Anfang Februar hat die Bundesregierung ihr Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze zusammen mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1996 vorgelegt. Dr. Günter Rexrodt erläutert die wesentlichen Ansatzpunkte des Aktionsprogramms, Ernst Schwanhold, Dr. Klaus Murmann und Dieter Schulte nehmen Stellung.
Ein richtungsweisender Ansatz für mehr Wachstum und Beschäftigung
In Deutschland fehlen gegenwärtig über 5 Mill. wettbewerbsfähige Arbeitsplätze: Im März waren rund 4,27 Mill. Menschen ohne Arbeit. Die heutige Dimension der Arbeitslosigkeit ist ein bedrückender Rekord und eine große Belastung für Wirtschaft und Gesellschaft. Wege zu ihrer Überwindung zu finden und neue Arbeitsplätze zu schaffen ist deshalb auch eine Herausforderung für alle: für die Politik, für die Unternehmen, für die Gewerkschaften, aber auch für die Bürger; denn Einschnitte in das soziale Netz, das Zurückschneiden von Auswüchsen werden unumgänglich sein. Die Gründe für die hohen Arbeitslosenzahlen sind vielfältig und sowohl konjunktureller wie struktureller Natur: Die Weltkonjunktur hat an Schwung verloren, im Inland hat sich die Baukonjunktur, noch im letzten Jahr ein Konjunkturmotor, erheblich abgeschwächt. Die kräftige realeAufwertung der D-Mark, vor allem aber auch die nicht situationsgerechten Tarifabschlüsse im vergangenen Jahr, haben maßgeblich dazu beigetragen, daß die wirtschaftliche Entwicklung im Laute des Jahres 1995 zunehmend verhaltender verlief und dies zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat. Der Anstieg der Produktionskosten in den vergangenen Jahren hat Wachstum und Beschäftigung gehemmt: Zum einen hat sich die Lohnpolitik weder in West- noch in Ostdeutschland an dem gesamtwirtschaftlich Notwendigen orientiert. Eine Ausnahme waren nur die Lohnabschlüsse im Jahr 1994. Zum anderen sind die Lohnzusatzkosten erheblich gestiegen. Die Unternehmen haben auf diesen Kostendruck verstärkt mit Rationalisierungsinvestitionen reagiert, die zur Freisetzung von Arbeitskräften geführt haben. Von erheblichem Einfluß auf die Arbeitsmarktentwicklung ist auch der Anstieg des Erwerbspersonenpotentials in Deutschland. Die Zahl der Arbeitslosen ging Ende der achtziger Jahre nur um rund eine halbe Million zurück, obwohl die Erwerbstätigenzahl um über 3 Mill. gewachsen ist. Falsch wäre es jedoch, den Anstieg der Arbeitslosigkeit als zwangsläufige Folge eines weiterwachsenden Erwerbspersonenangebots zu sehen. In der Forderung nach Eingrenzung des Zuzugs von Arbeitskräften sehe ich daher nur eine Scheinlösung. Denn hier wird übersehen, daß das eigentliche Problem nicht in der Erhöhung des Arbeitsangebotes liegt, sondern in der mangelnden Investitionsdynamik in unserer Wirtschaft und in relativ starren Löhnen und Arbeitszeiten, aber auch zum Teil in der mangelnden Qualifikation der Arbeitskräfte.
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig
Was die internationale Arbeitsteilung betrifft, so beobachten wir rasche und tiefgreifende Veränderungen: Neue und leistungsfähige Wettbewerber treten auf, die Mobilität von Kapital und technischem Wissen erhöht sich. Die Handelsliberalisierung schreitet voran. Dies führt dazu, daß Unternehmen immer leichter im Ausland investieren, ihre Produktion dorthin verlagern können, um „vor Ort“ präsent zu sein, aber auch um Standortvorteile für sich auszunutzen. Das bedeutet: Der Wettbewerb der Standorte um Investitionen und damit um Arbeitsplätze nimmt zu. Dies ist gerade für einen Hochlohnstandort wie z.B. Deutschland eine Herausforderung.
Wir sagen „ja“ zu Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland. Bedenklich ist jedoch die Tatsache, daß der Standort Deutschland für ausländische Investitionen nicht von großer Attraktivität ist.
Unsere Marschrichtung zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland und zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist:
- die Staatsquote von 51% auf 46% senken, dem· Wert vor der Wiedervereinigung,
- die zu hohe Steuer- und Abgabenlast zurückführen,
- die Beitragssätze zu den Sozialversicherungen bis zum Jahr 2000 von jetzt rund 41% auf unter 40% zurückführen,
- Funktionsstörungen und lnflexibilitäten am Arbeitsmarkt beseitigen,
- das Übermaß an Regulierungen zurückschneiden.
All dies zielt darauf hin, mehr unternehmerische Spielräume zu schaffen, die Innovationsbereitschaft zu fördern und das eigenverantwortliche Handeln zu stärken.
Verantwortung der Tarifpartner
Das 50-Punkte-Aktionsprogramm, das die Bundesregierung mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1996 vor gelegt hat, ist ein Maßnahmenpaket zur Umsetzung dieser Ziele. Die Probleme insbesondere am Arbeitsmarkt kann die Bundesregierung aber nicht alleine lösen. Ganz entscheidend wird es sein, wie die Tarifparteien ihrer Verantwortung gerecht werden.
Die Bundesregierung sieht in dem Aktionsprogramm den in ihrer Verantwortung liegenden Beitrag zum „Bündnis für Arbeit“, das sie gemeinsam mit Unternehmervertretern und Gewerkschaften am 23. Januar 1996 beim Kanzler vereinbart hat. Mit diesem Bündnis verbessern wir unsere Chancen, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Es zeigt, daß Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften gewillt sind, hierbei in die gleiche Richtung zu gehen. Dabei stellt es ganz klar auf die Verantwortungsbereiche der Beteiligten ab. So ist der auf gewerkschaftlicher Seite erkennbare Wille, grundlegende Positionen der Lohn-, Tarif- und Arbeitszeitpolitik zur Diskussion zu stellen, außerordentlich zu begrüßen. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, daß das Bündnis für Arbeit und Standortsicherung möglich wurde.
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung berücksichtigt die gesamtwirtschaftlichen zusammenhänge zwischen Finanz-, Steuer-, Wettbewerbs-, Sozial- und Lohnpolitik. Es ist zudem die konsequente Fortführung der 1982 eingeleiteten Politik der marktwirtschaftlichen Erneuerung. Mit dem Zukunftsicherungsbericht vom September 1993 wurde sie auf eine neue Grundlage gestellt, die den veränderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch die deutsche Einheit Rechnung trug. Der Erfolg dieser angebotsorientierten Politik zeigte sich in den achtziger Jahren: ein ausgeglichener Staatshaushalt, Rekordüberschüsse in den Sozialversicherungen, ein Tiefstand bei der Steuerquote und ein Plus von 3 Mill. neuen Arbeitsplätzen.
Unternehmerische Selbständigkeit
Wesentliche Ansatzpunkte in dem Aktionsprogramm sind:
Eine Offensive für unternehmerische Selbständigkeit und Innovationsfähigkeit: Zusätzliche Wachs tums- und Beschäftigungspoten tiale in notwendigem Umfang las sen sich nur erschließen, wenn die Rahmenbedingungen für diejenigen verbessert werden, die Existenzen gründen wollen, die Mut zu Innovation und Risiko haben. Die Bundesregierung wird nachhaltige Impulse dort setzen, wo nach aller Erfahrung große Potentiale für mehr wirtschaftliche Dynamik liegen, unter anderem über
- steuerliche Erleichterungen für Existenzgründer im Verarbeiten- den Gewerbe und in technologieorientierten, produktionsnahen Dienstleistungen,
- die Verbesserung des Zugangs von Existenzgründern sowie von kleinen und mittleren Unternehmen zum Risikokapitalmarkt;
- die Aufstockung des ERP-lnnovationsprogramms;
- die Möglichkeit der zinsgünstigen Finanzierzung des Umlaufvermögens, z.B. zur Vermeidung von Liquiditätsengpässen bei expandierenden Unternehmen.
Steuersystem und Finanzpolitik
Der Umbau des Steuersystems und die Schaffung neuer Spielräume durch eine solide, stabilitätsorientierte Finanzpolitik: Die Entlastung der Bürger und Unternehmen von Steuern ist seit 1982 einer der zentralen Eckpfeiler der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Hierfür stehen die dreistufige Einkommensteuerreform der Jahre 1986-1988-1990, das Steueränderungsgesetz 1992 und das Standortsicherungsgesetz aus dem Jahr 1993. Über die Einführung z.B. des Solidaritätszuschlags und die Anhebung der Mineralölsteuer erfolgten seit 1990 auch deutliche Steuererhöhungen. Dies kann aber nicht als Vorwurf gegen die Bundesregierung gewendet
werden, sie betreibe eine in sich widersprüchliche Politik, da die Steuererhöhungen in engem Zusammenhang mit den aus der deutschen Einheit resultierenden finanziellen Belastungen stehen. Das Aktionsprogramm zeigt gerade die Entschlossenheit der Bundesregierung, auch in schwierigen Zeiten substantielle Verbesserungen des Steuersystems durchzusetzen.
Die dritte Stufe der Unternehmenssteuerreform bringt - wenngleich aufkommensneutral - mit der Abschaffung von Gewerbekapital- und Vermögensteuer die Beseitigung zweier Substanzsteuern, die in Verlustphasen das Insolvenzrisiko von Unternehmen erhöhen und zu Nachteilen im internationalen Standortwettbewerb führen. Sie bedeutet zugleich eine sichtbare Vereinfachung des Steuersystems. In Verbindung mit der gleichzeitig vorgesehenen mit telstandsfreundlichen Absenkung der Gewerbeertragsteuer wird dies zu nicht zu unterschätzenden positiven Signalen für Unternehmer führen.
