Seit nunmehr über zwölf Jahren sind die Telekommunikationsmärkte in Europa vollständig liberalisiert und für den Wettbewerb geöffnet. Dieser Schritt hat in Deutschland eine beispiellose Entwicklung ausgelöst: Eine Vielzahl neuer Unternehmen ist in den Markt eingetreten, neue Geschäftsmodelle wurden umgesetzt, der Endgerätemarkt bietet eine breite und technisch moderne Produktpalette, die Preise für Telefonverbindungen sind enorm gesunken. Diese Liste ließe sich noch mit weiteren Beispielen fortsetzen. Festzuhalten ist in jedem Fall, dass durch den Wettbewerb erhebliche Effizienzpotentiale gehoben werden konnten und tatsächlich Raum für innovative Produkte geschaffen wurde. Das sind die Grundpfeiler für eine dynamische Marktentwicklung.
Liberalisierung, Marktöffnung und Regulierung
Die Telekommunikationsbranche befindet sich gegenwärtig wieder in einer Zeit gravierender Veränderungen. Es entstehen neue hochleistungsfähige Breitbandnetze, die neue Möglichkeiten und Chancen bedeuten. Die Konvergenz der Technik und der Medien erlaubt völlig neue Applikationen und Geschäftsmodelle. Neben dem ehemaligen Monopolisten, der in den Glasfaserausbau investiert, gibt es auch regionale Netzbetreiber, die sogar Glasfaserleitungen bis an die Gebäude bzw. in die Wohnungen bringen, um schnelle Breitbanddienste zu ermöglichen. Zudem bauen die Kabelnetzbetreiber ihre Netze aus, investieren in Bidirektionalität und in leistungsfähigere Transporttechnologien. Zu nennen sind aber auch die Mobilfunknetzbetreiber, die ebenfalls in erheblichem Umfang in den Ausbau ihrer Netze investieren. Eine Entwicklung, die in dieser Dynamik zu Monopolzeiten mit Sicherheit nicht denkbar gewesen wäre.
Aber auch in den anderen Netzwirtschaften, die inzwischen dem Wettbewerb geöffnet sind, sind die positiven Wirkungen, die von einem wettbewerblich geprägten Umfeld ausgehen, deutlich zu sehen. So ist es heute selbstverständlich, zwischen verschiedenen Energieanbietern und verschiedenen Produkten (z.B. „Ökostrom“) frei wählen zu können. Im Eisenbahnbereich ist die Entwicklung zwar noch nicht so weit fortgeschritten, aber dennoch ist die Nutzung privater Eisenbahnverkehrsunternehmen für viele Reisende zum Normalfall geworden, genau wie verschiedene Güterverkehrsunternehmen um Kunden konkurrieren.
Leistungen dieser Wirtschaftsbereiche werden gemeinhin als Teil der Daseinsvorsorge verstanden. Sie galten daher früher als wettbewerbliche Ausnahmebereiche. Noch bis in die 1970er-Jahre war die Auffassung vorherrschend, dass Märkte mit ihrem Gewinnstreben zur Daseinsvorsorge in Widerspruch stehen. Dies führte zu einem starken bzw. ausschließlich staatlichen Engagement in diesen Bereichen, verbunden mit der Förderung und Verstärkung monopolistischer Strukturen.
Ab dem Ende der 1970er-Jahre kam es jedoch zu einem Paradigmenwechsel: Daseinsvorsorge und marktwirtschaftliche Lösungen wurden nicht mehr als Gegensatz aufgefasst. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass marktwirtschaftliche Kräfte das Ziel der Daseinsvorsorge oftmals besser unterstützen und sicherstellen können als staatliche Fürsorge. Dem Staat und den von ihm geförderten Monopolstrukturen wurden die fehlenden Anreize für eine bessere Leistungsversorgung und der mangelnde Fortschritt in diesen Bereichen angelastet. Die Idee der Öffnung der Märkte für Wettbewerb gewann zunehmend an Unterstützung.
