Ein Service der

Artikel als PDF herunterladen

Anfang Februar hat die Bundesregierung ihr Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze zusammen mit dem Jahreswirtschafts­bericht 1996 vorgelegt. Dr. Günter Rexrodt erläutert die wesentlichen Ansatzpunkte des Aktionsprogramms, Ernst Schwanhold, Dr. Klaus Murmann und Dieter Schulte nehmen Stellung.

Ein richtungsweisender Ansatz für mehr Wachstum und Beschäftigung

In Deutschland fehlen gegenwär­tig über 5 Mill. wettbewerbsfähi­ge Arbeitsplätze: Im März waren rund 4,27 Mill. Menschen ohne Ar­beit. Die heutige Dimension der Arbeitslosigkeit ist ein bedrücken­der Rekord und eine große Bela­stung für Wirtschaft und Gesell­schaft. Wege zu ihrer Überwin­dung zu finden und neue Arbeits­plätze zu schaffen ist deshalb auch eine Herausforderung für alle: für die Politik, für die Unterneh­men, für die Gewerkschaften, aber auch für die Bürger; denn Ein­schnitte in das soziale Netz, das Zurückschneiden von Auswüch­sen werden unumgänglich sein. Die Gründe für die hohen Arbeits­losenzahlen sind vielfältig und so­wohl konjunktureller wie strukturel­ler Natur: Die Weltkonjunktur hat an Schwung verloren, im Inland hat sich die Baukonjunktur, noch im letzten Jahr ein Konjunkturmo­tor, erheblich abgeschwächt. Die kräftige realeAufwertung der D-Mark, vor allem aber auch die nicht si­tuationsgerechten Tarifabschlüsse im vergangenen Jahr, haben maß­geblich dazu beigetragen, daß die wirtschaftliche Entwicklung im Laute des Jahres 1995 zuneh­mend verhaltender verlief und dies zu einem Anstieg der Arbeitslosig­keit geführt hat. Der Anstieg der Produktionskosten in den vergan­genen Jahren hat Wachstum und Beschäftigung gehemmt: Zum ei­nen hat sich die Lohnpolitik weder in West- noch in Ostdeutschland an dem gesamtwirtschaftlich Not­wendigen orientiert. Eine Ausnah­me waren nur die Lohnabschlüsse im Jahr 1994. Zum anderen sind die Lohnzusatzkosten erheblich gestiegen. Die Unternehmen ha­ben auf diesen Kostendruck ver­stärkt mit Rationalisierungsinvesti­tionen reagiert, die zur Freisetzung von Arbeitskräften geführt haben. Von erheblichem Einfluß auf die Arbeitsmarktentwicklung ist auch der Anstieg des Erwerbspersonen­potentials in Deutschland. Die Zahl der Arbeitslosen ging Ende der achtziger Jahre nur um rund eine halbe Million zurück, obwohl die Erwerbstätigenzahl um über 3 Mill. gewachsen ist. Falsch wäre es je­doch, den Anstieg der Arbeitslo­sigkeit als zwangsläufige Folge ei­nes weiterwachsenden Erwerbs­personenangebots zu sehen. In der Forderung nach Eingrenzung des Zuzugs von Arbeitskräften sehe ich daher nur eine Schein­lösung. Denn hier wird übersehen, daß das eigentliche Problem nicht in der Erhöhung des Arbeitsange­botes liegt, sondern in der man­gelnden Investitionsdynamik in un­serer Wirtschaft und in relativ star­ren Löhnen und Arbeitszeiten, aber auch zum Teil in der mangeln­den Qualifikation der Arbeitskräfte.

Stärkung der Wettbewerbs­fähigkeit notwendig

Was die internationale Arbeits­teilung betrifft, so beobachten wir rasche und tiefgreifende Verände­rungen: Neue und leistungsfähige Wettbewerber treten auf, die Mobi­lität von Kapital und technischem Wissen erhöht sich. Die Handelsli­beralisierung schreitet voran. Dies führt dazu, daß Unternehmen im­mer leichter im Ausland investie­ren, ihre Produktion dorthin verla­gern können, um „vor Ort“ präsent zu sein, aber auch um Standort­vorteile für sich auszunutzen. Das bedeutet: Der Wettbewerb der Standorte um Investitionen und damit um Arbeitsplätze nimmt zu. Dies ist gerade für einen Hoch­lohnstandort wie z.B. Deutschland eine Herausforderung.

Wir sagen „ja“ zu Direktinvesti­tionen deutscher Unternehmen im Ausland. Bedenklich ist jedoch die Tatsache, daß der Standort Deutschland für ausländische In­vestitionen nicht von großer At­traktivität ist.

Unsere Marschrichtung zur Stär­kung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland und zur Verbesserung der Rahmenbe­dingungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze ist:

  • die Staatsquote von 51% auf 46% senken, dem· Wert vor der Wiedervereinigung,
  • die zu hohe Steuer- und Abga­benlast zurückführen,
  • die Beitragssätze zu den Sozial­versicherungen bis zum Jahr 2000 von jetzt rund 41% auf unter 40% zurückführen,
  • Funktionsstörungen und lnflexi­bilitäten am Arbeitsmarkt beseiti­gen,
  • das Übermaß an Regulierungen zurückschneiden.

All dies zielt darauf hin, mehr unternehmerische Spielräume zu schaffen, die Innovationsbereit­schaft zu fördern und das eigen­verantwortliche Handeln zu stär­ken.

Verantwortung der Tarifpartner

Das 50-Punkte-Aktionsprogramm, das die Bundesregierung mit dem Jahreswirtschaftsbericht 1996 vor­ gelegt hat, ist ein Maßnahmenpa­ket zur Umsetzung dieser Ziele. Die Probleme insbesondere am Ar­beitsmarkt kann die Bundesregie­rung aber nicht alleine lösen. Ganz entscheidend wird es sein, wie die Tarifparteien ihrer Verantwortung gerecht werden.

Die Bundesregierung sieht in dem Aktionsprogramm den in ihrer Verantwortung liegenden Beitrag zum „Bündnis für Arbeit“, das sie gemeinsam mit Unternehmerver­tretern und Gewerkschaften am 23. Januar 1996 beim Kanzler ver­einbart hat. Mit diesem Bündnis verbessern wir unsere Chancen, die Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Es zeigt, daß Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften gewillt sind, hierbei in die gleiche Richtung zu gehen. Dabei stellt es ganz klar auf die Verantwortungs­bereiche der Beteiligten ab. So ist der auf gewerkschaftlicher Seite erkennbare Wille, grundlegende Positionen der Lohn-, Tarif- und Arbeitszeitpolitik zur Diskussion zu stellen, außerordentlich zu begrü­ßen. Er hat maßgeblich dazu bei­getragen, daß das Bündnis für Ar­beit und Standortsicherung mög­lich wurde.

