Die Bundesrepublik durchläuft gegenwärtig eine tiefe Wirtschaftskrise, bei der konjunkturelle Einflüsse und strukturelle Probleme zusammenwirken. Wie kann die Krise überwunden werden? Dr. Günter Rexrodt, Professor Dr. Uwe Jens, Dr. Klaus Murmann und Michael Geuenich nehmen Stellung.
Initiative für mehr Investitionen, Wachstum und Beschäftigung
Die deutsche Wirtschaft befindet sich in rauhem Fahrwasser. In Westdeutschland fällt die Rezession schwerer aus als erwartet. Die im Jahreswirtschaftsbericht projizierte westdeutsche Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts für 1993 (preisbereinigt 0% bis -1 %) mußte mittlerweile nach unten korrigiert werden (preisbereinigt -1½%). In Ostdeutschland ist - bei differenzierter Entwicklung - alles in allem ein selbsttragender Aufschwung noch nicht in Gang gekommen. Dennoch: Zu furchtsamen Pessimismus und Zukunftsangst gibt es keinen Anlaß. Im Gegenteil: In Westdeutschland signalisieren wichtige Konjunkturindikatoren ein Auslaufen des Abschwungs:
- Die Geschäftserwartungen in der Industrie sind seit Ende 1992 wieder aufwärts gerichtet.
- Die Auftragseingänge aus dem Ausland sind seit Anfang des Jahres wieder gestiegen.
- Die Industrieproduktion blieb in den Monaten März/Mai gegenüber den vorangegangenen drei Monaten stabil.
In Ostdeutschland expandieren Bauwirtschaft und einzelne Dienstleistungsbereiche kräftig, und auch in Teilen der Industrie - Elektrotechnik, Straßenfahrzeugbau, eisenschaffende Industrie - läuft es gut. Diese sehr hohen Transfers öffentlicher Finanzmittel zeigen Wirkungen.
Mitverantwortung der Gruppen
Damit das Schiff „Deutsche Wirtschaft“ tatsächlich an Fahrt gewinnt, müssen alle Beteiligten - Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften - ihre Beiträge leisten. Insbesondere kommt es jetzt darauf an,
- die Rezession in Westdeutschland zu überwinden,
- den Aufbau in Ostdeutschland voranzutreiben,
- die Grundlagen für neue mittelfristige Wachstums- und Beschäftigungsdynamik zu legen.
Dreh- und Angelpunkt für die Wiedergewinnung dynamischen Wachstums ist es, den lähmenden Verteilungsstreit einzugrenzen. Voraussetzung dafür ist ein Wandel im Anspruchsdenken aller gesellschaftlichen Gruppen. Klar muß werden, daß wir das in der zunehmend defizitärer werdenden Leistungsbilanz zum Ausdruck kommende „über die Verhältnisse leben“ nicht auf Dauer durchhalten können. Hier ist - möglichst rasch und möglichst nachhaltig - ein Ende der Orientierung an traditionellen Verhaltensmustern erforderlich. Wirtschafts-, Finanz-, Lohn- und Geldpolitik können diese Wende ohne gesamtwirtschaftlich unakzeptabel hohe Kosten nicht auf sich allein gestellt bewirken, aber sie können und müssen gewichtige Beiträge dazu leisten. Hierzu ist erforderlich:
- Die konsequente Umsetzung der Beschlüsse des Solidarpaktes, um Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik zu sichern. Das Föderale Konsolidierungsprogramm (FKP) ist zentraler Bestandteil des Solidarpaktes.
- Die FKP-Sparbeschlüsse reichen jedoch nicht aus. Entscheidend ist, daß in der Sparrunde im Zusammenhang mit der Aufstellung des Bundeshaushalts 1994 substantielle Fortschritte gemacht werden. Dies ist ohne Überprüfung von Leistungsgesetzen nicht darstellbar. Der Staat kann nur dort die erforderlichen Summen einsparen, wo er auch viel ausgibt. Für die Finanz- und Devisenmärkte, aber auch für die Bundesbank, ist das Sparpaket ein Signal, daß die Politik mit dem Sparen ernst macht.
- Ohne beschäftigungsorientierte Lohnpolitik - insbesondere in Ostdeutschland - kann eine dauerhafte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht gelingen. Andernfalls untergräbt die Belastung der öffentlichen Haushalte durch Personalkosten, konsumtive Sozialtransfers und Druck nach noch mehr Subventionen alle Konsolidierungsanstrengungen.
- Konsolidierung und moderate Lohnpolitik sind beide notwendig, damit die Bundesbank zinspolitischen Handlungsspielraum erhält und sich die Zinssenkungstendenz weiter fortsetzen kann.
- Bei letztlich begrenzter Verschuldungskapazität des Staates muß sich der Beitrag der öffentlichen Haushalte zur Bekämpfung der Rezession vor allem auf die Verbesserung der Haushaltsstruktur zugunsten investiver Ausgaben und - zumindest vorübergehend - auf das Wirkenlassen automatischer Stabilisatoren beschränken. Allerdings: Aus konjunkturellen Defiziten können leicht strukturelle werden. Kreditfinanzierte Ausgabenprogramme sind, ganz abgesehen von ihrem zweifelhaften Wirkungsgrad, derzeit nicht finanzierbar.
