebiete und die Transferierungen im Wege des Finanzausgleichs und der Investitionshilfe sowie die Investierungen der halböffentlichen Körperschaften (Arbeitslosen- und Sozialversicherung usw.) auf völlig verschiedenen Kanälen und unter völlig verschiedenen Bedingungen ablaufen und einander unübersichtlich überschneiden. Die Folgerung lautet: Finanzielle Übersicht und Zentralisation sind hier das Wichtigste.

Nicht nur ist die Koordination der Finanz- mit der Wirtschaftspolitik nötig, auch die Wirtschaftspolitik muss in sich und ihren einzelnen Sparten abgestimmt sein. Das Auseinanderfallen der heutigen Agrarpolitik mit der übrigen Wirtschaftspolitik ist allbekannt. Jener Wechselbalg von „Zwangswirtschaft“ und „freier Wirtschaft“, der hier entstanden ist, wurde schon von vielen anderen Stellen genügend kritisiert. Hier möge nur eines betont werden: Wenn direkte Kontrollen, wie auf dem Gebiet der Ernährungswirtschaft, durch Ein- und Ausfuhrstellen als notwendig erachtet werden, so müssen diese Einrichtungen unmittelbar öffentlich-parlamentarischer Aufsicht unterworfen werden. Man hat in Deutschland anscheinend zur Zeit die Neigung, da man gegen Kontrollapparate überhaupt eingestellt ist, diese Einrichtungen möglichst im Verborgenen blühen zu lassen, da sie eben nicht ins Konzept passen. Wir müssen dagegen fordern: Wenn derartige Einrichtungen als notwendig angesehen werden, dann müssen gerade sie ehrlich erweise ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gestellt werden.

Die wirtschaftspolitische Grundsatzdiskussion über „freie“ und „Zwangswirtschaft“ ist bis zu dem bitteren Ende ihrer völligen Sterilität durch exerziert worden. Eine realistische wirtschaftspolitische Diskussion ohne Prinzipienreiterei sollte aber neu entfacht werden. Wir versuchen das wenigstens von unserer Seite! Gerade für die Parlamentarisierung der Wirtschaftspolitik ist aber das Nationalbudget ein ausgezeichnetes Mittel. Das Nationalbudget ist nicht ein Etat, der vom Parlament in Gesetzesform beschlossen werden soll. Es ist ein Generalbericht und eine Generalvorschau der Regierung, die aber dem Parlament zur Debatte vorgelegt werden muss. Diese Erörterung kann dann zu „Entschließungen“, nicht aber zu einem „Gesetz“ führen. Diese Nationalbudget-Debatte bildet dann nicht nur den Auftakt der eigentlichen Etatberatung und der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes, sondern auch die Startbasis der gesamten praktischen Wirtschaftspolitik der Regierung. Eine solche regelmäßig wiederkehrende Generalabrechnung der Wirtschaftspolitik anhand der Gesamtrechnung des Nationalbudgets im Parlament fehlt heute und muss in Zukunft geschaffen werden. Dann wird auch die Durchwurstelei in der Wirtschaftspolitik beendet.

Niemand darf die bisherigen Wiederaufbauleistungen des deutschen Volkes herabsetzen. Die Aufhebung der Kriegsübergangswirtschaft, die Währungsreform und die Auslandshilfen haben den ungebrochenen Arbeitswillen des deutschen Volkes wieder freigemacht und für unsere Umwelt vielfach erstaunliche Initiativen mobilisiert. Aber täuschen wir uns nicht darüber, dass der Weg nunmehr schwieriger geworden ist. Die ersten Jahre des ungestümen Wiederauflebens sind vorbei. Die Zuwachsraten werden zwangsläufig geringer. Das Ausmaß des Wachstums muss nun im steigenden Umfange getragen werden von einer stärkeren Intensität der Anstrengungen. Die Zeiten des hemdsärmeligen Liberalismus sind vorbei. Nachdem die Kräfte aufgebrochen sind, müssen sie nun wieder stärker gesammelt werden.

Aus dieser Situation und aus der politischen Wertung der Dinge heraus besteht das Konzept des freiheitlichen Sozialismus darin, „das Beste aus beiden Welten“ zusammenzubringen, nämlich Planung und Preismechanismus.5 Diese Synthese wahrt nicht nur die uns allen teuren Werte der Freiheit der Persönlichkeit, sondern sie schützt zugleich die nicht minder großen Werte der sozialen Gerechtigkeit. Diese Synthese entspricht auch in praktischer Hinsicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation Westdeutschlands. Sie ist der realistische und der richtige und dritte Weg. Der Weg, der beide Welten vereinigt, die Marktwirtschaft mit der Planwirtschaft.

Vortrag gehalten am 28.2.1953 auf der Wirtschaftspolitischen
Tagung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Bochum.

  • 1 Vgl. Statistisches Bundesamt, „Wirtsdiaft und Statistik", 5 (1953), 5. 19/20. — S. a. L. Moenius: „Wie steht es mit der Produktivität?", „Der Volkswirt", 7 (1953), S. 9/10.
  • 2 Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften, Köln, 5 (1952), S. 240/41.
  • 3 Globale Vereinigungen sind also solche, die die Volkswirtschaften jeweils insgesamt und nicht nur in bezug auf einen güterwirtschaftlichen Zweig (etwa Kohle und Stahl) integrieren.
  • 4 Walter Eucken; .Grundsätze der Wirtschaftspolitik“. Bern/Tübingen 1952, S. 140/141.
  • 5 Vgl. J. E. Meade; Planning and the Price Medianism. The liberal-socialistic solution, London 1949: sowie die Ausführungen zu diesem Buch von H. Giersch in: Weltwirtschaftliches Archiv, 69 (1952 II), S. 216 ff.

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