Bei Netzwirtschaften führen Liberalisierung und Marktöffnung allein jedoch regelmäßig nicht zu funktionsfähigem Wettbewerb. Es existieren ökonomische Besonderheiten, die weitere Maßnahmen erforderlich machen. Die betroffenen Wirtschaftsbereiche Energie, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen weisen Eigenschaften eines natürlichen Monopols auf. Die Netzinfrastrukturen stellen teilweise oder in Gänze ein sogenanntes „Bottleneck“ dar, d.h. sie sind nicht oder nur schwer replizierbar. Größen- und Verbundvorteile wie Netzwerkeffekte prägen den Sektor. Eigentümer der Infrastruktur sind die ehemaligen Staats- oder Gebietsmonopolisten, die naturgemäß zunächst wenig Interesse haben, den Flaschenhals für Wettbewerber zu öffnen. Es besteht also ein dringendes Erfordernis, eine rechtliche Marktöffnung auch ökonomisch abzusichern. Denn ohne Zugang zur Infrastruktur zu fairen Bedingungen ist Wettbewerb auf den vor- und nachgelagerten Märkten undenkbar.
Um die Vorteile eines wettbewerblich geprägten Marktes tatsächlich nutzen zu können, müssen also die fortbestehenden Defizite des ehemaligen Monopolmarktes geheilt werden. Daraus resultiert das Bedürfnis einer sektorspezifischen Regulierung, die an die ökonomischen Besonderheiten der Märkte anknüpft. Regulierung dient dabei allgemein der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten Wettbewerbs und des diskriminierungsfreien Zugangs zu Netzen nach der Öffnung der Märkte. Regulierung schafft insoweit ein „Level Playing Field“. Das bedeutet, faire und preislich angemessene Zugangsbedingungen müssen sichergestellt und der Missbrauch von Marktmacht verhindert werden. Mit einem funktionsfähigen, sich selbst tragenden Wettbewerb hat die Regulierung dann zu Gunsten des allgemeinen Wettbewerbsrechts zurückzutreten.
Das Erfordernis einer sektorspezifischen Regulierung zeigt sich besonders deutlich an den Fällen, in denen die mit einer Liberalisierung verfolgten Ziele mangels Regulierung nicht erreicht wurden. Hier ist vor allem auf den Telekommunikationsmarkt in Neuseeland und auf den Energiemarkt in Deutschland hinzuweisen. Solange es hier keine sektorspezifische Regulierung gab, kam auch der Wettbewerb nicht in Gang und blieben die Monopolstrukturen weitestgehend bestehen.
Der Europäische Rechtsrahmen in der Telekommunikation
Entscheidender Treiber bei der Öffnung der Märkte war Europa – ausgehend von der Idee der Verwirklichung eines europäischen Binnenmarktes. Aus Brüssel kommen auch heute noch entscheidende Impulse und Vorgaben, die die Entwicklung maßgeblich beeinflussen. Für den Bereich der Telekommunikation veröffentlichte die Europäische Kommission bereits im Jahr 1987 ihr Grünbuch über die Entwicklung des gemeinsamen Marktes für Telekommunikationsdienstleistungen und Telekommunikationsgeräte, das eine Vielzahl von europäischen Rechtsetzungsakten zur Folge hatte. Auf nationaler Ebene wurden die europäischen Vorgaben durch die Postreformen umgesetzt. So kam es 1989 durch die Postreform I im ersten Schritt zur Liberalisierung des Endgerätemarktes, der Daten- und Mehrwertdienste sowie des Mobil- und Satellitenfunkbereichs. Die Deutsche Bundespost wurde in die Bereiche Postdienst, Postbank und Telekom gegliedert. 1994 folgte dann durch die Postreform II die Privatisierung des Unternehmens. Durch die Postreform III im Jahr 1996 kam es schließlich zum vollständigen Fall des Sprachtelefondienst- und Netzmonopols zum 1.1.1998 und der Einführung der Regulierung.
Der geltende Rechtsrahmen wird in regelmäßigen Abständen einem „Review“ durch die Europäische Kommission unterzogen. Die europäischen Vorgaben des aktuell geltenden Rahmens sind in Deutschland durch das Telekommunikationsgesetz 2004 (TKG 2004) umgesetzt worden. Aber eine Überarbeitung steht bereits an. Am 18. Dezember 2009 ist eine weitere Novellierung des europäischen Rechtsrahmens in Kraft getreten, der eine Vielzahl an Veränderungen mit sich bringt und von den EU-Mitgliedstaaten in den nächsten 18 Monaten in nationales Recht umzusetzen ist. Das TKG 2004 basiert auf sechs verschiedenen europäischen Richtlinien.1 Neben allgemeinen Studien und Reporten gibt es noch eine Vielzahl von Empfehlungen und Leitlinien der Europäischen Kommission, die von den nationalen Behörden zu berücksichtigen sind. Besondere Bedeutung kommt dabei der Märkteempfehlung zu, denn der Rechtsrahmen sieht für die Regulierung ein strikt märkteweises Vorgehen vor – wie dies auch von den Kartellbehörden angewandt wird. Ehemals umfasste die EU-Empfehlung 18, seit 2007 nur noch sieben relevante Vorleistungs- und Endkundenmärkte (vgl. Abbildung 1).2
Abbildung 1
Märkteempfehlungen 2002 und 20071; Regulierung in Deutschland
Märkte 1 und 2, Privat- und Geschäftskundenanschlüsse | ⇒ Ex-post-Regulierung |
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Markt 3, Orts- und Inlandsgespräche Privatkunden (Festnetz) | ⇒ Keine Regulierung (davor: Ex-post-Regulierung) |
Markt 4, Auslandsgespräche Privatkunden (Festnetz) | ⇒ Keine Regulierung |
Markt 5, Orts- und Inlandsgespräche andere (Festnetz) | ⇒ Keine Regulierung (davor: Ex-post-Regulierung) |
Markt 6, Auslandsgespräche andere (Festnetz) | ⇒ Keine Regulierung |
Markt 7, Mindestangebot Mietleitungen für Endkunden | ⇒ Ex-post-Regulierung(teilweise, < 2 MBit) |
Markt 8, Verbindungsaufbau im öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten | ⇒ Ex-ante-Regulierung |
Markt 9, Anrufzustellung in einzelnen Telefonnetzen an festen Standorten | ⇒ Ex-ante-Regulierung |
Markt 10, Transitdienste im öffentlichen Festnetz | ⇒ Keine Regulierung(davor: Ex-ante-Regulierung) |
Markt 11, Entbündelter Großkundenzugang zur Teilnehmeranschlussleitung | ⇒ Ex-ante-Regulierung |
Markt 12, Breitbandzugang für Großkunden | ⇒ Ex-ante-Regulierung |
Markt 13, Abschlusssegmente von Mietleitungen für Großkunden | ⇒ Ex-ante-Regulierung |
Markt 14, Fernübertragungssegmente von Mietleitungen für Großkunden | ⇒ Keine Regulierung |
Markt 15, Zugang und Verbindungsaufbau in öffentlichen Mobilfunknetzen | ⇒ Keine Regulierung |
Markt 16, Terminierung in einzelnen Mobilfunknetzen | ⇒ Ex-ante-Regulierung |
Markt 17, Nationaler Großkundenmarkt Auslandsroaming | ⇒ Europäische Roaming-Verordnung |
Markt 18, Rundfunkübertragungsdienste | ⇒ Ex-post-Regulierung |
1 Die Märkteempfehlung umfasste 2002 zunächst 18 Märkte, seit 2007 sind es nur noch sieben (fett dargestellt).
Quelle: Bundesnetzagentur.
Diese Märkte sind grundsätzlich alle zwei Jahre von den nationalen Regulierungsbehörden zu definieren und auf das Vorliegen von wirksamem Wettbewerb zu untersuchen. In der Telekommunikation handelt es sich um eine asymmetrische Regulierung, d.h. – anders als z.B. im Eisenbahnbereich – ist grundsätzlich nur ein Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht Regulierungsmaßnahmen unterworfen. Im Rahmen dieses Verfahrens sind umfassende Konsultations- und Anhörungsrechte der Marktteilnehmer zu beachten, und das Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt ist herzustellen. Die Europäische Kommission ist ebenfalls über die beabsichtigte Entscheidung zu unterrichten und kann sogar ein Veto einlegen.
Die deutliche Reduzierung der nach der EU-Märkteempfehlung zu untersuchenden Märkte und die Verpflichtung zur regelmäßigen Marktuntersuchung zeigt, dass Regulierung gerade nicht statisch sein soll, sondern sich immer an die aktuellen Markt- und auch technischen Entwicklungen anpassen muss. So wird sichergestellt, dass Potentiale für den Abbau von Regulierung erkannt und genutzt werden.
Kommt die Marktuntersuchung jedoch zu dem Ergebnis, dass ein Markt regulierungsbedürftig ist, so muss dem marktbeherrschenden Unternehmen mindestens eine Maßnahme auferlegt werden, die geeignet ist, die wettbewerbliche Situation des Marktes zu verbessern. Die möglichen Maßnahmen reichen von Transparenz- und Nichtdiskriminerungsauflagen bis hin zu strikten Maßnahmen wie der Zugangs- und Entgeltgenehmigungspflicht. Im Hinblick auf die geeigneten Maßnahmen steht der Regulierungsbehörde dabei ein weiter Ermessensspielraum zu. Allerdings sind auch im Rahmen dieses Verfahrens die Konsultations- und Anhörungsrechte des Marktes zu beachten. Unterschied im Vergleich zur Marktuntersuchung ist allerdings, dass mit dem Bundeskartellamt nur das Benehmen herzustellen ist und zudem die Europäische Kommission nicht über ein Vetorecht verfügt. Einer etwaigen Stellungnahme der Kommission ist jedoch „weitestgehend Rechnung“ zu tragen.
Beispiele für die europäische Dimension
Anhand einiger konkreter Beispiele wird im Folgenden die Bedeutung Europas für die derzeitige Regulierung des Telekommunikationsmarktes veranschaulicht.
1. Beispiel
Die zu beachtenden Verfahrensvorschriften bieten einerseits Gewähr für eine gründliche und ausgewogene Entscheidung, können allerdings im Einzelfall auch zu einer sehr verzögerten Entscheidungsfindung führen. Beispielhaft sei hier auf die 1. Runde der Marktdefinition und -analyse des Marktes „Anrufzustellung in einzelne Festnetze“ verwiesen (vgl. Abbildung 2). Zwischen dem Beginn der Marktanalyse und dem Abschluss durch die Regulierungsverfügung sind fast drei Jahre vergangen, zwei Jahre allein wegen des Vetos der Kommission, weil sie anders als die Bundesnetzagentur die alternativen Teilnehmernetzbetreiber als marktbeherrschend ansah.
Abbildung 2
1. Runde der Marktdefinition und -analyse von Markt (9) „Anrufzustellung in einzelne Festnetze“ hinsichtlich alternativer Teilnehmernetzbetreiber
- 16.9.2003: Versendung von Fragebögen an 95 Unternehmen mit Frist 9.10.2003 (letzte Antworten/Nachfragen erfolgen bis Mai 2004)
- Juli 2004: Vorgespräche mit dem Bundeskartellamt und der EU-Kommission
- 8.9.2004: Nationale Konsultation des Entscheidungsentwurfs der Präsidentenkammer mit anschließender Veröffentlichung der eingegangenen Stellungnahmen interessierter Parteien, Auswertung der Stellungnahmen und Modifizierung des Entwurfs
- Januar 2005: Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundeskartellamt
- 15.2.2005: Notifizierung des Entwurfs bei der EU-Kommission (Phase I)
- 14.3.2005: Einleitung der Phase II (ernsthafte Zweifel) durch die Kommission
- 17.5.2005: Veto-Entscheidung der Kommission
- 1.6.2005: Veröffentlichung der Entscheidung der Kommission mit anschließender Veröffentlichung der dazu eingegangenen Stellungnahmen
- August 2005: Erneute Herstellung des Einvernehmens mit dem Bundeskartellamt
- 29.8.2005: Notifizierung des modifizierten Entwurfs bei der EU-Kommission (Phase I)
- 28.9.2005: „No-comment“-Schreiben der EU-Kommission
- 12.10.2005: Endgültige Festlegung der Präsidentenkammer
- …
- 29.5.2006: Regulierungsverfügungen gegenüber alternativen Teilnehmernetzbetreibern
Quelle: Bundesnetzagentur.