Zum Jäten gehört das Säen
Um dem Wachstum eine Perspektive zu geben, steht auf dem Programm der Bundesregierung eine Initiative für mehr Investitionen, Wachstum und Beschäftigung. Das Spar- und Konsolidierungsprogramm wird ergänzt durch ein Paket direkt wachstumsbelebender Maßnahmen:
- Beim Standortsicherungsgesetz begrüße ich die im Vermittlungsausschuß gefundene Lösung. Mit dem Verzicht der Gegenfinanzierung durch die Verringerung der Abschreibungen für Ausrüstungsinvestitionen ist einem Hauptanliegen des Bundeswirtschaftsministers Rechnung getragen.
- Öffentliche Investitionen sollen so weit wie möglich vorgezogen werden.
- Die Städtebauförderung im Osten wird als wichtiges investives Element verstetigt.
- Der befristete Zinsabzug bei der Errichtung privater Wohnhäuser soll bis Ende 1995 verlängert werden.
- Unter Berücksichtigung der EG-Rückflüsse steigen die Ausgaben für die Gemeinschaftsaufgabe „Regionale Wirtschaftsförderung“ in den neuen Ländern um gut eine halbe Milliarde DM. Für die alten Bundesländer bleibt es bei 350 Mill. DM im Bundeshaushalt.
- Die Planungsverfahren werden im Zusammenhang mit Bau- und Verkehrsinvestitionen verkürzt.
- Der Arbeitsmarkt wird - generell gesehen - durch Arbeitszeitflexibilisierung und Deregulierung gestärkt.
Wo der Bund direkt selbst anregend handeln kann, wird er es im Rahmen der Eckwertebeschlüsse zum Entwurf für den Bundeshaushalt 1994 tun:
- So werden alle Bundesministerien beauftragt, ihre für 1994 geplanten öffentlichen Aufträge vorzuziehen.
- Die zuständigen Fachminister werden beauftragt, mit Bahn und Post unverzüglich Gespräche mit dem Ziel beschleunigter Auftragsvergabe zu führen.
- Ich werde darauf hinwirken, daß die bei der ERP-Darlehensvergabe beteiligten Institute ihre Zusagen noch rascher erteilen, damit die beabsichtigten Investitionen früher in Angriff genommen werden können.
Die Möglichkeiten des Bundes sind jedoch begrenzt. Bei den Gebietskörperschaften liegt das Schwergewicht der Investitionen bei Ländern und Gemeinden. Deshalb sollten Länder und Gemeinden dem Beispiel des Bundes folgen und die im nächsten Jahr beabsichtigten Investitionsaufträge so weit wie möglich vorziehen. Konjunkturpolitisch gleichgerichtetes Handeln fundiert die für 1994 zu erwartende wirtschaftliche Erholung.
In den neuen Bundesländern werden ab 1995 mit dem im Rahmen des FKP vereinbarten Investitionsfördergesetz (IFG) erhebliche Mittel - 6,6 Mrd. DM pro Jahr für zehn Jahre - zur Verfügung gestellt. Die neuen Bundesländer sollten deshalb Investitionsplanungen im Zusammenhang mit den IFG-Mitteln beschleunigen und Aufträge bereits 1994 vergeben.
Maßnahmen im Deregulierungsbereich
Im Rahmen der Verhandlungen zum Sparpaket für den Bundeshaushalt 1994 habe ich mich dafür eingesetzt, daß bereits jetzt Maßnahmen im Deregulierungsbereich - gewissermaßen im Vorgriff auf den Zukunftssicherungsbericht - vorgezogen und rasch umgesetzt werden. Im einzelnen handelt es sich dabei um folgende Schritte:
- So hat das Bundeskabinett gerade ein die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft stärkendes Arbeitszeitgesetz verabschiedet. Hier werden unter anderem weitere Ausnahmemöglichkeiten vom Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit eröffnet.
- Zur Erprobung privater Arbeitsvermittlung werden Modellversuche für einen Zeitraum von zwei Jahren ermöglicht.
- Die Zahl der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist abhängig von entsprechenden Vereinbarungen der Tarifpartner. Die Tarifpartner können das Instrument der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wirkungsvoller gestalten, indem sie eigene ABM-Tarifverträge vereinbaren, die bei Einstufung und Entlohnung dem notwendigen Abstand zu ungeförderten Arbeitsverhältnissen Rechnung tragen.
- Die Bundesregierung wendet sich an Länder und Gemeinden, die Möglichkeiten zur Durchführung von Gemeinschaftsarbeiten im Sozialhilfebereich voll auszuschöpfen.
- Das Planungsvereinfachungsgesetz, das Instrumente zur Planungsbeschleunigung beim Bau von Verkehrswegen für das gesamte Bundesgebiet vorsieht, soll rasch verabschiedet werden. Gleiches gilt für das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz, das unter anderem die elektronische Führung von Grundbuch und Handelsregister regelt.
Das Grundgesetz verpflichtet Bund, Länder und Gemeinden zu gesamtwirtschaftlich angepaßtem Verhalten. Wir müssen angesichts eingeschränkter haushaltspolitischer Möglichkeiten in besonderem Maße gemeinsam verantwortlich handeln. Dies sind wir den Bürgern schuldig.
Notwendig ist ein Dialog mit der Wirtschaft und den Sozialpartnern
Die Bundesrepublik durchläuft zur Zeit eine tiefe Wirtschaftskrise. Nach dem Vereinigungsboom setzte in Westdeutschland schon im Frühjahr 1992 der vorhersehbare Abschwung ein, der in die tiefste Rezession der Nachkriegszeit einmündete. Die konjunkturelle Wende ist nicht in Sicht, auch wenn die Bundesbank mit der jüngsten Senkung der Leitzinsen dafür die Voraussetzungen verbessert hat. In Ostdeutschland ist der versprochene Wirtschaftsaufschwung ausgeblieben. Zum Jahresende 1993 ist in Deutschland ein Defizit von über 6 Mill. regulären Arbeitsplätzen zu befürchten.
