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Nachdem die Weltwirtschaft Anfang 2010 noch rasch zugelegt hatte, hat sich die Erholung im Jahresverlauf verlangsamt. In den USA und in Japan verlor die Konjunktur im Frühjahr deutlich an Fahrt. Für den Euroraum zeichnet sich ab, dass der im 2. Quartal recht hohe Produktionszuwachs in der 2. Jahreshälfte nachlassen wird. Auch in den Schwellenländern expandiert die Produktion seit dem Frühjahr weniger kräftig. Allerdings hat die Industrieproduktion in Asien den Wachstumspfad der vergangenen Jahre schon im Frühjahr wieder erreicht, während sie in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften noch weit von ihrem Vorkrisentrend entfernt ist (vgl. Abbildung 1). Die fortgeschrittenen Volkswirtschaften haben noch erheblichen strukturellen Anpassungsbedarf.

Dies gilt insbesondere für die USA, wo die Verschuldung der privaten Haushalte nach wie vor hoch ist. Der Immobiliensektor ist stark geschrumpft, und auch der Finanzsektor hat sich noch nicht vollständig erholt. Die Arbeitslosigkeit bleibt auf hohem Niveau. Ähnlich ergeht es westeuropäischen Ländern wie Spanien, Großbritannien und Irland, in denen ebenfalls Hauspreisblasen geplatzt sind. Aufgrund der drastisch verschlechterten Haushaltslage sieht sich die Finanzpolitik in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften gezwungen, auf einen Konsolidierungskurs umzuschwenken. In wichtigen Schwellenländern ist die wirtschaftliche Erholung dagegen so weit fortgeschritten, dass die Wirtschaftspolitik bemüht ist, eine konjunkturelle Überhitzung zu verhindern.

Abbildung 1
Industrieproduktion in fortgeschrittenen Volkswirtschaften und asiatischen Schwellenländern
2000 = 100
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1 OECD-Länder ohne Türkei, Mexiko, Korea und mittelosteuropäische Länder.
2 Loglinearer Zeittrend; Stützzeitraum: Januar 2000 bis September 2008.

Quellen: Central Plaanbuerau (CPB): World Trade Monitor, Den Haag September 2010; Berechnungen der Institute.

Die konjunkturelle Dynamik in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird im kommenden Jahr wohl recht gering sein. In den USA werden die Investitionen in Ausrüstungen zwar weiter von hohen Gewinnen und niedrigen Zinsen angeregt, und der Konsum dürfte moderat aufwärtsgerichtet sein. Ein kräftiger Aufschwung ist aber nicht in Sicht, weil die strukturellen Probleme fortbestehen. Nach wie vor ist das Risiko hoch, dass die USA in eine Rezession zurückfallen. Auch in der EU bleibt die Erholung verhalten, zumal die restriktive Finanzpolitik dämpfend wirkt. In den meisten Schwellenländern dürfte das Expansionstempo zwar vergleichsweise hoch bleiben, es wird aber wohl geringer sein als im 1. Halbjahr 2010. Da es also insgesamt nicht zu einem kräftigen weltwirtschaftlichen Aufschwung kommt, dürfte das Preisklima ruhig bleiben. Alles in allem dürfte die Weltproduktion in diesem Jahr um 3,7% und im nächsten Jahr um 2,8% expandieren. Der Welthandel wird 2010 im Vorjahresvergleich um etwa 12% zulegen. Nächstes Jahr dürfte der Anstieg 6,8% betragen, was in etwa dem Durchschnitt der vergangenen zwei Jahrzehnte entspricht.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Aufschwung und auf gutem Weg, den krisenbedingten Produktionseinbruch wettzumachen. Die Erholung hat an Breite gewonnen und wird – anders als im Vorjahr – nicht mehr allein von einem Anstieg der Exporte und einem Umschwung bei den Lagerinvestitionen getragen. Vielmehr ist in diesem Jahr auch die Binnenkonjunktur angesprungen, sowohl der private Konsum als auch die Unternehmensinvestitionen legten spürbar zu. Zwar deuten viele Frühindikatoren darauf hin, dass sich das konjunkturelle Tempo nach dem Zwischenspurt im 2. Quartal verlangsamt. Doch liegen die Stimmungsindikatoren nach wie vor auf einem sehr hohen Niveau, und die Auftragseingänge in der Industrie sind aufwärtsgerichtet.

