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Das von den Bundesministerien für Arbeit und Wirtschaft in Auftrag gegebene Gutachten des ifo-lnstituts über eine Änderung der gesetzlichen Laden­öffnungs­zeiten hat neue Bewegung in eine seit langem geführte Diskussion gebracht. Welche Änderungen werden empfohlen? Wie stehen die Beteiligten zu diesen Vorschlägen?

Wichtiges Signal für Deregulierung und Entbürokratisierung

Das umfassende Netz staatlicher Regulierungen in Deutschland ist dicht und unübersichtlich. Es engt immer mehr den Spielraum für private Initiativen und unternehmerische Kreativität ein. Bürger und Unternehmen werden oft unnötig mit Aufwand und Kosten belastet. Bürokratische Gesetze und komplizierte Verwaltungsverfahren behindern vor allem auch kleine und mittlere Unternehmen; vom administrativen Aufwand und der Belastung der Gerichte ganz zu schweigen. Der Deregulierung kommt deshalb für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland eine besondere Bedeutung zu.

Das gilt auch für das Ladenschlussgesetz. Seit seinem Inkrafttreten ist es sehr umstritten. Es behindert, schränkt ein und reduziert. Es hat deshalb immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen und Prozessen geführt. Schon Ludwig Erhard kritisierte 1957 dieses Gesetz vehement: „Für derartige Gesetze bringe ich kein Verständnis auf, weil ich bei aller wirtschaftspolitischen Überlegung zuerst einmal an den Verbraucher denke. Der Handel soll und will dem Verbraucher dienen. Kein Mensch kommt doch zum Beispiel auf die komische Idee, dass etwa am Samstagnachmittag keine Züge gehen dürften oder keine Gaststätte geöffnet haben sollte.“

Grundsätzlicher Wandel erfolgt

Seit dem Inkrafttreten des Ladenschlussgesetzes im Jahre 1956 haben sich die Rahmenbedingungen grundsätzlich geändert. Die europäische Integration ist zügig vorangeschritten, sodass Märkte nicht mehr an nationalen Grenzen enden. Die Konsum- und Einkaufsgewohnheiten der Menschen haben sich gewandelt. Dies wird besonders augenfällig in der Entwicklung der Tankstellen zu Supermärkten neuen Typs. Der Verkauf in diesen Shops von Getränken, Snacks, Tabak, Süßigkeiten, Zeitschriften bis hin zum Waschpulver hat sich allein in den letzten 20 Jahren verzehnfacht. Mehr als die Hälfte dieses Umsatzes wird nach Ladenschluss getätigt. Diese Entwicklung belegt, dass die starren gesetzlichen Regelungen beim Ladenschluss ganz offensichtlich den Bedürfnissen von Angebot und Nachfrage zuwiderlaufen.

Immer öfter schließen sich Verbraucher und Kaufleute zu einer Allianz gegen diese staatliche Reglementierung zusammen. Da werden Freundeskreise zur Beschaffung des Frühstücksbrötchens gegründet, da werden Kioske zu Gaststätten, da wird öffentlich mit Öffnungszeiten bis 24.00 Uhr geworben. Auch durch die Vielzahl der Sonder- und Ausnahmeregelungen des Ladenschlussgesetzes sowie durch die Praxis in der Rechtsprechung ist der eigentliche Rahmen dieses Gesetzes längst gesprengt worden. Schon aus Gründen der Chancengleichheit ist es deshalb erforderlich, dass der werktägliche Ladenschluss am Abend nicht mehr durch Gesetz vorgeschrieben wird, sondern sich durch Angebot und Nachfrage bestimmen kann. Die Uniformität der Öffnungszeiten erschlägt für diejenigen, die in den Abendstunden und an Samstagen verkaufen wollen, Phantasie und Kreativität.

Freigabe bringt Vorteile

Eine umfassende Liberalisierung der Ladenschlusszeiten würde auch maßgeblich zur Revitalisierung der Innenstädte beitragen. Derzeit müssen z.B. die Innenstadtlagen die standortbedingten Nachteile wie hohe Flächenkosten, Zugangsprobleme für den Individualverkehr, teure Mieten und hohe Parkgebühren in Kauf nehmen, ohne dass sie die spezifischen Vorteile der zentralen Lage in ökonomisch sinnvoller Weise nutzen können. Die somit beeinflusste Ansiedlungspraxis hat in den neuen Bundesländern zu einer unausgewogenen Handelslandschaft geführt. Das staatlich verordnete „Hochklappen der Bürgersteige“ ist dem „Flair“ von Groß- und Mittelstädten alles andere als zuträglich.