Die Wirtschaftskrise in Deutschland hat schwerwiegende Strukturprobleme zutage treten lassen. Wirtschaftsbereiche, die zu den Renommierbranchen der westdeutschen Industrie gehören, haben an internationaler Wettbewerbsfähigkeit verloren. Notwendige Strukturanpassungen, die Einführung neuer Produktionsverfahren und Managementmethoden, sind in den vergangenen Jahren des Aufschwungs versäumt worden. Auch auf wichtigen Zukunftsmärkten ist die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb zurückgefallen. In Ostdeutschland hat die einseitige Privatisierungspolitik der Bundesregierung maßgeblich zu einer weitgehenden Entindustrialisierung beigetragen.
Der Export kann anders als in den vergangenen Jahren keinen Aufschwung auslösen. Von der Weltwirtschaft gehen zur Zeit nur schwache Impulse für den Welthandel aus, da der Aufschwung in den USA nur sehr zögernd in Gang kommt und auch in Japan nach wie vor eher rezessive Tendenzen vorherrschen. Der Welthandel wird immer wieder durch Störungen belastet. Statt mutiger Schritte für den Abschluß der GATT-Verhandlungen stehen die Welthandelsbeziehungen zwischen den wichtigsten Handelspartnern eher im Zeichen von Handelsbarrieren und Retorsionsmaßnahmen.
Gescheiterte Angebotspolitik
Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre ist gescheitert. Anstatt dauerhaftes Wirtschaftswachstum haben wir eine scharfe Rezession, anstatt mehr internationale Wettbewerbsfähigkeit verzeichnen wir eine tiefe Standortkrise, anstatt vor soliden Staatsfinanzen stehen wir vor dem Staatsbankrott mit einer Rekordverschuldung, die 1994 die Grenze von 2 Billionen DM überschreiten wird.
Die Bundesregierung hält an ihrer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik unbeirrt fest. Anders sind ihre Vorschläge der letzten Zeit nicht zu verstehen. Mit Kürzungen von Sozialleistungen und tiefen Einschnitten ins soziale Netz sollen die Staatsfinanzen saniert werden. Mit Vorschlägen zum Rentenabbau, zur gestreckten Gehaltsanpassung im ostdeutschen öffentlichen Dienst, zur Verlängerung von Wochen- und Lebensarbeitszeit, zur weiteren Verschleuderung öffentlichen Sach- und Grundvermögens, zum Abbau von Gewerbekapital- und Vermögensteuern sowie zur Novellierung von Ladenschlußgesetz und Handwerksordnung will der Bundeswirtschaftsminister in der aktuellen Standortdiskussion die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wiederherstellen.
Dieser Weg vernachlässigt Leistungs- und Kreislaufzusammenhänge in einer sträflichen Weise. In dieser von der Bundesregierung herbeigeführten schwierigen Lage ist deshalb eine Politik vorsichtiger Stabilisierung und behutsamer Feinabstimmung volkswirtschaftlicher Größen der einzig noch verbleibende Weg einer Konjunkturpolitik aus eigener Kraft.
Um mit allen Beteiligten Bedingungen für eine Wachstums- und Beschäftigungsinitiative abzustimmen, sieht das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz die konzertierte Aktion vor. Sie sollte so rasch es geht einberufen werden.
Anstöße für die Wiederbelebung
Für ein Gegensteuern mit den klassischen Instrumenten der antizyklischen Konjunkturpolitik fehlt der finanzpolitische Handlungsspielraum. Mittelfristig muß das Ziel der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte jedoch oberste Priorität haben, wenn der öffentliche Verschuldungsgrad und die Staatsquote in akzeptablen Grenzen gehalten werden sollen. Für die Konjunktur ist schon viel gewonnen, wenn die konjunkturbedingten Steuermindereinnahmen nicht zu einer weiteren finanzpolitisch bedingten Verschärfung der Rezession durch Kürzung öffentlicher Investitionen führen, was leider angesichts der Haushaltslage von Ländern und Gemeinden zu befürchten ist.
Durch das Vorziehen staatlicher Investitionen, ermöglicht durch Umschichtungen von konsumtiven zu investiven Ausgaben in den öffentlichen Haushalten, müssen Anstöße für die Wiederbelebung der Wirtschaft erzeugt werden. Zur Rezessionsbekämpfung und Standortsicherung müssen gewerbliche Investitionen steuerlich durch Erleichterungen und administrativ durch vereinfachte Genehmigungsverfahren gefördert werden. In diesem Sinne war die Einigung von Regierung und Opposition im Vermittlungsausschuß über die Senkung von Körperschaftsteuer und Einkommensteuer auf gewerbliche Einkünfte bei Verzicht auf die Verschlechterung der Abschreibungsbedingungen im Standortsicherungsgesetz ein wichtiger Beitrag zur Überwindung der Wirtschaftskrise.
