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Zu Beginn des Jahres 1991 machte die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern sehr deutlich, wie groß die Probleme waren, die die SED hinterlassen hat. Klar wurde damit auch, wie schwer es ist, den notwendigen Strukturwandel eines ehedem sozialistisch planwirtschaftlich gelenkten Systems hin zu einer dezentralen freiheitlichen Marktwirtschaft zu bewältigen. Notwendig war deshalb eine rasche, tatkräftige und vor allem unbürokratische Unterstützung beim Übergang zu marktwirtschaftlichen Strukturen, verbunden mit einer arbeitsmarktpolitischen Flankierung, die den Menschen in den neuen Bundesländern Perspektiven geben und über die schwierige Anfangsphase hinweg helfen konnte. Dies konnte nur heißen: Belebung der Investitionstätigkeit für einen dynamischen Aufholprozess der Schaffung wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze. Die Bundesregierung hat, auf der von mir entwickelten Strategie Aufschwung-Ost aufbauend, das auf zwei Jahre angelegte und mit jeweils 12 Mrd. DM für 1991 und 1992 ausgestattete Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost beschlossen.

Die wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesländern zeigt heute, dass die Maßnahmen der Bundesregierung greifen. Das Gemeinschaftswerk Aufschwung-Ost hat den wirtschaftlichen Aufbau in den neuen Bundesländern vorangebracht. „Die Wende zum Besseren hin sollte in den neuen Bundesländern nun geschafft sein“, stellt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung fest. Umfragen belegen die Zuversicht der Bürger in den neuen Ländern.

1992 wird trotz allem schwierig werden. Das konjunkturelle Umfeld für Deutschland ist ungünstiger geworden als im ersten Jahr des Aufschwung-Ost. Viele der im überregionalen Wettbewerb stehenden Industrieunternehmen haben noch eine sehr schwierige Anpassungsphase vor sich. Daneben gibt es aber auch Bereiche, die wie die Bauwirtschaft und viele Dienstleistungszweige unmittelbar von der notwendigen radikalen Umstrukturierung der Wirtschaft in den neuen Bundesländern profitieren. Der Aufschwung geht aber von einem sehr niedrigen Niveau aus. Weitere unrentable Arbeitsplätze werden zunächst noch wegfallen. Unternehmen, die bereits 1991 ihre Preise fühlbar zurücknehmen mussten, sehen sich durch die beträchtlichen Lohnanhebungen unter starken Kostendruck gesetzt. Sie haben im Wesentlichen durch die Treuhandanstalt abgedeckte hohe Verluste. Neue Absatzmärkte sind zu erschließen. Bis die in Vorbereitung stehenden Investitionen den Arbeitsmarkt auf breiter Front entlasten können, wird noch einige Zeit vergehen.

Die Wirtschaftspolitik steht in erster Linie vor der Aufgabe, die Voraussetzungen für Investitionen noch weiter zu verbessern, denn nur so kann die Zahl der sicheren wettbewerbsfähigen Arbeitsplätze bald schneller steigen, als unrentable wegfallen. Dieses Primärziel des Aufschwung-Ost darf nicht sehenden Auges durch falsche Weichenstellungen in der Finanz- und Tarifpolitik leichtsinnig gefährdet werden. Angesichts des tiefgreifenden Wandels bedarf es nicht nur wachstumsfördernder marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Die Wirtschaftspolitik muss auch die Flankierung des strukturellen Wandels durch eine aktive Strukturpolitik beinhalten. Das schließt auch den wirksamen Einsatz der Arbeitsmarktpolitik ein. Der Aufschwung-Ost braucht dafür auch in seinem zweiten Jahr konsequente Leitlinien:

