Die wirtschaftspolitische Diskussion hat seit der Rezession 1980/82 einen Dauerbrenner: die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Dabei wird nahezu jeder Wirtschaftszweig vor allem an der Leistungsfähigkeit der Konkurrenz aus Japan und den USA gemessen. Die Ergebnisse solcher Vergleiche sind recht unterschiedlich und teilweise eher verwirrend. Mehr Klarheit verschafft auch nicht der amerikanische Wirtschaftsjournalist Bruce Nussbaum („Das Ende unserer Zukunft. Revolutionäre Technologien drängen die europäische Wirtschaft ins Abseits“), der besonders über die Deutschen ein Urteil fällt, das, wäre es unanfechtbar, unsere wirtschaftlichen Aussichten jäh verdunkeln müsste. Nussbaums bereits vielzitierter Satz lautet: Die Bundesrepublik sei „wie ein rasendes Auto, das über eine Pier hinausschießt und für einen Moment noch in der Luft verharrt, bevor es ins Meer stürzt“. Die Bundesrepublik bewege sich „selbstgefällig durch das 20. Jahrhundert – blind und nichts ahnend von der Katastrophe, in deren Griff sie bereits ist“. Die Deutschen seien zwar nach wie vor Weltmeister in den Technologien des 19. Jahrhunderts – sie seien überall gut, wo es um Mechanik gehe, aber wenn es sich um Elektronik und Biotechnik handele, seien die Deutschen zu langsam und zu unbeweglich.
Was ist von diesen und ähnlichen Betrachtungen zu halten?
Im Prinzip wird bei allen nach folgendem Schema verfahren: Es werden einige Produkte als Hightech-Güter klassifiziert. Einbezogen werden vor allem Güter, die es bisher nicht gab, die hohen Forschungsaufwand beanspruchen und die in die Produktgruppen Datentechnik, Mikroprozessoren, Kommunikationstechnik, Biotechnik oder Gentechnologie u. ä. passen. Von diesen Produkten oder Produktgruppen wird die Entwicklung von Anteilen am Weltmarkt oder von Produktionsziffern erfasst und in der Länderentwicklung gegenübergestellt. Diese Betrachtungsweise führt zu dem Ergebnis, dass die Bundesrepublik zurückgefallen ist. Als Beispiel für die Schwächetendenzen der deutschen Wirtschaft wird dann häufig die Weltproduktion an integrierten Schaltkreisen herangezogen. Sie verdoppelte sich zwischen 1978 und 1981 auf 14 Mrd. Dollar. Hieran hatte die deutsche Wirtschaft nur einen Anteil von etwa 4 %, Japan dagegen mehr als 20 % und die USA gut 70 %. Solche und ähnliche Beispiele sind zwar plakativ und machen die Runde. Aus der Entwicklung einzelner Produkte und Produktgruppen auf eine gesunkene internationale Wettbewerbsfähigkeit oder auf eine technologische Rückständigkeit der deutschen Wirtschaft schließen zu wollen, wäre aber voreilig.
Einwände gegen Berechnungsverfahren
Das fängt schon damit an, dass nur ein ganz kleiner Ausschnitt des Wirtschaftsgeschehens abgebildet ist. Sodann lässt sich der Begriff High-tech-Produkt keineswegs klar definieren. Die Auswahl der Güter erfolgt mehr oder weniger willkürlich. Aus diesem Grunde kommen die verschiedenen Untersuchungen auch zu teilweise unterschiedlichen Aussagen. Es geht damit weiter, dass alte Produkte, in die sogenannte Hochtechnologie als Vorprodukt einfließt, in die Klassifikation nicht passen und daher ausgemustert werden. Konkret: Eine Werkzeugmaschine ist nach diesem Schema auch dann kein High-tech-Produkt, wenn sie mit modernsten Steuerungselementen ausgestattet ist. Sie bleibt eine Werkzeugmaschine. Also gehen Werkzeugmaschinen nicht in die Berechnung ein. Oder ein anderes Beispiel: Der Automobilindustrie, einem „konventionellen Sektor“, ist es gelungen, ihre Produkte flexibel weiterzuentwickeln. Auch die in ihrer Beurteilung der deutschen technologischen Leistungsfähigkeit eher kritischen Strukturberichte betonen die erheblichen und erfolgreichen Anstrengungen, die diese Branche unternommen hat, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Aber: Das Auto ist eben ein 100 Jahre altes Produkt.
Es gibt eine ganze Reihe von Einwänden gegen die Berechnungsverfahren, die statistisch-technischer Natur sind. Statistiken können immer nur die Vergangenheit abbilden, geben also keine Antwort auf künftige Entwicklungen. Das Prognoseproblem lässt sich auch nicht induktiv durch die Erfassung der wichtigsten strukturellen Trends lösen, da Trendextrapolationen der Komplexität des wirtschaftlichen Strukturwandels im Allgemeinen nicht gerecht werden, vor allem Trendbrüche nicht berücksichtigen können.
Die gewählten Berechnungsmethoden lassen meistens auch positive Aspekte außer Acht, die in solche Betrachtungen einfließen müssten:
Dass die Bundesrepublik zum Beispiel beim Handel mit Industriegütern 1982 auf Platz eins der Weltrangliste vor die USA und Japan gerückt ist.
Oder zum Beispiel, dass die deutsche Industrie bei Auslandspatentanmeldungen mit deutlichem Abstand vor den übrigen großen Industrieländern den zweiten Platz nach den USA einnimmt.
Ich will mit diesen Argumenten, die keineswegs vollständig sind, nicht die Bedeutung moderner Technologien für die künftige Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft herunterspielen. Aber apodiktische Niedergangsszenarien sind völlig fehl am Platz.
Zur Beurteilung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und ihrer weiteren Entwicklung gibt es keinen wirklich verlässlichen, statistisch erfassbaren Indikator. Sie ist das Ergebnis einer Fülle von Indikatoren, die sich zudem zum Teil gar nicht quantifizieren lassen. Dinge wie Qualität der Verarbeitung, Lieferzuverlässigkeit oder Serviceleistungen, die deutsche Produkte in besonderer Weise auszeichnen, kann man nicht in Zahlen darstellen.
Gesamtwirtschaftliche Betrachtung
Wenn man aber Betrachtungen zur gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit anstellt, dann sollte man die Wirtschaft nicht in kleinen und kleinsten Ausschnitten sehen, sondern möglichst generelle Indikatoren heranziehen, die den Außenwirtschaftsverkehr widerspiegeln. Das gilt ganz besonders für die deutsche Wirtschaft, die hochmoderne Produkte in großer Vielfalt und Breite auf den Weltmärkten anbietet. Deshalb geben beispielsweise die Betrachtung der sehr positiven Handelsbilanz, die Entwicklung der Leistungsbilanz, der Vergleich von gesamtwirtschaftlichen Marktanteilsveränderungen oder die Entwicklung von Lohnstückkosten und Wechselkursen ein verlässlicheres Bild als die Ausschnittsindikatoren.
Legt man nun diese Indikatoren zugrunde, dann ist das Bild der Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schon sehr viel freundlicher. Danach hat es nach der zweiten Ölkrise wohl einen kleinen Schwächeanfall gegeben. Aber der ist bereits wieder überwunden. Die neuere Entwicklung unserer Außenbilanz lässt jedenfalls vermuten, dass die deutsche Wettbewerbsfähigkeit im Ausland wieder steigt. Das gilt auch gegenüber den Hauptkonkurrenten USA und Japan, die als technisch besonders fortgeschritten bezeichnet werden. Zu Selbstmitleid oder zu Minderwertigkeitskomplexen besteht deshalb nicht der geringste Anlass.