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Erweiterung der Verhandlungsmandate für EWG-Komnmission erhöht Erfolgschancen

Interview mit Bundeswirtschaftsminister Kurt Schmücker, Bonn

WIRTSCHAFTSDIENST: Herr Minister, die Kennedy-Runde sollte ursprünglich ein Unternehmen sein, das der Liberalisierung des Welthandels dient. Aufgrund der Erfahrungen der Dillon-Runde, in der um einzelne Zollpositionen gefeilscht worden ist und in der man nur zu einer Zollsenkung von durchschnittlich 8 % gelangt ist, hat man für die Kennedy-Runde das Verfahren der linearen Zollsenkung vorgeschlagen. Der Versuch, auf diese Weise zu einer generellen Zollsenkung (um 50 %) zu gelangen, ist jedoch durch das Einreichen von Ausnahmelisten stark gefährdet worden. Hiermit droht die Rückkehr zum alten Verhandlungsstil (Position um Position). Der EWG wird in diesem Zusammenhang der Vorwurf gemacht, sich durch die Vorlage besonders umfangreicher Listen ausgezeichnet zu haben. Ist dieser Vorwurf berechtigt?

SCHMÜCKER: Lassen Sie mich zunächst auf den Ausgangspunkt Ihrer Frage eingehen. Es ist richtig, dass man im GATT anlässlich einer Tagung auf Ministerebene am 6. Mai 1963 übereingekommen ist, bei den gewerblichen Waren eine lineare Zollsenkung von 50 % anzustreben. Dabei war man sich jedoch von Anfang an darüber klar, dass dieses Ziel lediglich eine Arbeitshypothese sein könne und dass gewisse Ausnahmen notwendig sind, weil kein Land der Welt heute in der Lage ist, bei der einzelnen Warenposition Zölle zu halbieren, ohne die eigene Wirtschaft zu gefährden. Allerdings war man sich ebenso darin einig, dass Ausnahmen nur dann gemacht werden sollten, wenn ein übergeordnetes nationales Interesse vorliegt.

Die EWG hat sich bei der Erteilung ihrer Ausnahmeliste an dieses Prinzip gehalten. Es ist allerdings innerhalb der EWG, die ja erst im Begriff ist, einen gemeinsamen Markt zu bilden, zweifellos viel schwerer, das „übergeordnete nationale Interesse“ zu bestimmen als in anderen Ländern, deren Wirtschaft sich nicht in derartigen Strukturwandlungen befindet. Dennoch ist es der Gemeinschaft gelungen, eine vertretbare Ausnahmeliste zu erstellen. Sie betrifft nur etwa 20 % der zollpflichtigen EWG-Einfuhren oder, wenn man den Gesamthandel mit Drittländern berücksichtigt, nur 9 % aller Einfuhren. Bei dieser Berechnung sind allerdings einige Warenkomplexe ausgeklammert worden, weil bei ihnen besondere Verhältnisse vorliegen. Dies gilt z. B. für Baumwollwaren, über deren Behandlung z. Z. im Rahmen der Verhandlungen zur Verlängerung des internationalen Abkommens für Baumwollwaren beraten wird. Eine Zollsenkung in der Kennedy-Runde kommt für diese Waren erst dann in Frage, wenn Klarheit über das Schicksal des Abkommens besteht. Ähnlich liegen die Verhältnisse im Chemiesektor. Hier hängt eine Senkung des gemeinsamen Zolls davon ab, ob die USA ihr Selling Price System ändern, das nach übereinstimmender Meinung ihrer Handelspartner nicht mehr in die heutige Zeit passt.

Im Übrigen hat bis jetzt kein Verhandlungspartner die Begründungen, die die EWG für ihre Ausnahmewünsche gegeben hat, entkräften können. Ich meine deswegen, dass der Vorwurf, die EWG habe eine besonders umfangreiche Ausnahmeliste vorgelegt und damit den Erfolg der Kennedy-Runde gefährdet, angesichts der besonderen Schwierigkeiten und Strukturveränderungen während des Übergangs zum gemeinsamen Markt nicht berechtigt ist. Sicher hätten wir aus deutscher Sicht auf manche Ausnahmewünsche lieber verzichtet, doch ist die EWG eine Gemeinschaft, in der es auf einen gerechten Ausgleich der Interessen aller Partner ankommt.

WIRTSCHAFTSDIENST: Der EWG ist darüber hinaus vorgeworfen worden, durch ihren Agrarprotektionismus den Erfolg der Kennedy-Runde zu gefährden. Bekanntlich sind die USA vor allem an niedrigeren EWG-Agrarpreisen interessiert, um so ihre Agrarexporte erhöhen zu können. Der Wille der EWG, zu einem möglichst schnellen Abschluss der Kennedy-Runde zu gelangen, ist deshalb verschiedentlich bezweifelt worden. Dieser Zweifel richtet sich vor allem gegen die Politik der Bundesregierung, die im Rahmen der EWG-Agrarverhandlungen auf höhere Preise drängt.

