Der Ausbau der Infrastruktur in den neuen Ländern ist eine wesentliche Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung und ein Beitrag zur Angleichung der Lebensbedingungen. Ich halte schnelle und umfassende Verbesserungen deshalb für unbedingt erforderlich und bin mir bewusst, dass dafür ein erheblicher finanzieller Aufwand notwendig ist. Es gilt deshalb, nicht nur über die Möglichkeiten und Grenzen der bisherigen staatlichen Finanzierung nachzudenken, sondern in diesem historisch einmaligen Fall auch neue Wege nicht auszuschließen, die, betrachtet man unsere Nachbarländer, so neu eigentlich nicht sind. Ich meine damit das Instrument der privatwirtschaftlichen Finanzierung auch im Bereich der öffentlichen Infrastruktur.
Die Privatisierungsdebatte findet seit einiger Zeit eine spürbare Belebung. Das Thema privatwirtschaftliche Finanzierung ist dabei ein Teil der Bemühungen der Bundesregierung zum Abbau staatlicher Unternehmensbeteiligungen und unternehmerischer Betätigungen des Staates. Die Diskussion dieses Themas begrüße ich. Meine Auffassung dazu ist eindeutig:
- Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sollte der Staat nur dort tätig werden, wo es unbedingt erforderlich ist. Was Private erledigen können, sollte nicht der Staat an sich ziehen. In den meisten Fällen arbeiten Private effizienter, schneller und kostengünstiger als der Staat. Der Staat sollte sich deshalb auf seine eigentlichen Aufgaben, besonders die hoheitlichen Tätigkeiten und die Kontrolle beschränken.
- Die Staatsquote muss, wie dies in den achtziger Jahren geschah, weiter zurückgeführt werden. Nur so können die öffentlichen Haushalte entlastet werden und kann mehr Raum für Privatinitiative und Effizienzverbesserung entstehen.
- Zusätzliche, unter anderem durch den Bau der Infrastruktur begründete Anforderungen an öffentliche Haushalte können zur Forderung nach Steueranhebungen oder weiterer Neuverschuldung führen, die vermieden werden müssen, um das wirtschaftliche Wachstum nicht zu beeinträchtigen.
Vorzüge privater Finanzierung
Das Thema Privatisierung ist damit sehr weit gesteckt. Aufgrund der Fragestellung möchte ich mich jedoch hier auf den Punkt Finanzierung beschränken. Die Bundesregierung hat diese Fragen bereits vor längerer Zeit aufgegriffen und die Einzelheiten in einer Arbeitsgruppe „Private Finanzierung öffentlicher Infrastruktur“ untersucht. Der Bericht liegt nunmehr vor. Die Arbeitsgruppe spricht sich aus gesamtwirtschaftlicher und ordnungspolitischer Sicht für ein stärkeres privates Engagement aus. So ist die verstärkte privatwirtschaftliche Finanzierung:
- Ein Weg zur Beschleunigung und Erweiterung von Infrastrukturinvestitionen. Man kann damit „Zeit“ einkaufen und Haushalte entlasten.
- Ein Beitrag zur Fortführung einer Wirtschaftspolitik, die sich für mehr Markt und weniger Staat ausspricht.
- Eine Möglichkeit, Effizienzgewinne zu realisieren, die auf Spezialisierungs- und Rationalisierungsvorteilen beruhen und unter anderem zu verkürzten Bauzeiten und damit geringeren Zinsbelastungen führen.
Die private Finanzierung ermöglicht weiter:
- einen rationellen Umgang mit knappen Ressourcen durch entsprechende Benutzungsgebühren und eine ursachengerechte Kostenzuteilung.
- die sonst notwendige zusätzliche öffentliche Verschuldung zu vermeiden oder zu verringern.
- die administrativ-organisatorische Belastung von Gebietskörperschaften in den neuen Ländern und Gemeinden in Grenzen zu halten.
Die Bundesregierung hat diesen Arbeitsgruppen-Bericht, in dem verschiedene Möglichkeiten und Modelle privater Finanzierungen untersucht werden, gebilligt und damit eine Basis für die weiteren Arbeiten geschaffen. Die Ressorts sind aufgefordert, konkrete Maßnahmen zu erarbeiten und umzusetzen.
Auswahl der Projekte
Bei allen Überlegungen einer privatwirtschaftlichen Finanzierung stellt sich natürlich die Frage, wo deren Schwerpunkte liegen können und welche Projekte dafür in besonderer Weise geeignet sind. Der Anwendungsbereich ist sehr weit gesteckt. Im kommunalen Bereich können dazu z.B. die Abfall- und Abwasserentsorgung oder die Trinkwasserversorgung, im Bereich des Bundes und der Länder öffentliche Bauvorhaben und nicht zuletzt der Verkehrsbereich gehören.