Das Aktionsprogramm der Bun­desregierung berücksichtigt die gesamtwirtschaftlichen zusam­menhänge zwischen Finanz-, Steuer-, Wettbewerbs-, Sozial- und Lohnpolitik. Es ist zudem die konsequente Fortführung der 1982 eingeleiteten Politik der marktwirt­schaftlichen Erneuerung. Mit dem Zukunftsicherungsbericht vom September 1993 wurde sie auf eine neue Grundlage gestellt, die den veränderten gesamtwirt­schaftlichen Rahmenbedingungen durch die deutsche Einheit Rech­nung trug. Der Erfolg dieser ange­botsorientierten Politik zeigte sich in den achtziger Jahren: ein aus­geglichener Staatshaushalt, Re­kordüberschüsse in den Sozialver­sicherungen, ein Tiefstand bei der Steuerquote und ein Plus von 3 Mill. neuen Arbeitsplätzen.

Unternehmerische Selbständigkeit

Wesentliche Ansatzpunkte in dem Aktionsprogramm sind:

Eine Offensive für unternehmeri­sche Selbständigkeit und Innova­tionsfähigkeit: Zusätzliche Wachs­ tums- und Beschäftigungspoten­ tiale in notwendigem Umfang las­ sen sich nur erschließen, wenn die Rahmenbedingungen für diejeni­gen verbessert werden, die Existenzen gründen wollen, die Mut zu Innovation und Risiko haben. Die Bundesregierung wird nachhaltige Impulse dort setzen, wo nach aller Erfahrung große Potentiale für mehr wirtschaftliche Dynamik liegen, unter anderem über

  • steuerliche Erleichterungen für Existenzgründer im Verarbeiten- den Gewerbe und in technolo­gieorientierten, produktionsnahen Dienstleistungen,
  • die Verbesserung des Zugangs von Existenzgründern sowie von kleinen und mittleren Unterneh­men zum Risikokapitalmarkt;
  • die Aufstockung des ERP-lnno­vationsprogramms;
  • die Möglichkeit der zinsgünsti­gen Finanzierzung des Umlaufver­mögens, z.B. zur Vermeidung von Liquiditätsengpässen bei expan­dierenden Unternehmen.

Steuersystem und Finanzpolitik

Der Umbau des Steuersystems und die Schaffung neuer Spiel­räume durch eine solide, stabilitäts­orientierte Finanzpolitik: Die Entla­stung der Bürger und Unterneh­men von Steuern ist seit 1982 einer der zentralen Eckpfeiler der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Hierfür stehen die drei­stufige Einkommensteuerreform der Jahre 1986-1988-1990, das Steueränderungsgesetz 1992 und das Standortsicherungsgesetz aus dem Jahr 1993. Über die Einfüh­rung z.B. des Solidaritätszuschlags und die Anhebung der Mineral­ölsteuer erfolgten seit 1990 auch deutliche Steuererhöhungen. Dies kann aber nicht als Vorwurf gegen die Bundesregierung gewendet

werden, sie betreibe eine in sich widersprüchliche Politik, da die Steuererhöhungen in engem Zu­sammenhang mit den aus der deutschen Einheit resultierenden finanziellen Belastungen stehen. Das Aktionsprogramm zeigt gera­de die Entschlossenheit der Bun­desregierung, auch in schwierigen Zeiten substantielle Verbesserun­gen des Steuersystems durchzu­setzen.

Die dritte Stufe der Unterneh­menssteuerreform bringt - wenn­gleich aufkommensneutral - mit der Abschaffung von Gewerbeka­pital- und Vermögensteuer die Beseitigung zweier Substanz­steuern, die in Verlustphasen das Insolvenzrisiko von Unternehmen erhöhen und zu Nachteilen im in­ternationalen Standortwettbewerb führen. Sie bedeutet zugleich eine sichtbare Vereinfachung des Steuersystems. In Verbindung mit der gleichzeitig vorgesehenen mit­ telstandsfreundlichen Absenkung der Gewerbeertragsteuer wird dies zu nicht zu unterschätzenden po­sitiven Signalen für Unternehmer führen.

Darüber hinaus ist der Einstieg in den Abbau des Solidaritätszu­schlages einer der richtungswei­senden Eckpunkte des Aktions­programms: Er bedeutet nicht nur eine Nettoentlastung für alle Bürger, er verstärkt zugleich auch den Druck auf das Finanzgebaren von Bund, Ländern und Gemein­den. Gerade an der Diskussion um den Solidaritätszuschlag wird deutlich, wie sehr sich eine lei­stungsfreundliche Steuerpolitik, die Verringerung des Staatsein­flusses und die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen wechselsei­tig bedingen. Das ehrgeizige Ziel, die Staatsquote bis zum Jahr 2000 wieder auf das Niveau vor der Einheit zurückzuführen, läßt sich nur bei fortgesetzter, durchgängi­ger Ausgabendisziplin auf allen staatlichen Ebenen erreichen. Nur so können wir aber auch zugleich die Spielräume für die Senkung der Steuerlast gewinnen, z.B. in Form einer weiteren Rückführung des Solidaritätszuschlags oder über die für die Zeit nach 1998 vebindlich angekündigte Tarifre­form 2000.

Lohnzusatzkosten

Die Eindämmung und Rückfüh­rung der Lohnzusatzkosten: Die 1996 auf rund 41% steigenden Beitragssätze in den sozialen Sicherungssystemen müssen wir möglichst rasch wieder zurück­führen. Die bisher weitgehend ungebremste Entwicklung hat da­zu beigetragen, daß Arbeit am Standort Deutschland zu teuer geworden ist. Deshalb hat sich die Bundesregierung das ehrgeizige Ziel gesetzt, die Summe der Bei­tragssätze zur Sozialversicherung bis zum Jahr 2000 wieder auf unter 40% zu senken. Erreichen müssen wir dieses Ziel über Ein­sparungen in den Sozialversiche­rungen. Mit der dritten Stufe der Gesundheitsreform und der Ver­einbarung zur Frühverrentung ha­ben wir wichtige Schritte eingelei­tet. Weitere werden auf der Grund­lage des Aktionsprogramms fol­gen: so z.B. die Reform der Be­rufs- und Erwerbsunfähigkeitsren­ten, die Verringerung des Auf­wands für Kuren, die Neuregelung der Ansprüche auf Arbeitslosen­geld sowie die Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes.