SCHMÜCKER: Solche Zweifel sind meines Erachtens nicht berechtigt, denn wir sind nicht nur im Industriebereich, sondern auch im Agrarsektor an einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zur Kennedy-Runde interessiert. Dass wir dabei allerdings ebenso wenig wie die anderen Länder die Interessen der eigenen Landwirtschaft nicht einfach beiseite schieben können, ist klar. Es wäre aber falsch anzunehmen, dass wir durch unsere Agrarpolitik die Kennedy-Runde-Verhandlungen blockieren wollten. Ich verkenne andererseits durchaus nicht, dass sich aus der Gleichzeitigkeit der Verhandlungen über die Gestaltung des gemeinsamen Agrarmarktes und über die Angebote für die Kennedy-Runde besondere Schwierigkeiten ergeben. Es ist allerdings eine zu grobe Vereinfachung, wenn diese Schwierigkeiten ausschließlich in Zusammenhang mit den EWG-Agrarpreisen gesehen werden. Die Frage der Agrarpreise ist nur ein Element im Rahmen der Verhandlungen, wenn ich auch die Bedeutung dieser Frage nicht übersehe. Daneben spielen aber auch die verschiedenen Subventionsregelungen und Schutzmaßnahmen, die viele Länder und nicht zuletzt auch die USA anwenden, eine wichtige Rolle. Allgemeine Schlussfolgerungen über den Zusammenhang zwischen niedrigen Agrarpreisen und einem Erfolg der Kennedy-Runde sind deswegen nicht ohne Weiteres zutreffend, entscheidend ist – und das wird auch von den USA zugegeben – die Gesamtwirkung der gemeinsamen EWG-Agrarpolitik auf die internationale Agrarsituation.

In diesem Zusammenhang erscheint es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass die Einigung über gemeinschaftliche Getreidepreise die EWG in die Lage versetzt hat, auf dem wohl wichtigsten Agrarmarkt, dem Getreidemarkt, ein umfassendes Angebot für eine weltweite Neuregelung vorzulegen. Der Beschluss über die EWG-Getreidepreise hat damit eine wichtige Ausgangsposition für Fortschritte in den Agrarverhandlungen der Kennedy-Runde geschaffen. Wir hoffen sehr, dass wir in der EWG auch in den anderen Bereichen des Agrarmarktes bald zu konstruktiven und die Verhandlungen zur Kennedy-Runde erleichternden Lösungen kommen werden.

WIRTSCHAFTSDIENST: Es ist einerseits behauptet worden, die Amerikaner würden selbst bei einer 50%igen Zollsenkung auf industrielle Erzeugnisse noch so hohe Zölle behalten, dass der Schutz ihrer Industrien auch nach einem Erfolg der Kennedy-Runde so gut wie unangetastet bleibt, während die EWG bei einer 50%igen Zollsenkung im gewerblichen Bereich so gut wie „nackt“ dastehen würde. Andererseits ist darauf hingewiesen worden, dass diese Situation bei einer eventuellen späteren Zollsenkungsrunde im Rahmen des GATT der EWG wesentliche Zollzugeständnisse unmöglich machen würde. Könnte dies der Grund dafür sein, dass – wie vermutet worden ist – man in der EWG heute mit Zollkonzessionen sehr vorsichtig verfährt?

SCHMÜCKER: Das Zollniveau der USA lässt sich mit dem der EWG sehr schwer vergleichen. Der Grund liegt darin, dass der gemeinsame Tarif im Allgemeinen aus dem arithmetischen Mittel der nationalen Zölle der EWG-Mitgliedsländer entstanden ist. Dadurch wurden automatisch die extrem hohen ebenso wie die extrem niedrigen Zollsätze beseitigt, und die Zollsätze konzentrieren sich heute auf eine mittlere Höhe von etwa 11,7%. Dagegen enthält der amerikanische Tarif eine große Zahl sehr niedriger Zölle, ebenso aber auch eine ganze Reihe besonders hoher Zölle; der amerikanische Tarif ist also sehr viel unterschiedlicher als der EWG-Tarif. Seine mittlere Höhe liegt, wenn man den gleichen Berechnungsmodus nimmt wie bei der eben erwähnten EWG-Zahl, bei 17,8%. Aus dieser Situation ist das Problem der sog. Disparitäten entstanden, worunter man die Zolltarifunterschiede in den einzelnen Ländern bei der gleichen Ware versteht. Es trifft zweifellos zu, dass bei eklatanten Disparitäten das Land mit dem hohen Zoll selbst nach der Halbierung dieses Zolls einen höheren Einfuhrschutz hat als das Land mit ohnehin bereits niedrigeren Zöllen. Aus diesem Grunde lehnt die EWG generell bei wesentlichen Disparitäten eine Halbierung ihrer Zölle ab und bietet nur eine geringere Senkung an. Dieses Verhalten entspricht einem Beschluss der GATT-Ministerkonferenz von 1963. Dort heißt es, dass im Falle von wesentlichen, d. h. den Handel beeinflussenden Disparitäten, die Zollsenkungen nicht linear, sondern nach Sonderregeln vorgenommen werden sollen.

WIRTSCHAFTSDIENST: Von amerikanischer Seite sind Vorwürfe gegen das American Selling Price System (ASP), den Buy-American-Act und Anti-Dumping-Praktiken mit dem Hinweis beantwortet worden, dass auch die EWG ähnliche nichttarifäre Handelshemmnisse besäße. In diesem Zusammenhang wurde das Besteuerungssystem für Automobile in den EWG-Ländern, Kohlekontingente, Tabakmonopole und nicht zuletzt die gesamten Agrarmarktordnungen genannt. Wird nicht auch angesichts dieser schwerwiegenden Vorwürfe die EWG zu Konzessionen und, wenn ja, in welchem Ausmaß kommen müssen?