  • Um die Investitionen weiter nachhaltig zu fördern, bedarf es vor allem eines entsprechenden gesamtwirtschaftlichen Umfeldes. Daher mein Beharren auf lohnpolitischer Vernunft in Ost und West. Sie hat sich in den alten Bundesländern in den 80er Jahren sowohl für die, die einen Arbeitsplatz hatten, in steigenden Realeinkommen als auch für viele, die arbeitslos waren, in neuer Beschäftigung ausgezahlt. Es ist einfach ein Faktum, dass zu hohe Löhne zu Lasten der Beschäftigung gehen. Zu dem notwendigen gesamtwirtschaftlichen Umfeld gehört auch öffentliche Ausgabendisziplin, an der ich unbeirrt festhalte.
  • Die private Investitionstätigkeit in den neuen Bundesländern muss weiter nachhaltig und unvermindert gefördert werden. Deshalb fordere ich eine weitere Aufstockung der Mittel für die regionale Wirtschaftsförderung. Die bisher zur Verfügung stehenden Gelder werden angesichts der bisher vorliegenden Anträge nicht ausreichen, um die Förderung auf hohem Niveau fortzuführen. Der absehbare zusätzliche Bedarf beläuft sich auf 2 Mrd. DM einschließlich der Verpflichtungsermächtigungen für die nächsten Jahre. Ich halte diese Erhöhung für erforderlich, damit die Förderung nicht in dem Moment eingestellt werden muss, in dem viele der aufgrund der wirtschaftspolitischen Anreize ins Auge gefassten Investitionen konkret in Angriff genommen werden sollen.
  • Einer reibungslosen und damit dynamischen Investitionstätigkeit in den neuen Bundesländern stehen trotz aller Anstrengungen oft noch erhebliche Hemmnisse entgegen. Dazu gehören die ungeklärten Eigentumsfragen, noch nicht ausreichend funktionsfähige Verwaltungen, zu lange Genehmigungsverfahren und ein zu geringes Angebot an Gewerbeflächen. Die bisher in den Eigentumsfragen erreichten Fortschritte sind gemessen an den Erfordernissen noch häufig unzureichend. Wichtig ist mir in diesem Zusammenhang deshalb zweierlei: Einmal muss die Personalhilfe weiter verstärkt werden, denn Gemeinden und Vermögensämter können nur ausreichend und mit fachkundigem Personal besetzt effektiv arbeiten. Vor allem aber muss das Vermögensgesetz geändert werden, um Missbrauchsmöglichkeiten sowie die Verschleppung von Verfahren und damit Investitionsvorhaben auszuschließen. Ich habe dazu vorgeschlagen, die bis Ende 1992 befristete Vorfahrtsregelung für Investitionen zu verlängern und das Anhörungsrecht des Alteigentümers auf zwei Wochen zu befristen. Notwendig ist zudem, alle Verfahren vor einem oder vor wenigen Verwaltungsgerichten zu konzentrieren.
  • Der Absatz von Produkten aus Ostdeutschland auf den westlichen Märkten hat noch kein befriedigendes Niveau erreicht. Zur Absatzsteigerung sind kostengünstig erzeugte, moderne Produkte und ein leistungsfähiges Management notwendig. Ich werde in Fortsetzung meiner Gespräche mit Verbänden und Unternehmen weiter konsequent darauf hinwirken, dass die westdeutsche Wirtschaft die neuen Länder nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als neue Bezugsquelle in einem wesentlich stärkeren Maße als bisher nutzen wird. Zusätzlich halte ich Maßnahmen der Bundesregierung zur Unterstützung des Exports in die Staaten des ehemaligen RGW insbesondere in der Übergangsphase für erforderlich.

Die Anstrengungen der Bundesregierung allein können den Zusammenbruch der alten Außenwirtschaftsbeziehungen im ehemaligen RGW nicht auffangen. Um praktikable Lösungen zu finden, bedarf es einer international abgestimmten Vorgehensweise. Dies wird ein wesentliches Thema des Weltwirtschaftsgipfels sein, der im Juni 1992 unter deutschem Vorsitz in München stattfindet. Notwendige Maßnahmen und Schritte werde ich im Vorfeld mit meinen Kollegen der wichtigsten Länder aus Ost und West auf einer Wirtschaftskonferenz Anfang Mai in Münster erörtern.

Die Umstrukturierung der Wirtschaft durch die Treuhandanstalt muss fortgesetzt werden. Der effektivste Weg zur Sanierung ist und bleibt die Privatisierung, denn private Investoren bringen neue Produkte, neue Märkte und unternehmerische Führung mit, also Leistungen, die keine Staatsholding erbringen kann.