Die richtige Antwort auf die weltweite Rezession wäre eine globale Wachstumsinitiative der führenden Weltwirtschaftsnationen. Der Weltwirtschaftsgipfel in Tokio wäre dafür die geeignete Gelegenheit gewesen, die aber ebenso nutzlos vertan worden ist wie schon vorher der EG-Gipfel der Regierungs- und Staatschefs in Kopenhagen. Der Weg aus der weltweiten Wirtschaftskrise erfordert natürlich mutige Schritte zum Abbau von weltweiten Handelsschranken und zur Sicherung eines freien Welthandels. Ohne den zügigen Abschluß der GATT-Verhandlungen wird es eine Wiederbelebung der Wirtschaft in den führenden Weltwirtschaftsnationen nicht geben. Dabei müssen auch die Entwicklungsländer eine bessere und faire Chance für den Marktzutritt zu den Märkten der Industrieländer erhalten. Die Deutsche Bundesbank hatte immerhin in der Erwartung konkreter Ergebnisse des Weltwirtschaftsgipfels die deutschen Leitzinsen in einem beachtlichen Schritt gesenkt. Ob allerdings das Zinssignal von einem halben Prozentpunkt ausreicht, um den notwendigen Investitionsschub in Gang zu setzen und die Konjunkturwende herbeizuführen, muß aber bezweifelt werden.
Zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik
Die Wirtschaftskrise in Deutschland erfordert deshalb eine aktive Wirtschaftspolitik, denn das Zusammentreffen von weltweiter Rezession, hausgemachter Konjunkturkrise, aufgestauten Strukturbrüchen und sich zuspitzender Transformationskrise in Ostdeutschland birgt die Gefahr in sich, daß die eingebauten Stabilisatoren nicht ausreichen, um einen unerträglichen Beschäftigungseinbruch zu verhindern. Für die Wirtschaft Europas und den Integrationsprozeß nach Maastricht hätte es fatale Folgen, wenn die Bundesrepublik Deutschland weiterhin Schlußlicht und Konjunkturbremser bleibt und keinen aktiven Beitrag zur Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft leistet. Deswegen wäre es von großer Bedeutung, wenn die Vorschläge von EG-Präsident Delors für eine europäische Wachstumsinitiative bis zum nächsten EG-Gipfel im Dezember dieses Jahres zu einem konkreten Maßnahmenbündel ausgearbeitet würden. Die Bundesrepublik Deutschland sollte sich weiterhin aktiv für das Zustandekommen des Arbeitsmarktgipfels einsetzen.
Eine zukunftsorientierte Wirtschaftspolitik, die auf private Investitionen in neue Arbeitsplätze, neue Technologien und neue Produkte ebenso setzt wie auf öffentliche Investitionen in Umweltschutz, Infrastruktur und Telekommunikationsnetze, muß begleitet werden durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik, bei der Arbeitsbeschaffung, Umschulung und Qualifizierung mit der notwendigen Priorität versehen werden müssen. Gerade in Zeiten intensiven Strukturwandels und tiefer Rezession sind Mittelkürzungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik das Gegenteil von dem, was notwendig wäre.
Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist von zwei Seiten bedroht. Im Wettbewerb zwischen Niedriglohnländern einerseits und führenden Hochtechnologienationen andererseits droht die deutsche Wirtschaft zerrieben zu werden. Anstatt die Forschungs- und Technologiepolitik zu vernachlässigen und ihre Mittelausstattung real zu kürzen, benötigt die Bundesrepublik eine Technologie- und Innovationsoffensive. Wirtschaftspolitik und Forschungs- und Technologiepolitik müssen endlich miteinander verzahnt werden, um den inzwischen eingetretenen Technologierückstand der deutschen Wirtschaft aufzuholen. Nur durch eine Verstärkung von Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen und durch eine engere Verzahnung mit der Wirtschaftspolitik kann die deutsche Wirtschaft im internationalen Wettbewerb auf den Zukunftsmärkten der Mikroelektronik, der Informations- und Kommunikationstechnik, der Verkehrstechnologie, der Biotechnologie, der Gentechnik sowie der neuen Werkstoffe wieder aufschließen und auch im nächsten Jahrtausend sich einen sicheren Führungsplatz erkämpfen. Nur so lassen sich die notwendigen wettbewerbsfähigen Arbeitsplätze im Dialog zwischen Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften schaffen.
Der Wegweiser aus der Rezession und Standortkrise in Deutschland heißt deshalb Dialog mit der Wirtschaft und den Sozialpartnern im Interesse eines gesellschaftlichen Konsens über die Zukunftssicherung. Wer aber in der Krise einseitig an den Säulen des Sozialstaates rüttelt, schürt die Konfrontation, anstatt die notwendige Basis für den Dialog zu schaffen.
Die Kostenkrise der deutschen Unternehmen muß bewältigt werden
Die wichtigsten volkswirtschaftlichen Indikatoren zeichnen zur Zeit ein eindeutiges Bild: Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer handfesten Krise. Im Zeitraum März/April 1993 wurde der entsprechende Vorjahresstand bei den Auftragseingängen im verarbeitenden Gewerbe real um insgesamt 11,1% unterschritten. Bei den Auftragseingängen für Investitionsgüter des produzierenden Gewerbes lag der Rückgang sogar bei 15,7%. Die Erzeugung im produzierenden Gewerbe in den Monaten März/April 1993 blieb um 7,7% hinter dem Niveau des entsprechenden Vorjahreszeitraumes zurück. Auch hier besonders signifikant: Die Produktion von Investitionsgütern für das produzierende Gewerbe sank um 12,9%. Und auch die Bruttoinvestitionen sanken im ersten Vierteljahr 1993 um 11,1% im Vergleich zum ersten Quartal 1992. Die Rezession strahlt inzwischen auch auf andere Bereiche aus. Beim Bau und bei den Dienstleistungen läßt die Dynamik merklich nach.