SCHMÜCKER: Das American Selling Price System habe ich bereits vorhin erwähnt. Es hatte vielleicht 1922, als die amerikanische Farbstoffindustrie erst im Aufbau war, seine Berechtigung, keinesfalls jedoch heute, in einer Zeit, in der die amerikanische Chemieindustrie die mächtigste der Welt ist. Durch dieses Bewertungssystem wird mitunter ein Zollschutz von weit über 100 % des Wertes der eingeführten Ware erreicht. Meist wird diese amerikanische Regelung zu den nichttarifären Handelshemmnissen gezählt. In Wahrheit hängt es jedoch derart eng mit der Verzollung zusammen, dass es nicht mit anderen Maßnahmen, wie z.B. den Kraftfahrzeugsteuern, verglichen werden kann, die zwar ebenfalls für den internationalen Güteraustausch störend sind, mit der Einfuhr aber unmittelbar nichts zu tun haben. Wir sollten diese Fragen sehr sorgfältig unterscheiden, denn nur dann können wir auch zu vernünftigen Entscheidungen kommen. Ich würde es deswegen begrüßen, wenn man dies auch auf amerikanischer Seite akzeptieren und für die Abschaffung des Selling Price Systems nur Zollkonzessionen verlangen würde und nicht Maßnahmen im Bereich der Steuern oder der Kontingente. Das gilt auch für die Anti-Dumping-Praktiken einzelner Länder. Diese sollten gesondert unter die Lupe genommen und nicht mit anderen Fragen vermischt werden. Gerade auf diesem Gebiet haben die EWG-Länder durchaus begründete Wünsche gegenüber den USA und Kanada.

Was die EWG-Agrarmarktordnungen angeht, so werden diese eingehend bei den Angeboten und Gegenangeboten auf dem Agrarsektor behandelt werden müssen. Meines Erachtens sollte man die ohnehin schwierigen Probleme des Agrarbereichs aber nicht noch dadurch erschweren, dass man von der EWG auch Konzessionen auf dem Agrargebiet für ein amerikanisches Entgegenkommen auf dem gewerblichen Sektor verlangt.

WIRTSCHAFTSDIENST: Von Seiten der Amerikaner, wie auch von Seiten des GATT-Sekretariats, wird immer wieder der Termin des 30. Juni 1967 genannt, bis zu dem die Kennedy-Runde unter Dach und Fach gebracht werden müsste, da zu diesem Zeitpunkt die Vollmacht des amerikanischen Kongresses für den US-Präsidenten ausläuft. Mit diesem Termin wird die EWG zu einer beschleunigten Aktion gedrängt. Sehen Sie Chancen, dass auch nach diesem Termin noch Verhandlungen stattfinden können, und welche Rolle muss man bei der Beurteilung dieser Frage den amerikanischen Interessen an einem Gelingen der Kennedy-Runde beimessen?

SCHMÜCKER: Wir werden zunächst einmal alles daransetzen, um bis zu diesem Termin, der tatsächlich eine erhebliche Rolle spielt, fertig zu werden. Für die EWG bedeutet das, dass wir uns beschleunigt über eine Reihe von Fragen schlüssig werden müssen, die ohnehin bei der Bildung des gemeinsamen Marktes früher oder später zu entscheiden sind. Auf dem Industriesektor dürfte es bei gutem Willen durchaus möglich sein, innerhalb der noch zur Verfügung stehenden Zeit zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen. Ob dies allerdings auch bei allen Fragen des Agrarsektors möglich sein wird, lässt sich heute noch nicht beurteilen, weil die eigentlichen Agrarverhandlungen der Kennedy-Runde ja noch gar nicht begonnen haben.

Nach dem Ergebnis der HWG-Ratstagung vom 9. – 11. Mai 1966 ist damit zu rechnen, dass die Verhandlungsmandate an die EWG-Kommission in nächster Zeit erweitert werden, auch auf dem gewerblichen Sektor. Das wird den Fortgang der Genfer Handelsverhandlungen wesentlich beeinflussen.

Mit dem Vorhaben, auch den Agrarmarkt weltweit zu ordnen, wurde der Kennedy-Runde ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt. Über einzelne Fragen – ich erinnere z.B. an das Weltgetreideabkommen – verhandelt man ja bereits eine ganze Reihe von Jahren, ohne zu einem konkreten Resultat gekommen zu sein. Bei der Fülle der Probleme auf dem Agrarsektor wird es überaus schwer sein, bis zum 30. Juni 1967 auf allen Teilgebieten zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen. Es wäre schließlich aber auch schon ein Erfolg, wenn man sich über gewisse Grundzüge einigen und die Einzelheiten dann nach Abschluss der Kennedy-Runde weiter beraten würde.

Über die Frage, ob und in welchem Rahmen nach dem 30. Juni 1967 eventuell noch weitere Verhandlungen stattfinden sollten, brauchen wir uns jetzt im Einzelnen noch nicht den Kopf zu zerbrechen. Meines Erachtens sollten wir jetzt vielmehr alles tun, um die Verhandlungen beschleunigt fortzusetzen und zu Lösungen zu kommen. Wenn wir dann nicht rechtzeitig fertig werden, wird es bei dem guten Willen aller wichtigen EWG-Mitgliedsländer und dem besonderen Interesse der USA an einem Gelingen der Kennedy-Runde auch Wege geben, die bis dann geleisteten Vorarbeiten zu einem vollen Erfolg zu bringen. Ich weiß, dass in Kreisen der amerikanischen Wirtschaft der dringende Wunsch besteht, die begonnenen Beratungen auf keinen Fall durch den Ablauf einer einmal gesetzten Frist endgültig abbrechen zu lassen.

Die Kennedy-Runde kann Erfolg haben

Interview mit Botschafter W. Michael Blumenthal, Leiter der Handelsdelegation der Vereinigten Staaten von Amerika in Genf

WIRTSCHAFTSDIENST: Herr Botschafter, in Bezug auf die Kennedy-Runde gibt es mindestens zwei Thesen: Einmal wird gesagt, es handele sich um einen Handelskrieg zwischen der EWG und den USA. Zum anderen ist besonders von Ihnen darauf hingewiesen worden, dass dies ja nicht der ursprüngliche Sinn der Kennedy-Runde sein könne. Sie haben immer wieder gesagt, es handele sich bei der Kennedy-Runde um ein weltweites Unternehmen. Unsere Frage daher: Schließt die zweite These die erste wirklich aus? Es könnte ja sowohl sein, dass es sich um ein weltweites Unternehmen handelt, dass aber, da die USA und die EWG die wichtigsten Partner sind und hier die größten Probleme auftreten, ein Handelskrieg ständig in der Luft liegt.