In Zukunft werden die Verfahren zudem noch komplexer. Der am 18. Dezember 2009 verabschiedete europäische Rechtsrahmen sieht die Schaffung des „Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation“ (GEREK) vor, das neben der Kommission in einem sogenannten „Ko-Regulierungsverfahren“ über beabsichtigte Regulierungsentscheidungen zu unterrichten ist. Die Kommission wird zwar weiterhin kein Vetorecht im Hinblick auf die Auferlegung konkreter Regulierungsverpflichtungen haben, wie sie es zu Beginn der Beratungen forderte. Es bleibt aber abzuwarten, wie sich das neue Verfahren – als Kompromiss auch Antwort auf die Forderung der Kommission nach einem europäischen Regulierer – auf die bestehende Balance zwischen nationalen Regulierungsbehörden und Kommission auswirken wird. Grundsätzlich muss den nationalen Regulierungsbehörden eine ausreichende Flexibilität zur Verfügung stehen, um den auf ihren Märkten erkannten Defiziten unter Berücksichtigung etwaiger nationaler Besonderheiten angemessen und effektiv begegnen zu können. „One size fits all“ gilt in diesen Bereichen meistens gerade nicht.
2. Beispiel
Die europäische Dimension der Telekommunikationsregulierung zeigt sich besonders deutlich an dem Markt für Roaming. Gleichzeitig zeigt sich hier, dass Brüssel nicht pauschal der bessere, neutral wettbewerbsorientierte Regulierer ist. Roaming beschreibt die Nutzung eines Mobilfunktelefons in einem anderen Staat als dem, in dem sich das Heimatnetz des Mobilfunkkunden befindet. Hier ist auf Initiative der Kommission der europäische Gesetzgeber tätig geworden und hat 2007 die erste und 2009 die zweite Roaming-Verordnung erlassen.3 Nachdem zunächst nur das Sprachroaming von der Verordnung umfasst war, unterliegen seit letztem Jahr auch der SMS-Versand und das Datenroaming der europäischen Regulierung (vgl. Abbildung 3). Die Kommission geht hier zu Recht davon aus, dass wegen der besonderen Struktur des Roamingmarktes und seines grenzüberschreitenden Charakters die nationalen Regulierungsbehörden kein Instrument haben, gegen Wettbewerbsprobleme vorzugehen. Allerdings ist dieses Vorgehen auch nicht völlig unproblematisch, denn die Kommission hat – entgegen der eigentlichen Konzeption des Rechtsrahmens – selbst keine genaue Marktanalyse durchgeführt und reguliert zudem Vorleistungs- und Endkundenmärkte in einem Schritt, ohne die Notwendigkeit zu prüfen, ob eine strikte Regulierung des Vorleistungsmarktes nicht ausreicht, um im Endkundenmarkt Wettbewerb zu initiieren. Ein solches Vorgehen birgt die Gefahr, dass allzu leicht eine Perpetuierung und Ausdehnung der Regulierung erfolgt, wie die 2. Roaming-Verordnung zeigt.