Auch ein häufig vorgebrachtes Argument für eine Beibehaltung der staatlichen Reglementierung der Öffnungszeiten – der Arbeitnehmerschutz – ist in seiner heutigen Form nicht mehr gerechtfertigt. Die wöchentliche Höchstarbeitszeit liegt heute deutlich unter dem zulässigen Öffnungsrahmen des Ladenschlussgesetzes. Die Arbeitnehmer im Handel sind auch ohne diese Vorschrift genauso geschützt wie andere Arbeitnehmer, nämlich durch Arbeitszeitbestimmungen, Tarifvertrag und Mitbestimmungsrechte. In allen anderen Dienstleistungsbereichen, wie Großhandel, Banken, Versicherungen oder Reisebüros, sind die Arbeitnehmer auch ohne staatliche Regulierung der Geschäftszeiten sehr zufrieden. Die Attraktivität der Handelsberufe könnte sich durch intelligente und flexible Schichtarbeitsmodelle, in denen die Anliegen der Beschäftigten weitgehend berücksichtigt werden, sogar deutlich erhöhen.

Deutschland ist immer noch fast „Schlusslicht“, was die gesetzlich erlaubten Ladenöffnungsmöglichkeiten anbetrifft. Dies gilt umso mehr, da eine Reihe von europäischen Nachbarstaaten – zuletzt Großbritannien und Dänemark – jetzt die Ladenschlussbestimmungen innerhalb sehr kurzer Zeit aufgehoben haben. In Großbritannien beispielsweise sind am 1. Dezember vorigen Jahres die Ladenöffnungszeiten an Werktagen komplett freigegeben worden, selbst sonntags können vor allem kleinere Geschäfte geöffnet haben. Großbritannien ist damit weit über das hinausgegangen, was gegenwärtig in Deutschland diskutiert wird. Dabei ist besonders interessant, dass in Großbritannien die völlig liberalisierten Öffnungszeiten an Werktagen auf Druck der Klein- und Mittelbetriebe und ohne Widerstand der Gewerkschaften durchgesetzt wurden. Keine ernstzunehmende politische Kraft dort ist heute noch für eine staatliche Regelung.

Chance für Wachstum und Beschäftigung

Die Bundesregierung hat ein wissenschaftliches Gutachten an das ifo-Institut in Auftrag gegeben, das die Auswirkungen veränderter Ladenschlusszeiten vor dem Hintergrund der Erfahrungen im In- und Ausland untersucht hat. Dieses Gutachten wurde im August vorgelegt. Die Ergebnisse belegen, dass nicht nur ordnungspolitische Gründe für eine deutliche Liberalisierung sprechen, sondern dass auch dringend erwünschte positive Umsatz- und Beschäftigungseffekte ausgelöst werden. So würde sich der Einzelhandelsumsatz um zwei bis drei Prozent erhöhen und mehr als 50.000 Menschen würden zusätzlich Beschäftigungsmöglichkeiten im Einzelhandel finden. Damit steht fest, verbesserte Öffnungsmöglichkeiten bringen mehr Umsatz und mehr Beschäftigung. Von verbesserten Öffnungsmöglichkeiten würden nicht nur Großbetriebe des Einzelhandels profitieren, sondern auch viele kleine und flexible Einzelhandelsunternehmen. Es könnte eine Welle von Neugründungen ausgelöst werden. Diese Chance für Wachstum und Beschäftigung sollten wir uns nicht entgehen lassen.

Zur Schaffung zusätzlicher Freiräume für die wirtschaftliche Betätigung kleiner und mittlerer Unternehmen und zur Belebung des Gründungsgeschehens ist weniger Bürokratie und Staat wichtig. Der Gesetzgeber ist deshalb dringend gefordert, die Verbesserung der Öffnungsmöglichkeiten jetzt zügig und konsequent auf den Weg zu bringen. Von einer Liberalisierung würde erhebliche Signalwirkung für die weitere entschlossene Deregulierung und Entbürokratisierung in unserem Land ausgehen.