BLUMENTHAL: Ich glaube, das Wort Handelskrieg ist in diesem Zusammenhang völlig falsch und trifft auf das, was wir hier in Genf tun, am wenigsten zu. In einem Handelskrieg versucht man, sich voreinander mit Zöllen zu verteidigen oder greift den anderen mit Dumping-Maßnahmen an — kurz, man tut alles das nicht, was zu einem für alle Partner vorteilhaften Wachstum des Handelsvolumens führen könnte. Dagegen sind wir bei Handelskonferenzen, zu denen man die Kennedy-Runde rechnen muss, bestrebt, die Bedingungen für eine Handelsausweitung zu schaffen. Sie haben allerdings recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Kennedy-Runde auf der einen Seite eine multilaterale Verhandlung mit vielen Ländern ist und trotzdem einige, nämlich die EWG, die USA, Großbritannien und Japan, die größere Rolle spielen. Und ebenso richtig ist es, wenn man darauf hinweist, dass in einer Konferenz zur selben Zeit unterschiedliche Ansichten vertreten werden, über die hart verhandelt werden muss. Das ist schließlich der Zweck einer Konferenz. Aber so sieht kein Handelskrieg aus. Wir haben — wenn Sie so wollen — beides: eine multilaterale Verhandlung, wenige große Partner, die Meinungsverschiedenheiten haben und daher hart miteinander verhandeln. Eines allerdings ist ihnen gemeinsam, nämlich das Bestreben, die Verhandlung zum Erfolg zu führen und eine spürbare Liberalisierung im industriellen und landwirtschaftlichen Bereich zu erzielen.

WIRTSCHAFTSDIENST: Wie steht es mit den Entwicklungsländern, die ja auch an der Kennedy-Runde beteiligt sind? Die Entwicklungsländer haben des Öfteren gesagt, dass sie sich gegenüber dem „Industrieclub“ benachteiligt fühlen, der im GATT vertreten ist. Wie würden Sie die Rolle dieser Länder sehen?

BLUMENTHAL: Nun, ich glaube, dass die Entwicklungsländer in der Tat vor sehr ernsten Handelsproblemen stehen. Einige dieser Probleme stehen im Zusammenhang mit der Instabilität ihrer Rohstoffpreise und dem Missverhältnis zwischen ihrer Rohstoffproduktion und ihrem Bedarf an Kapital. In der Kennedy-Runde allerdings können wir mit diesen Problemen nicht fertig werden. Diese Probleme müssen in besonderen Rohstoffabkommen behandelt werden, die sich mit einzelnen Warenmärkten befassen. Andererseits besteht meiner Meinung nach natürlich auch in der Kennedy-Runde eine günstige Gelegenheit für die Lösung dieser Probleme, eine Gelegenheit, die diese Länder in zunehmendem Maße erkennen. Sie selbst können nämlich wirklichen Nutzen aus diesen Verhandlungen ziehen. Das ist der Grund, warum so viele von ihnen (über 20) aktiv daran teilnehmen. Hier ein Beispiel: Die USA haben diesen Ländern Angebote in Bezug auf Produkte, die sie an uns exportieren, gemacht. Für Länder wie Brasilien, Argentinien, einige der afrikanischen und lateinamerikanischen Länder und Länder des Fernen Ostens habe ich mir die Zahlen angesehen. Sie reichen im Allgemeinen von Zollsenkungen um 50 % bis zu 80, 90, ja sogar bis zu 98 % ihrer zollpflichtigen Exporte an uns. Selbstverständlich wird das allein die Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer nicht lösen, aber es ist doch ein wichtiger Faktor. Sie erkennen das auch und sind darum daran interessiert. Nun, ich nehme an, dass andere Länder wie Großbritannien, die EWG und Japan ähnliche Anstrengungen machen, wenn mir hierüber auch keine exakten Zahlen vorliegen.

WIRTSCHAFTSDIENST: Häufig werden die Entwicklungsländer allein durch die Auswahl der Produkte benachteiligt. Der ganze Agrarprotektionismus bedrückt die Entwicklungsländer zweifellos besonders stark. Zum Beispiel werden Baumwolltextilien sehr stark geschützt — wahrscheinlich werden die Ausnahmelisten in den Verhandlungen sogar akzeptiert. Man hat in diesem Zusammenhang gemeint, dass aufgrund dieser Tatsachen die Entwicklungsländer durch eine lineare Zollsenkung nicht die Vorteile erlangen würden, die die Industrieländer erhalten, falls die Kennedy-Runde erfolgreich ist.

BLUMENTHAL: Es stimmt, dass viele Entwicklungsländer an tropischen Erzeugnissen äußerst interessiert sind. Es stimmt auch, dass diese Produkte zum Agrarbereich gehören und dass sie deshalb nicht Gegenstand einer linearen Zollsenkung von 50 % sind. Ferner stimmt es, dass Baumwolltextilien ein besonderes Problem darstellen. Andererseits unternehmen einige Länder besondere Anstrengungen, und ich hoffe, dass alle Länder dasselbe tun werden. Wir haben uns besonders bemüht, darum ist die Zahl unserer Zollsenkungsangebote an Entwicklungsländer auch so hoch. Im Falle der EWG warten wir ab. Wir hoffen, dass sie ebenfalls alle Kräfte aufbieten wird. Sie hat es versprochen. So gibt es gewiss bedeutsame Vorteile. Die Entwicklungsländer haben uns immer zu verstehen gegeben, dass die Beseitigung der Restriktionen für tropische Produkte sehr wichtig für sie ist. Natürlich gibt es einige landwirtschaftliche Güter (Fleisch oder Zucker), für die es in vielen Ländern besondere Bestimmungen gibt, sodass auf diesen Gebieten die Möglichkeiten für einen spürbaren Handelszuwachs begrenzt sind. Und das ist ein Nachteil. Bezüglich der Baumwolltextilien bestehen, so glaube ich, echte Chancen. Sie sagen, sie werden wahrscheinlich ausgenommen werden; das stimmt nicht unbedingt. Wir hoffen, auch auf diesem Gebiet Vereinbarungen zu erzielen, die die Handelsrestriktionen bedeutend liberalisieren, sowohl was die Zölle als auch was die quantitativen Beschränkungen betrifft.

