Die energiepolitisciie Diskussion kreist zunehmend um das Wort „Entkopplung“, bietet doch anscheinend eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Energiewachstum einen Ausweg aus dem Dilemma der teilweise zu Dogmen erstarrten unterschiedlichen Positionen. Welche Chancen bestehen für eine Entkopplung?
Wachstum ohne mehr Energie?
Dass das Wirtschaftswachstum immer mehr Energie erfordert, steht in so ziemlich jeder Einleitung energiewirtschaftlicher Ausarbeitungen. Diese Ansicht ist aber auch ein gemeinsamer, quasi dogmatischer Ausgangspunkt sehr gegensätzlicher Überlegungen. Auf dem Energiekongress der SPD im April 1977 konnte man z. B. eine besondere Folgerung aus diesem Dogma hören: Wenn Wirtschaftswachstum nur mit immer mehr Energie möglich ist, man aber keinen Energiezuwachs mehr möchte, so bleibe nur die Möglichkeit, das Wachstum zu bremsen. Man erkennt sofort, dass das starre Festhalten am Dogma nicht etwa nur eine Energiediskussion bewirkt, sondern in eine generelle Wachstumsdiskussion münden kann.
Diese markante Folgerung aus der Grundfeststellung, dass Wirtschaftswachstum nur mit stetig mehr Energie möglich sei, beschäftigte auch die Bundesregierung. Im März 1977 verabschiedete das Bundeskabinett die „Grundlinien und Eckwerte für die Fortschreibung des Energieprogramms“. Einleitend wird darin festgestellt: „In den letzten Monaten hat die Debatte den energiewirtschaftlichen Rahmen gesprengt. Die Notwendigkeit des Zuwachses des Energieverbrauchs wird in Frage gestellt, seine scharfe Reduzierung wird verlangt. Die Fragestellung wird auch auf die Notwendigkeit des gesamtwirtschaftlichen Wachstums ausgedehnt.“ Dieses Zitat ist bemerkenswert: Sprengt man tatsächlich den energiewirtschaftlichen Rahmen, wenn man die Notwendigkeit des Energiezuwachses in Frage stellt? Konkret: Verlassen wir mit Überlegungen zur gewollten Entkopplung den energiewirtschaftlichen Rahmen? Am Schluss dieser Ausführungen wird diese Frage noch einmal aufgegriffen werden.
Die CSU hatte auf ihrem Parteitag im September 1977 einen eigenen Arbeitskreis für Energiefragen eingerichtet: die CDU veranstaltete im Oktober 1977 einen Energiekongress. Beiden Veranstaltungen war eine zentrale These gemein: „Man kann zwar erwarten — vor allem auf lange Sicht —, dass der Energiezuwachs hinter dem Wirtschaftswachstum zurückbleibt, bei Anerkennung des Wachstumsziels keineswegs aber Null werden darf.“ Der erste Teil dieser These ist richtig, denn es gibt schon heute einen starken Trend zur ungewollten Entkopplung. Für den zweiten Teil aber, besonders für das „darf“, ist bei der angesprochenen langfristigen Betrachtung eine schlüssige Beweisführung kaum möglich.
Überkommenes Dogma
Das gleiche Dogma zugrundelegend formieren sich zwei Lager. Die Meinung der weit überwiegenden Mehrheit: „Wirtschaftswachstum ja und deshalb Energiezuwachs ja“ und die Meinung von Minderheiten: „Energiezuwachs nein und deshalb Wirtschaftswachstum nein.“ Durch diese Frontstellung wird letztlich nur der Glaube an die Gültigkeit des Dogmas gefestigt. Eine Forderung „Wirtschaftswachstum ja und Energiezuwachs nein“ wird in den Bereich des Unvorstellbaren, des Utopischen abgedrängt — liegt anscheinend außerhalb des energiewirtschaftlichen Rahmens. Warum eigentlich?
Es gibt einen sehr einfachen und einleuchtenden Grund dafür. Es ist eine jahrzehntelange, auf objektiv messbaren Tatbeständen beruhende Erfahrung, dass Wirtschaftswachstum mit stetem Energiemehrverbrauch verbunden war. Die Energiepolitik machte sich zur Aufgabe, eine Beeinträchtigung des Wachstumsprozesses durch Energiemangel zu vermeiden. Dafür waren jeweils Planungen notwendig, die sich an Prognosen des künftigen Energiebedarfs ausrichteten. Diese Prognosen legten die langjährige Erfahrung von Wachstum und Energiemehrverbrauch zugrunde. Ferner orientierten sie sich aus Gründen der Vorsicht — künftiges Wachstum soll nicht gefährdet werden — eher an der oberen Bandbreite der denkbaren Entwicklungen. Dieses Wechselspiel von Prognosen, Planungen und Realität ist jahrzehntelang zum Vorteil von Produktivität und Lebensstandard ohne erkennbare Nachteile abgelaufen — bis Anfang der siebziger Jahre.
