Die wirtschaftliche Zukunft der fünf neuen deutschen Bundesländer hängt entscheidend von der weiteren Entwicklung der Investitionen in diesem Raum ab. Wie kann die Wirtschaftspolitik einen raschen Kapitalzustrom fördern? Reichen die bereits eingeleiteten Maßnahmen aus?
Mit der deutschen Einheit hat die ehemalige DDR den Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft ohne jede Einschränkung erhalten. Diese historisch bisher einmalige, rasche und konsequente Überführung eines planwirtschaftlichen Systems in den Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft war eine enorme Leistung. Hält man sich dies vor Augen, und denkt man zurück an die wirtschaftspolitische Diskussion dieses Frühjahrs, so muten einem die jetzt in manchen Diskussionsbeiträgen aufscheinenden Zweifel an der ordnungspolitischen Gradlinigkeit und Standhaftigkeit der Bundesregierung schon etwas wirklichkeitsfremd an.
Natürlich ist das ordnungspolitische Soll noch nicht erfüllt. Der Erwerb von Eigentum an Grund und Boden für die Errichtung neuer Produktions- und Vertriebsstätten und als Beleihungsgrundlage ist in den neuen Bundesländern noch nicht problemlos möglich. Kommunale und Länderverwaltungen funktionieren noch nicht oder nicht nach gewohnten bundesdeutschen Maßstäben. Wettbewerb, der Preise drückt, Qualität hebt und die Versorgung verbessert, existiert längst noch nicht überall. Umweltaltlasten erschweren die Ansiedlung neuer Betriebe. Ich betrachte es als die gegenwärtig wichtigste wirtschaftspolitische Aufgabe, diese Investitionshemmnisse zu beseitigen, damit die in der ehemaligen DDR schlummernden Produktivitäts- und Leistungsreserven geweckt werden können.
Auf der anderen Seite müssen wir aber auch anerkennen, dass die konsequente Einführung der Marktwirtschaft und die abrupte Marktöffnung zu einem Wettbewerbs- und Anpassungsdruck in den neuen Bundesländern geführt haben, der für das gesamte Beitrittsgebiet - ob mehr agrarisch oder mehr industriell strukturiert - und für die dort lebenden Menschen Lasten mit sich bringt, die sie alleine nicht bewältigen können. Die aktuellen Wirtschaftsdaten - starker Rückgang der Industrieproduktion, 440.800 Arbeitslose und 1,77 Millionen Kurzarbeiter im September - geben einen Eindruck hiervon.
Die gesamtwirtschaftlichen Umstände erfordern flankierende Maßnahmen, wie wir sie im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft auch anderen Regionen des Bundesgebietes bisher immer gewährt haben, wenn wirtschaftliche Anpassungsprozesse sich zu besonderen Problemlagen kumulieren. Vor diesem Hintergrund halte ich nicht viel davon, in einen Ideologiestreit auszubrechen und gezielte Investitionsförderung gegen Verbesserungen der allgemeinen Rahmenbedingungen auszuspielen. Dies ist derzeit nicht die Alternative. Worum es allein geht, ist in den neuen Bundesländern möglichst rasch eine wettbewerbsfähige Struktur aus kleinen, mittleren und großen Unternehmen zu erreichen und so unseren neuen Mitbürgern eine sichere materielle Grundlage zu bieten und ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Leistungsvermögen und ihren Aufbauwillen unter Beweis zu stellen sowie möglichst rasch in puncto Wohlstand und soziale Sicherheit zu dem bei uns im Westen Deutschlands gewohnten Niveau aufzuschließen.