Ladenschlußgesetz: Wichtiges soziales Schutzinstrument

Das vom Bundeswirtschafts- und Bundesarbeitsministerium mit einem Gutachten zum Ladenschlussgesetz beauftragte Münchner ifo-Institut hat die generelle Freigabe der Ladenöffnungszeiten bis 22.00 Uhr und an allen Samstagen bis 18.00 Uhr empfohlen. Durch eine geschickte Vorveröffentlichungspolitik des Bundeswirtschaftsministeriums bereits vor der Veröffentlichung des Gutachtens wurde eine Stimmung in den Medien aufgebaut, um politisch gewünschte Ergebnisse vorwegzunehmen, ohne das Gutachten selbst einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Die Gewerkschaft HBV sieht auch nach dem ifo-Gutachten keine Notwendigkeit, das Ladenschlussgesetz als bewährten Kompromiss zwischen den Interessen der Verbraucher, der Einzelhandelsunternehmen und der Beschäftigten zu verändern. Denn selbst der empirische Teil des Gutachtens des ifo-Instituts belegt eindrucksvoll, dass eine Mehrheit der Verbraucher, der Betriebe und der Beschäftigten für eine Beibehaltung der jetzigen Ladenöffnungszeiten ist. Dies deckt sich im Übrigen auch mit vielen anderen Befragungsergebnissen. Das ifo-Institut kommt jedoch – indem es seine eigenen Untersuchungsergebnisse ignoriert – aus grundsätzlichen „ordnungs- und wettbewerbspolitischen Gründen“ zu einer gegensätzlichen Empfehlung. Um sie für die Öffentlichkeit schmackhafter zu machen, unterlegt es sie mit einer abenteuerlichen Prognose über zusätzliche Umsätze in Milliardenhöhe und zusätzliche Arbeitsplätze im Einzelhandel. Damit setzt sich das ifo-Institut selbst dem Ideologievorwurf aus und rückt sich in die Reihe der Deregulierer ein.

Wir halten das Gutachten – wie übrigens auch viele Sachkenner des Einzelhandels – für wissenschaftlich unseriös und nicht geeignet, um darauf verlässliche Prognosen über die Folgen veränderter Ladenöffnungszeiten aufzubauen. Gerade die Erfahrungen mit dem langen Donnerstag haben gezeigt, dass längere Öffnungszeiten per Saldo keinen zusätzlichen Umsatz, sondern lediglich zeitliche und räumliche Umsatzverlagerungen verursachen. Es entstehen auch keine zusätzlichen Arbeitsplätze, vielmehr ist der Personalabbau weitergegangen. Schon heute arbeiten 500.000 geringfügig Beschäftigte im Einzelhandel in ungeschützten Arbeitsverhältnissen, zu 95% sind das Frauen. Bereits durch den „langen Donnerstag“ ist die Arbeitszeitlage noch unsozialer, die Mehrfachbelastungen der über 2 Millionen Frauen durch Erwerbs- und Familienarbeit weiter erhöht worden. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird so immer schwieriger. Dadurch wird auch der Arbeitsplatz Einzelhandel noch unattraktiver, qualifiziertes Personal wandert ab.

Die Situation im deutschen Einzelhandel ist ohnehin gespannt. Nach den Boomjahren der Vereinigung hat sich die wirtschaftliche und soziale Lage rapide verschlechtert. Regelrechte „Preisschlachten“, unkontrollierte Flächenexpansion und verschärfte Konzentration bei gleichzeitigem Ladensterben haben den massiven Personalabbau und steigende Arbeitsbelastungen noch erhöht. Die Probleme im Einzelhandel – sowohl in Struktur- als auch in sozialpolitischer Hinsicht – sind groß. Sie werden sich in Zukunft unter den gegebenen Bedingungen ohnehin noch weiter verschärfen. Die von einigen Wirtschaftsliberalen geforderte Freigabe der Ladenöffnungszeiten ist „Gift“ für den Einzelhandel. Sie bedeutet, dass ein zusätzlicher Wettbewerbsparameter den ohnehin aggressiven Verdrängungswettbewerb noch anheizen würde. Dies wäre zum Vorteil weniger, aber zum Schaden vieler. Der Mittelstand käme enorm unter Druck – der Konzentrationsprozess würde noch beschleunigt. Die Einzelhandelsstruktur würde sich zu Lasten der wohngebietsnahen Versorgung verschlechtern. Insofern trägt der Gesetzgeber eine große Verantwortung hinsichtlich der weiteren Strukturentwicklung im Einzelhandel.

Nun sind die Angriffe auf das Ladenschlussgesetz nicht neu. Eine Reihe großer Handelskonzerne, wie Karstadt und Asko, sowie einige Handelsverbände, die die Großbetriebsformen auf der „grünen Wiese“ vertreten, fordern bereits seit einiger Zeit andere Ladenöffnungszeiten, in der trügerischen Hoffnung, in einer neuen Runde des entfesselten Wettbewerbs um die Kundengunst zu den Gewinnern zu gehören. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels sowie die mittleren und kleineren Handelsunternehmen sind dagegen für den Erhalt des Ladenschlussgesetzes.

Wir sehen die Angriffe auf das Ladenschlussgesetz als Teil einer allgemeinen Deregulierungsoffensive. Dazu zählen auch die Pläne zur Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Ausweitung der Schichtarbeit und die Umwandlung des freien Samstages zum Regelarbeitstag.

Die Gewerkschaft HBV, die Betriebsräte und die Beschäftigten im Einzelhandel werden mit aller Entschiedenheit für den Erhalt der gegenwärtigen Öffnungszeiten im Einzelhandel kämpfen. Nach wie vor ist das Ladenschlussgesetz für die Beschäftigten ein wichtiges soziales Schutzinstrument zur Sicherung des Feierabends und freier Samstage.

Die gegenwärtigen Tarifverträge erlauben außerdem keine Arbeitszeiten im Verkauf nach 18.30 Uhr (außer Donnerstag) und an den Samstagen nach 14.00 Uhr, an „langen Samstagen“ nach 16.00 Uhr bzw. 18.00 Uhr. Sie sind Ergebnis einer langwierigen Tarifauseinandersetzung und Streiks. Wer diese Arbeitszeiten ändern will, muss die geltenden Tarifverträge (Protokollnotizen bzw. Gemeinsame Erklärungen) kündigen und die dann folgenden tarifpolitischen Auseinandersetzungen durchstehen.

Wer darüber hinaus – wie z.B. die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe im Einzelhandel – fordert, die Mitbestimmung der Betriebsräte bei der Arbeitszeitgestaltung (§ 87, 1 BetrVG) abzuschaffen oder einzuschränken, wird es dabei nicht nur mit der HBV, sondern auch mit allen anderen Gewerkschaften zu tun bekommen. Unser Widerstand soll den Arbeitgebern klar machen, dass eine Befürwortung verlängerter gesetzlicher Öffnungszeiten zwangsläufig in einer heftigen tarifpolitischen Auseinandersetzung enden muss.

Der Bundesregierung geben wir ein energisches Signal, dass wir den Einzelhandel für das falsche Experimentierfeld ihrer Deregulierungspolitik halten. Mit unserer Forderung nach der Beibehaltung des Ladenschlussgesetzes, für die Sicherung des Feierabends und für mehr freie Wochenenden sind wir uns einer breiten Unterstützung der Beschäftigten im Einzelhandel und vieler Arbeitnehmer/-innen sicher.

Ladenschlußänderung bleibt ein Minderheitsanliegen

Die Vorgeschichte des ifo-Gutachtens geht in das Jahr 1993 zurück. Damals gab es wieder einmal eine heftige Diskussion zur Änderung des Ladenschlussgesetzes. Im September 1993 verabschiedete das Bundeskabinett einen Bericht zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland und stellte dort fest, dass die Bundesregierung beabsichtigt, in der nächsten Legislaturperiode die Vorschriften über Öffnungszeiten im Lichte der Erfahrungen mit dem Dienstleistungsabend in Deutschland und der Praxis in anderen Ländern zu überprüfen.

Auch die Delegiertenversammlung des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE) desselben Jahres war gezwungen, sich dieses Themas anzunehmen, und mit starken Worten forderten die Delegierten, sich nachdrücklich gegen eine Veränderung des Ladenschlussgesetzes auszusprechen. Als im öffentlichen Teil dieser Delegiertenversammlung dann der Bundeskanzler sich gegen eine Änderung des Gesetzes in der laufenden Legislaturperiode aussprach, führte das so in der Presse zitierte „Machtwort“ des Kanzlers zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Diese Arbeitsgruppe bat im Spätherbst 1993 den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, in einer grundsätzlichen Studie die Auswirkungen geänderter Öffnungszeiten im Einzelhandel untersuchen zu lassen.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat dann, gemeinsam mit dem Bundesminister für Wirtschaft, das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung mit dieser Untersuchung beauftragt. Es war zu erwarten, dass nach der Vorlage des Gutachtens viele Vertreter von Presse, Rundfunk und Fernsehen eine Stellungnahme des HDE wünschten. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass wir zu den vom ifo-Institut vorgeschlagenen Lösungen zur Änderung der Öffnungszeiten unter Hinweis auf die bestehende Beschlusslage des HDE, nämlich sich für eine Beibehaltung der heutigen Öffnungszeiten einzusetzen, keine Wertung abgeben können. Nach einer Analyse des Gutachtens – so unsere Aussage – würden unsere Gremien die ifo-Vorschläge prüfen und dabei auch feststellen, ob der HDE eine geänderte Position einnehmen soll oder nicht. Diese für Journalisten häufig unbefriedigende Auskunft ist bedauerlicherweise in vielen Presseveröffentlichungen so dargestellt worden, als ob wir ohne Beachtung der Ergebnisse des Gutachtens ausschließlich für eine Beibehaltung der bisherigen Öffnungszeiten eintreten würden.

Dass sich vor einer öffentlichen Äußerung zunächst unsere Gremien mit den Vorschlägen und dem Gutachten befassen müssen, fiel dabei häufig unter den Tisch. Unser stets vorgetragener Hinweis, dass sich die hierfür legitimierten Gremien erst eine Meinung bilden können, wenn sie die Möglichkeit haben, das Gutachten zu analysieren, wurde nicht zur Kenntnis genommen. Dieser Meinungsbildungsprozess wird nun in den nächsten Wochen und Monaten erfolgen.

Am 28.8.1995 fiel auf Einladung von Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt der Startschuss für die Diskussion um eine eventuelle Verlängerung der Ladenöffnungszeiten. Eingeladen waren die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels (BAG), der Bundesverband der Filialbetriebe und Selbstbedienungs-Warenhäuser (BFS), der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT), der Zentralverband Gewerblicher Verbundgruppen (ZGV) und natürlich der HDE. Der Minister, der seinerseits dieses Gespräch als einen ersten Meinungsaustausch bezeichnete, wertete das Gutachten des ifo-Instituts als Basis für das weitere Vorgehen. Der vom ifo-Institut prognostizierte Mehrumsatz von 20 Mrd. DM in den nächsten drei Jahren im Einzelhandel, die positiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Chancen für kleine, innovative Unternehmen sprächen nach seiner Auffassung für eine Änderung des Ladenschlussgesetzes. Minister Rexrodt stellte jedoch klar, dass das Ziel des Ministeriums eine Lösung sei, die nicht zu Konfrontationen führt, aber Bewegung in die Sache bringt. Diese Lösung sollte möglichst mit und nicht gegen die Verbände gefunden werden.

Der HDE hat deutlich gemacht, dass das ifo-Institut mit seinen Vorschlägen für neue Ladenöffnungszeiten eine Empfehlung abgegeben hat, die nicht dem Inhalt des Gutachtens entspricht. Das ifo-Institut habe vielmehr ein Plädoyer für die Beibehaltung des derzeitigen Kompromisses geliefert. Mit Nachdruck hat der HDE die negativen Folgen für nicht bevorzugte Standorte und personal- und beratungsintensive Unternehmen herausgestellt, die auch vom ifo-Institut so gesehen werden. Seine Position wurde auch vom ZGV unterstützt.