Ein wesentlicher Schwerpunkt könnte auch der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in den neuen Ländern sein. Der Bundesminister für Verkehr schätzt den Nachholbedarf für Bundesverkehrswege in den neuen Ländern auf circa 70 Mrd. DM, für Kommunalstraßen auf circa 90 Mrd. DM und für den Öffentlichen Personennahverkehr auf rund 12 Mrd. DM. Innerhalb der Bundesrepublik müssen nach Schätzungen dieses Ressorts für den Ausbau der Verkehrswege in den alten und neuen Bundesländern bis zum Jahr 2000 circa 280 Mrd. DM ausgegeben werden. Da der Verkehr nach wie vor Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung ist, halte ich den Ausbau der Verkehrswege im Rahmen des ökologisch Vertretbaren für zwingend notwendig.
Der Verkehrsbereich ist sicherlich aus verschiedenen Gründen kein idealtypischer Fall für eine privatwirtschaftliche Finanzierung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Investition auf privater Basis finanziert wird und der Kapitaldienst sowie die laufenden Kosten ebenfalls durch Private getragen werden sollen. In diesem Fall wären das die Verkehrsteilnehmer. Dennoch meine ich, dass von der Bedeutung und dem zu finanzierenden Volumen her eine grundlegende Prüfung auch in diesem Bereich notwendig ist. In einer Reihe von Fällen, z.B. der Trinkwasserversorgung, mag eine ausschließliche Finanzierung durch Private praktikabel sein, sie setzt jedoch voraus, dass gewisse Kriterien erfüllt sind. Hierzu gehören unter anderem, dass:
- Der Benutzer tatsächlich mit den Kosten belastet werden kann.
- Banken auch bei Projekten mit einer sehr langen Laufzeit überschaubare Risiken vorfinden, die Wirtschaftlichkeit des Projektes also kalkulierbar ist.
- die Benutzungsgebühren nicht prohibitiv werden dürfen.
- Projekte nicht durch Änderung der wirtschaftlichen oder politischen Rahmenbedingungen Gefahr laufen, mittel- und langfristig unrentabel zu werden. Der alpenquerende Verkehr könnte dafür ein Beispiel bieten.
Diskutierte Modelle
Im Verkehrsbereich gibt es weder einen Anschlusszwang, wie dies z.B. bei der Kanalisation üblich ist, noch einen einfachen Weg der individuellen Anlastung der Kosten. Der Verkehrsteilnehmer kann auf vorhandene, aber nicht mautpflichtige Straßen ausweichen und so versuchen, seine Ausgaben niedrig zu halten. Der Anreiz dies zu tun, ist sicher in der Bundesrepublik mit dem sehr dichten Straßennetz größer als in Nachbarländern und bringt damit zwangsläufig Unsicherheiten in die Kalkulation. Außerdem können die Kosten der Nutzererfassung prohibitiv sein.
Hinzu kommt die Frage, ob es politisch durchsetzbar und wirtschaftlich sinnvoll ist, nur einen Teil der Verkehrsteilnehmer, z.B. in den neuen Ländern, mit einer Maut zu belasten. Diese Frage kann meines Erachtens wohl nicht mit einem einfachen Ja beantwortet werden. Die Bundesregierung und die Wirtschaft haben zwei Modelle in ihre Überlegungen einbezogen:
Das Leasingmodell wurde von der Bauwirtschaft entwickelt und gegenüber einer öffentlichen Kreditaufnahme als kostengünstigere Lösung dargestellt. Dieses Modell hat seinen Charme, ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht ganz einfach zu handhaben. Umstritten sind dabei neben Fragen der steuerlichen Behandlung auch die, ob damit eine Beschleunigung möglich ist (langwierige erbbaurechtliche Besicherung).
Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, wurde deshalb ein sogenanntes Konzessionsmodell entwickelt. Die Finanzierung erfolgt dabei ebenfalls überwiegend mit Fremdkapital durch den Konzessionsnehmer. Beiden Modellen ist eigen, dass der Bund die jährlichen Leasing- bzw. Mietraten zahlt und keine Refinanzierung durch Benutzungsgebühren erfolgt. Eine Finanzierung durch Benutzer, also eine Maut, dürfte jedoch auch nach den Überlegungen der Arbeitsgruppe zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt schwierig sein.