Nach dem Jahr 1973 stellten sich Strukturprobleme der Wirtschaft ein, Entkopplungsprozesse von Wachstum und Energiezuwachs deuteten sich an. Es kann niemandem, der in den Energieunternehmen oder in der Energiepolitik Verantwortung trägt, ein Vorwurf gemacht werden, wenn er wegen Beobachtungen in nur ein oder zwei Jahren seine jahrzehntelange Erfahrung nicht außer acht lässt. Es sind gerade die Verantwortung und die langjährigen Beobachtungen, die es angesichts der Langfristigkeit der energiewirtschaftlichen Planung notwendig machen, sich nicht von momentanen Situationen den Blick trüben zu lassen. Die Energiebedarfsprognosen blieben hoch.
Nun allerdings entwickelte sich ein gewisser Zirkel: Die Energiebedarfsprognosen werden von wirtschaftswissenschaftlichen Instituten gemacht auf der Basis der traditionellen Erfahrung. Die Bundesregierung übernimmt diese Prognosen und vertritt sie nach außen. Mit der Zeit werden Zweifel laut, die Energiediskussion verschärft sich. Einzelne Verbände und Unternehmen unterstreichen die Prognosen, um der Regierung nicht in den Rücken zu fallen. Die Regierung fühlt sich in diesen Prognosen bestätigt und meldet dies den Instituten weiter, die das auch selbst schon von den Verbänden erfahren haben.
Diese besondere Situation hat die im weiteren Wirtschaftsablauf verankerte Tendenz zur ungewollten Entkopplung allzu lange nicht zum Allgemeingut der öffentlichen Energiediskussion werden lassen. Eine Entwicklung hin zur Entkopplung musste als nicht vorstellbar erscheinen. Dies ändert sich nunmehr langsam. Und man darf sicher vermuten, dass die Grundsätze bisheriger Energiepolitik in dem Maß mehr und mehr kritisch und konstruktiv überdacht werden, wie man die schwindende künftige Gültigkeit des jahrzehntelangen Kopplungsmechanismus erkennen wird.
Hang zum Energieüberschuss
Die Grundlinien von Energiepolitik und Energieprogrammen müssen von extremer Langfristigkeit gekennzeichnet sein. Dies liegt in den Eigenheiten der Energieversorgung begründet: Großkraftwerke müssen bis zu ihrer Inbetriebnahme fünf bis zehn Jahre im voraus geplant werden; die Erschließung neuer Kohlequellen — Braunkohle wie Steinkohle — erfordert noch größere Zeitmaßstäbe: die Entwicklung und Markteinführung neuer Techniken der Energieerzeugung und der Energieanwendung mögen sich sogar nach Jahrzehnten bemessen. Diese Langfristigkeit bedingt, den Energiebedarf auf zehn bis zwanzig Jahre im voraus zu erkennen. Wenn diesen Planungen einerseits Wunschzahlen des Wirtschaftswachstums und andererseits der Vorsicht wegen obere Prognosevarianten zugrunde gelegt werden, so besteht ein permanenter Hang zum Energieüberschuss. Man kann dies begründen mit der Tatsache, dass die teuerste und gefährlichste Energie jene ist, die fehlt. Kurz- und mittelfristig ist das unbestreitbar richtig. Indessen sind bei der langfristigen Diskussion durchaus einige gravierende Nachteile des Hangs zum Energieüberschuss zu erkennen.
Der stete Hang zum Energieüberangebot verträgt sich nur schlecht mit der Notwendigkeit zum rationellen, sparsamen Umgang mit der Energie. Anstatt zukunftsorientiert Energie durch Kapital zu ersetzen, ist in vielen Bereichen der Volkswirtschaft das genaue Gegenteil passiert: Kapital ist durch Energie ersetzt worden.