Darüber hinaus ist der Einstieg in den Abbau des Solidaritätszuschlages einer der richtungsweisenden Eckpunkte des Aktionsprogramms: Er bedeutet nicht nur eine Nettoentlastung für alle Bürger, er verstärkt zugleich auch den Druck auf das Finanzgebaren von Bund, Ländern und Gemeinden. Gerade an der Diskussion um den Solidaritätszuschlag wird deutlich, wie sehr sich eine leistungsfreundliche Steuerpolitik, die Verringerung des Staatseinflusses und die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen wechselseitig bedingen. Das ehrgeizige Ziel, die Staatsquote bis zum Jahr 2000 wieder auf das Niveau vor der Einheit zurückzuführen, läßt sich nur bei fortgesetzter, durchgängiger Ausgabendisziplin auf allen staatlichen Ebenen erreichen. Nur so können wir aber auch zugleich die Spielräume für die Senkung der Steuerlast gewinnen, z.B. in Form einer weiteren Rückführung des Solidaritätszuschlags oder über die für die Zeit nach 1998 vebindlich angekündigte Tarifreform 2000.
Lohnzusatzkosten
Die Eindämmung und Rückführung der Lohnzusatzkosten: Die 1996 auf rund 41% steigenden Beitragssätze in den sozialen Sicherungssystemen müssen wir möglichst rasch wieder zurückführen. Die bisher weitgehend ungebremste Entwicklung hat dazu beigetragen, daß Arbeit am Standort Deutschland zu teuer geworden ist. Deshalb hat sich die Bundesregierung das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Summe der Beitragssätze zur Sozialversicherung bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40% zu senken. Erreichen müssen wir dieses Ziel über Einsparungen in den Sozialversicherungen. Mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform und der Vereinbarung zur Frühverrentung haben wir wichtige Schritte eingeleitet. Weitere werden auf der Grundlage des Aktionsprogramms folgen: so z.B. die Reform der Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten, die Verringerung des Aufwands für Kuren, die Neuregelung der Ansprüche auf Arbeitslosengeld sowie die Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes.
Marktwirtschaftliche Anpassungsfähigkeit
Die Stärkung der marktwirtschaftlichen Anpassungsfähigkeit: Die Sicherung des Wettbewerbs auf offenen Märkten, die konsequente Deregulierung und Privatisierung sowie eine zukunftsgerichtete Strukturpolitik sind wesentliche Voraussetzungen für Unternehmensinvestitionen, Produkt- und Prozeßinnovationen. Wichtige Bestandteile des Aktionsprogramms in diesem Zusammenhang sind daher:
- die Verabschiedung des Telekommunikationsgesetzes, das den Markt für Telekommunikationsleistungen weit öffnet und gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit bietet, mit neuen Produkten und Dienstleistungen in einen zukunftsträchtigen Markt einzusteigen,
- die Schaffung von Freiräumen für Wettbewerb im Bereich der Informationsdienstleistungen durch Überprüfung der Regelungen im Wettbewerbsrecht, im Datenschutz, im Arbeitsrecht, im Urheberrecht und verwandten Schutzrechten,
- die Fortsetzung der Privatisierung von Bundesbeteiligungen (z.B. Deutsche Lufthansa AG, Deutsche Postbank AG, DSL Bank),
- die Beschleunigung und Vereinfachung von Planungs- und Genehmigungsverfahren durch Novellierungen der Verwaltungsverfahrensordnung, der Verwaltungsgerichtsordnung und des Bundesimmissionsschutzgesetzes,
- die Förderung des Strukturwandels in der Landwirtschaft über die Erleichterung der Schaffung alternativer Arbeitsplätze unter anderem durch die Vereinfachung rechtlicher Anforderungen im Gewerbe-, Bau- und Heimrecht,
- die Degression der Verstromungshilfen im Steinkohlebereich.
Weitere wesentliche Bestandteile des Aktionsprogramms sind die Erschließung neuer Beschäftigungschancen durch die Verbesserung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen und die Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes, die Stärkung der beruflichen Bildung, die Förderung von Bau- und Umweltinvestitionen sowie die durchgreifende Modernisierung von öffentlichem Dienst und öffentlicher Verwaltung.
Jetzt geht es darum, die Maßnahmen in die parlamentarischen Beratungen zu bringen und sie zügig umzusetzen. Allerdings ist es eine Illusion zu glauben, die Bundesregierung allein könne gewisser maßen Arbeitsplätze und Wachstum „produzieren“. Deutschland wird seine wirtschaftlichen Herausforderungen nur dann erfolgreich bewältigen können, wenn alle Beteiligten ihre Zusagen im Bündnis für Arbeit erfüllen und ihre Verantwortung übernehmen.
