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In Bankenkreisen werden die Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf einzelne Unternehmen teilweise als systemische Phänomene betrachtet, für die keine individuelle Verantwortlichkeit bestehe. In der öffentlichen Diskussion wird dagegen oft „den Bankern“ oder „den Managern“ die Schuld für die Krise zugewiesen und es werden entsprechende Konsequenzen wie Gehaltskürzungen oder individuelle Haftung für eingetretene Schäden gefordert. Auch die Politik reagierte mit dem noch kurz vor dem Regierungswechsel erlassenen „Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung“ (VorstAG).

Sowohl Politik wie auch Volksmund vermengen dabei regelmäßig Fragen der Vergütung mit Fragen der Haftung, obwohl beides juristisch auseinanderzuhalten wäre. Der Hintergrund dieser Gesamtbetrachtung liegt aber darin, dass wirtschaftliches Handeln gewöhnlich mit unternehmerischem Risiko gleichgesetzt wird, also mit dem Bild eines Unternehmers, der eigenes Kapital einsetzt und damit zwar viel gewinnen, aber im Ernstfall auch alles verlieren kann. Dieses Bild trifft aber nicht die Realität der heutigen Banken und anderer größerer Unternehmen, die ganz überwiegend als juristische Personen organisiert sind – wenn man von den wenigen Privatbankiers absieht, denen nicht umsonst in der Krise besonderes Vertrauen entgegengebracht wird.

Die juristische Person zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass die für sie handelnden Personen eben nicht mit ihrem eigenen Vermögen für Verluste des Unternehmens haften. Es entsteht dadurch ein Interessenwiderspruch zwischen dem Management einerseits und der Gesellschaft bzw. den hinter ihr stehenden Anteilseignern auf der anderen Seite: Die Manager – mögen sie sich oft auch als „Unternehmer“ gerieren – haben ein Interesse daran, aus dem Unternehmen möglichst viel Geld zu entnehmen, während die Inhaber des Unternehmens am Wohlergehen desselben zwecks Wertsteigerung und Gewinnerzielung interessiert sind. Es ist deswegen nur konsequent, wenn der Gesetzgeber weitere Maßnahmen ergreift, um diesen Konflikt in den Griff zu bekommen. Das VorstAG hat im Bereich der Haftung versucht, mehr Eigenverantwortlichkeit des Managements dadurch einzuführen, dass für den Abschluss von Directors & Officers-Versicherungen ein Selbstbehalt zu Lasten der Vorstandsmitglieder zwingend vereinbart werden muss. Diese Maßnahme wird in der Praxis durch den Abschluss neu eingeführter „Selbstbehalts-Versicherungen“ konterkariert, mit denen der Wille des Gesetzgebers umgangen werden soll und deren rechtliche Wirksamkeit daher nicht unproblematisch ist.

Die Grundlagen der Managerhaftung sind vom VorstAG aber mit Recht nicht verändert worden. Der Vorstand einer Aktiengesellschaft haftet weiterhin gegenüber der Gesellschaft für durch Pflichtverletzungen entstandene Schäden. Dieser Anspruch der Gesellschaft muss vom Aufsichtsrat geltend gemacht werden. Obwohl der Aufsichtsrat – bei Strafe eigener Haftung – nach der ARAG-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu verpflichtet ist, derartige Ansprüche geltend zu machen, hatten entsprechende Verfahren in der Vergangenheit eher Seltenheitswert. Dies mag „soziologische Gründe“ haben, wie es ein hoher Richter einmal ausdrückte. Gemeint war die oft enge Verflechtung zwischen Vorstand und Aufsichtsrat, die zu übermäßiger Schonung der Vorstände führte.