Heute haben wir nicht nur die Notwendigkeit der rationellen Energieverwendung erkannt, sondern wissen auch um die Begrenztheit mancher Energien wie etwa des Erdöls. Diesem heutigen Erkenntnisstand steht die derzeitige erhebliche Überschusssituation bei allen Energien gegenüber. Dieses heutige Energieüberangebot wird noch einige Jahre anhalten. Es hat in breiten Schichten der Öffentlichkeit den Blick auf die langfristig bedrohliche Lage vernebelt. Davon profitieren beispielsweise die Gegner des Kraftwerksausbaus. Kraftwerksgegner können sich ihre Argumentation überhaupt nur leisten, weil Öl derzeit überreichlich vorhanden ist.
Betonung der Langfristigkeit
Wenn es nicht zu bestreiten ist, dass die Langfristperspektiven der energiewirtschaftlichen Lage in ihrem Gefährdungspotential erst seit kurzem erkannt sind, so folgt daraus, dass Energiepolitik nach gestrigen Grundlinien neu überdacht werden muss. Eine Energiepolitik mit eingebauter Tendenz zum Überangebot ist bei langfristiger Betrachtung nicht mehr zeitgemäß. Konkret bedeutet dies, dass Programmzahlen des Energiebedarfs sich nicht an der oberen Grenze der prognostizierten Bandbreiten ausrichten müssen.
Das langfristig in einem Energieprogramm einzurechnende Niveau des Energiebedarfs bewegt sich höchstens bei realistischer Einschätzung des Wirtschaftsablaufs an der unteren Bandbreite der Bedarfsprognose. Eine dabei wesentliche Rolle spielt die elektrische Energie. Mit ihr kann nicht nur Öl substituiert, sondern oft auch Primärenergie eingespart werden. Deshalb ist die Prognose des Strombedarfs gesondert zu betrachten: zunächst unter dem Blickwinkel der Entwicklung des „normalen“ Bedarfs, darüber hinaus aber sind jene Bedarfsmengen an elektrischer Energie zusätzlich zu kalkulieren, die sich aus den Zielen der Ölsubstitution und der Primärenergieeinsparung ergeben: Deshalb mögen die langfristigen Programmzahlen des Energiebedarfs auch unter den unteren Bandbreiten liegen, wenn sie bei Annahme einer aktiven Politik der gewollten Entkopplung (vor allem durch sinnvollen Stromeinsatz) machbar erscheinen.
Die wichtigen Betonungen liegen hier auf „Langfristigkeit“ und „Programm“. Es wäre für den Wirtschaftsablauf nichts gefährlicher als kurzfristig niedrig gehaltene Energiebedarfszahlen einzuplanen. Für die Bundesrepublik beispielsweise könnte man bis Anfang der achtziger Jahre die traditionellen Bedarfszahlen einrechnen, bis Ende des Jahrzehnts höchstens den sich durch die ungewollte Entkopplung ergebenden Energiebedarf — als Programm eher weniger. Denn was sich ohnedies bei realistischer Betrachtung ereignen kann, muss nicht als Ziel gesetzt werden. Ein Energieprogramm zur langfristigen Politik der gewollten Entkopplung kann die Ziele tiefer setzen.
Die heutige und noch vorerst anhaltende Überschusssituation macht ein Umdenken bei der Energiepolitik in diesen Jahren notwendig, aber auch günstig: Notwendig, damit die Sicht der energiewirtschaftlichen Situation entnebelt wird; günstig, da die Zeit ohne Energiemangel Umstrukturierungen in der Bedarfsentwicklung ohne Not und Zeitzwänge gestattet.
Wachstumsimpulse
Bislang wurde eine Neuorientierung der Energiepolitik unter dem Schlagwort „Entkopplung“ allein hergeleitet als Folge aus der noch jungen Erkenntnis von der bedrohlichen Energiesituation. Eine nähere Betrachtung einer aktiven Politik zur Entkopplung lässt weitere Perspektiven deutlich werden.
Inhalt der bisherigen, aus der Erfahrung von Wachstum und Energiemehrverbrauch abgeleiteten Energiepolitik war, eine Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums zu vermeiden, das Wachstum nicht zu behindern. Jeder im Wachstumsprozess denkbare Energiebedarf musste befriedigt werden können. Eine Politik der gewollten Entkopplung geht darüber hinaus: Zusätzlicher Energiebedarf soll vermieden, der verbleibende Bedarf teilweise durch regenerative Energien und besondere Anwendungstechniken gedeckt werden.