In der ehemaligen DDR haben wir es mit einem komplexen Bündel von Problemen zu tun, dem die Wirtschaftspolitik mit allgemeinen Verbesserungen der Rahmenbedingungen, mit niedrigen Zinsen oder mit Steuererleichterungen, die auch nur den Unternehmen nutzen, die Gewinne machen, allein nicht gerecht würde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einführung des leistungs- und wachstumsfreundlichen Steuersystems der alten Bundesrepublik die wichtigste Strukturhilfe darstellt, weil sie für die Unternehmen in der ehemaligen DDR zu einer erheblichen Senkung der Nettoabgabenbelastung geführt hat.
Sachgerechte Wirtschaftspolitik
Die der aktuellen Situation angemessene, sachgerechte und differenzierte Antwort hat die Wirtschaftspolitik längst gegeben. Mit der Einbeziehung des gesamten Gebiets der bisherigen DDR in das Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur bei einem Höchstfördersatz von 23%, der mit der allgemeinen Investitionszulage für die neuen Bundesländer von 12% auf bis zu 33% kumuliert werden kann, ist ein deutlicher Präferenzvorsprung gegenüber der bisherigen Regionalförderung in der Bundesrepublik geschaffen. Zinsgünstige ERP-Kredite und das Eigenkapitalhilfeprogramm werden dazu beitragen, dass dort wieder eine ausgewogene und vielfältige Unternehmenslandschaft entstehen kann, wo der Mittelstand aus ideologischen Gründen weitgehend beseitigt worden war.
Mit umfassenden Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen versuchen wir, enorme Lücken im technologischen, betriebswirtschaftlichen und marktwirtschaftlichen Know-how zu schließen. Anschubhilfen für den Aufbau eines haltbaren und leistungsfähigen sozialen Netzes entsprechen dem Grundgedanken der Sozialen Marktwirtschaft und sind ein Gebot der Solidarität. Der Aufbau einer modernen Infrastruktur als wichtige Voraussetzung privater Investitionen ist ohnehin eine Aufgabe, die der Staat zu leisten hat. Dies schließt nicht aus, dass zu ihrer schnelleren und effizienteren Bewältigung auch private Initiative und private Formen der Finanzierung nutzbar gemacht werden sollten. Diese - nicht vollständigen - Hinweise auf investitionsfördernde Maßnahmen mögen hier genügen, um zu zeigen, dass inzwischen für die neuen Bundesländer ein wirksames, aufeinander abgestimmtes und in der gegenwärtigen Situation auch ordnungskonformes Bündel von Hilfen zur Verfügung gestellt wurde.
Die ordnungspolitische Perspektive
In ordnungspolitischer Perspektive stellen viele dieser Maßnahmen dennoch eine Gratwanderung dar. Subventionen bergen immer die Gefahr, falsche Strukturen zu zementieren, Eigeninitiative und Verantwortlichkeit zu ersticken, Kapital fehlzuleiten und produktive Energien bei der Suche nach neuen Fördertöpfen zu binden. Wichtig ist deshalb, dass die Hilfen zeitlich begrenzt bleiben und degressive Konditionen wie z. B. die Investitionszulage aufweisen. Schädlich wäre auch der ständige Ruf nach neuen und umfangreicheren Maßnahmen. Mit einem Draufsatteln wäre schon bald der ordnungspolitische Rubikon überschritten und dem Investitionsattentismus Vorschub geleistet.
Ich halte es im Übrigen nicht für schlüssig, auf der einen Seite ständig auf die hohen Kosten der deutschen Einheit hinzuweisen, auf der anderen Seite aber die bereits gewährten staatlichen Hilfen als unzureichend zu beklagen. Mit Detailkritik an den gewählten Fördermaßnahmen kann ich gut leben. Ein Notarzt muss aber schnelle, wirkungsvolle und praxisorientierte Hilfe anbieten können. Ein Ärztekongress und nur langfristige Therapievorschläge sind im Fall „DDR“ fehl am Platze.