Aber auch das bisher stabilste Standbein der deutschen Wirtschaft, der Export, zeigt erhebliche Schwächesymptome. Schon in den Jahren 1991/92 haben die deutschen Unternehmen Marktanteile verloren. Während die Exportmärkte der deutschen Industrie in diesen beiden Jahren um zusammen rund 7% expandierten, sind die realen Exporte um insgesamt 3,4% gesunken. Daraus resultiert ein Verlust an Marktanteilen von rund einem Zehntel. Zwar haben auch andere europäische Länder Marktanteile verloren, aber der Verlust war nirgendwo so ausgeprägt wie bei uns. Nach Berechnungen der EG-Kommission sind zwischen 1987 und 1992 3,7% des deutschen Sozialprodukts durch die Verschlechterung der Leistungsbilanz verlorengegangen.
Zu hohe Kostenbelastung
Der Hauptgrund liegt eindeutig darin, daß die Produktion in Deutschland mit vergleichsweise höheren direkten und indirekten Kosten belastet ist als in allen anderen Konkurrenzländern. Damit besteht die Gefahr, daß die deutschen Unternehmen in ihrer Wettbewerbskraft zurückbleiben, selbst wenn sich die internationale Konjunktur in absehbarer Zeit erholen sollte.
Zur Überwindung der konjunkturellen Flaute und der strukturellen Probleme bedarf es auch eines Abbaus von Innovationsschwächen. Die bislang günstige Position der deutschen Forschung basiert ganz besonders auf dem Straßenfahrzeugbau und dem Maschinenbau. Beide Bereiche befinden sich jedoch in einem dramatischen Strukturwandel, und nicht wenige Unternehmen des Maschinenbaus und der Automobilzulieferindustrie kämpfen ums Überleben. In der elektrotechnischen wie in der chemischen Industrie kämpft unsere technologische Position schon länger mit der amerikanischen und japanischen Industrie. Insgesamt gibt es zur Sorge Anlaß, wenn laut Ifo jedes zwölfte Unternehmen bei der Realisierung neuer Produkte oder Verfahren Akzeptanzprobleme wegen des Neuheitsgrades meldet.
Darüber hinaus wird das Innovationstempo der deutschen Wirtschaft durch die ausgeprägte Reglementierung bei Genehmigungsverfahren zusätzlich gebremst. Die Vielzahl der eingeschalteten Genehmigungsbehörden und häufig auftretende organisatorische Mängel in der Zusammenarbeit führen zu langen Bearbeitungszeiten. Deutsche Bürokratie, kostentreibende gesetzliche Auflagen und zu schematische, wenig flexible Arbeitszeiten sind Ausdruck dafür, daß es wesentliche Innovationsbarrieren zu beseitigen gibt.
Die deutschen Unternehmen befinden sich in einer Struktur- und Kostenkrise. Zum einen sind es die Arbeitskosten, die im internationalen Vergleich an der Spitze liegen; zum anderen sind es die Kosten der Unternehmen für die wachsende Staatstätigkeit.
Die Bundesrepublik ist bereits seit Jahren der Standort mit den höchsten Arbeitskosten. Die Arbeitskosten je Stunde waren schon 1991 mehr als fünfmal so hoch wie in Portugal, um ein Drittel höher als in den USA oder in Frankreich. Auch gegenüber Ländern, die vergleichsweise nahe am deutschen Lohnniveau lagen, z.B. Schweden, sind durch die Wechselkursentwicklung entscheidende Verschlechterungen eingetreten. Inzwischen haben auch diese Konkurrenzländer ein um ein Viertel niedrigeres Arbeitskostenniveau. Zwar ist das deutsche Produktivitätsniveau vergleichsweise hoch, aber der Vorsprung bei der Produktivität ist längst nicht mehr so groß wie der Abstand bei den Arbeitskosten je Stunde.
Darüber hinaus lassen sich die Kostenprobleme der deutschen Wirtschaft an der Entwicklung der Staats-, Steuer- und Abgabenquote ablesen. Die Staatsquote ist im Zuge der deutschen Vereinigung auf über 50% angestiegen, die Steuer- und Abgabenquote um über zwei Prozentpunkte auf 43,5%. Eine weitere Erhöhung ist bereits vorprogrammiert.
Damit sind die wichtigsten Bereiche angesprochen, in denen wirtschaftspolitisch gehandelt werden muß. Das hilft dann auch, die Rezession zu überwinden und die Strukturprobleme abzubauen.
Die Unternehmen tragen ihren Anteil dazu bei, indem sie neue, erfolgversprechende Produkte auf den Markt bringen. Dazu ist es jedoch notwendig, das innerbetriebliche Kostengerüst erheblich zu straffen. In bezug auf die Arbeitskosten heißt dies aber auch, daß betriebliche Sozialleistungen in Frage gestellt werden. Dort, wo es möglich und notwendig ist, müssen übertarifliche Leistungen mit Lohnerhöhungen verrechnet werden dürfen.
Die Tarifvertragsparteien beeinflussen mit der Tarifpolitik den größten Teil der Arbeitskosten. Ihre Verantwortung wiegt darum schwer. Eine moderate Tarifpolitik, wie sie in diesem Jahr begonnen wurde, muß unbedingt fortgesetzt werden. Bei einem negativen Wirtschaftswachstum gibt es nichts zu verteilen.
Haushaltskonsolidierungsanstrengungen verstärken
Von staatlicher Seite muß in den nächsten Jahren eine finanzpolitische Trendwende mit dem Ziel einer Kostenentlastung der Volkswirtschaft gefordert werden. Darum wartet die deutsche Wirtschaft auf das politische Signal, daß der Staat den Ausgabenanstieg endlich in den Griff bekommt. Haushaltskonsolidierungsbemühungen mit Einsparplänen in Höhe von 20 Mrd. DM sind in diesem Zusammenhang die untere Grenze des Notwendigen.