Damit erweitert sich die Sicht der Energiepolitik. Sie hat nicht nur den Inhalt, Wachstumsbeeinträchtigungen zu vermeiden, sie kann darüber hinaus beträchtliche Wachstumsbeiträge herbeiführen. Energie durch Kapital ersetzen, erschöpfliche Energie durch unerschöpfliche Energie ersetzen, Senkung der Umwandlungsverluste — hinter diesen Überschriften verbergen sich Märkte. Die Marktvolumina wären erst noch zu errechnen: Es werden wohl mehrstellige Milliardenbeträge herauskommen.
Gerade heute, wo besondere Strukturprobleme unserer Volkswirtschaft dringend neue Wachstumsmärkte erforderlich machen, kann eine aktive Politik zur Entkopplung von Wachstum und Energiemehrverbrauch entscheidende Richtungen weisen und Impulse geben. Die ganze Palette der heutigen energieverbrauchenden Anlagen und Geräte bietet hierzu vielfältige Möglichkeiten, stammt sie doch aus einer Zeit der billig und vermeintlich üppig vorhandenen Energien.
Neue Technologien
Erfindung, Entwicklung, Produktion und Vermarktung einer Technologie der Entkopplung steht mit dem künftigen Wirtschaftswachstum in mehrfacher günstiger Beziehung. Zunächst einmal leistet die gewollte Entkopplung den beabsichtigten gesamtwirtschaftlich notwendigen Beitrag zur Entspannung der Energiesituation und gibt gleichzeitig Wachstumsimpulse. Darüber hinaus — und es gehört nur wenig Phantasie zu dieser Prognose — wird die Technologie der Entkopplung zu einem weltweiten Exportschlager werden. Sie mag sich sogar zu dem größten internationalen Markt überhaupt ausdehnen.
Der Export der Technologie der Entkopplung bietet daher nicht nur einen direkten Wachstumsbeitrag: er mag es ermöglichen, dass jene Ölmengen, die unsere Volkswirtschaft noch braucht — etwa als Rohstoff —, zu langfristig besseren Konditionen bzw. überhaupt noch beschafft werden können. Der Export der Technologie der Entkopplung ist mithin auch langfristige Wachstumssicherung.
Warum beinhaltet eine Technologie der Entkopplung die Substitution des Energieträgers Öl? Man wird langfristig nicht umhin können, das Verheizen des Öls weitgehend zu vermeiden, um die Importabhängigkeit von dieser immer knapperen Energie zu senken. Davon einmal abgesehen gebietet eine Politik der gewollten Entkopplung die Zurückdrängung der Ölheizung auch wegen des schlechten Wirkungsgrades. Dies setzt aber eine neue Heiztechnik voraus, die mit deutlich weniger als zwei Einheiten Primärenergie für eine Einheit Nutzwärme auskommt.
Diese neue Heiztechnik gibt es bereits, sie wird derzeit gerade in den Markt eingeführt. Herzstück dieser Anlage ist eine Wärmepumpe, die mit Strom oder Gas betrieben werden kann. Aber an das Gasnetz ist nur rund jede dritte angeschlossen, die überwiegende Anzahl von Wärmepumpen wird also mit Strom betrieben werden müssen. Dabei werden insgesamt für die Wohnungsbeheizung erhebliche Mengen an Primärenergie eingespart.
Dies ist ein grundlegendes Beispiel dafür, dass eine gewollte Entkopplung in vielen Bereichen nur mittels verstärkten Stromeinsatzes möglich ist. Das Beispiel der Wärmepumpe zeigt, dass vermehrter Stromeinsatz eine unerschöpfliche Energie (die Wärme der Außenluft) überhaupt erst nutzbar macht, dadurch Primärenergie für Heizzwecke einspart, den Ölverbrauch für Heizzwecke spürbar absenkt. Und genau für solche zwingend notwendigen Entwicklungen brauchen wir morgen mehr Strom als heute. Deshalb ist für die Politik der Entkopplung die langfristige Fortentwicklung der Stromwirtschaft eine zentrale Voraussetzung.