Marktwirtschaftliche Anpassungsfähigkeit

Die Stärkung der marktwirt­schaftlichen Anpassungsfähigkeit: Die Sicherung des Wettbewerbs auf offenen Märkten, die konsequente Deregulierung und Privatisierung sowie eine zukunftsgerichtete Strukturpolitik sind wesentliche Voraussetzungen für Unterneh­mensinvestitionen, Produkt- und Prozeßinnovationen. Wichtige Be­standteile des Aktionsprogramms in diesem Zusammenhang sind daher:

  • die Verabschiedung des Tele­kommunikationsgesetzes, das den Markt für Telekommunikationslei­stungen weit öffnet und gerade auch kleinen und mittleren Unter­nehmen die Möglichkeit bietet, mit neuen Produkten und Dienstlei­stungen in einen zukunftsträchti­gen Markt einzusteigen,
  • die Schaffung von Freiräumen für Wettbewerb im Bereich der In­formationsdienstleistungen durch Überprüfung der Regelungen im Wettbewerbsrecht, im Daten­schutz, im Arbeitsrecht, im Urhe­berrecht und verwandten Schutz­rechten,
  • die Fortsetzung der Privatisie­rung von Bundesbeteiligungen (z.B. Deutsche Lufthansa AG, Deutsche Postbank AG, DSL­ Bank),
  • die Beschleunigung und Verein­fachung von Planungs- und Ge­nehmigungsverfahren durch No­vellierungen der Verwaltungsver­fahrensordnung, der Verwaltungs­gerichtsordnung und des Bundes­immissionsschutzgesetzes,
  • die Förderung des Strukturwan­dels in der Landwirtschaft über die Erleichterung der Schaffung alter­nativer Arbeitsplätze unter ande­rem durch die Vereinfachung rechtlicher Anforderungen im Ge­werbe-, Bau- und Heimrecht,
  • die Degression der Verstro­mungshilfen im Steinkohlebereich.

Weitere wesentliche Bestand­teile des Aktionsprogramms sind die Erschließung neuer Beschäfti­gungschancen durch die Verbes­serung der arbeitsrechtlichen Be­stimmungen und die Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes, die Stärkung der beruflichen Bil­dung, die Förderung von Bau- und Umweltinvestitionen sowie die durchgreifende Modernisierung von öffentlichem Dienst und öf­fentlicher Verwaltung.

Jetzt geht es darum, die Maß­nahmen in die parlamentarischen Beratungen zu bringen und sie zü­gig umzusetzen. Allerdings ist es ei­ne Illusion zu glauben, die Bundes­regierung allein könne gewisser­ maßen Arbeitsplätze und Wachs­tum „produzieren“. Deutschland wird seine wirtschaftlichen Her­ausforderungen nur dann erfolg­reich bewältigen können, wenn alle Beteiligten ihre Zusagen im Bündnis für Arbeit erfüllen und ihre Verantwortung übernehmen.

Die Öffentliche Hand muß jetzt ihren Beitrag leisten

Die Bundesrepublik Deutschland ist im Jahre 1996 an einem Wendepunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung angekommen. Obwohl die Weltwirtschaft beträchtlich wächst, ist der kaum begonnene Aufschwung von 1994 im Verlaufe des Jahres 1995 in sich zusammengesunken. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen hat Anfang 1996 die 4-Millionen-Marke überschritten. Kaum veröffentlicht, werden die Prognosezahlen des Jahreswirtschaftsberichtes inzwischen von der Mehrzahl der Institute, von den Banken und nicht zuletzt von der DIHT-Umfrage in Zweifel gezogen und nach unten revidiert. Selbst die Regierung spricht für 1996 von Null-Wachstum. Die weitere Entwicklung ist mit so großen Unsicherheiten behaftet, daß nicht mehr ausgeschlossen werden kann, daß aus der Wachstumswelle eine Rezession in Deutschland wird, die auch die Nachbarländer mit in den Strudel zieht. Selbst wenn wir nur an einer Rezession entlangschrammen, verstärken sich die strukturellen Probleme, insbesondere die Massenarbeitslosigkeit und die Finanzkrise der Gebietskörperschaften. Zu bedenken ist auch, daß bei anhaltend schwacher Investitionsneigung das Produktionspotential weiter sinken wird. Damit erhöht sich nochmals die Vorbelastung für die kommenden Jahre, insbesondere die Sockel- und Langzeitarbeitslosigkeit und dementsprechend die Einnahmeverluste für die Systeme sozialer Sicherung und die Gebietskörperschaften.

Politische Motive dominieren

Es ist inzwischen Mehrheitsmeinung, daß sich die Wirtschaftsprobleme auf einen Punkt zugespitzt haben, bei dem rein quantitatives Gegensteuern wie z.B. durch Steuererhöhungen zum Ausgleich der Haushalte und durch Beitragserhöhungen für die Sozialsysteme die notwendigen Strukturreformen vielleicht noch einmal um ein Jahr vertagen. Dies hätte allerdings die Konsequenz, später um so stärkere Belastungen hinzunehmen. Je länger Reformen verzögert werden, desto stärker geraten Wirtschaft und Arbeitsmarkt in den Treibsand ungelöster Strukturprobleme.

Diese ökonomische Lagebeurteilung ist aber nicht das eigentliche Motiv für den Beschäftigungspakt beziehungsweise das Aktionsprogramm der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht. Maßgeblich ist vielmehr der Vertrauensverlust in der Bevölkerung in die Problemlösungskompetenz der Regierung. Nur noch 10 % der Bevölkerung glauben, daß sich die Regierung um das Arbeitslosenproblem kümmert. 66 % sind über die Massenarbeitslosigkeit beunruhigt, für 85 % ist sie das wichtigste Thema. Dies ist der Hintergrund, der die Regierung zum Einschwenken auf das IG-Metall-Angebot des Beschäftigungspaktes gezwungen hat: Popularitätsverlust und drohender Verlust der Regierungsfähigkeit angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen. Zu zweifeln ist immer noch an der Einsicht in den Ernst der Lage. Diese Frage läßt sich nur klären, wenn das Aktionsprogramm der Bundesregierung auf seine konjunkturpolitische Wirksamkeit und seine Struktur- und wachstumspolitische Relevanz untersucht und beurteilt wird.