Forderungen keynesianischen Denkmusters, der Staat müsse aktiv werden, um die konjunkturelle Flaute zu überwinden, sind völlig fehl am Platze. Wir befinden uns keineswegs in einer keynesschen Situation der Nachfrageschwäche. Wie die Geldmengenentwicklung beispielsweise zeigt, ist kaufkräftige Nachfrage genug vorhanden. Das Problem liegt in den hohen Kosten auf der Angebotsseite, um den veränderten Präferenzen Rechnung tragen zu können. Angesichts einer aktuellen Staatsquote von über 50% würde eine weitere Ausweitung der Staatstätigkeit irreparable Strukturschäden bei den Staatsfinanzen wie in der Wirtschaft nach sich ziehen.
Wenn die staatlichen Haushalte ernsthaft und dauerhaft konsolidiert werden sollen, so dürfen auch die Anreizstrukturen des sozialen Systems nicht ausgeklammert werden. Gemeint sind Anreize, durch die Inanspruchnahme von Lohnersatzleistungen offizieller Arbeit auszuweichen. Für viele erscheint dieses Verhalten profitabler mit der Folge, daß sich erster und zweiter Arbeitsmarkt auseinanderentwickeln.
In unserem sozialen Sicherungssystem sind die Anreize für diese Fehlsteuerung zu stark ausgeprägt. Wenn jemand in einer AB-Maßnahme mehr verdienen kann als ein Handwerker in einer vergleichbaren Tätigkeit, wird er sich kaum ernsthaft um eine reguläre Arbeit bemühen. Vielfältige Kombinationen anderer Art sind möglich und werden genutzt.
Dies müssen wir ändern. Wir müssen die Lohnzusatzkosten der offiziellen Arbeitsplätze senken, um Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zurückzugewinnen. Wir müssen ferner dem Lohnabstandsgebot wieder größere Bedeutung beimessen, wenn wir unser Sozialsystem intakt und finanzierbar halten wollen.
Mehr Arbeitszeitflexibilität notwendig
Die deutsche Wirtschaft leidet auch zunehmend unter einer Arbeitszeitlücke. In den USA wird mittlerweile über 300 Stunden mehr gearbeitet als bei uns. Das sind umgerechnet exakt zwei Monate. Sogar im Vergleich zu europäischen Konkurrenzländern wie Italien oder Frankreich ist die Jahresarbeitszeit in der deutschen Industrie rund drei Wochen kürzer. Andere Länder haben demgegenüber unter dem Eindruck der Krise die Arbeitszeit sogar ausgeweitet. Auch wenn dies ein Schritt in die richtige Richtung ist, so muß der Weg doch in Richtung mehr Flexibilität führen. Das allzu statische Modell der deutschen Arbeitszeit muß abgelöst werden durch ein dynamisches Modell, das den betrieblichen Erfordernissen und den persönlichen Vorstellungen der Arbeitnehmer soweit wie möglich gerecht wird. Nur so können die Maschinenlaufzeiten, die in Deutschland um die Hälfte kürzer sind als in Belgien, Großbritannien und Italien, verlängert und die anteiligen Kapitalkosten der Produkte gesenkt werden.
Gelingt es, die tiefe Kostenkrise der deutschen Unternehmen zu bewältigen, dann werden Investitionen, nicht zuletzt auch ausländische, am Standort Deutschland wieder rentabel, und dann wird die deutsche Wirtschaft auch Anteil haben an einem neuen Aufschwung der Weltwirtschaft.
Die Rezession muss aktiv bekämpft werden
Der beängstigende Schrumpfungsprozess der deutschen Wirtschaft hat erkennbar im Kern eine zyklische Konjunkturkomponente. Die Prognosen und Wirtschaftsdaten verschlechtern sich dramatisch: Noch im Oktober 1992 sagte die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Herbstgutachten für 1993 ein Wachstum von 0,5% voraus. Knapp sechs Monate später erwarteten dieselben Konjunkturforscher als vorläufigen Prognose-Tiefpunkt eine Schrumpfung des Sozialproduktes um 2%. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fasst die aktuelle Situation in seinem neuesten Konjunkturbericht mit den Worten zusammen: „Im ersten Quartal ist die gesamtwirtschaftliche Situation in einem noch nie zuvor festgestellten Tempo zurückgegangen.“ Ein Wendepunkt der konjunkturellen Talfahrt ist noch nicht in Sicht. Insbesondere die als Frühindikatoren anzusehenden Auftragseingänge aus dem Inland und aus dem Ausland gehen nach wie vor zurück.
Die ökonomische Grundlage für die Staatsfinanzen wird immer weniger kalkulierbar. Die Steuerausfälle bei Bund, Ländern und Gemeinden, die Beitragsausfälle in den Sozialversicherungen und immer höhere Lohnersatzleistungen treiben die konjunkturbedingten Krisenkosten in diesem Jahr auf etwa 40 Mrd. DM hinauf. Die Finanzkraft zur Finanzierung von Transfers und Infrastruktur, von Schuldenübernahme und Umsetzung des zwischen Bund und Ländern geschlossenen Solidarpaktes droht sich im Sog der Rezession zu erschöpfen. Die Rezession muss aktiv bekämpft werden. Damit
- die öffentlichen Finanzen nicht zum Spielball konjunkturbedingter Krisenkosten werden,
- die Arbeitslosigkeit nicht unkontrollierbar weiter um sich greift
- und die konjunkturelle Talfahrt, deren Ende nicht abzusehen ist, gestoppt wird,
fordert der DGB ein Infrastrukturprogramm/Ost sowie ein Impulsprogramm/West in einer Größenordnung von 30 Mrd. DM; das sind in etwa 1% des Bruttosozialproduktes (BSP).