Abbildung 3
Markt 17 – Roaming
Kommission: Wegen der besonderen Struktur des Roamingmarktes und seines grenzüberschreitenden Charakters haben die nationalen Regulierungsbehörden kein Instrument, um gegen Wettbewerbsprobleme vorzugehen.
1. EU-Roamingverordnung vom 27.6.2007:
- Höchstpreise für Roaminganrufe in Höhe von 0,49 Euro pro Minute für abgehende und 0,24 Euro für ankommende Anrufe ab 30.8.2007, 0,46 Euro bzw. 0,22 Euro ab dem 30.8.2008 und 0,43 Euro bzw. 0,19 Euro ab dem 30.8.2009.
- Begrenzung des Vorleistungsentgelts auf 0,30 Euro ab 30.8.2007, 0,28 Euro ab 30.8.2008 und 0,26 Euro ab 30.8.2009.
2. EU-Roamingverordnung vom 18.6.2009:
- Begrenzung des Endkundenpreises für den SMS-Versand im Ausland auf 0,11 Euro (zuzüglich MwSt.) und des Vorleistungspreises auf durchschnittlich 0,04 Euro pro SMS.
- Höchstpreise für Roaminganrufe in Höhe von 0,43 Euro pro Minute für abgehende und 0,19 Euro für ankommende Anrufe ab dem 1.7.2009, ab 1. Juli 2010 0,39 Euro bzw. 0,15 Euro und ab 1. Juli 2011 0,35 Euro bzw. 0,11 Euro.
- Begrenzung des Vorleistungsentgelts auf 0,26 Euro ab 1.7.2009, 0,22 Euro ab 1.7.2010, 0,18 Euro ab 1.7.2011.
- Begrenzung des Vorleistungsentgelts für Datenroaming auf 1 Euro pro übertragenem Megabyte, ab 2010 auf 0,80 Euro und ab 2011 auf 0,50 Euro.
Quelle: Bundesnetzagentur.
3. Beispiel
Aus Brüssel wird zudem die nationale Gesetzgebung genau beobachtet. So hat der deutsche Gesetzgeber durch eine Änderung des TKG zum 18.2.2007 neue Märkte grundsätzlich von der Regulierung freigestellt. Diskutiert wurde das vor allem unter dem Stichwort der „Regulierungsferien“ für die neue Glasfaserinfrastruktur der Deutschen Telekom AG. Es stellt sich also die Frage, wie mit Innovationen des marktbeherrschenden Ex-Monopolisten umzugehen ist, und wie das Spannungsverhältnis „Innovation versus Wettbewerb“ bzw. „Pioniergewinne versus Monopolgewinne“ aufzulösen ist. Noch vor Inkrafttreten der Änderung eröffnete die Kommission jedoch ein Vertragsverletzungsverfahren, das zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geführt hat. In seinem Urteil bestätigte der EuGH die Auffassung der Kommission und sah die Vorschrift als gemeinschaftsrechtswidrig an4. Mit der Gerichtsentscheidung ist die grundsätzliche Frage zu Innovation und Regulierung allerdings bei weitem nicht geklärt. Eine Antwort wird nun die Regulierungsbehörde in ihren Entscheidungen finden müssen, denn der EuGH betont die Freiheit der Ermessensentscheidung des Regulierers.
Zusammenarbeit der europäischen Regulierer
Die nationalen Regulierungsbehörden in Europa haben frühzeitig die europäische Dimension der Regulierung erkannt und sich in verschiedenen Gremien zur Zusammenarbeit zusammengefunden. Im Bereich der Telekommunikation wurde bereits im Jahr 1997 zunächst ein informeller Verbund der Regulierungsbehörden gegründet (IRG – Independent Regulators Group). Dieser Verbund besteht bis heute fort, inzwischen in der Rechtsform eines Vereins nach belgischem Recht. Durch eine Kommissionsentscheidung wurde dann 2002 die European Regulators Group (ERG) gegründet, die die Kommission offiziell berät und unterstützt. Im Gegensatz zur IRG nimmt die Europäische Kommission an den Sitzungen der ERG teil, hat aber selbst kein Stimmrecht. Die europäischen Regulierergruppen spielen eine wichtige Rolle bei der Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Marktes. Aufgrund der dezentralen Implementierung von Regulierungsmaßnahmen tragen sie zur Harmonisierung und zu einer effektiveren Regulierung der nationalen Märkte bei. Im Laufe der Zeit ist es zu einer zunehmenden Institutionalisierung, verbunden mit einer stärkeren Verbindlichkeit der Festlegungen und Empfehlungen gekommen.