Die Öffentliche Hand muß jetzt ihren Beitrag leisten
Die Bundesrepublik Deutschland ist im Jahre 1996 an einem Wendepunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung angekommen. Obwohl die Weltwirtschaft beträchtlich wächst, ist der kaum begonnene Aufschwung von 1994 im Verlaufe des Jahres 1995 in sich zusammengesunken. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen hat Anfang 1996 die 4-Millionen-Marke überschritten. Kaum veröffentlicht, werden die Prognosezahlen des Jahreswirtschaftsberichtes inzwischen von der Mehrzahl der Institute, von den Banken und nicht zuletzt von der DIHT-Umfrage in Zweifel gezogen und nach unten revidiert. Selbst die Regierung spricht für 1996 von Null-Wachstum. Die weitere Entwicklung ist mit so großen Unsicherheiten behaftet, daß nicht mehr ausgeschlossen werden kann, daß aus der Wachstumswelle eine Rezession in Deutschland wird, die auch die Nachbarländer mit in den Strudel zieht. Selbst wenn wir nur an einer Rezession entlangschrammen, verstärken sich die strukturellen Probleme, insbesondere die Massenarbeitslosigkeit und die Finanzkrise der Gebietskörperschaften. Zu bedenken ist auch, daß bei anhaltend schwacher Investitionsneigung das Produktionspotential weiter sinken wird. Damit erhöht sich nochmals die Vorbelastung für die kommenden Jahre, insbesondere die Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit und dementsprechend die Einnahmeverluste für die Systeme sozialer Sicherung und die Gebietskörperschaften.
Politische Motive dominieren
Es ist inzwischen Mehrheitsmeinung, daß sich die Wirtschaftsprobleme auf einen Punkt zugespitzt haben, bei dem rein quantitatives Gegensteuern wie z.B. durch Steuererhöhungen zum Ausgleich der Haushalte und durch Beitragserhöhungen für die Sozialsysteme die notwendigen Strukturreformen vielleicht noch einmal um ein Jahr vertagen. Dies hätte allerdings die Konsequenz, später um so stärkere Belastungen hinzunehmen. Je länger Reformen verzögert werden, desto stärker geraten Wirtschaft und Arbeitsmarkt in den Treibsand ungelöster Strukturprobleme.
Diese ökonomische Lagebeurteilung ist aber nicht das eigentliche Motiv für den Beschäftigungspakt beziehungsweise das Aktionsprogramm der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht. Maßgeblich ist vielmehr der Vertrauensverlust in der Bevölkerung in die Problemlösungskompetenz der Regierung. Nur noch 10 % der Bevölkerung glauben, daß sich die Regierung um das Arbeitslosenproblem kümmert. 66 % sind über die Massenarbeitslosigkeit beunruhigt, für 85 % ist sie das wichtigste Thema. Dies ist der Hintergrund, der die Regierung zum Einschwenken auf das IG-Metall-Angebot des Beschäftigungspaktes gezwungen hat: Popularitätsverlust und drohender Verlust der Regierungsfähigkeit angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen. Zu zweifeln ist immer noch an der Einsicht in den Ernst der Lage. Diese Frage läßt sich nur klären, wenn das Aktionsprogramm der Bundesregierung auf seine konjunkturpolitische Wirksamkeit und seine Struktur- und wachstumspolitische Relevanz untersucht und beurteilt wird.
Konjunkturpolitische Unwirksamkeit
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung enthält eine Fülle von reinen Ankündigungen ohne Quantifizierung und zeitlichen Bezug. Von den 50 Einzelmaßnahmen des Aktionsprogramms sind dreizehn reine Ankündigungen, wo es heißt, die Bundesregierung beabsichtigt, prüft, wird sich dafür einsetzen usw. 21 Maßnahmen sind bestenfalls mittelfristig, also nach 1997 beschäftigungswirksam, u.a. weil erst noch die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Die Mehrzahl dieser Maßnahmen sind außerdem nicht ohne die Mitwirkung von Ländern oder Gemeinden umzusetzen. Drei der angekündigten Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Dienstes haben bestenfalls sehr langfristig einen positiven Beschäftigungseffekt, kurzfristig verschärfen sie eher das Beschäftigungsproblem. Es bleiben also wenige Maßnahmen, die kurzfristig umgesetzt werden können, darunter vor allem die KfW-Förderprogramme und die Ausbildungsförderung.
Angesichts der auch von der Bundesregierung eingestandenen Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft sind die konkreten Maßnahmen der Investitionsförderung sehr bescheiden:
- 2 Mrd. DM zusätzlich beim KfW-Kreditprogramm für kommunale Investitionen;
- 2 Mrd. DM zusätzlich beim KfW-Programm zur CO2-Reduktion bei Wohngebäuden;
- eine nicht genannte Summe bei der Hochschulbauförderung und im Verkehrsbereich.
Alles andere sind Maßnahmen der Deregulierung des Arbeitsmarktes, der Privatisierung, der Ausgabenbeschränkung und - vielleicht - später der Steuersenkung und Kostenentlastung.