Einbuße an Glaubwürdigkeit
Die traditionelle Energiepolitik der Bedarfsdeckung jeder auch nur denkbaren Energienachfrage hat neben den schon erörterten grundsätzlichen Folgen für die Elektrizitätswirtschaft eine besondere Konsequenz gezeigt. Es ist in breiten Schichten der Bevölkerung der Eindruck entstanden, als ginge es nur darum, Kraftwerke zu bauen — der Stromabsatz werde sich schon irgendwie einstellen, und manche meinen, die Elektrizitätswerke könnten da werblich nachhelfen. In der Bevölkerung kamen Zweifel auf, ob man denn wirklich so viele Kraftwerke brauche, zumal man selbst ja schon so ziemlich alle Geräte besitze. Die Tendenz zum Überangebot in der früher üblichen Energiepolitik hat noch eine versteckte Eigenheit: Das Energieprogramm kann an Glaubwürdigkeit einbüßen. Und diese versteckte Eigenheit zeigte sich plötzlich in ihrer vollen Wirkung. Und zwar ausgerechnet an jenem Punkt des Energieprogramms, wo der Verlust an Glaubwürdigkeit zum langfristigen Verhängnis wird.
Erst wenn der Bürger umfassend über die langfristig bedrohliche Situation der Energieversorgung informiert ist, erst wenn er die besonderen Möglichkeiten der elektrischen Energie im Anwendungsbereich kennt und schließlich, erst wenn der Bürger akzeptiert, dass die künftige Stromanwendung die oft einzige Möglichkeit ist, der Bedrohung der Energieversorgung zu begegnen — erst dann wird sich die heute getrübte Einsicht in den weiteren und zügigen Ausbau der Stromerzeugung wieder festigen. Ein Energieprogramm nach dem Prinzip Entkopplung liefert die Grundvoraussetzung für diesen Informations- und Überzeugungsprozess. Denn die langfristig notwendige Entkopplung hat eine tragende Säule: Elektrizität. Die Wärmepumpe ist nur ein Beispiel, ein gewichtiges freilich.
Dies Beispiel zeigt noch etwas anderes: Das Prinzip der Entkopplung greift die einzelnen Gefährdungspotentiale der Energieversorgung auf breiter Front an. Die Energieimporte werden erheblich reduziert, unerschöpfliche statt erschöpfliche Energien nutzbar gemacht, Umwandlungsverluste zurückgewonnen und schließlich der gesamte Energiebedarf abgesenkt. Jeder dieser Punkte wirkt direkt auf den Energieindikator der Volkswirtschaft — die energiewirtschaftliche Lage verbessert sich messbar.
Erweiterung der Energiepolitik
Ein Energieprogramm, das sich am Prinzip der Entkopplung orientiert, zielt langfristig auf eine scharfe Reduzierung des Zuwachses beim Energieverbrauch. Zur Ansicht der Bundesregierung zurückkehrend sei die eingangs dieses Abschnitts aufgeworfene Frage wiederholt: „Sprengt diese als Ziel formulierte gewollte Entkopplung den Rahmen der Energiepolitik?“ Aus einem einfachen Grund ist diese Frage zu bejahen; denn der traditionelle Rahmen der Energiepolitik wird hierdurch erweitert, weil der alte Rahmen nicht mehr zeitgemäß erscheint; er stammt noch aus einer Zeit der reichlichen und billigen Energie.
Nach Ansicht der Bundesregierung zu den Grundlinien für die langfristige Fortschreibung des Energieprogramms vom März 1977 „sind praktisch alle Aktivitäten und Investitionen in einer Volkswirtschaft mit dem Einsatz von Energie verbunden“. Das ist richtig, widerlegt aber in keiner Weise, dass der Energiezuwachs langfristig bei anhaltendem Wirtschaftswachstum nicht stagnieren dürfe oder sogar müsste, falls dieses Wachstum sehr langfristig gefördert und abgesichert werden soll. Eine Volkswirtschaft könnte sehr wohl Aktivitäten und Investitionen entfalten — zumal wenn es daran mangelt —, die zwar momentan mehr Energie erfordern, aber fortan zu weniger Energieverbrauch führen. Das momentane Mehr mag schon nach Monaten überkompensiert worden sein durch ein permanentes Weniger. Beispielsweise erfordert die forcierte Herstellung von Wärmedämmstoffen zusätzliche Energie und vor allem Öl als Rohstoff für dieses Material. Die damit langfristig zu erzielenden Heizöleinsparungen sind so hoch, dass der vorübergehend stärkere Energieeinsatz um ein Vielfaches durch jahre- und jahrzehntelange Energieeinsparung übertroffen wird.