Das Infrastrukturprogramm/Ost ist bereits im „Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost“ - allerdings erst ab dem Jahr 1995 - für die Dauer von zehn Jahren in einer Größenordnung von 6,6 Mrd. DM jährlich vorgesehen. Dieses Programm muss sofort in Kraft gesetzt werden. Zur Schaffung eines konjunkturellen Wendepunktes in Westdeutschland sollte ein kurzfristiges „Impulsprogramm“ gestartet werden, das folgenden drei Kriterien Rechnung trägt:
- Verbesserung der Umwelt- und Lebensqualität im Sinne einer Politik des qualitativen Wachstums,
- Konzentration der Auftragswirkungen in den industriellen Kernbereichen mit konjunktureller Unterauslastung,
- rasche Umsetzbarkeit ohne zeitaufwendigen Haushalts-, Planungs- und Genehmigungstechnischen Vorlauf.
Der DGB hat den Inhalt eines solchen Programms detailliert formuliert, insbesondere für die Bereiche Verkehr, Energie und Städtebauförderung.
Realistische Finanzierungsvorschläge
Die Staatsverschuldung hat ein besorgniserregendes Ausmaß mit starker Steigerungstendenz angenommen. Dem hat der DGB dadurch Rechnung getragen, dass für ein konjunkturelles Ankurbelungsprogramm in erster Linie Investitionsfelder genannt werden, die ohnehin in der Planung sind. Das gilt für das Infrastrukturprogramm/Ost ebenso wie für große Teile des Impulsprogramms/West, wo beispielsweise alle präzisierten Verkehrsinvestitionen bereits in der Finanzplanung enthalten sind - allerdings erst für spätere Planungsperioden.
Der Verschuldungssituation kann zum anderen dadurch Rechnung getragen werden, dass nur etwa ein Drittel des Gesamtprogramms - also 10 Mrd. DM - durch zusätzliche Kreditaufnahme finanziert werden müsste. Der Rest sollte durch die Nutzung des in diesem Jahr mit 6 Mrd. DM über dem Planansatz liegenden Bundesbankgewinns und durch Einführung einer Solidaritätsabgabe mit Einkommensgrenzen ab 1994 (13 Mrd. DM) finanziert werden.
Es ist davon auszugehen, dass sich das vorgeschlagene Programm - bei europäisch koordiniertem Vorgehen - zu mindestens 50% selbst finanziert, weil spürbare Konjunkturimpulse erzeugt werden. Das würde einen Selbstfinanzierungsgrad von mindestens 15 Mrd. DM bedeuten, damit würde sich nicht nur die gesamte Kreditaufnahme von 10 Mrd. DM refinanzieren, sondern auch der überplanmäßige und zur Investitionsfinanzierung statt zum Schuldenabbau verwendete Bundesbankgewinn von 6 Mrd. DM.
EG-Koordinierung unabdingbar
Die Rezession in Westdeutschland ist Bestandteil einer weltweiten Konjunkturflaute. Kein einzelnes Land der Welt ist ökonomisch stark genug, um als Konjunkturlokomotive einen Wendepunkt zu einem dynamischen und weltweiten Aufschwungprozess zu bewirken.
Der im Zusammenhang mit dem deutschen Einigungsprozess 1990/91 durch Kaufkraftschöpfung in dreistelliger Milliardenhöhe erzeugte „Deutsche Vereinigungsboom“ brachte nicht mehr - aber auch nicht weniger - als eine knapp zweijährige Sonderkonjunktur in Westdeutschland in Abkoppelung von der damals bereits in Gang befindlichen weltweiten Konjunkturschwäche. Letztlich aber musste auch dieser Sonderboom verpuffen, da die übrigen EG-Mitgliedstaaten die davon ausgehenden Impulse nicht durch eigene Anstrengungen unterstützt haben. Nur gemeinsame Anstrengungen aller EG-Mitgliedsländer können die Konjunkturschwäche in einen dynamischen und sich selbst tragenden Aufschwungprozess überleiten. Das vom DGB vorgeschlagene Programm könnte der deutsche Beitrag zu einer solchen europaweiten Initiative sein.
Der französische Regierungschef hat bereits am 25. Mai 1993 vor der Nationalversammlung eine Kreditaufnahme von 40 Mrd. Francs (rund 12 Mrd. DM) zur Finanzierung eines Infrastruktur- und Beschäftigungsprogramms angekündigt. Gerade die Bundesrepublik ist in einem ganz besonderen Maße von einer baldigen europaweiten Konjunkturwende abhängig, denn nur sie kann die Basis zur Finanzierung des deutschen Einigungsprozesses absichern helfen. Deshalb ist die Bundesregierung in herausragendem Maße gefordert, eine europaweite Wachstums- und Beschäftigungsinitiative anzustoßen und das französische Programm zu ergänzen.
Sozialabbau verschärft Rezession
Bisher sucht die Bundesregierung zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ihr Heil in umfassenden Sparmaßnahmen, die jedoch bei einem Gesamtvolumen von 20-25 Mrd. DM zu zwei Dritteln gleichbedeutend sind mit Sozialabbau. Das DIW hat ermittelt, dass eine Realisierung dieser zu Nachfrageausfall führenden Sparmaßnahmen von sich aus eine zusätzliche Schrumpfung des Sozialproduktes um 0,5 Prozentpunkte in 1994 bewirken würde. Eine solche Schrumpfung wäre wiederum gleichbedeutend mit zusätzlichen konjunkturbedingten Krisenkosten in einer Größenordnung von etwa 10 Mrd. DM. Eine solche Operation wäre schon unter dem rechnerischen Gesichtspunkt der Finanzkonsolidierung kontraproduktiv, ganz abgesehen davon, dass der DGB einen so rigorosen Sozialabbau vom Grunde her nicht akzeptieren kann.