Angesichts der konjunkturellen Wende schon Mitte 1995 ergibt sich ein teures konjunkturpolitisches Urteil über das Aktionsprogramm der Bundesregierung: Es ist konjunkturpolitisch unwirksam. Das heißt mit anderen Worten, daß die Regierung auf einen Aufschwung ohne staatliches Zutun ab Mitte, spätestens Ende 1996 setzt. Sie ist damit de facto von ihrer bisherigen Politik des Nichtstuns keineswegs abgewichen. Das Arbeitsmarktproblem liegt damit nach wie vor bei den Tarifvertragsparteien. Hier zeigt sich allerdings, daß der Pakt für Beschäftigung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern nicht vorankommt. In der Frage der Arbeitszeitflexibilisierung, der Arbeitszeitkonten, des Abbaus von Überstunden haben sich die Verhandlungen festgefahren. Es vergeht ein Monat nach dem anderen, ohne daß etwas geschieht, weder von Seiten der Regierung noch von Seiten der Tarifvertragsparteien.
Dies ist angesichts der Unwägbarkeiten der konjunkturellen Entwicklung und der möglichen Rückwirkungen des Wirtschaftsabschwungs Deutschlands auf die europäischen Nachbarländer eine riskante Strategie. Es ist zu befürchten, daß damit der Grundgedanke des Beschäftigungspaktes, nämlich der Versuch, die Wirtschaftsprobleme im Konsens anzupacken und zu lösen, ad absurdum geführt wird. Insbesondere die Gewerkschaften geraten zunehmend in eine schwierige Lage. Wenn Ende des Jahres die Arbeitslosenzahlen höher sind als Anfang des Jahres und eine Wende zum Besseren nicht in Sicht ist, werden die Gewerkschaften erhebliche Begründungsprobleme gegenüber ihren Mitgliedern bekommen, weiterhin bei dem Angebot „Lohn gegen Beschäftigung“ zu bleiben. Die Gewerkschaften genießen zur Zeit ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung, die Arbeitsmarktprobleme zu lösen, es ist wesentlich höher als das Vertrauen in die Bundesregierung. Niemand kann zur Zeit sagen, wie die Reaktionen in der Bevölkerung sein werden, wenn die Gewerkschaften in ihrem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit von der Bundesregierung düpiert werden.
Struktur- und wachstumspolitische Fragwürdigkeiten
Die Regierung ist weder im Aktionsprogramm, geschweige denn im 50-Punkte-Programm von ihrer Linie einer angebotsorientierten Politik abgerückt. Sie setzt auf Kostensenkung als Allheilmittel zur Steigerung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Die ersten Maßnahmen, die nach der ersten Sitzung des Beschäftigungspaktes konkret ergriffen worden sind, zeigen dies ganz deutlich. Die Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, die Neuregelung der Frühverrentung und die Pläne des Arbeitsministers, neue Zumutbarkeitsregeln für angebotene Arbeitsplätze für Arbeitslose praktisch ins Ermessen der Arbeitsverwaltungen zu stellen, sind eher Anzeichen für eine Politik des sozialen Abbaus. Der Bundeskanzler erklärt zwar öffentlich, mit ihm sei Thatcherismus nicht zu machen, bisher passiert aber genau das.
Die Bundesregierung kündigt zwar an, daß sie in einem Paket von Unternehmenssteuerreform, allgemeiner Steuerreform, Steuerentlastung, Innovationsförderung, Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen auch die Wachstumskräfte und die Wettbewerbsfähigkeit steigern will, es fehlen hier allerdings bisher konkrete Aussagen, wie und wann dies alles passieren soll. Angesichts der inzwischen vom Bundesfinanzministerium auch offen eingestandenen Haushaltslücke von 150 Mrd. DM in 1997 stellt sich zudem die Frage, ob die Bundesregierung überhaupt noch handlungsfähig ist. Eine einseitige Politik tiefer Einschnitte ins soziale Netz ohne gleichzeitige Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit würde aber die Basis des Beschäftigungspaktes zerstören, und zwar die Halbierung der Massenarbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000. Die Frage eines Abbaus der zu hohen Steuer- und Abgabenlast ist reine Rhetorik, wenn gar keine Möglichkeit besteht, dies kurzfristig zu ändern. Eine langfristige Strategie des graduellen Umsteuerns von eingetretenen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen ist aber im Aktionsprogramm nicht zu erkennen.
Eine wesentliche Achillesferse des Aktionsprogramms ist die fehlende Beteiligung der Bundesbank am Beschäftigungspakt. Das gesamte Aktionsprogramm hat eine offene Zins- und Wechselkursflanke. Wenn es zu weiteren Abwertungen in der Europäischen Union kommt, was nach den Wahlen in Spanien und Italien durchaus möglich ist, wird der Druck auf die deutsche Wirtschaft nochmals wesentlich verstärkt werden. Nach der letzten Abwertung der Peseta entschied sich z.B. Ford für den Bau einer Automobilfabrik in Spanien anstatt in Deutschland. Vor der Abwertung war der Standort Deutschland noch kostengünstiger als der Standort Spanien. Das zeigt, daß abwertungsbedingte Standortvorteile heute von der Industrie als dauerhaft angesehen werden. Das sind die neuen Wahrheiten Europas. Die Lösung der Wechselkursfrage, die Stabilisierung der Wechselkurse in Europa und der Abbau der Überbewertung der D-Mark erscheinen aber im Aktionsprogramm überhaupt nicht. Dabei ist es kein Geheimnis mehr, daß gegen die Aufwertungen der DMark weder Lohn- noch Steuersenkungen ein wirksam es Gegenmittel darstellen.