Konjunkturpolitische Unwirksamkeit

Das Aktionsprogramm der Bundesregierung enthält eine Fülle von reinen Ankündigungen ohne Quantifizierung und zeitlichen Bezug. Von den 50 Einzelmaßnahmen des Aktionsprogramms sind dreizehn reine Ankündigungen, wo es heißt, die Bundesregierung beabsichtigt, prüft, wird sich dafür einsetzen usw. 21 Maßnahmen sind bestenfalls mittelfristig, also nach 1997 beschäftigungswirksam, u.a. weil erst noch die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen. Die Mehrzahl dieser Maßnahmen sind außerdem nicht ohne die Mitwirkung von Ländern oder Gemeinden umzusetzen. Drei der angekündigten Maßnahmen im Bereich des öffentlichen Dienstes haben bestenfalls sehr langfristig einen positiven Beschäftigungseffekt, kurzfristig verschärfen sie eher das Beschäftigungsproblem. Es bleiben also wenige Maßnahmen, die kurzfristig umgesetzt werden können, darunter vor allem die KfW-Förderprogramme und die Ausbildungsförderung.

Angesichts der auch von der Bundesregierung eingestandenen Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft sind die konkreten Maßnahmen der Investitionsförderung sehr bescheiden:

  • 2 Mrd. DM zusätzlich beim KfW-Kreditprogramm für kommunale Investitionen;
  • 2 Mrd. DM zusätzlich beim KfW-Programm zur CO2-Reduktion bei Wohngebäuden;
  • eine nicht genannte Summe bei der Hochschulbauförderung und im Verkehrsbereich.

Alles andere sind Maßnahmen der Deregulierung des Arbeitsmarktes, der Privatisierung, der Ausgabenbeschränkung und - vielleicht - später der Steuersenkung und Kostenentlastung.

Angesichts der konjunkturellen Wende schon Mitte 1995 ergibt sich ein teures konjunkturpolitisches Urteil über das Aktionsprogramm der Bundesregierung: Es ist konjunkturpolitisch unwirksam. Das heißt mit anderen Worten, daß die Regierung auf einen Aufschwung ohne staatliches Zutun ab Mitte, spätestens Ende 1996 setzt. Sie ist damit de facto von ihrer bisherigen Politik des Nichtstuns keineswegs abgewichen. Das Arbeitsmarktproblem liegt damit nach wie vor bei den Tarifvertragsparteien. Hier zeigt sich allerdings, daß der Pakt für Beschäftigung zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern nicht vorankommt. In der Frage der Arbeitszeitflexibilisierung, der Arbeitszeitkonten, des Abbaus von Überstunden haben sich die Verhandlungen festgefahren. Es vergeht ein Monat nach dem anderen, ohne daß etwas geschieht, weder von Seiten der Regierung noch von Seiten der Tarifvertragsparteien.

Dies ist angesichts der Unwägbarkeiten der konjunkturellen Entwicklung und der möglichen Rückwirkungen des Wirtschaftsabschwungs Deutschlands auf die europäischen Nachbarländer eine riskante Strategie. Es ist zu befürchten, daß damit der Grundgedanke des Beschäftigungspaktes, nämlich der Versuch, die Wirtschaftsprobleme im Konsens anzupacken und zu lösen, ad absurdum geführt wird. Insbesondere die Gewerkschaften geraten zunehmend in eine schwierige Lage. Wenn Ende des Jahres die Arbeitslosenzahlen höher sind als Anfang des Jahres und eine Wende zum Besseren nicht in Sicht ist, werden die Gewerkschaften erhebliche Begründungsprobleme gegenüber ihren Mitgliedern bekommen, weiterhin bei dem Angebot „Lohn gegen Beschäftigung“ zu bleiben. Die Gewerkschaften genießen zur Zeit ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung, die Arbeitsmarktprobleme zu lösen, es ist wesentlich höher als das Vertrauen in die Bundesregierung. Niemand kann zur Zeit sagen, wie die Reaktionen in der Bevölkerung sein werden, wenn die Gewerkschaften in ihrem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit von der Bundesregierung düpiert werden.

Struktur- und wachstumspolitische Fragwürdigkeiten

Die Regierung ist weder im Aktionsprogramm, geschweige denn im 50-Punkte-Programm von ihrer Linie einer angebotsorientierten Politik abgerückt. Sie setzt auf Kostensenkung als Allheilmittel zur Steigerung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Die ersten Maßnahmen, die nach der ersten Sitzung des Beschäftigungspaktes konkret ergriffen worden sind, zeigen dies ganz deutlich. Die Kürzungen bei der Arbeitslosenhilfe, die Neuregelung der Frühverrentung und die Pläne des Arbeitsministers, neue Zumutbarkeitsregeln für angebotene Arbeitsplätze für Arbeitslose praktisch ins Ermessen der Arbeitsverwaltungen zu stellen, sind eher Anzeichen für eine Politik des sozialen Abbaus. Der Bundeskanzler erklärt zwar öffentlich, mit ihm sei Thatcherismus nicht zu machen, bisher passiert aber genau das.

Die Bundesregierung kündigt zwar an, daß sie in einem Paket von Unternehmenssteuerreform, allgemeiner Steuerreform, Steuerentlastung, Innovationsförderung, Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen auch die Wachstumskräfte und die Wettbewerbsfähigkeit steigern will, es fehlen hier allerdings bisher konkrete Aussagen, wie und wann dies alles passieren soll. Angesichts der inzwischen vom Bundesfinanzministerium auch offen eingestandenen Haushaltslücke von 150 Mrd. DM in 1997 stellt sich zudem die Frage, ob die Bundesregierung überhaupt noch handlungsfähig ist. Eine einseitige Politik tiefer Einschnitte ins soziale Netz ohne gleichzeitige Stärkung der Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit würde aber die Basis des Beschäftigungspaktes zerstören, und zwar die Halbierung der Massenarbeitslosigkeit bis zum Jahre 2000. Die Frage eines Abbaus der zu hohen Steuer- und Abgabenlast ist reine Rhetorik, wenn gar keine Möglichkeit besteht, dies kurzfristig zu ändern. Eine langfristige Strategie des graduellen Umsteuerns von eingetretenen wirtschaftlichen Fehlentwicklungen ist aber im Aktionsprogramm nicht zu erkennen.

Eine wesentliche Achillesferse des Aktionsprogramms ist die fehlende Beteiligung der Bundesbank am Beschäftigungspakt. Das gesamte Aktionsprogramm hat eine offene Zins- und Wechselkursflanke. Wenn es zu weiteren Abwertungen in der Europäischen Union kommt, was nach den Wahlen in Spanien und Italien durchaus möglich ist, wird der Druck auf die deutsche Wirtschaft nochmals wesentlich verstärkt werden. Nach der letzten Abwertung der Peseta entschied sich z.B. Ford für den Bau einer Automobilfabrik in Spanien anstatt in Deutschland. Vor der Abwertung war der Standort Deutschland noch kostengünstiger als der Standort Spanien. Das zeigt, daß abwertungsbedingte Standortvorteile heute von der Industrie als dauerhaft angesehen werden. Das sind die neuen Wahrheiten Europas. Die Lösung der Wechselkursfrage, die Stabilisierung der Wechselkurse in Europa und der Abbau der Überbewertung der D-Mark erscheinen aber im Aktionsprogramm überhaupt nicht. Dabei ist es kein Geheimnis mehr, daß gegen die Aufwertungen der DMark weder Lohn- noch Steuersenkungen ein wirksam es Gegenmittel darstellen.

Der Beschäftigungspakt muß gehärtet werden

Der Bundeskanzler verdient Unterstützung bei seinem Versuch, zur Lösung der Wirtschaftskrise den Konsens zu finden. Nicht zu übersehen ist, daß es starke Kräfte in Deutschland gibt, die diesen Konsens nicht wollen bzw. das Pokerspiel um den Konsens so ausgehen lassen wollen, daß er unwirksam wird. Dies ist die entscheidende politische Frage des Jahres 1996. Wir stehen wirtschaftlich an einem Wendepunkt der Entwicklung in Deutschland. Ein Mißlingen des Beschäftigungspaktes wird nach menschlichem Ermessen den wirtschaftlichen Erosionsprozeß in Deutschland verstärken und damit eine Entwicklung ohne Umkehrmöglichkeit einleiten. Wohin diese Entwicklung gehen wird, ist am Beispiel Englands deutlich abzulesen. Wirtschaftliche Schwäche und soziale Destabilisierung in der Mitte Europas werden dann schon 1997 und 1998 wahrscheinlich gravierende Rückwirkungen auf die allgemeine wirtschaftliche und politische Entwicklung in Europa haben. Der Beschäftigungspakt muß also gehärtet werden. Dazu muß der Bundeskanzler aber alle Beteiligten an einen Tisch holen, auch die Länder und die Bundesbank. Dazu bedarf es aber auch eines Umdenkens in der Wirtschaftspolitik. Nur durch einen problementsprechenden Mix von angebots- und nachfrageseitigen Maßnahmen ist kurzfristig eine Entlastung des Arbeitsmarktes zu erreichen. Nur durch einen neuen innovativen Aufbruch ist eine nachhaltige Sicherung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu erwarten. Die Lohnnebenkosten müssen so schnell wie möglich gesenkt und die versicherungsfremden Leistungen durch Steuern auf den Umweltverbrauch finanziert werden. Investitionswillige Unternehmen sollten steuerlich entlastet werden. Eine geregelte Arbeitszeitflexibilisierung kann nicht nur die Produktivität verbessern, sie kann auch Fehlzeiten vermindern und Beschäftigungsanpassungen erleichtern.

Vor allem aber muß jetzt die Öffentliche Hand ihren Beitrag leisten, um in Deutschland wieder ein innovationsfreundliches Klima herzustellen. Für die Zukunft der deutschen Wirtschaft in einer arbeitsteiligen Wirtschaftsstruktur in Europa sind dabei die Dinosauriertechnologien zweitrangig. Primär entwicklungsbedürftig sind jene wissensbasierten Technologien und Techniken, wie z.B. die Anwendung der Mikroelektronik, der Informationstechniken, der Biotechnologie, der Nutzung nachwachsender Rohstoffe, der Umwelttechnik und der Technologien zur Energieeinsparung. Hier liegen noch Ansätze, neben der notwendigen neuen Integration in einem sich globalisierenden Weltmarkt die binnenwirtschaftlich orientierte Produktion auf neue Beine zu stellen und neue Arbeitsplätze gerade auch für weniger Qualifizierte zu schaffen.

Weitere Reformschritte müssen folgen

 

Anfang Februar hat die Bundesregierung ihr Aktionsprogramm für Investitionen und Arbeitsplätze vorgestellt. Mit seinen 50 Einzelpunkten soll es der spezifische Beitrag der Bundesregierung zu dem Bündnis für Arbeit und zur Standortsicherung sein, auf das sich die Bundesregierung und Spitzenrepräsentanten von Wirtschaft und Gewerkschaften Ende Januar verständigt hatten. Das wesentliche Ziel dieses Bündnisses ist es, die Zahl der Arbeitslosen bis zum Jahr 2000 zu halbieren, und hierfür beschreibt das Bündnis jene gemeinsame Grundorientierung, von der sich alle Beteiligten bei den jeweiligen Maßnahmen und Aktivitäten im Rahmen ihrer Handlungsautonomie leiten lassen sollen.

Die Bundesregierung hat ihr Aktionsprogramm in den diesjährigen Jahreswirtschaftsbericht integriert, mit dem sie alljährlich aufgrund gesetzlicher Vorgaben zum Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Stellung zu nehmen hat. Der Sachverständigenrat selbst hat in seinen bisherigen Gutachten wiederholt davor gewarnt, daß die jeweiligen Verantwortlichkeiten der einzelnen Akteure des wirtschaftlichen Geschehens miteinander verwischt werden. Zugleich hat er die Bundesregierung immer wieder aufgefordert, den Schwerpunkt ihrer Wirtschaftspolitik darauf zu legen, die ökonomischen Angebotsbedingungen zu verbessern. Diese prinzipiell richtige Richtungsweisung ist die eine, die Feststellung, daß die Politik stets auch die Kunst des Möglichen darstellt, ist die andere Seite.

Bei allen Problemen, die mit Veranstaltungen wie der früheren Konzertierten Aktion oder auch dem Solidarpakt verbunden waren, ist es bereits ein großer Wert an sich, daß sich in diesem Bündnis nun alle Beteiligten - gerade auch die Gewerkschaften - darauf verständigt haben, die Arbeitslosigkeit zu halbieren, die Beitragssätze wieder unter die Marke von 40% zu senken und auch die Staatsquote deutlich zu reduzieren. Und es bestand Übereinstimmung, daß auch dort, wo unterschiedliche Auffassungen über die konkreten Wege und Mittel bestehen, diese gemeinsamen Ziele zur Richtschnur des eigenen Handelns im jeweiligen Verantwortungsbereich gemacht werden sollen. Das wiegt weit schwerer als die von manchem angemahnte programmatische Vollständigkeit eines Konsenspapiers von Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften.