Wenn erst Energieknappheit oder gar Energiemangel zum Prinzip der Entkopplung zwingen, mag es zu spät sein. Dann wäre es bitterste Ironie des Schicksals, wenn man erkennen müsste, dass man die Technologie der Entkopplung nicht verwirklichen kann, weil der dazu notwendige vorübergehende Energiemehrbedarf nicht mehr zu befriedigen ist. Dann bliebe eventuell nur, was heute vereinzelt Laien auf dem Gebiet der Energiewirtschaft fordern, weil sie dem Dogma der Experten von Wachstum und Energiemehrverbrauch Glauben schenkten: Man müsste sehr dirigistisch in den Wirtschaftsablauf eingreifen.
Wachstum ohne Energieverbrauchsanstieg?
Die energiewirtschaftliche Diskussion ist um einen Ausdruck reicher: Entkopplung. Dieser Begriff steht für die These, in Zukunft könne damit gerechnet werden, dass der Energieverbrauchsanstieg deutlich hinter dem Anstieg des Bruttosozialprodukts zurückbleibe und durch — die autonomen Prozesse noch verstärkende — energie- und wirtschaftspolitische Eingriffe sogar Wirtschaftswachstum (nahezu) ohne Energieverbrauchsanstieg zu realisieren sei. Ist Entkopplung nur ein neues Schlagwort oder mehr?
Eine kritische Auseinandersetzung mit der „Entkopplungshypothese“ zeigt, dass die vielfach behaupteten engen Beziehungen zwischen Energieverbrauchsanstieg und Wirtschaftswachstum für die Vergangenheit keineswegs eindeutig zu belegen sind und für wirtschaftspolitisch relevante Zeiträume weder überzogene Erwartungen noch eine unreflektierte Ablehnung berechtigt erscheinen. Die „neuen“ Erkenntnisse der „Entkopplungsdebatte“ sind allerdings dem Experten längst vertraut und fanden in seinen entsprechenden Arbeiten bereits Berücksichtigung. Vor einer Unterschätzung der in der Realität vorliegenden Restriktionen und vor weitreichenden wirtschaftspolitischen Eingriffen zur Erzielung möglichst hoher Entkopplungsraten ohne Berücksichtigung der hiermit verbundenen Konsequenzen muss jedoch gleichzeitig entschieden gewarnt werden.
Keine enge Kopplung
Zunächst einmal ist festzustellen, dass die mit der „Entkopplungshypothese“ bewusst oder unbewusst unterstellte, zumindest aber mit der Wahl des Wortes „Entkopplung“ suggerierte, feste Beziehung zwischen Energieverbrauchsanstieg und Wirtschaftswachstum sich weder im Zeitreihen- noch im Querschnittsvergleich für die Vergangenheit empirisch belegen lässt.1 Zweifellos hat im politischen Raum in den Jahren vor der jüngsten Ölkrise die Vorstellung dominiert, zwischen beiden Größen lägen enge (sogar limitationale) Beziehungen vor, die die Annahme eines auch langfristig gültigen Elastizitätskoeffizienten von 1 (Verhältnis der Wachstumsraten von Primärenergieverbrauch und Bruttosozialprodukt) rechtfertige. Die Auffassung, dem Faktor Energie komme komplementärer Charakter für Produktion und Konsum zu, sowie die Ergebnisse einer statistischen Analyse für die 60er und frühen 70er Jahre schienen dies zu bestätigen.
Eine detaillierte Analyse der Vergangenheitsentwicklung zeigt jedoch, dass
- sich selbst für den Zeitraum 1960-1973 ein Elastizitätskoeffizient von 1 nur als Resultat einer Durchschnittsbetrachtung über den gesamten Zeitraum hinweg ergibt. Die für die einzelnen Jahre ermittelten Koeffizienten weichen von diesem Mittelwert mehr oder weniger stark ab, für einzelne Jahre lassen sich sogar überhaupt keine sinnvollen Koeffizienten ermitteln (vgl Tab. 1).
- sich bei der Wahl eines anderen Basisjahres bzw. eines anderen Beobachtungszeitraumes deutlich von 1 verschiedene Elastizitätskoeffizienten ergeben und sich im übrigen die starken jährlichen Schwankungen wiederholen. Auch die Entwicklung seit 1973 hat dieses Bild nicht verändert.
- sich auch durch die Bildung gleitender Fünfjahresdurchschnitte für die gesamte Nachkriegszeit weder ein Koeffizient von 1 noch eine eindeutige Trendentwicklung belegen lässt. Dies wird auch durch entsprechend niedrige Korrelationskoeffizienten bestätigt.
Tabelle 1
Entwicklung des Elastizitätskoeffizienten für die Jahre 1951-1977
1951 | 1952 | 1953 | 1954 | 1955 | 1956 |
---|---|---|---|---|---|
1,06 | 0,72 | -0,15 | 1,01 | 0,83 | 0,88 |
1957 | 1958 | 1959 | 1960 | 1961 | 1962 |
0,12 | -0,74 | 0,22 | 1,57 | 0,37 | 1,76 |
1963 | 1964 | 1965 | 1966 | 1967 | 1968 |
2,24 | 0,49 | 0,52 | 0,27 | 0,0 | 1,11 |
1969 | 1970 | 1971 | 1972 | 1973 | 1974 |
1,11 | 1,21 | 0,23 | 1,32 | 1,32 | -7,5 |
1975 | 1976 | 1977 | |||
1,47 | 1,14 | -0,13 |
Dieses Ergebnis kann nicht überraschen, wenn man berücksichtigt, dass Primärenergieverbrauch wie Bruttosozialprodukt hochaggregierte Größen darstellen, die sich aus dem Entwicklungsverlauf heterogener (sich in ihrer Wirkung kumulierender, unter Umständen aber auch kompensierender) Teilaggregate ergeben. Zweifellos existieren interdependente Beziehungen zwischen Energieverbrauch und Wirtschaftswachstum, bislang liegt jedoch keine Theorie vor, die diese Zusammenhänge für einen längerfristigen Zeitraum befriedigend erklärt.
Der Grund hierfür liegt nicht zuletzt darin, dass schon der Entwicklungsverlauf einzelner Teilaggregate in aller Regel jeweils durch das Zusammenwirken mehrerer, für die einzelnen Teilaggregate vielfach unterschiedlicher Einflussgrößen bestimmt wird und diese zusätzlich im Zeitablauf noch hinsichtlich Zusammensetzung, Entwicklungsrichtung und Gewicht Veränderungen unterliegen. Damit aber scheiden (mono-)kausale Beziehungen zwischen Entwicklung des Energieverbrauchs und dem Wirtschaftswachstum von vornherein aus. Einer gleichen Entwicklung zwischen beiden Größen kommt weitgehend Zufallscharakter zu.
Der Elastizitätskoeffizient ist Resultante verschiedenster sich überlagernder Entwicklungen, so dass vor einer Überinterpretation dieser Größe nur gewarnt werden kann. So folgen Höhe und Struktur der Nachfrage in den einzelnen Bereichen der Energiewirtschaft (Endenergieverbrauch der Haushalte und Kleinverbraucher, der Industrie, der Verkehrsträger, nichtenergetischer Verbrauch, Energiegewinnung und Transformation), die unter Einbeziehung des Außenhandels, der Verluste und der Bestandsänderungen den Primärenergieverbrauch bestimmen, z. T. völlig unterschiedlichen, nur teilweise durch den Umfang der wirtschaftlichen Entwicklung festgelegten Determinanten. Neben der Entwicklung der Wirtschaftsstruktur kommt vor allem dem technischen Fortschritt, der Bevölkerungsentwicklung, der Einkommensverwendung, dem relativen Energiepreis sowie der Energiepolitik entscheidende Bedeutung zu.
Variable Beziehungen
Mit einer Veränderung dieser Größen im Zeitablauf erweist sich daher auch der Energieverbrauchsanstieg im Verhältnis zum Anstieg des BSP als variabel und variierbar. Ist auch aufgrund der Bindung des Energieeinsatzes an bestimmte Wandleraggregate (Produktionsgüter, langlebige Gebrauchsgüter) einer insgesamt relativ geringen Flexibilität des Energieangebots sowie eingefahrener Verhaltensweisen der Faktor Energie kurzfristig nur als relativ begrenzt substituierbar anzusehen, so kann unter mittel- und erst recht langfristiger Sicht kein Zweifel darüber bestehen, dass die Substitutionselastizitäten zwischen Energie und Kapital bzw. Arbeit deutlich über Null liegen und auch weitreichende Verhaltensänderungen denkbar sind.