Der Beschäftigungspakt muß gehärtet werden
Der Bundeskanzler verdient Unterstützung bei seinem Versuch, zur Lösung der Wirtschaftskrise den Konsens zu finden. Nicht zu übersehen ist, daß es starke Kräfte in Deutschland gibt, die diesen Konsens nicht wollen bzw. das Pokerspiel um den Konsens so ausgehen lassen wollen, daß er unwirksam wird. Dies ist die entscheidende politische Frage des Jahres 1996. Wir stehen wirtschaftlich an einem Wendepunkt der Entwicklung in Deutschland. Ein Mißlingen des Beschäftigungspaktes wird nach menschlichem Ermessen den wirtschaftlichen Erosionsprozeß in Deutschland verstärken und damit eine Entwicklung ohne Umkehrmöglichkeit einleiten. Wohin diese Entwicklung gehen wird, ist am Beispiel Englands deutlich abzulesen. Wirtschaftliche Schwäche und soziale Destabilisierung in der Mitte Europas werden dann schon 1997 und 1998 wahrscheinlich gravierende Rückwirkungen auf die allgemeine wirtschaftliche und politische Entwicklung in Europa haben. Der Beschäftigungspakt muß also gehärtet werden. Dazu muß der Bundeskanzler aber alle Beteiligten an einen Tisch holen, auch die Länder und die Bundesbank. Dazu bedarf es aber auch eines Umdenkens in der Wirtschaftspolitik. Nur durch einen problementsprechenden Mix von angebots- und nachfrageseitigen Maßnahmen ist kurzfristig eine Entlastung des Arbeitsmarktes zu erreichen. Nur durch einen neuen innovativen Aufbruch ist eine nachhaltige Sicherung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu erwarten. Die Lohnnebenkosten müssen so schnell wie möglich gesenkt und die versicherungsfremden Leistungen durch Steuern auf den Umweltverbrauch finanziert werden. Investitionswillige Unternehmen sollten steuerlich entlastet werden. Eine geregelte Arbeitszeitflexibilisierung kann nicht nur die Produktivität verbessern, sie kann auch Fehlzeiten vermindern und Beschäftigungsanpassungen erleichtern.
Vor allem aber muß jetzt die Öffentliche Hand ihren Beitrag leisten, um in Deutschland wieder ein innovationsfreundliches Klima herzustellen. Für die Zukunft der deutschen Wirtschaft in einer arbeitsteiligen Wirtschaftsstruktur in Europa sind dabei die Dinosauriertechnologien zweitrangig. Primär entwicklungsbedürftig sind jene wissensbasierten Technologien und Techniken, wie z.B. die Anwendung der Mikroelektronik, der Informationstechniken, der Biotechnologie, der Nutzung nachwachsender Rohstoffe, der Umwelttechnik und der Technologien zur Energieeinsparung. Hier liegen noch Ansätze, neben der notwendigen neuen Integration in einem sich globalisierenden Weltmarkt die binnenwirtschaftlich orientierte Produktion auf neue Beine zu stellen und neue Arbeitsplätze gerade auch für weniger Qualifizierte zu schaffen.
Weitere Reformschritte müssen folgen
Kein schlüssiges Konzept zur Stärkung des Standortes Deutschland
Das Aktionsprogramm der Bundesregierung für Investitionen und Arbeitsplätze, wenige Tage nach dem gemeinsamen Kommunique mit Gewerkschaften und Arbeitgebern vorgestellt, koppelt neoliberale Ideologien mit halbwegs vernünftigen Initiativen für mehr Innovationen - ohne dass für mich ein schlüssiges Konzept zur Stärkung des Standortes zu erkennen ist. Hier wird überdeutlich, dass Arbeitgeberverbände und FDP ihre Klage- und Forderungen diktieren konnten. Der Abbau des Solidaritätszuschlages ist nichts weiter als Wahlkampfhilfe für die FDP und verringert die einigungsbedingte Steuerbelastung aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Zugleich wälzt er aber die weiteren Einigungskosten auf eine kleine Gruppe von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern ab. Er ist unverantwortlich und wird nicht ohne schwerwiegende Folgen für Infrastruktur, Lebensqualität und Beschäftigungsaufbau in Ostdeutschland bleiben.
Dies ist bedauerlich, weil die Erklärung vom 23. Januar 1996 von Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften eine breitere gemeinsame Basis formulierte. Die Bundesregierung bezieht sich zwar teilweise auf das Kommunique und hält sich weitgehend an die Verabredungen. Gleichzeitig geht sie aber auch darüber hinaus, indem sie ihre Auffassung, wie diese umgesetzt werden sollen, deutlich macht. Dies ist teilweise kontraproduktiv.