Die konjunkturelle Erholung dürfte sich zwar fortsetzen, das Tempo dürfte jedoch spürbar geringer sein als in der 1. Jahreshälfte, weil die weltwirtschaftliche Expansion an Fahrt verliert. Daher wird der Außenhandel wohl kaum zum Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts beitragen und die Inlandsnachfrage das Tempo der Expansion bestimmen. Stützend wirkt, dass die monetären Rahmenbedingungen sehr günstig einzuschätzen sind. Stimuliert wird die Binnennachfrage auch durch die weiter verbesserte Arbeitsmarktlage. Im 2. Halbjahr 2010 verliert der Produktionsanstieg an Schwung. Die Zunahme der Ausfuhr lässt spürbar nach. Auch dürfte sich die hohe Dynamik bei den Ausrüstungsinvestitionen nicht fortsetzen. Die Bauinvestitionen werden ebenfalls langsamer zunehmen. Beim privaten Konsum bahnt sich hingegen eine Wende an; erstmals seit mehreren Jahren ist mit einem spürbaren Anstieg zu rechnen. Für 2010 wird eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts um 3,5% prognostiziert (vgl. Abbildung 2). Die Zahl der Arbeitslosen wird im Jahresdurchschnitt 3¼ Mio. betragen. Mit der kräftigen konjunkturellen Erholung wird die Zunahme des Budgetdefizits des Staates gebremst. Die Defizitquote fällt allerdings mit 3,8% deutlich höher aus als 2009, vor allem weil die Finanzpolitik im laufenden Jahr noch expansiv ausgerichtet ist.

Im kommenden Jahr wird das Tempo der konjunkturellen Expansion langsamer sein als in diesem, die gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung dürfte nur noch wenig zunehmen. Ende des Jahres dürfte die Konjunktur leicht anziehen, zumal die Weltwirtschaft dann etwas an Fahrt gewinnt. Für den Jahresdurchschnitt 2011 ist ein Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion von 2,0% zu erwarten. Die Lage am Arbeitsmarkt wird sich weiter verbessern. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte im Jahresdurchschnitt erstmals seit 1992 unter 3 Mio. liegen. Damit verringert sich die Arbeitslosenquote in der Definition der Bundesagentur für Arbeit auf 7,0%. Die Inflationsrate wird im kommenden Jahr anziehen und voraussichtlich 1,6% betragen. Das Budgetdefizit des Staates dürfte sich infolge der Konsolidierungsmaßnahmen und des Auslaufens der Konjunkturprogramme, aber auch konjunkturbedingt zurückbilden. Die Defizitquote wird im nächsten Jahr bei 2,7% liegen.

Abbildung 2
Reales Bruttoinlandsprodukt in Deutschland

Saison- und kalenderbereinigter Verlauf

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1 Veränderung gegenüber dem Vorquartal in % (rechte Spalte);
2 Zahlenangaben: Veränderung der Ursprungswerte gegenüber dem Vorjahr.

Quellen: Statistisches Bundesamt; Berechnungen der Institute; ab 3. Quartal Prognose der Institute.

Für die Prognose bestehen erhebliche Risiken. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass die USA erneut in eine Rezession geraten. Zudem könnte es in China als Folge von Übersteigerungen an dortigen Immobilienmärkten zu einer massiven Korrektur kommen. Eine markante Abschwächung in den beiden größten Volkswirtschaften der Welt würde die Exportchancen der deutschen Wirtschaft empfindlich treffen. Auch ist die Schulden- und Vertrauenskrise einiger Staaten im Euroraum keineswegs ausgestanden. Eine Zuspitzung mit generell höheren Risikoprämien für Anleihen im Euroraum oder gar einer Inanspruchnahme des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus durch ein Schuldnerland würde sich auch auf die deutsche Konjunktur auswirken. Schließlich könnte der Euro gegenüber dem US-Dollar und anderen Währungen weiter deutlich aufwerten. Dies würde den Anstieg der deutschen Exporte bremsen. Noch gravierender wäre es, wenn sich in Folge der Wechselkursverschiebungen die protektionistischen Tendenzen verstärkten. Die beobachtete Zunahme der Interventionen am Devisenmarkt lässt befürchten, dass die Bereitschaft dazu weltweit zugenommen hat.

Die Bundesregierung beabsichtigt, auf einen der Schuldenbremse genügenden finanzpolitischen Kurs umzuschwenken. Die Kritik, dass dies die Erholung gefährden könne, ist unbegründet. Vielmehr ist während der Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich geworden, dass große und insbesondere globale Schocks nur von finanziell gut aufgestellten Staaten in den Griff zu bekommen sind. In Deutschland ist der öffentliche Schuldenstand durch die Rettungs- und Konjunkturpakete von 66% (2008) auf wohl 75% (2010) in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt gestiegen – ohne Sondereffekte im Zusammenhang mit der Rettung der Hypo Real Estate. Verharrte die Quote auf diesem Niveau oder stiege sie sogar, so wäre die Handlungsfähigkeit bei künftigen Schocks erheblich verringert. Daher sollte die Quote deutlich gesenkt werden, langfristig auf unter 60%, wie es der Vertrag von Maastricht vorsieht.

Auf der Ebene der Europäischen Währungsunion hat die Schulden- und Vertrauenskrise erheblichen Handlungsbedarf offen gelegt. So hat der Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) offensichtlich das Ziel verfehlt, in allen Mitgliedsländern eine solide Finanzpolitik zu gewährleisten. Die Mitgliedsländer haben im Mai versucht, der Krise mit einem zunächst befristeten Rettungspaket für das akut von der Zahlungsunfähigkeit bedrohte Griechenland Herr zu werden. Dies ist langfristig mit gravierenden Nachteilen verbunden, insbesondere falls die Befristung aufgegeben werden sollte. Dann könnten sich finanzielle Ansprüche an die Nettogeberländer in der EU verstetigen.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise bestätigt die Erkenntnis, dass marktwirtschaftliche Systeme nur funktionieren, wenn diejenigen, die Allokationsentscheidungen fällen, auch deren Konsequenzen tragen. Das hierdurch zum Ausdruck kommende Haftungsprinzip auf staatlicher und privatwirtschaftlicher Ebene kann jedoch nur dann glaubhaft durchgesetzt werden, wenn davon keine unverhältnismäßig hohen Kosten für die Allgemeinheit ausgehen. Bisher konnten Akteure wie Staaten oder große Banken mit Verweis auf ihre systemische Relevanz darauf vertrauen, dass die Gemeinschaft ihre Insolvenz verhindern würde. Dies führte zu einer aus volkswirtschaftlicher Sicht kostspieligen Fehlallokation von Kapital, die sich in einer verzerrten Bepreisung von Risiko manifestierte. Daher sind Maßnahmen wie entsprechende Insolvenzordnungen erforderlich, die im Ernstfall die Ansteckung Dritter unwahrscheinlicher machen. Ohne solche Vorkehrungen wird die Ankündigung, dass unsolide wirtschaftende Akteure nicht mit Mitteln der Allgemeinheit gerettet werden, unglaubwürdig bleiben. Im Gegensatz dazu sind Maßnahmen abzulehnen, die eine risikoadäquate Preisbildung auf Vermögensmärkten verhindern. Dazu würden z.B. die Entfristung des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus oder die Einführung von gepoolten Staatsanleihen der Euroländer zählen.