WIRTSCHAFTSDIENST: Im Zusammenhang mit der Agrarfrage ist der Vorwurf aufgetaucht, dass die Vereinigten Staaten die Entwicklungsländer vorschieben, um das eigene Agrarinteresse an der Kennedy-Runde umso stärker durchzuboxen. Wie sehen Sie solch einen Vorwurf?

BLUMENTHAL: Meiner Meinung nach wird dieser Vorwurf überhaupt nicht durch Tatsachen erhärtet. Ich glaube nicht, dass man uns vorwerfen kann, besonders zurückhaltend zu sein, wenn es darum geht, unsere Interessen zu erläutern oder uns dafür sehr energisch einzusetzen. Auch habe ich eigentlich kaum jemals kritische Äußerungen darüber vernommen, dass sich irgendjemand – sei es in Genf oder in Washington – hinter dem Rücken der Entwicklungsländer verkrieche. Wir haben sehr deutlich unsere Interessen vertreten und werden das immer tun. Auf dem Gebiet der Landwirtschaft haben wir lebenswichtige Interessen. Wir haben daraus keinerlei Geheimnis gemacht. In dieser Hinsicht vertreten wir unseren Standpunkt durchaus ohne fremde Rückendeckung.

WIRTSCHAFTSDIENST: Von Seiten der Vereinigten Staaten wird der EWG der Vorwurf gemacht, sie betreibe einen starken Agrarprotektionismus, was zweifellos richtig ist. Andererseits aber kann man doch wohl nicht leugnen, dass die USA auch ihre eigene Landwirtschaft unterstützen. Zwar tun sie das in anderer Form als die EWG, das ändert aber nichts an dem Faktum der Unterstützung. Wie beurteilen Sie die eigenen Hilfsmaßnahmen für Ihre Landwirtschaft in diesem Zusammenhang?

BLUMENTHAL: Zunächst glaube ich, müssen wir alle zugeben, dass wir alle zu verschiedenen Zeiten auf diesem Gebiet Ziele verfolgt haben, die nicht völlig mit den Grundsätzen einer liberalen Handelspolitik im Einklang stehen. Man kann durchaus sagen, dass wir alle Sünder sind. Die Frage ist nur, wie groß die Sünde war und was wir in Zukunft zu tun gedenken, weniger, was wir in der Vergangenheit getan haben. Außerdem gibt es einige sehr wichtige Punkte, an die wir denken müssen, wenn wir Mittel und Wege ausfindig machen wollen, um auf diesem Gebiet den Handel zu erweitern.

In den USA haben wir sehr schmerzhaft erfahren müssen, dass Preisfixierungen oder Gesetze die Agrarproduktion nicht lenken können. Wenn wir unseren Farmern Preisgarantien gaben, galt dies deshalb immer nur für eine bestimmte Menge ihrer Produkte oder für eine gewisse, nach Gebieten begrenzte Produktion. Sie wurden immer davon unterrichtet, dass mit einer bestimmten Preisgarantie die Verpflichtung verbunden war, ihre Produktion zu senken, die Anbauflächen zu begrenzen oder zum Teil völlig aufzugeben.

Was uns bei der EWG Sorgen macht, ist die Tatsache, dass auf vielen Gebieten die gemeinsame Agrarpolitik diesem Grundsatz nicht Rechnung trägt. Die Gemeinschaft verfolgt eine Politik relativ hoher Preise, die allen Bauern für alle Produkte garantiert werden. Und diese Garantie wird durch eine Maßnahme gewährt, die wir als einen absoluten Schutz beim grenzüberschreitenden Verkehr ansehen, nämlich die Einrichtung des Abschöpfungssystems, das einen Preiswettbewerb Außenstehender de facto nicht zulässt. Und außerdem gibt es die Möglichkeit sogenannter Rückvergütungen, die wir als Exportsubventionen betrachten. Auf diese Weise können durch hohe Preise geförderte Agrarüberschüsse in Drittländern im Wettbewerb mit anderen leistungsfähigeren Ländern abgesetzt werden.

Das ist es, was uns Sorgen macht, denn bei den hohen Preisen, die die Gemeinschaft dem Bauern für alles garantiert, was er nur liefern kann, nehmen wir an, dass sie Überschüsse erzielen muss. Das bedeutet nicht nur, dass wir auf ihrem Markt aufgrund des Abschöpfungssystems keine Wettbewerbschancen haben, sondern auch, dass die Märkte dritter Länder für uns gefährdet sind.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben, d. h. was sich bei dem berühmten „Hähnchenkrieg“ ereignet hat. Wir haben nicht nur unseren Markt für Brathähnchen in der EWG, besonders in Deutschland, verloren, sondern der hohe Preis und die Abschöpfungen haben im Gemeinsamen Markt dazu geführt, dass hochsubventionierte Exporte aus der EWG nach anderen Ländern wie z. B. die Schweiz, Österreich oder sogar das weit entfernte Japan stattfanden. Das ist das Problem. Einer der Punkte, die wir in der Kennedy-Runde diskutieren müssen, und der bereits jetzt diskutiert wird, ist die Frage, wie wir zu Verpflichtungen kommen, die für die Binnenmärkte verbindlich sind, weil in derartigen Fällen die Binnenmärkte große Wirkungen auf den Handel haben.