Die „Staatsquote“ (Ziffer 81) (Staatsausgaben in % des Bruttosozialprodukts (BSP)) ist beispielsweise kein Selbstzweck. Wer über ihre Höhe diskutiert, muss inhaltlich, d.h. über Ziele und Effizienz staatlicher Ausgaben sprechen. Der DGB erkennt Konsolidierungsbedarf nicht zuletzt wegen der hohen Zinsausgaben von rund 26% der Steuereinnahmen durchaus an, lehnt aber einen Sozialabbau zum Zwecke einer bloßen Senkung der Staatsquote ab. Im Übrigen kann sich die Staatsquote alleine aus buchungstechnischen Gründen ändern. Durch die Umbuchung des Familienlastenausgleichs auf die Steuerverrechnung sank die Staatsquote um mehr als 0,5% - trotz einer um fast 7 Mrd. DM höheren Staatsleistung. Das Maastricht-Defizit-Kriterium von 3,0% des BSP erlaubt durchaus konjunkturpolitisch gebotene kurzfristige und überschaubare Überschreitungen.
Die Einführung von mehrfach befristeten Arbeitsverträgen innerhalb von 24 Monaten widerspricht dem Ergebnis der Kanzlerrunde. Dort war von zunächst befristeten Verträgen die Rede, die dann in unbefristete Verträge umgewandelt werden sollen. Mit einer Mehrfachbefristung würde dem „Heuern und Feuern“ der Weg geebnet. Mit der Heraufsetzung der Schwellenwerte für den Kündigungsschutz entspricht die Bundesregierung lediglich alten Forderungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die damit den Kündigungsschutz für Betriebe mit bis zu zehn Arbeitnehmern aufheben will. Beides aber ist nicht beschäftigungsfördernd.
Fehlfinanzierung gesellschaftlicher Aufgaben
Bei der Sozialpolitik (15-17, 19) hat die Bundesregierung sich an ihre Zusage gehalten, den Dialog mit den Sozialpartnern zu führen. Die Gewerkschaften hatten jedoch schon in der Kanzlerrunde am 23. Januar deutlich gemacht, dass ihr Weg, um die Sozialabgabenquote zu reduzieren, die Umfinanzierung allgemeiner Aufgaben, die bisher aus Sozialversicherungsbeiträgen gezahlt werden, durch Steuermittel ist. Fehlfinanzierungen von allgemeinen gesellschaftlichen Aufgaben über spezielle Beitragsbelastungen müssen korrigiert werden, um vor allem die Arbeitnehmereinkommen von Sozialabgaben zu entlasten. Es kann aber nicht darum gehen, die Lohnstückkosten unter dem Gesichtspunkt einer Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen. Die international günstige deutsche Position diesbezüglich wird durch DM-Aufwertungen überkompensiert, wodurch auch alle Versuche, erneute Vorteile zu erzielen, zunichte gemacht würden.
Der Teil des Aktionsprogramms, in dem die Modernisierung des Öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Verwaltung im Vordergrund stehen (45-50), zeichnet sich leider auffällig dadurch aus, dass weder die Beteiligung der Beschäftigten erwähnt noch das Thema Personalentwicklung aufgegriffen wird. Die Bundesregierung lässt für ihren eigenen Bereich die Arbeitszeitsouveränität der Beschäftigten völlig außen vor, obwohl im gemeinsamen Kommunique vom 23. Januar 1996 die „Arbeitszeitsouveränität“ ausdrücklich genannt ist. Überwiegend werden hier altbekannte Stichworte wiederholt, die zum sogenannten dienstrechtlichen Reformgesetz geführt und dort ihren Niederschlag gefunden haben. Neu sind die Vorschläge zum Laufbahnrecht, die insgesamt in die richtige Richtung zeigen. Sie gehen jedoch nicht weit genug. Aber auch der Zugang zum höheren Dienst darf nicht nur für besonders qualifizierte Fachhochschulabsolventen erleichtert werden. In beiden Ziffern wird überwiegend das Konzept „Personalverknappung“ vertreten. Es wird jedoch auch die gewerkschaftliche Debatte um Abflachung von Hierarchien und Schaffung effizienterer Organisationsformen aufgegriffen. Bedauerlich ist, dass gerade in diesem Zusammenhang keine Perspektiven für Personalentwicklung, Aus-, Fort- und Weiterbildung des Personals und Schaffung einer entsprechenden „Verwaltungskultur“ aufgezeigt werden.
Im Bereich Ausbildung und berufliche Qualifizierung (37-39) werden richtige Impulse aufgezeigt und eingefordert: etwa die Zusage der Wirtschaft, die Zahl der Ausbildungsstellen bis 1997 um 10% zu erhöhen - in den neuen Ländern überproportional; etwa die 5%ige Erhöhung der Ausbildungsplätze im Zuständigkeitsbereich des Bundes; etwa zusätzliche Ausbildungsplätze in den Betrieben zu schaffen und Investitionen in überbetriebliche Ausbildungsstätten künftig mit ERP-Mitteln zu fördern. Dies stärkt die von uns geforderte weitere Anbindung der Ausbildung an die Betriebe. Dem Aktionsprogramm fehlt aber - genauso wie übrigens auch dem Kommunique vom 23. Januar 1996 - eine Antwort darauf, wie das duale System zukünftig finanziert werden soll. Den einzigen Hinweis hierzu enthält der Perspektivbericht von Bundesminister Rüttgers, wonach „die Sozialpartner darüber umgehend in eine Diskussion eintreten werden“.