Nach überstandener akuter Krise ist allerdings ein Therapiewechsel geboten, der auf die Sicherstellung einer gesunden langfristigen Konstitution des Patienten zielt. Eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende wäre dabei allerdings wirklich die falsche Medizin. Mit ihr würde genau das verhindert, was wir jetzt am dringendsten brauchen: Leistungsbereitschaft, Mut zum unternehmerischen Engagement, einen attraktiven Investitionsstandort Deutschland. Ein wirklich nennenswertes Aufkommen wäre im Übrigen nur dann zu erzielen, würden auch die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen belastet.
Ein geschlossenes Konzept
Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland ist keiner der bisher für eine Unternehmensteuerreform ins Feld geführten Gründe entfallen. Im Gegenteil: Anhaltende wirtschaftliche Dynamik in Deutschland ist das beste Stärkungsmittel für die Wirtschaft auch in der ehemaligen DDR. Ich halte deshalb nicht zuletzt im Interesse wirtschaftspolitischer Verlässlichkeit und ordnungspolitischer Klarheit weiter an der Unternehmensteuerreform fest. Sie ist besonders dringlich in den neuen Bundesländern.
Mit den drei Schritten:
- schnelle Umsetzung der bereits beschlossenen Investitions- und Infrastrukturhilfen,
- Unternehmensteuerreform in den ostdeutschen Bundesländern und
- Unternehmensteuerreform in den alten Ländern der Bundesrepublik sobald wie möglich,
habe ich ein geschlossenes Konzept vorgeschlagen, das auf einen schnellen Aufschwung in der DDR durch Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in ganz Deutschland zielt. Dass wir mit dieser Mischung aus konsequenter Ordnungspolitik, günstigen Rahmenbedingungen und - wo nötig - gezielten Maßnahmen zur Investitions- und Infrastrukturförderung auf dem richtigen Weg sind, zeigt die Wirtschaftsentwicklung in der bisherigen DDR:
- Unternehmerisches Engagement ist bereits in großem Umfang zu verzeichnen. Die neuen Bundesländer werden nun als Produktionsstandort akzeptiert, nachdem in einem ersten Schritt kurzfristig Vertriebswege und Servicenetze aufgebaut und die notwendigen Investitionsplanungen in den Unternehmen vorangebracht worden sind.
- Der Preisindex für die Lebenshaltung lag per Juli/August 1990 um mehr als 5% niedriger als vor Jahresfrist. Diese Tendenz dürfte sich mit intensiverem Wettbewerb noch verstärken.
- Die Güterversorgung ist gewährleistet. Anfängliche Probleme, die sich aus der alten verkrusteten Groß- und Einzelhandelsstruktur sowie einem eklatant auftretenden Mangel an Verkaufsflächen ergaben, lösen sich mehr und mehr.
- Die aus sozialistischer Misswirtschaft resultierende Arbeitslosigkeit wird nicht von Dauer sein. Neue und sichere Arbeitsplätze werden in zukunftsträchtigen Bereichen entstehen. Institute gehen bei ihren Schätzungen zunächst von 600.000 Arbeitsplätzen im Dienstleistungsbereich und weiteren 400.000 im Baugewerbe aus. Das kurzfristige Gründungspotential wird auf 270.000 Unternehmen geschätzt. In den ersten sieben Monaten des Jahres wurden rund 135.000 Gewerbeanmeldungen registriert, mit beschleunigtem Tempo im Juni und Juli. Diese Zahlen werden gestützt durch die starke Inanspruchnahme der ERP-Kredite. Von Zusagen in Höhe von bisher 4,7 Milliarden DM sind nach zögerlichem Beginn inzwischen über 1 Milliarde DM ausgezahlt. Mit Hilfe dieser Fördermaßnahme allein werden über 110.000 Arbeitsplätze geschaffen.
Die Wirtschaftspolitik hat also gute Voraussetzungen dafür geschaffen, dass jetzt schnell ein breiter Investitionsstrom und ein darauf aufbauender dynamischer Wachstums- und Beschäftigungsprozess in den neuen Ländern der Bundesrepublik in Gang kommen.