WIRTSCHAFTSDIENST: Können Sie jetzt schon sagen, welche Zugeständnisse Sie von der EWG erwarten?

BLUMENTHAL: Ich bin nicht der Meinung, dass man das zu diesem Zeitpunkt schon quantifizieren kann, und zwar aus einem sehr guten Grunde: Weil aus Gründen, die Ihnen ja bekannt sind, die EWG der einzige Teilnehmer ist, der noch keinerlei agrarpolitische Angebote gemacht hat. Wenn noch keine konkreten Angebote vorliegen, kann man sehr schwer sagen, ob man mehr haben will oder ob man zufrieden ist. Aber ich kann Ihnen einen ganz allgemeinen Kommentar geben: Wir würden auf dem Agrarsektor ein Ergebnis begrüßen, das zwei Aspekten Rechnung trägt: Erstens, wir würden es ganz gern sehen, wenn Subventionierung und Protektionismus auf der ganzen Welt und bei allen Ländern begrenzt würden. Das gilt nicht nur für die EWG, sondern genauso gut für Großbritannien und Japan, und auch wir sollten die gleichen Verpflichtungen eingehen. Zweitens würden wir gern die Chance haben, unseren Anteil an den Märkten dritter Länder zu behalten und wettbewerbsfähig zu sein, wenn es um einen Anteil an ihrer wachsenden Nachfrage geht (keine Garantie, aber die Möglichkeit des Wettbewerbs). Denn wir glauben, auch ohne Subventionen leistungsfähig produzieren zu können. Das ist für die USA sehr wichtig, denn etwa 20 bis 25 % (d. h. 5 bis 6 Mrd. $ jährlich) unserer Exporte bestehen aus landwirtschaftlichen Gütern. Es ist natürlich noch bedeutsamer für Länder wie Neuseeland, dessen Exporte etwa zu 90 % aus landwirtschaftlichen Produkten bestehen, oder für Australien oder europäische Staaten wie Dänemark oder aber Entwicklungsländer wie Argentinien. Das ist es, was wir zu erreichen hoffen. Wir sind sicherlich dazu bereit, hinsichtlich unseres eigenen Marktes ähnliche Angebote zu machen oder Verpflichtungen einzugehen, wie wir sie von anderen fordern. Nun, wir haben unsere Angebote auf den Konferenztisch gelegt. Wir sind darauf vorbereitet und hoffen jetzt, dass besonders nach den letzten Brüsseler Vereinbarungen auch die EWG bald bereit sein wird und dass wir dann vielleicht ein wenig später auf Ihre Frage zurückkommen und sie beantworten können, wenn wir diese Fakten kennen.

WIRTSCHAFTSDIENST: Sie haben eben das Wort Wettbewerb in die Diskussion gebracht. Man hat häufig gesagt, was den USA die Agrarfrage ist, sei für die EWG die Industriefrage. Auch dort wird mit dem Argument des Wettbewerbs argumentiert. Und daher wird dann immer wieder gesagt: Ganz so liberal sind schließlich die Einfuhrpraktiken der Amerikaner auch nicht! Stichwort: American Selling Price System bei den Chemieprodukten. Ist es nicht berechtigt, solche Fragen vorzubringen? Was verlangen die USA, um auf diesem Gebiet Konzessionen zu machen?

BLUMENTHAL: Ich glaube, dass das eigentlich zwei Fragen sind, und ich will versuchen, sie beide – eine nach der anderen – zu beantworten. Die erste Frage lautet: Sind wir, ganz allgemein gesprochen, auf dem industriellen Sektor liberal oder noch liberaler als andere Länder, und falls das nicht zutrifft, was gedenken wir in dieser Sache zu tun? Die zweite Frage behandelt den ganz speziellen Fall des American Selling Price.

Zur ersten Frage meine ich, dass auf einigen Gebieten unsere protektionistische Einstellung recht ausgeprägt ist und dass einige unserer Praktiken nicht gerade liberal genannt werden können. Andererseits sind wir jedoch der Meinung, dass andere Länder auch nicht gerade völlig unschuldig sind und dass es auch da relativ hochprotektionierte Sektoren und ganz ähnliche Fälle von wenig liberalen Praktiken gibt. Das ist ganz normal, da einige Industriezweige weniger leistungsfähig sind als andere. Dafür gibt es historische Gründe, dafür gibt es solche politischer und sozialer Art, und es wäre höchst **überraschend, wenn das nicht der Fall wäre. Das ist es ja gerade, wofür die Kennedy-Runde da ist. Und selbstverständlich sind wir bereit, weiter zu verhandeln. In der Tat ergibt aber ein Vergleich der durchschnittlichen Zolltarife, bei dem man alle Vorsicht im Hinblick auf die vergleichbaren Daten walten lassen muss, dass ganz allgemein gesprochen die durchschnittliche Höhe der Zolltarife bei der EWG und den USA gar nicht so große Unterschiede aufweist. Es trifft zu, dass wir auf einigen Gebieten einen sehr hohen Zollschutz besitzen, auf anderen dagegen liegen unsere Zölle ziemlich niedrig, im Allgemeinen entsprechen wir aber dem Durchschnitt. Die Japaner liegen etwas höher.

WIRTSCHAFTSDIENST: Ja, dieser Punkt wird sehr häufig anders gesehen. Wir haben hier eine Tabelle, die von Prof. Bela Balassa zusammengestellt worden ist und in der neben der nominalen die effektive Zollbelastung angegeben ist. Hiernach wird Ihre These stark unterstützt.