Wer von diesem Konsens bereits umfassende, detaillierte Maßnahmen erwartet hat, die dann nur noch durch die Legislative in Gesetzesform zu gießen sind, mag zwar enttäuscht sein, er verkennt jedoch die wohlbegründete Gewaltenteilung in unserem demokratischen Gemeinwesen. Aber auch in diesem Gemeinwesen gilt: Die notwendigen Veränderungen müssen auch von den Menschen und den sie repräsentierenden Gruppen mitgetragen werden; und genau dies ist der harte und tragende Kern des Bündnisses für Arbeit und zur Standortsicherung vom Februar 1996. Auf seiner Grundlage müssen nun Regierungsfraktionen und Bundesregierung die notwendigen Schritte in die Wege leiten. Die Zielsetzungen sind ehrgeizig, und das Aktionsprogramm ist auf dem Weg dorthin der erste Markstein.

Schwachpunkte des Standortes Deutschland

Jede Therapie muß mit der Diagnose beginnen. Auf der Aktivseite der deutschen Standortbilanz stehen die ausgewogene Wirtschaftsstruktur, das hohe Ausbildungsniveau der Arbeitnehmer, wirtschaftliche und technische Kompetenz bei Managern und Mitarbeitern, eine gute Infrastruktur, Währungsstabilität und nicht zuletzt auch eine differenzierte, leistungsfähige Forschungslandschaft. Über diesen Katalog herrscht Konsens.

Aber die Bundesregierung hebt in ihrem Jahreswirtschaftsbericht hervor, daß auch diese Aktiva nicht mehr ausreichen, weiterhin sorgenfrei auf die Erfolge aus der Vergangenheit zu vertrauen. Bei den Rahmenbedingungen für Investitionen und Beschäftigung weist Deutschland auch den Ausführungen im Jahreswirtschaftsbericht zufolge eine Reihe gewichtiger Schwachpunkte auf: eine zu hohe Staatsquote, eine überbordende Abgabenbelastung, steigende Zinslastquoten in den öffentlichen Haushalten, Sozialversicherungsbeiträge, die in diesem Jahr fast die Marke von 41 % erreichen und absehbar auch im kommenden Jahr weiter steigen werden, deutliche Fehlentwicklungen in der Tarifpolitik wie auch ein Übermaß an staatlicher Regulierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Angesichts dieser Ursachen folgerichtig will die Bundesregierung bei ihrer Wachstums- und Beschäftigungsoffensive bei der Produktivität und bei den Arbeitskosten ansetzen. Vor diesem Hintergrund sind die 50 einzelnen Punkte stimmige Antworten auf die Schwachpunkte des Standortes Deutschland. Bei alledem ist aber auch nicht zu übersehen, daß manche dieser Punkte lediglich Richtungsvorgaben oder gar nur Absichtserklärungen enthalten. Das betrifft z.B. die Aussagen zur Modernisierung von öffentlichem Dienst und öffentlicher Verwaltung. Nicht nur hier sind weitere Konkretisierungen notwendig.

Aus Sicht der Wirtschaft entscheidend sind in erster Linie diejenigen Punkte des Aktionsprogramms, die sich mit der Steuerpolitik und der Sozialpolitik befassen. Zu beiden Bereichen fehlt es nicht an Festlegungen.

Umbau des Steuersystems

Der Kern des Aktionsprogramms ist ein Umbau des Steuersystems in drei Schritten. Der erste Schritt soll hierbei zum 1. Januar 1997 die Reform der Unternehmensbesteuerung sein. Angekündigt wird die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer und die Beseitigung der Belastung aus der Vermögensteuer. Damit würden bei den Unternehmen die substanzbelastenden Steuern entfallen. Allerdings sollen diese Maßnahmen aufkommensneutral verwirklicht werden. Insoweit sind sie noch kein substantieller Beitrag zur Reduzierung der Abgabenquote insgesamt. Hierauf zielt die Bundesregierung im zweiten Reformschritt mit der von ihr vorgesehenen Absenkung des Solidaritätszuschlags um zwei Prozentpunkte auf dann 5,5% zum 1. Juli 1997. So positiv dies auch ist, ein verläßlicher Fahrplan für die endgültige Abschaffung dieser Zuschlagssteuer wäre mindestens ebenso dringlich gewesen. Insgesamt wird sich die steuerliche Entlastung - nicht nur - der Unternehmen in dieser Legislaturperiode in engen Grenzen halten. Die notwendige Vereinfachung der Einkommenbesteuerung dadurch, daß die Bemessungsgrundlage durch Fortfall der vielzähligen Sonderregelungen verbreitert, gleichzeitig jedoch auch der Steuertarif gesenkt wird, soll als dritter Reformschritt erst in der kommenden Legislaturperiode verwirklicht werden.

Ein solches Szenario entspricht nur sehr begrenzt den Erfordernissen, die den Unternehmen durch den harten Wettbewerb diktiert werden. Unstreitig ist, daß auch im internationalen Vergleich die deutschen Unternehmenssteuern in ihrer Summe zu hoch sind. Andererseits helfen keine Ankündigungen, die dann am politischen Widerstand im Bundesrat scheitern. Insoweit steckt das Aktionsprogramm das derzeit Realisierbare ab. Aber das darf die Bundesregierung nicht von der Verpflichtung entheben, ihre Vorstellungen zu einer grundsätzlichen Reform der Einkommenbesteuerung möglichst bald zu konkretisieren - und dann gegebenenfalls auch streitig im nächsten Bundestagswahlkampf zu vertreten.

Reduzierung der Umverteilungselemente notwendig

In dem Kapitel „Lohnzusatzkosten begrenzen - Sozialstaat umbauen“ geht das Aktionsprogramm nur unwesentlich über eine Sachstandsbeschreibung einzelner sozialpolitischer Gesetzesvorhaben hinaus. Weiterführende Konzeptionen sind nicht enthalten. Und zieht man unter diesen Punkten des Aktionsprogramms einen Strich, dann werden sie in der Summe nicht ausreichen, die Beitragsbelastung bis zum Jahr 2000 wieder unter die Marke von 40% zu senken. Eine tatsächliche Trendumkehr bei den Sozialversicherungsbeiträgen wird nach Überzeugung der Arbeitgeber nur dann möglich sein, wenn die bisherigen Umverteilungselemente in den Sozialversicherungen reduziert werden und wenn das Verhältnis zwischen Beitragszahlung und Versicherungsleistung insgesamt wieder enger geknüpft wird. Auch ein vorübergehender Verzicht auf weitere Steigerungen des Sicherungsniveaus kann unter Umständen erforderlich sein.

Von großer Bedeutung für die Vitalität unserer Gesellschaft und die Innovationsfähigkeit unserer Wirtschaft ist die Gründungsdynamik bei neuen Unternehmen und selbständigen Existenzen. Auch auf diesem Feld können wir nicht zufrieden sein. Die Bundesregierung will hierbei in erster Linie durch eine Verbesserung des Zugangs zu Risikokapital positive Impulse setzen.