Die Kapitel des Aktionsprogramms (1-5) mit den Maßnahmen für unternehmerische Selbständigkeit und Innovationsfähigkeit enthalten deutliche Übereinstimmungen zum Kommunique vom 23. Januar 1996. Der bessere Zugang zu Risikokapital bei innovativen Vorhaben ist für Forschung und Entwicklung und Qualitäts- und Umweltmanagement erforderlich. Die allgemeine Eigenkapitalförderung schwerpunktmäßig nur in den neuen Bundesländern ist dringlich. Entscheidend bleibt jedoch, dass die Eigenkapitalbasis durch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit (neue Produkte, Qualifizierung, Marktzugang) gestärkt werden muss. Eine generelle steuerliche Entlastung von Existenzgründern scheint mir nicht erforderlich; wenn überhaupt, kann es nur um aufkommensneutrale Veränderungen gehen. Wichtiger ist: Innovation und Beschäftigung in zukunftsträchtigen Feldern müssen zielgerichtet und zweckgebunden gefördert werden. Das gilt beispielsweise in der Umwelt-, Verkehrs- und Energietechnik sowie in Beratungs- und Kommunikationsdienstleistungen. Dazu müssen Forschung und Entwicklung gestärkt und insbesondere Unternehmensgründer und Beschäftigte besser qualifiziert und beraten werden.
Der DGB unterstützt die vorgeschlagenen Maßnahmen (6, 7, 25, 33, 43, 44) zur Verbesserung des Technologietransfers, in der Biotechnologie und in der Verkehrstechnik. Auch die Vorschläge, wie alternative Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu schaffen sind und wie der Bericht des Technologierates (unter Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern) umgesetzt werden soll, sowie die KfW-Programme für kommunale Investitionen sind sinnvoll.
Trotz dieser im Einzelnen sinnvollen Maßnahmen: Das Aktionsprogramm ist ein Sammelsurium paralleler Einzelmaßnahmen, die nicht zusammengeführt werden. Es fehlen die übergreifenden und weiterreichenden Aussagen zur Forschungs- und Technologiepolitik im Zusammenhang mit neuen Beschäftigungsfeldern und einer gezielten Innovationspolitik. Es fehlt insgesamt ein zielgerichteter Kurs für Innovation und Beschäftigung. Auch ein Ansatz, wie Forschungspolitik angewendet und umgesetzt werden kann, ist noch nicht zu erkennen. Darüber hinaus fehlt die Förderung regionalisierter, unternehmens- und problemnaher Umsetzungshilfen im Bereich von kommunaler Wirtschaftsförderung, Kreditinstituten oder Consulting.
Unselige Standortdebatte
Wenn in den kommenden Wochen und Monaten wirklich ein Ruck durch diese Gesellschaft gehen soll, um wieder Perspektiven für mehr Beschäftigung zu schaffen, müssen gemeinsame Verabredungen eingehalten werden. Die Arbeitgeber scheinen bereits vergessen zu haben, dass das gemeinsame Kommunique auch ihre Unterschrift trägt und welche Aussagen sie mitunterzeichnet haben. So blasen sie jetzt zum Angriff auf den Flächentarifvertrag, fordern Einschränkungen bei der Lohnfortzahlung und Steuergeschenke für die Unternehmen. Das ist keine Basis, um endlich die vielen kleinen Schritte in die Praxis umzusetzen, die für die Stärkung des Standortes und für mehr und besser gesicherte Beschäftigung notwendig sind. Alle Beteiligten müssen mehr Ideenreichtum und Kreativität entwickeln, um das gesteckte Ziel erreichen zu können, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Denn der notwendige Ruck wird nicht durch das Festhalten am andauernden Lamento über die unselige Standortdebatte ausgelöst.
Als einen ersten Beitrag, wie diese Umsetzung geschehen kann, will ich den jetzt in der gesetzlichen Beratung befindlichen Vorschlag für eine Ablösung der alten Frühverrentung nennen: Insbesondere die Altersteilzeit bringt für Beschäftigte und Unternehmen neue Perspektiven. Hier liegt die Chance für einen generationenübergreifenden Solidarpakt, der älteren Beschäftigten ein langsames Hinausgleiten aus dem Arbeitsleben ermöglicht, während jüngere Menschen die Chance auf einen Arbeitsplatz bekommen. Die vorgesehene Regelung wird aber nur erfolgreich sein können, wenn die Arbeitgeber bereit sind, sie durch eine flexible Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen, die den Interessen der Beschäftigten und der Unternehmen entgegenkommt.
- 1Die folgenden Ziffern-Angaben beziehen sich auf die Jeweiligen Kapitel des Aktionsprogrammes.