BLUMENTHAL: Das Beste, was ich in diesem Zusammenhang tun kann, ist, auf eine Analyse1 zu verweisen, die vom CED (Committee for Economic Development, eine private Organisation in den USA) erstellt worden ist, und die wir für sehr fair und objektiv halten. Diese Analyse zeigt verschiedene Wege auf, wie man durchschnittliche Zolltarife berechnen kann. Je nachdem, welcher Methode man sich dabei bedient, schneiden wir sehr gut oder aber auch sehr schlecht ab. Aber nach der Schlussfolgerung des CED kommt alles mehr oder weniger auf eins heraus, wenn man sich die verschiedenen Berechnungsmethoden ansieht, je nachdem, ob man einfache Durchschnitte, gewogene Durchschnitte, mehr oder weniger echte Durchschnitte auswählt: allgemein gesehen sind die Zollniveaus in etwa gleich hoch.

Nun zur zweiten Frage. Auf einigen besonderen Gebieten haben wir andere Handelsschranken als Zölle, ein Beispiel hierfür ist der American Selling Price. Andere Länder bieten andere Beispiele. Gehen wir auf einige von diesen Beispielen ein: In bestimmten Ländern der EWG ist die Einfuhr amerikanischer Kohle kontingentiert. Oder lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen: In bestimmten Ländern der EWG sind die Kraftfahrzeugsteuern so gestaltet, dass sie höchst restriktiv wirken. Oder ein drittes Beispiel: Für bestimmte Produkte darf nicht unbeschränkt geworben werden (ich denke hier z. B. an Whiskey), eine Maßnahme, die sich in einigen Ländern der EWG auf den Absatz von Whiskey im Vergleich mit anderen konkurrierenden alkoholischen Getränken sehr ungünstig auswirkt. Ich kann Ihnen für Japan, Großbritannien oder die anderen EFTA-Länder ähnliche Beispiele nennen. Ich will damit nur andeuten, dass jedes Land auf bestimmten Gebieten derartige Praktiken verfolgt, und auch wir tun das. Einer dieser Fälle ist der American Selling Price. Wir sind nun aber übereingekommen, in der Kennedy-Runde nicht nur die Zölle, sondern auch diese nichttarifären Handelshemmnisse zu behandeln. Kein Land wird in dieser Frage einseitige Konzessionen machen, es müssen auch Konzessionen der anderen Seite vorliegen, und gerade darüber wird jetzt verhandelt. Deshalb sind wir durchaus darauf vorbereitet, die Gesichtspunkte der anderen Länder zu erwägen und unsererseits Anstrengungen im Falle des American Selling Price zu unternehmen. Jetzt hoffen wir aber auch, dass unsere Partner, auch die EWG, den Beweis dafür antreten, dass sie zu entsprechenden Gegenleistungen bereit sind, wenn wir ihnen auf Gebieten entgegenkommen, die für sie problematisch sind.

Abbildung 1
Nominale und effektive Zollsätze ausgewählter Industrieländer (1962)
Nominale und effektive Zollsätze ausgewählter Industrieländer (1962)

Quelle: B ela Balassa : Tariff Protection in Industrial Countries, An Evaluation. In: The Journal of Political Economy. Band LXIII (1965), S. 573 ff.

WIRTSCHAFTSDIENST: Von Seiten der Vereinigten Staaten wird sehr häufig mit dem 30.6.1967 gedrängt. Bekanntlich läuft bis dahin die Vollmacht des Kongresses für den Präsidenten aus. Nun könnte man sich natürlich fragen: Wenn einerseits die Vereinigten Staaten ein vitales Interesse am Zustandekommen der Kennedy-Runde haben und andererseits die technischen Schwierigkeiten so groß sind, dass man es bis zu diesem Termin nicht schaffen kann, so müsste doch der Kongress auch einer Verlängerung der Verhandlungsvollmacht zustimmen. Sehen wir das falsch? Oder welche Argumente spielen hier eine Rolle?

BLUMENTHAL: Meiner Meinung nach ist es sehr schwer vorauszusagen, was der Kongress 1967 tun würde, falls der Präsident um eine Erneuerung seiner Vollmachten bitten müsste. Das ist eben das Problem, wir wissen es nicht. Aber wir dürfen unsere Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass die Unsicherheit sehr groß ist und dass es mit großen Risiken verbunden ist, noch einmal an den Kongress heranzutreten. Wir schreiben nicht mehr 1962, sondern wir sind dann im Jahre 1967. 1962 erteilte der Kongress noch nie dagewesene Vollmachten, so etwas hatten wir bis dahin noch nie gehabt. Wenn der Präsident an den Kongress mit der Bitte um eine Erneuerung dieser Vollmachten herantreten muss, so müssen beide Häuser ein Gesetz verabschieden. In dem einen Haus sitzen 435 Kongressabgeordnete, im anderen 100 Senatoren. Was sie tun werden, weiß kein Mensch.

Und da ist noch ein weiterer Punkt: Es ist keineswegs sicher, dass das neue Gesetz ebenso liberal ist wie das alte. Und das könnte sich als ein wirklich ernstes Problem herausstellen. Das ist auch der Grund für unsere Äußerung, dass wir alles nur Mögliche unternehmen müssen, um die Verhandlungen vor dem 30. Juni 1967 abzuschließen. Ich meine, wir können das schaffen. Aber wenn wir keinen Erfolg haben, werden wir – d. h. alle von uns, die einen erfolgreichen Abschluss der Kennedy-Runde wünschen – uns einer äußerst schwierigen, unsicheren und nicht vorhersehbaren Situation gegenübersehen.