Dies sind in meinen Augen notwendige technische Maßnahmen, zu denen ich im einzelnen nicht Stellung beziehen will. Wichtig ist für mich als Unternehmer, daß der persönlichen Risikobereitschaft und Eigeninitiative wieder ein größerer gesellschaftlicher Stellenwert eingeräumt werden soll. Dazu gehört, was nicht übersehen werden darf, ganz wesentlich ein Steuersystem, das den Unternehmern ein leistungs- und risikoadäquates Einkommen beläßt. Die Reform der Einkommensteuer bleibt daher auch aus dieser Perspektive eine zentrale wirtschafts- und gesellschaftspolitische Aufgabe.

Das Aktionsprogramm konnte hier nur in der Beschränkung auf wesentliche Punkte dargestellt werden. Es zielt zwar einerseits auf richtige und wichtige Handlungsansätze ab, es wird aber andererseits noch nicht ausreichen, um bis zum Beginn des nächsten Jahrzehnts die Arbeitslosenzahl zu halbieren. Weitere Reformschritte müssen folgen; mit den kürzlich konkretisierten Eckpunkten der anstehenden Reform des Arbeitsförderungsgesetzes hat die Bundesregierung einen solchen bereits vorgelegt.

Kein schlüssiges Konzept zur Stärkung des Standortes Deutschland

Das Aktionsprogramm der Bundesregierung für Investitionen und Arbeitsplätze, wenige Tage nach dem gemeinsamen Kommunique mit Gewerkschaften und Arbeitgebern vorgestellt, koppelt neoliberale Ideologien mit halbwegs vernünftigen Initiativen für mehr Innovationen - ohne dass für mich ein schlüssiges Konzept zur Stärkung des Standortes zu erkennen ist. Hier wird überdeutlich, dass Arbeitgeberverbände und FDP ihre Klage- und Forderungen diktieren konnten. Der Abbau des Solidaritätszuschlages ist nichts weiter als Wahlkampfhilfe für die FDP und verringert die einigungsbedingte Steuerbelastung aller Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Zugleich wälzt er aber die weiteren Einigungskosten auf eine kleine Gruppe von Beitragszahlerinnen und Beitragszahlern ab. Er ist unverantwortlich und wird nicht ohne schwerwiegende Folgen für Infrastruktur, Lebensqualität und Beschäftigungsaufbau in Ostdeutschland bleiben.

Dies ist bedauerlich, weil die Erklärung vom 23. Januar 1996 von Bundesregierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften eine breitere gemeinsame Basis formulierte. Die Bundesregierung bezieht sich zwar teilweise auf das Kommunique und hält sich weitgehend an die Verabredungen. Gleichzeitig geht sie aber auch darüber hinaus, indem sie ihre Auffassung, wie diese umgesetzt werden sollen, deutlich macht. Dies ist teilweise kontraproduktiv.

Die „Staatsquote“ (Ziffer 81) (Staatsausgaben in % des Bruttosozialprodukts (BSP)) ist beispielsweise kein Selbstzweck. Wer über ihre Höhe diskutiert, muss inhaltlich, d.h. über Ziele und Effizienz staatlicher Ausgaben sprechen. Der DGB erkennt Konsolidierungsbedarf nicht zuletzt wegen der hohen Zinsausgaben von rund 26% der Steuereinnahmen durchaus an, lehnt aber einen Sozialabbau zum Zwecke einer bloßen Senkung der Staatsquote ab. Im Übrigen kann sich die Staatsquote alleine aus buchungstechnischen Gründen ändern. Durch die Umbuchung des Familienlastenausgleichs auf die Steuerverrechnung sank die Staatsquote um mehr als 0,5% - trotz einer um fast 7 Mrd. DM höheren Staatsleistung. Das Maastricht-Defizit-Kriterium von 3,0% des BSP erlaubt durchaus konjunkturpolitisch gebotene kurzfristige und überschaubare Überschreitungen.

Die Einführung von mehrfach befristeten Arbeitsverträgen innerhalb von 24 Monaten widerspricht dem Ergebnis der Kanzlerrunde. Dort war von zunächst befristeten Verträgen die Rede, die dann in unbefristete Verträge umgewandelt werden sollen. Mit einer Mehrfachbefristung würde dem „Heuern und Feuern“ der Weg geebnet. Mit der Heraufsetzung der Schwellenwerte für den Kündigungsschutz entspricht die Bundesregierung lediglich alten Forderungen der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die damit den Kündigungsschutz für Betriebe mit bis zu zehn Arbeitnehmern aufheben will. Beides aber ist nicht beschäftigungsfördernd.

Fehlfinanzierung gesellschaftlicher Aufgaben

Bei der Sozialpolitik (15-17, 19) hat die Bundesregierung sich an ihre Zusage gehalten, den Dialog mit den Sozialpartnern zu führen. Die Gewerkschaften hatten jedoch schon in der Kanzlerrunde am 23. Januar deutlich gemacht, dass ihr Weg, um die Sozialabgabenquote zu reduzieren, die Umfinanzierung allgemeiner Aufgaben, die bisher aus Sozialversicherungsbeiträgen gezahlt werden, durch Steuermittel ist. Fehlfinanzierungen von allgemeinen gesellschaftlichen Aufgaben über spezielle Beitragsbelastungen müssen korrigiert werden, um vor allem die Arbeitnehmereinkommen von Sozialabgaben zu entlasten. Es kann aber nicht darum gehen, die Lohnstückkosten unter dem Gesichtspunkt einer Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen. Die international günstige deutsche Position diesbezüglich wird durch DM-Aufwertungen überkompensiert, wodurch auch alle Versuche, erneute Vorteile zu erzielen, zunichte gemacht würden.

Der Teil des Aktionsprogramms, in dem die Modernisierung des Öffentlichen Dienstes und der öffentlichen Verwaltung im Vordergrund stehen (45-50), zeichnet sich leider auffällig dadurch aus, dass weder die Beteiligung der Beschäftigten erwähnt noch das Thema Personalentwicklung aufgegriffen wird. Die Bundesregierung lässt für ihren eigenen Bereich die Arbeitszeitsouveränität der Beschäftigten völlig außen vor, obwohl im gemeinsamen Kommunique vom 23. Januar 1996 die „Arbeitszeitsouveränität“ ausdrücklich genannt ist. Überwiegend werden hier altbekannte Stichworte wiederholt, die zum sogenannten dienstrechtlichen Reformgesetz geführt und dort ihren Niederschlag gefunden haben. Neu sind die Vorschläge zum Laufbahnrecht, die insgesamt in die richtige Richtung zeigen. Sie gehen jedoch nicht weit genug. Aber auch der Zugang zum höheren Dienst darf nicht nur für besonders qualifizierte Fachhochschulabsolventen erleichtert werden. In beiden Ziffern wird überwiegend das Konzept „Personalverknappung“ vertreten. Es wird jedoch auch die gewerkschaftliche Debatte um Abflachung von Hierarchien und Schaffung effizienterer Organisationsformen aufgegriffen. Bedauerlich ist, dass gerade in diesem Zusammenhang keine Perspektiven für Personalentwicklung, Aus-, Fort- und Weiterbildung des Personals und Schaffung einer entsprechenden „Verwaltungskultur“ aufgezeigt werden.