Im September 2010 hat die EU-Kommission eine Reihe von Reformvorschlägen vorgelegt, die das institutionelle Rahmenwerk der EU im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik verbessern sollen. Diese Vorschläge können Maßnahmen, die eine geordnete Insolvenz systemrelevanter Akteure ermöglichen, nicht ersetzen. Ein strengerer SWP löst nicht das Problem, dass die Investoren im Zweifelsfall auf einen Bail-Out spekulieren, er könnte aber als ergänzende Maßnahme sinnvoll sein. Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Mechanismus zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und insbesondere die davon abgeleiteten Sanktionen sind dagegen äußerst kritisch zu beurteilen. Erstens ist es selbst im Nachhinein schwierig, Ungleichgewichte zu identifizieren. Zweitens ist die nationale Wirtschaftspolitik nicht in jedem Fall der richtige Adressat. So sind übermäßig erscheinende Lohn- und Preisentwicklungen, aber auch hohe Leistungsbilanzsalden in einer Marktwirtschaft nicht durch die Regierung steuerbar. Drittens würde der Mechanismus die Verweigerung eines Bail-Out von Staaten, deren Probleme von den Frühwarnsystemen nicht erfasst wurden, noch unglaubwürdiger machen. Letztlich wird damit die Koordination durch Märkte verdrängt und das Haftungsprinzip weiter beschädigt.

In der europäischen Diskussion wird zuweilen gefordert, Deutschland müsse seine Binnennachfrage stärken und damit zum Abbau von Divergenzen im Euroraum beitragen. Tatsächlich ist die Binnennachfrage in Deutschland im zurückliegenden Jahrzehnt sowohl im Vergleich zur Dekade zuvor als auch im Vergleich zu einigen anderen europäischen Ländern nur sehr moderat gestiegen. Beide Vergleichsmaßstäbe tendieren freilich dazu, diese Schwäche zu überzeichnen. So waren die neunziger Jahre durch eine sehr ausgeprägte Investitionstätigkeit im Nachgang der deutschen Vereinigung und eine deutliche Erhöhung der Wohnbevölkerung in Westdeutschland gekennzeichnet. Der Vergleich mit anderen Ländern in Europa verzerrt das Bild ebenfalls. Zum einen hatten viele Länder nach der Jahrtausendwende einen Sonderboom infolge des mit der Europäischen Währungsunion verbundenen Anstiegs der Einkommenserwartungen sowie des Zinsrückgangs. Zum anderen war dort die demographische Entwicklung günstiger. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik an der durchschnittlichen Lage im Euroraum ausrichtet. Daher war das Zinsniveau in den aufholenden Ländern zu niedrig. Die Einschätzung der Kapitalanleger, dass der Ausfall von Schuldtiteln der Länder mit großen Haushaltsproblemen verhindert würde, hat dazu beigetragen, dass sich das Zinsniveau in diesen Ländern nicht durch risikoadäquate Aufschläge erhöhte. Für Deutschland war das Zinsniveau hingegen tendenziell zu hoch und wirkte dämpfend.

Wirtschaftspolitische Maßnahmen zum Abbau der Divergenzen müssen an den Ursachen ansetzen. Vor allem müssen nach dem Wegfall der nationalen Geldpolitik die für die Herstellung innen- und außenwirtschaftlicher Gleichgewichte erforderlichen marktwirtschaftlichen Lohn- und Preisanpassungen zugelassen werden. Außerdem ist die Wirtschaftspolitik in der EU dahingehend zu reformieren, dass Fehlentwicklungen in einzelnen Ländern den Erfolg der Europäischen Integration insgesamt nicht gefährden. Eine Behandlung des Symptoms einer relativ schwachen Dynamik der Binnennachfrage, z.B. durch höhere Staatsausgaben, wäre nicht sinnvoll, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht hinreichend wirksam wäre und vermutlich neue Verzerrungen und Ineffizienzen herbeiführen würde.


DOI: 10.1007/s10273-010-1150-1

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