Im Laufe der Diskussion hat der HDE Minister Rexrodt noch einmal auf die eindeutige Beschlusslage des HDE hingewiesen und dabei klargestellt, dass dieses Thema selbstverständlich Beratungspunkt der Delegiertenversammlung im November 1995 sein wird. Zunächst trafen sich am 1.9.1995 die Minister Rexrodt und Blüm, um einen ersten Meinungsaustausch über das Gutachten zu führen und das weitere Verfahren zu besprechen. Beide Minister sollen einen Bericht über die Großwetterlage in Sachen Ladenschlussgesetz erstatten. Danach soll die politische Grundsatzentscheidung getroffen werden, wie weiter vorgegangen wird.

Nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung ist der Arbeitsminister Norbert Blüm für dieses Gesetz federführend. Bislang hat er sich noch nicht zum Gutachten öffentlich geäußert. Aus dem Bundesarbeitsministerium war zu hören, dass man sich zunächst sehr intensiv mit dem Gutachten befassen wolle, bevor man sich äußere. Ein erstes Gespräch mit Minister Blüm hat bereits stattgefunden. Dabei wurde deutlich, dass die Gewerkschaften DAG und HBV sich massiv für die Beibehaltung der bisherigen Öffnungszeiten einsetzen werden.

Über den Inhalt des ifo-Gutachtens hat es bereits eine erste offizielle Anhörung gegeben. Dazu hatten der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung und der Bundesminister für Wirtschaft eingeladen. Viele der dort anwesenden Verbände machten deutlich, dass die ifo-Vorschläge zur Änderung der Öffnungszeiten mit den Ergebnissen der Befragungen nicht in Einklang zu bringen sind.

Das ifo-Institut schlägt für die Änderung der Öffnungszeiten im Einzelhandel vor:

  • Verlängerung der täglichen Öffnungszeiten von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr von Montag bis Freitag;
  • Verlängerung der Ladenöffnungszeit an jedem Samstag von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr;
  • Verzicht auf eine zeitliche Beschränkung der Dauer der wöchentlichen Ladenöffnungszeit;
  • Möglichkeit einer Mittelstandsempfehlung im Sinne des § 38 Abs. 2 GWB für die Festlegung gemeinsamer Ladenöffnungszeiten in lokalen Absatzmärkten;
  • Möglichst weitgehender Abbau von Ausnahmeregelungen von den gesetzlichen Ladenschlusszeiten für bestimmte Standorte, Gemeinden oder für verschiedene Anlässe;
  • Einführung von Nachtlizenzen für bestimmte Geschäfte zur Möglichkeit des Verkaufs über 22.00 Uhr hinaus.

Auf Seiten der Verbraucher sind 79% der Befragten mehr oder weniger mit den bestehenden Öffnungszeiten zufrieden. Das ifo-Institut unterteilt die Verbrauchergruppen in sogenannte „Zeitkonforme“ (68% aller Befragten) und „Zeitgebundene“ (20%) mit einem aufgestauten Konsumbedarf. Diese Zeitgebundenen können ihre Einkäufe nur mit erheblichen Problemen tätigen. Als dritte Gruppe bezeichnet das ifo-Institut die sogenannten Zeitpioniere (11%), die sich insbesondere durch den Wunsch nach mehr Freiheitsgraden bei ihrer Zeitverwendung aussprechen. Nur für diese beiden letzten Gruppen – das sind etwa 30% – soll daher das Ladenschlussgesetz geändert werden.

Für eine Gruppe der Einzelhändler findet das ifo-Institut den Begriff der Akteure. Diese Akteure werden wie folgt beschrieben: „Mehr als die Hälfte sind gegen jede Veränderung der geltenden Ladenschlusszeiten. 20% werden eine öffnungsaktive Geschäftspolitik betreiben und an bestimmten Tagen während der Woche länger öffnen. Darunter sind 11%, die Vorhaben, die Öffnungszeiten an allen Werktagen zu ändern.“ Aber das ifo-Institut baut auch hier schon eine Bremse ein und sagt, dass sich ein Erfolg nur dann einstellt, wenn sich an den Standorten viele Einzelhändler beteiligen und durch besondere Aktivitäten die Attraktivität dieser Standorte verbessern. Ob es den 20% der öffnungsaktiven Einzelhandelsgeschäfte allerdings gelingen wird, in ihren jeweiligen Standortlagen mit einem attraktiven Verbund an unterschiedlichen Warensortimenten und Dienstleistungsangeboten eine ausreichende Kundenfrequenz zu gewinnen, ist nach Aussage der Gutachter fraglich.