Das bereits angesprochene Gremium GEREK hat seit dem 28. Januar 2010 die Nachfolge der ERG angetreten. GEREK wird organisatorisch vor allem aus dem Regulierungsrat und einem durch einen Verwaltungsdirektor geführten Büro mit eigenem Personal bestehen. Im Regulierungsrat werden die Vertreter der Regulierungsbehörden der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie einige Beobachter zusammenkommen. Die IRG bleibt als von der Europäischen Kommission unabhängiger Verbund weiterhin bestehen.
Wurde das bereits recht komplexe Geflecht der Entscheidungen über das Ob und Wie der Regulierung der Märkte schon skizziert (vgl. Abbildung 4), so tritt nun anstelle des dargestellten Zusammenspiels zwischen Kommission und Regulierern das „Ko-Regulierungsverfahren“ zwischen nationalen Regulierern, Kommission und GEREK, dass sich noch komplexer und damit verbunden mit einem noch langwierigeren Ablauf darstellt. Ob damit – die Frage der Subsidiarität hintenangestellt – im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse eine Verbesserung der Qualität der Regulierung einhergeht, bleibt abzuwarten.
Abbildung 4
Marktregulierung nach TKG 2004
Quelle: Bundesnetzagentur.
Eine ähnliche Entwicklung gibt es im Übrigen auch im Energiebereich. Hier besteht eine von der Europäischen Kommission unabhängige Gruppe (CEER – Council of European Energy Regulators). Die von der Kommission ins Leben gerufene Regulierergruppe ERGEG (European Regulators Group for Electricity and Gas) wird von einer neu zu schaffenden europäischen Energieagentur (ACER – Agency for the Cooperation of Energy Regulators) abgelöst. Die CEER wird dagegen weiter fortbestehen.
Fazit
Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Regulierung sehr stark von europäischen Vorgaben geprägt ist. Die Europäische Kommission ist dabei ein wichtiger Impulsgeber für die Liberalisierung und die Schaffung von Wettbewerb über nationale Industriepolitik hinweg. Sie hat eine Harmonisierung in den zentralen Aspekten geschaffen und spielt eine wesentliche Rolle bei transnationalen Belangen. In bestimmten Bereichen, wie z.B. im Eisenbahnsektor, sind hier auch weitere Impulse gewünscht und sogar geboten, um dem Ziel eines einheitlichen Eisenbahnmarktes in Europa tatsächlich näher zu kommen. Dabei sind zu kleinteilige Vorgaben in Verkennung nationaler Besonderheiten mit Sicherheit nicht zielführend. Zu ausufernde bürokratische Verfahren müssen in jedem Fall vermieden und das Subsidiaritätsprinzip immer im Auge behalten werden.
- 1 Rahmenrichtlinie vom 7.2.2002 (2002/21/EG), Genehmigungsrichtlinie vom 7.3.2002 (2002/22/EG), Zugangsrichtlinie vom 7.3.2002 (2002/19/EG, Datenschutzrichtlinie vom 12.7.2002 (2002/58/EG), Wettbewerbsrichtlinie vom 16.9.2002 (2002/77/EG).
- 2 Empfehlung 2003/311/EG vom 11.2.2003 und Empfehlung 2007/879/EG vom 17.12.2007.
- 3 Verordnung Nr. 717/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2007, Verordnung Nr. 544/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009.
- 4 Urteil vom 3. Dezember 2009, Rs. C-424/07.