Die Finanzkrise hat hier nun zum Glück einige Dinge ins Rollen gebracht. Die Rechtsprechung wird in Zukunft öfter Gelegenheit bekommen, das Verhalten von Vorständen auf die Einhaltung der im Aktiengesetz vorgesehenen Business Judgment Rule zu überprüfen. Diese Regel besagt, dass eine ex ante vertretbare und aufgrund ausreichender Informationen getroffene Managemententscheidung nicht zur Haftung führt, auch wenn sie sich im Nachhinein als verhängnisvoll erweist. Daher kann etwa die Realisierung üblicher operativer Risiken – etwa die Insolvenz eines Geschäftspartners – nicht ohne weiteres zu einer Haftung führen. Anders sieht es dagegen mit Geschäften aus, die auf mangelhafter Informationsgrundlage getätigt wurden, was dem Vernehmen nach im Bereich von Wertpapiergeschäften selbst in Banken der Fall gewesen sein soll. Die Aufsichtsräte sind hier gefordert, entsprechende Vorgänge genau zu prüfen und haben derartige Untersuchungen in Einzelfällen bereits eingeleitet.

Der einzelne Aktionär kann in derartigen Fällen leider kaum etwas tun. Eine Derivative Action wie im US-amerikanischen Recht, mit der ein Aktionär die Ansprüche der Gesellschaft gegen den Vorstand gelten machen könnte, gibt es im deutschen Recht nicht. Vergleichbare Vorschriften im Aktiengesetz sind an hohe Schwellen gekoppelt und haben bisher kaum Wirkung gezeigt. Für geschädigte Aktionäre erscheint daher derzeit eher der Weg über die kapitalmarktrechtlichen Vorschriften gangbar, die etwa am Verstoß gegen Informationspflichten ansetzen. Auch hier sind Dinge in Bewegung, wie die kürzlich erhobene Millionenklage gegen die Hypo Real Estate zeigt. In diesem Fall sind die Beträge hoch genug, um den Fall für kompetente Anwälte attraktiv zu machen. In vielen anderen Einzelfällen bleiben Anleger aber auf ihren Schäden sitzen. Hier muss im Bereich der Rechtsdurchsetzung nachgebessert werden. Der Gesetzgeber wird dazu dieses Jahr anlässlich der anstehenden Überarbeitung des Gesetzes über Kapitalanleger-Musterverfahren (KapMuG) Gelegenheit haben. Auch effizienter Rechtsschutz ist ein Bürgerrecht.

Hinzu kommt, dass in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur der letzten Jahre der effiziente Rechtsschutz für Kapitalanleger sowie eine auf privater Rechtsdurchsetzung beruhende Corporate Governance auch als volkswirtschaftlich relevante Standortfaktoren angesehen wurden. Allerdings bedürfen die Ergebnisse dieser Forschung noch der Fortschreibung mit Blick auf die Finanzkrise. Auch darf die Bedeutung des Haftungsrechts für die Verhaltenssteuerung nicht überschätzt werden: Das Verhalten der Akteure in der Finanzwelt ist nicht im klassischen Sinne rational und kann daher auch nur beschränkt von der Drohung der persönlichen Haftung beeinflusst werden. Vielmehr zeigt die Finanzkrise, dass auch Manager – ebenso wie andere Menschen – ihre eigenen Fähigkeiten regelmäßig überschätzen sowie zu kurzfristiger Orientierung und der bloßen Befolgung modischer Trends neigen.

Trotzdem brauchen wir aber die persönliche Haftung für schwere Managementfehler, und sie muss in den gesetzlich vorgesehenen Fällen auch durchgesetzt werden. Das mag im Einzelfall schwierig sein und zu langwierigen und kostenträchtigen Prozessen führen, ist aber auf lange Sicht aus zwei Gründen unverzichtbar: Erstens dient auch das Zivilrecht der Einübung von Rechtstreue. Wer – wie die Manager von Banken und anderen großen Unternehmen – mit OPM (other people’s money) arbeitet und dafür von diesen anderen auch gut bezahlt wird, der hat dieses Geld sorgfältig zu verwalten und hat für gravierende Fehler auch persönlich die Verantwortung zu übernehmen. Zweitens gewinnt das private Haftungsrecht in dem Maße an Bedeutung, in dem gesellschaftliche Aufgaben privatisiert werden. Wer von den Bürgern verlangt, ihre Altersvorsorge etwa durch Investments in Aktien selbst in die Hand zu nehmen, der muss diesen Bürgern auch die rechtlichen Mittel in die Hand geben, um gegen jene vorzugehen, die bei der Verwaltung dieser Ressourcen pflichtwidrig Schäden verursachen.


DOI: 10.1007/s10273-010-1015-7