Beim Einzelhandelsumsatz geht das ifo-Institut von einem Plus von 2% bis 3% in einem Zeitraum von drei Jahren aus. Auch 50.000 bis 55.000 Personen könnten zusätzlich im Einzelhandel eingestellt werden. Beim Umsatz wäre das ein Plus von 1% pro Jahr. Ob sich dieser öffnungsbedingte Mehrumsatz ergibt, wird sich zeigen, da das Gutachten nicht enthält, wie hoch der Umsatzausfall bei den kleinen Fachgeschäften ist, von denen das ifo-Institut selbst sagt, dass sie die Verlierer sein werden.

Schwierigkeiten werden Betriebe, die am Abend öffnen wollen, mit ihren Beschäftigten haben. Nach Aussage der Gutachter wären 50% der Beschäftigten im Einzelhandel bereit, auch in den Abendstunden zu arbeiten. Sollte das Gesetz eine Abendöffnung an allen Tagen ermöglichen, ist davon auszugehen, dass die sich dann ergebende Öffnungszeit an allen Tagen von den Arbeitgebern des Einzelhandels als Normalarbeitszeit angesehen wird. Die Arbeitgeber werden nicht bereit sein, für diese Öffnungszeit am Abend Zuschläge zu zahlen. Ob dann immer noch die Hälfte der Mitarbeiter bereit wäre, nach 18.30 Uhr zu arbeiten, ist sicherlich auch fraglich. Auch im Gutachten wird unterstellt, dass nicht immer die geeigneten Mitarbeiter gefunden werden können. Hier wird davon ausgegangen, dass nur durch attraktive Angebote die Stammbelegschaften für die Abend- und Samstagsarbeit gewonnen werden können. Mit attraktiven Angeboten meint das ifo-Institut sicherlich Zuschläge. Gelingt die Gewinnung der Stammbelegschaft nicht, müsste der Einzelhandel auf externe Arbeitskräfte zurückgreifen, die, so das Gutachten, überwiegend als Teilzeitkräfte oder geringfügig Beschäftigte eingesetzt werden und in der Regel über eine geringere Qualifikation verfügen.

Auch das ifo-Institut sieht Verlierer. Das sind nämlich die kleineren und mittleren Fachgeschäfte in den Nebengeschäftslagen der Städte. Gewinner sind die Betriebe auf der „grünen Wiese“, Großbetriebe und Geschäfte in Spitzenlagen wie Fußgängerzonen und Einkaufszentren. In den Top-City-Lagen und auf der „grünen Wiese“ sind in der Regel fast ausschließlich Groß- und Filialbetriebe angesiedelt. Das Fachgeschäft ist dort die Ausnahme. Zwar gibt das Gutachten nicht die Zahl der benachteiligten Klein- und Mittelbetriebe an, es ist aber zu erwarten, dass dort – angesichts des heute schon harten Wettbewerbs – bereits geringe Umsatzausfälle zu Existenzgefährdungen führen können.

Nimmt man eine erste Wertung vor, dann drängt sich einem als Ergebnis auf, dass die Befürworter einer Beibehaltung des Ladenschlussgesetzes sich bestärkt fühlen müssen. Nur für eine Minderheit der Verbraucher und eine noch kleinere Minderheit an Einzelhändlern würde es sich lohnen, das Ladenschlussgesetz zu ändern – in der Tat eine politische Entscheidung. Zu dieser Einschätzung gelangt auch das ifo-Institut. Der Kurzbericht zum Gutachten stellt fest: „Generell kann die Aussage getroffen werden, dass sich die Mehrheit der Verbraucher zwar mit den bestehenden Öffnungszeiten arrangiert hat, so dass zur Zeit nicht von einem großen Druck der Mehrheit der Verbraucher gesprochen werden kann. Gleichwohl ist es eine politische Entscheidung, wie der gesetzliche Zeitrahmen zur Erledigung von Einkäufen gesetzt wird, d. h. ob lediglich absolute Mehrheiten oder auch Minderheiten, die ein Interesse an längeren Öffnungszeiten haben, Berücksichtigung finden sollen.“

 

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