Im Bereich Ausbildung und berufliche Qualifizierung (37-39) werden richtige Impulse aufgezeigt und eingefordert: etwa die Zusage der Wirtschaft, die Zahl der Ausbildungsstellen bis 1997 um 10% zu erhöhen - in den neuen Ländern überproportional; etwa die 5%ige Erhöhung der Ausbildungsplätze im Zuständigkeitsbereich des Bundes; etwa zusätzliche Ausbildungsplätze in den Betrieben zu schaffen und Investitionen in überbetriebliche Ausbildungsstätten künftig mit ERP-Mitteln zu fördern. Dies stärkt die von uns geforderte weitere Anbindung der Ausbildung an die Betriebe. Dem Aktionsprogramm fehlt aber - genauso wie übrigens auch dem Kommunique vom 23. Januar 1996 - eine Antwort darauf, wie das duale System zukünftig finanziert werden soll. Den einzigen Hinweis hierzu enthält der Perspektivbericht von Bundesminister Rüttgers, wonach „die Sozialpartner darüber umgehend in eine Diskussion eintreten werden“.

Die Kapitel des Aktionsprogramms (1-5) mit den Maßnahmen für unternehmerische Selbständigkeit und Innovationsfähigkeit enthalten deutliche Übereinstimmungen zum Kommunique vom 23. Januar 1996. Der bessere Zugang zu Risikokapital bei innovativen Vorhaben ist für Forschung und Entwicklung und Qualitäts- und Umweltmanagement erforderlich. Die allgemeine Eigenkapitalförderung schwerpunktmäßig nur in den neuen Bundesländern ist dringlich. Entscheidend bleibt jedoch, dass die Eigenkapitalbasis durch eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit (neue Produkte, Qualifizierung, Marktzugang) gestärkt werden muss. Eine generelle steuerliche Entlastung von Existenzgründern scheint mir nicht erforderlich; wenn überhaupt, kann es nur um aufkommensneutrale Veränderungen gehen. Wichtiger ist: Innovation und Beschäftigung in zukunftsträchtigen Feldern müssen zielgerichtet und zweckgebunden gefördert werden. Das gilt beispielsweise in der Umwelt-, Verkehrs- und Energietechnik sowie in Beratungs- und Kommunikationsdienstleistungen. Dazu müssen Forschung und Entwicklung gestärkt und insbesondere Unternehmensgründer und Beschäftigte besser qualifiziert und beraten werden.

Der DGB unterstützt die vorgeschlagenen Maßnahmen (6, 7, 25, 33, 43, 44) zur Verbesserung des Technologietransfers, in der Biotechnologie und in der Verkehrstechnik. Auch die Vorschläge, wie alternative Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu schaffen sind und wie der Bericht des Technologierates (unter Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern) umgesetzt werden soll, sowie die KfW-Programme für kommunale Investitionen sind sinnvoll.

Trotz dieser im Einzelnen sinnvollen Maßnahmen: Das Aktionsprogramm ist ein Sammelsurium paralleler Einzelmaßnahmen, die nicht zusammengeführt werden. Es fehlen die übergreifenden und weiterreichenden Aussagen zur Forschungs- und Technologiepolitik im Zusammenhang mit neuen Beschäftigungsfeldern und einer gezielten Innovationspolitik. Es fehlt insgesamt ein zielgerichteter Kurs für Innovation und Beschäftigung. Auch ein Ansatz, wie Forschungspolitik angewendet und umgesetzt werden kann, ist noch nicht zu erkennen. Darüber hinaus fehlt die Förderung regionalisierter, unternehmens- und problemnaher Umsetzungshilfen im Bereich von kommunaler Wirtschaftsförderung, Kreditinstituten oder Consulting.

Unselige Standortdebatte

Wenn in den kommenden Wochen und Monaten wirklich ein Ruck durch diese Gesellschaft gehen soll, um wieder Perspektiven für mehr Beschäftigung zu schaffen, müssen gemeinsame Verabredungen eingehalten werden. Die Arbeitgeber scheinen bereits vergessen zu haben, dass das gemeinsame Kommunique auch ihre Unterschrift trägt und welche Aussagen sie mitunterzeichnet haben. So blasen sie jetzt zum Angriff auf den Flächentarifvertrag, fordern Einschränkungen bei der Lohnfortzahlung und Steuergeschenke für die Unternehmen. Das ist keine Basis, um endlich die vielen kleinen Schritte in die Praxis umzusetzen, die für die Stärkung des Standortes und für mehr und besser gesicherte Beschäftigung notwendig sind. Alle Beteiligten müssen mehr Ideenreichtum und Kreativität entwickeln, um das gesteckte Ziel erreichen zu können, die Arbeitslosigkeit bis zum Jahr 2000 zu halbieren. Denn der notwendige Ruck wird nicht durch das Festhalten am andauernden Lamento über die unselige Standortdebatte ausgelöst.

Als einen ersten Beitrag, wie diese Umsetzung geschehen kann, will ich den jetzt in der gesetzlichen Beratung befindlichen Vorschlag für eine Ablösung der alten Frühverrentung nennen: Insbesondere die Altersteilzeit bringt für Beschäftigte und Unternehmen neue Perspektiven. Hier liegt die Chance für einen generationenübergreifenden Solidarpakt, der älteren Beschäftigten ein langsames Hinausgleiten aus dem Arbeitsleben ermöglicht, während jüngere Menschen die Chance auf einen Arbeitsplatz bekommen. Die vorgesehene Regelung wird aber nur erfolgreich sein können, wenn die Arbeitgeber bereit sind, sie durch eine flexible Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen, die den Interessen der Beschäftigten und der Unternehmen entgegenkommt.

  • 1Die folgenden Ziffern-Angaben beziehen sich auf die Jeweiligen Kapitel des Aktionsprogrammes.

Beitrag als PDF

Fachinformationen über EconBiz

EconBiz unterstützt Sie bei der Recherche wirtschaftswissenschaftlicher Fachinformationen.