Auch die Sanierung von überlebensfähigen Unternehmen, die noch nicht privatisiert werden können, ist eine zentrale Aufgabe der Treuhandanstalt. Entscheidendes Kriterium muss dabei sein, ob und wie Unternehmen in absehbarer Zeit die Wettbewerbsfähigkeit erreichen können. Bei den als sanierungsfähig eingestuften Unternehmen entstehen für die Treuhandanstalt besondere Herausforderungen. So muss die Managementhilfe verstärkt werden, ein strenges Beteiligungscontrolling ist vorzunehmen, und es ist eine transparente Sanierungspolitik nach einheitlichen Kriterien zu führen, wobei die Synergieeffekte der Treuhandanstalt zu nutzen sind. Ich unterstütze die Initiative der Treuhandanstalt, durch organisatorische Maßnahmen, wie z. B. die Gründung von Management-Gesellschaften, dieser Aufgabe flexibel Rechnung zu tragen.

Nichts halte ich von einer Staatsholding. Sie würde den Druck auf die Sanierung und Privatisierung vermindern. Dies gilt grundsätzlich auch für unmittelbare Beteiligungen, vor allem für Mehrheitsbeteiligungen, von Bund, Ländern oder Kommunen an diesen Unternehmen. Die Kapitalmehrheit und die unternehmerische Führung sollen bei privaten Investoren liegen.

Nicht privatisierbare oder nicht sanierungsfähige Unternehmen sind abzuwickeln. Ein Aufschub der Liquidation, der erhebliche finanzielle Mittel binden würde, ginge letztlich zu Lasten der Schaffung und Förderung neuer wettbewerbsfähiger Arbeitsplätze. Liquidation bedeutet nicht den Verlust aller Arbeitsplätze. Durch die effektive Gestaltung der Abwicklungspolitik der Treuhandanstalt konnten in der Vergangenheit 30% der Arbeitsplätze der betroffenen Unternehmen erhalten bleiben.

Die Treuhandanstalt wird durch die Privatisierung wie auch durch ihre Sanierungspolitik mit dazu beitragen, die „Entindustrialisierung“ von ganzen Regionen zu verhindern. Mit Vorrang müssen deshalb die großen Problemfälle wie Stahl, Schiffbau, Maschinenbau, Bergbau und Chemie gelöst werden. Umgehende Entscheidungen im Hinblick auf die überlebensfähigen Kernbereiche sind dafür notwendig. Die Bundesregierung unterstützt die Neuansiedlung von Unternehmen durch ihre Infrastrukturinvestitionen und die Regionen bei der vor Ort notwendigen Bündelung von Regional- und Arbeitsmarktpolitik.

Die aktive Arbeitsmarktpolitik des vergangenen Jahres muss fortgeführt werden, um die Zeit zwischen dem Wegfall alter und der Schaffung neuer Arbeitsplätze sozialverträglich zu flankieren. Besondere Priorität hat dabei die Qualifizierung. Negativen Auswirkungen des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums auf Strukturwandel und die Mobilität der Arbeitnehmer muss allerdings entgegengewirkt werden. Hierzu gehört vor allem ein Entgelt für AB-Maßnahmen, das niedriger liegt als dasjenige normaler Arbeitsverhältnisse. Die Tarifvertragsparteien sollten deshalb spezielle ABM-Tarifverträge mit niedrigerem Entgelt vereinbaren oder AB-Maßnahmen müssen als Gemeinschaftsarbeiten in Anlehnung an frühere Regelungen ausgestaltet werden. Sie müssen auch grundsätzlich auf sechs Monate beschränkt und darüber hinaus zusätzlich mit Qualifizierungsmaßnahmen verbunden werden.

Keine erfolgversprechende Alternative

Diese hier nur grob skizzierten Punkte bilden ein Programm, das voll in der Kontinuität der marktwirtschaftlichen Politik der Bundesregierung liegt. Ich sehe dazu keine erfolgversprechende Alternative. Es lohnt und erfordert den vollen Einsatz und die Solidarität aller Beteiligten, von Staat, Treuhandanstalt, Tarifparteien, Arbeitnehmern und Unternehmern, von den Bürgern in Ost und West.

Die neu gewonnene Einheit Deutschlands sollte nicht nur als schwierige Aufgabe, sondern vor allem als Chance für Deutschland und Europa verstanden werden. Lasten, die heute entstehen, zahlen sich mittelfristig durch mehr Arbeitsplätze, eine modernere Gesamtwirtschaft, höheres Wachstum und bessere Lebensbedingungen aus.

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