Als Alternative zum Sozialabbau für 1994 bietet sich ein Vorziehen der erst ab 1995 geplanten Ergänzungsabgabe an, die dann etwa 13 bis 15 Mrd. DM mehr Steuereinnahmen brächte als die vom DGB geforderte Solidaritätsabgabe zur Finanzierung des investiven Konjunkturprogramms. Im Übrigen sollte man endlich die Finanzierung der ostdeutschen Arbeitsmarktpolitik gerechter gestalten und die Arbeitsmarktabgabe auch auf Abgeordnete, Freiberufler, Selbständige und Beamte ausdehnen. Schon diese beiden Maßnahmen brächten zusammen deutlich mehr als der geplante Sozialabbau von gut 14 Mrd. DM. Natürlich beinhalten auch diese Finanzinstrumente Entzugseffekte. Deshalb wäre zu überlegen, ob nicht 1993/94 als Basis für spätere Konsolidierungsmaßnahmen erst die wirtschaftlichen Aufschwungkräfte gestärkt werden müssen.
Standortdiskussion versachlichen
Die Gewerkschaften haben ein vitales Interesse an einem starken deutschen Wirtschaftsstandort. Je stärker der Standort, desto sicherer die Arbeitsplätze von Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern. Leider ist die Standortdebatte mehr und mehr tarifpolitisch instrumentalisiert worden, mit der Folge einer einseitigen Fixierung auf die Lohnkosten. Dabei droht der Blick auf die entscheidenden Standortfaktoren wie Produktinnovation, Qualifizierung der arbeitenden Menschen, Hochtechnologie, Bildungssystem und dergleichen verlorenzugehen. Ich sage dies nicht, weil auf den genannten Feldern akute Gefahr für den Standort Deutschland bestünde, ich sage dies deshalb, weil eine sachliche Hinterfragung der Standortqualität eigentlich eine Daueraufgabe ist, und an einer solchen sachlichen Standortdiskussion haben Gewerkschaften - ebenso wie an einem starken Standort - großes Interesse. Aber ich will abschließend noch etwas näher auf die Arbeitskosten als Standortfaktor in Deutschland eingehen:
Die umfassende Messgröße für Lohnkosten sind die Lohnstückkosten. In sie gehen die gesamten Arbeitskosten je Arbeitnehmer einschließlich Lohnnebenkosten und Lohnausgleich für Arbeitszeitverkürzungen ebenso ein wie die Arbeitsproduktivität. Aber auch die Lohnstückkosten lassen sich nicht ohne Weiteres international vergleichen, weil sich die Wechselkurse im Zeitablauf verändern. Wenn es um Veränderungen der Standortqualität geht, spielen aber auch die absoluten Vergleiche keine so große Rolle, sondern eher die Veränderungen der Lohnstückkosten in einem Land im Vergleich zu denen in anderen Ländern - und das kann man sehr wohl messen. Dabei kann man sich einmal die relativen Lohnstückkosten gemessen in jeweiligen Landeswährungen ansehen und zum anderen die Lohnstückkosten in einheitlicher Währung, wodurch Wechselkursveränderungen mit eingefangen werden.
Die Ergebnisse unserer eigenen Untersuchungen auf diesem Gebiet werden von den Veröffentlichungen des DIW gestützt. Es zeigt sich das folgende Bild: Die Lohnstückkosten für Güter des verarbeitenden Gewerbes in der Bundesrepublik haben sich gegenüber denjenigen in den anderen OECD-Ländern zwischen 1980 und 1990 nicht nennenswert verändert. Sie lagen 1990 etwas niedriger als 1980 und etwa gleich hoch wie 1982. Etwas anders sieht das Bild aus, wenn in einheitlicher Währung gerechnet wird, weil sich dann vor allem die starken Veränderungen des Dollarkurses bemerkbar machen. Danach lagen die Lohnstückkosten 1985 um 10% niedriger und 1990 um 15% höher als 1980. Die zeitweise Verbesserung oder Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit ist also nicht auf einer Abschwächung oder Beschleunigung der Lohnstückkostenentwicklung in der Bundesrepublik (West) im Vergleich zu ihren Handelspartnern zurückzuführen, sondern vielmehr auf die relativ starken Schwankungen des DM-Wechselkurses gegenüber Drittwährungen und insbesondere dem Dollar. Noch günstiger fällt der Vergleich für Deutschland aus, wenn die Berechnungen auf die Gesamtwirtschaft bezogen werden. Die relativen Lohnstückkosten in Landeswährungen sinken dann kontinuierlich und sind in einheitlicher Währung im Trend stabil.
Zusammenfassung
Ich habe mich auf die Überwindung der Rezession als aktuellen Hauptweg aus der Wirtschaftskrise konzentriert. Die Rezession erschwert das Handeln auf fast allen Feldern, von der Finanzpolitik bis zur Beschäftigungspolitik. Sie erschwert insbesondere auch die Lösung zweifellos vorhandener Strukturprobleme. Deshalb halte ich die ausführliche Beschäftigung mit der Rezession und ihrer Bekämpfung in der gegenwärtigen Situation für besonders wichtig.