Erwartungen für die Zukunft
Das Wissen um die Vielfalt der Einflussfaktoren auf Struktur und Entwicklung des Energieverbrauchs erklärt auch, warum die meisten heute vorgelegten Energieprognosen von einem Globalansatz abrücken und die zukünftige Entwicklung des Energieverbrauchs statt mit Hilfe der Trendextrapolation oder regressionsanalytischer Methoden (z. B. Entwicklung des Energieverbrauchs als Funktion des Bruttosozialprodukts) auf der Basis eines detaillierten sektoralen Vorgehens vorausschätzt wird. Hierbei wird der gesamte Energieverbrauch möglichst tief in funktional miteinander verknüpfte Teilbereiche zerlegt; innerhalb dieser Sektoren und Subsektoren werden die Determinanten der Energieverbrauchsentwicklung und die Beziehung zwischen Determinanten und Energieverbrauch in ihrer Entwicklung im einzelnen analysiert. Sodann werden die zukünftige Entwicklung dieser Determinanten, ihre Beziehungen untereinander und ihr funktionaler Einfluss auf den Energieverbrauch des entsprechenden Teilbereichs prognostiziert und erst aus der Zusammenfassung des Energieverbrauchs der Einzelaggregate auf die Entwicklung des gesamten Primärenergieverbrauchs geschlossen.
Die Entwicklung, die in Zukunft tatsächlich eintreten wird, kann trotz dieser methodischen Verfeinerung nur bestmöglich geschätzt werden. Über diese grundsätzliche Problematik jeder Prognose hilft auch die größte „Modelleleganz“ nicht hinweg.
Dennoch scheint bemerkenswert, dass in jüngster Zeit vorgelegte Energieprognosen für die Bundesrepublik davon ausgehen, dass der Anstieg des Primärenergieverbrauchs in Zukunft hinter dem des BSP zurückbleiben wird. Dies erklärt sich aus einer Reihe von Annahmen, in denen alle Prognosen mehr oder weniger übereinstimmen. Hierzu zählen u.a. die Erwartung,
- dass die veränderten Preisrelationen Anpassungsreaktionen der privaten Verbraucher sowie strukturelle Veränderungen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft auslösen werden,
- dass von einer möglicherweise bereits in den 80er Jahren einsetzenden Verknappung des auf absehbare Zeit wichtigsten Energieträgers, des Mineralöls, und dem im Sog dieser Entwicklung ausgelösten allgemeinen Energiepreisanstieg weitere Anpassungsprozesse ausgehen werden,
- dass in einzelnen Verbrauchssektoren, wie den Haushalten oder dem Verkehr, die in der Vergangenheit in besonders starkem Maße zum Energieverbrauchsanstieg beigetragen haben, Sättigungserscheinungen eintreten werden, die in ihrer Wirkung durch den allgemein unterstellten Bevölkerungsrückgang (statt eines Anstiegs von rd. 1 % p. a. in den 60er und frühen 70er Jahren wird heute mit einem Rückgang von 0,3-0,4 % p. a. gerechnet) und das Greifen energiepolitischer Maßnahmen zur Energieeinsparung noch verstärkt werden.
- dass neue Technologien entwickelt und zunehmend im Markt eingeführt werden.
Beträchtliche Optionen
Zeichnen sich damit grundsätzlich für die Zukunft beträchtliche Optionen für die Lösung der Energieverbrauchsentwicklung vom Wirtschaftswachstum insgesamt ab, so sind diese doch immer vor dem Hintergrund realistischer zeitlicher Dimensionen zu beurteilen. Die wirtschaftspolitisch relevante Übergangsphase der nächsten ein bis anderthalb Jahrzehnte ist dadurch gekennzeichnet, dass Faktoren, die langfristig unsere Energieversorgungsprobleme entscheidend reduzieren mögen, auf kurz- bis mittelfristige Sicht allenfalls teilweise und erst im Zeitablauf zunehmend Gültigkeit besitzen. So dürften
- Sättigungsniveaus im Haushalts- und Kleinverbrauchsbereich sowie im Verkehr kaum vor den 90er Jahren erreicht werden,
- rationellere Energieverwendungen durch die Konsumenten zu einem erheblichen Teil erst mit einer Erneuerung des Geräte- sowie des Gebäudebestandes eintreten,
- strukturelle Veränderungen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft mit der Folge eines tendenziellen Zurücktretens energieintensiver Produkte, Prozesse und Wirtschaftszweige erst im Zuge des Aufbaus neuer Produktionskapazitäten und einer Umschichtung des volkswirtschaftlichen Kapitalstocks erfolgen.
Die auch beim heutigen Preisniveau längst nicht immer gegebene Wirtschaftlichkeit neuer energiesparender Anlagen und Systeme, das gegenwärtig und auch für die nächsten Jahre als verhältnismäßig stabil angesehene Energiepreisniveau, die Unsicherheit über die relativen Preise einzelner Energieträger, das mit der seit Jahren anhaltenden Schwäche der Investitionstätigkeit