WIRTSCHAFTSDIENST: Wenn wir Sie richtig verstehen, Herr Botschafter, dann sind Sie der Ansicht, dass das schöne Wetter des Liberalismus, mit dem damals der Start zur Kennedy-Runde gegeben worden ist, vorüberzugehen droht und stattdessen dunkle Wolken des Protektionismus aufziehen — und das nicht zuletzt in Ihrem eigenen Land.

BLUMENTHAL: Ich möchte nicht den Eindruck vermitteln, dass eine Woge des Protektionismus die USA zu überschwemmen droht. Das wäre eine krasse Übertreibung. Was ich zum Ausdruck bringen will, ist die Tatsache, dass bei unserem Regierungssystem am Anfang die dem Präsidenten erteilte Vollmacht steht und er dann handeln kann. Das unterscheidet sich von den Regierungssystemen in anderen Ländern, bei denen die Regierungen zunächst verhandeln und sich später um die Ratifizierung bemühen müssen. Um eine Verlängerung des Trade Expansion Act zu erhalten, würde bedeuten, dem Kongress die Gelegenheit zu geben, im Hinblick auf die bisherigen Verhandlungen und mögliche Resultate seinen Standpunkt zu vertreten, und das Ergebnis wäre unsicher. Und das wäre nur natürlich, denn offensichtlich gibt es Industriezweige, die einige Befürchtungen hegen. Aber es ist gerade das Verfahren, mit dem unsere Gesetze vorgeschlagen und verabschiedet werden, das diese Komplikationen hervorruft, ganz abgesehen davon, ob es heute mehr protektionistische Ressentiments gibt als damals.

WIRTSCHAFTSDIENST: Es wäre also auf jeden Fall besser, wenn die Kennedy-Runde bis 1967 abgeschlossen würde. Wie beurteilen Sie nach den letzten Brüsseler Beschlüssen vom 9. – 11.5.1966, in denen sich die EWG-Länder verpflichtet haben, an die Kommission die entsprechenden Mandate für die Verhandlungen in der Kennedy-Runde zu erteilen, die Aussichten für einen Abschluss?

BLUMENTHAL: Meiner Ansicht nach kann ich Ihre Frage ganz klar beantworten: Ja, es ist möglich, zu guten Resultaten sowohl bei der Industrie als auch bei der Landwirtschaft zu kommen, Resultate, die bei weitem das übertreffen, was in den vergangenen Verhandlungen erreicht wurde.

Aber der Zeitplan drängt jetzt sehr. Vor allem erfordert er jetzt, dass die EWG in den nächsten Wochen tatsächlich die notwendigen Entscheidungen für die Landwirtschaft und die noch verbleibenden industriellen Sektoren trifft. Zum Beispiel haben wir noch keinerlei Angebote bei Papier und Papierprodukten und auch noch kein bindendes Angebot bei Aluminium. Sowohl diese als auch die agrarpolitischen Entscheidungen müssen nun sehr schnell getroffen werden. Wenn wir das erreichen, und wenn wir wirklich unter großem Zeitdruck wesentlich schneller verhandeln können als bisher, so sehe ich keinen Grund, warum wir die Verhandlungen nicht rechtzeitig zum Abschluss bringen können. Auf vielen Gebieten können wir schon die Umrisse der zukünftigen Vereinbarungen entdecken. Am Ende des dunklen Tunnels erscheint bereits ein winziges Licht, und ich sehe keinen Grund, warum wir nicht bei wirklich harter Arbeit den dunklen Tunnel hinter uns lassen und das Tageslicht erreichen sollten. Es wird schwierig werden, und es wird spannungsreiche Augenblicke geben, aber es kann geschafft werden.

Lassen Sie mich abschließend noch etwas sagen. Warum muss es geschafft werden, warum müssen wir alle hart arbeiten? Sicher nicht nur, weil die Erteilung weiterer Vollmachten durch den Kongress problematisch ist, sondern auch, weil die Verhandlungen — insgesamt gesehen — nun schon über drei Jahre andauern. Wir stehen bereits im vierten Jahr. Und wenn auch Verhandlungen, die sich ein so ehrgeiziges Ziel stecken, selbstverständlich langwierig sind und viel Geduld und Vorbereitung erfordern, so wird doch einmal ein Punkt erreicht, wo Entscheidungen entweder getroffen oder nicht getroffen werden — später können sie dann nicht mehr nachgeholt werden. Man kann nicht sieben oder zehn Jahre in Genf herumsitzen und über Handelsfragen verhandeln. Kein Land macht das auf die Dauer mit. Die Entwicklungsländer, die so lange gewartet haben, werden das nicht für immer tun. Und das ist verständlich. In Europa wirft die wachsende Diskriminierung zwischen EWG- und EFTA-Ländern ernste Probleme auf. Nächstes Jahr wird diese beinahe vollkommen durchgeführt sein, dann würden die Ergebnisse der Kennedy-Runde Mittel und Wege bieten, die Schranken zwischen den verschiedenen europäischen Gruppen abzubauen.

Alles das ist sehr wichtig, und es muss jetzt getan werden. Ich glaube, dass wir uns schnell dem Zeitpunkt nähern, da es heißt „jetzt oder nie“. Das ist eine Beurteilung der allgemeinen Situation, aber es liegt in der Luft, dass der Augenblick der Entscheidung so oder so gekommen ist. Und das ist der Grund, warum ich bereits einmal sagte: 1966 ist das Jahr der Entscheidung. Sich jetzt nicht zu entscheiden, heißt, sich für ein Misslingen zu entscheiden.

  • 1 Committee for Econom ic Development: Trade Negotiations for a Better Free World Economy. New York 1964.

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DOI: 10.2478/wd-1996-0243

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