Reihe von Fragen
In diesem Zusammenhang dürfen eine ganze Reihe haushalts-, verfassungs- und EG-rechtlicher Fragen nicht übersehen werden, zu deren Klärung die Bundesregierung vor kurzem Gutachtenvergab. Ein häufig diskutierter Punkt ist die Frage, wie weit bei solchen Modellen die Gefahr besteht, die Verschuldungsgrenze zu verschieben und Schattenhaushalte zu eröffnen.
Prof. v. Arnim kommt in seinem, jüngst für die Bundesregierung erstellten Gutachten1 unter anderem zu dem Ergebnis: „Berücksichtigt man, dass die Leasingfinanzierung sich bei wirtschaftlicher Betrachtung als Verlagerung der Kreditaufnahme auf die Leasinggesellschaft darstellt und auch ihre fiskalischen und gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen weitgehend einer unmittelbaren staatlichen Kreditfinanzierung entsprechen, so könnte ein Motiv für die Bevorzugung der Leasingfinanzierung darin liegen, die bei Finanzierung durch unmittelbare staatliche Kreditaufnahme auftretende Ausweitung des ausgewiesenen Kredit- und des Haushaltsvolumens und eventuelle politische Widerstände dagegen dadurch zu vermeiden, dass die Kreditaufnahme nach außen verlagert und dem Blick der Öffentlichkeit entzogen wird.“ Diese Wirkung sollte meines Erachtens nicht entstehen und darf keinesfalls das Ziel einer privatwirtschaftlichen Finanzierung sein.
Die privatwirtschaftliche Finanzierung wird in den kommenden Jahren in der Bundesrepublik wie auch in anderen Ländern eine größere Bedeutung bekommen, insbesondere für das Betreiben von Infrastruktureinrichtungen. Dennoch dürfte jedenfalls im Bereich der Infrastruktur zumindest kurz- und mittelfristig nicht ohne eine erhebliche konventionelle staatliche Finanzierung auszukommen sein. Bei der Vielzahl der in Frage kommenden Projekte kann es kein Standardmodell geben, das auf alle Fälle anwendbar ist. So ist der Aufbau eines Trinkwasserversorgungssystems finanzierungstechnisch anders zu beurteilen als der Bau einer Straße oder Hochschule. Grundsätzlich sollte meines Erachtens jedoch angestrebt werden, dass eine verursachungsgerechte Finanzierung durch den Benutzer erfolgt. Die Durchsetzung dieses Grundsatzes ist mit unterschiedlich großen Schwierigkeiten verbunden, die teils im politischen, teils aber auch im technischen Bereich liegen. Sie sind meines Erachtens jedoch nicht unlösbar.
Auch im Verkehrsbereich gibt es Bemühungen, über elektronische Abrechnungssysteme die Verkehrsteilnehmer zu erfassen. So soll nach Presseberichten Ende des Jahres im Londoner Bezirk Richmond ein elektronisches Gebührenbewertungssystem für die Straßenbenutzung in Betrieb genommen werden. In der Experimentierphase sind hieran circa 100 städtische Fahrzeuge beteiligt. Mit einem solchen System, das wahrscheinlich in wenigen Jahren seine Praxisreife erreicht haben wird, wäre es möglich, ohne Mautstationen Beiträge zur Finanzierung der Infrastruktur zu erheben. Damit würde die Benutzung der Verkehrswege einen Preis erfordern, der möglicherweise je nach Strecke, Tageszeit und ökologischer Belastung durch das jeweilige Fahrzeug unterschiedlich sein könnte. Ein solches System könnte der Einstieg zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur ausschließlich durch Benutzungsgebühren und möglicherweise ein Instrument zur Vermeidung eines Verkehrsinfarktes sein.
Bis zur Anwendung eines solchen Systems dürfte jedoch noch einige Zeit vergehen. Zwischenzeitlich müssen deshalb neben der konventionellen Finanzierung auch die von der Arbeitsgruppe untersuchten Leasing- bzw. Konzessionsmodelle anwendbar sein und diese ihre nach der Bundeshaushaltsordnung notwendige Wirtschaftlichkeit und Überlegenheit gegenüber einer rein staatlichen Finanzierung beweisen können. Den neuen Ländern kann nicht zugemutet werden, noch lange auf eine, den alten Ländern vergleichbare Infrastrukturausstattung warten zu müssen.
- 1 Hans-Herbert von Arnim: Möglichkeiten privatwirtschaftlich geplanter, finanzierter bzw. betriebener Infrastrukturvorhaben des Bundes insbesondere im Verkehrsbereich innerhalb der verfassungs- und haushaltsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nachdem Beitritt der neuen Bundesländer, Gutachten erstellt im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen.